Alle Fachsystematiken könnten endlose Deduktionsketten bilden. Aus einem obersten, meist relativ abstrakten Prinzip läßt sich Erstaunliches deduzieren. Bei der Techniklehre war es die Trias: Stoff, Energie, Information, bei der Hauswirtschaft die Daseinsvorsorge, und bei der Wirtschaftslehre die Marktwirtschaft. Immer entstehen unvermeidlich Stoffansammlungen, die den Charakter von Katechismen haben, durch restriktive Praxisbedingungen in der Schule allerdings oft bis zur Unkenntlichkeit verformt werden.

Der wichtigste Unterschied zwischen der Inhaltsorientierung eines Schulfaches und der Problemorientierung ist der, daß Inhaltsorientierungen immer Limesvorstellungen mitführen, d.h., was nicht zum Inhaltskatalog gehört, wird nicht thematisiert. Problemorientierungen dagegen sind grenzüberschreitend, müssen es sein, denn Probleme machen an Fachgrenzen nicht halt. Projektunterricht ist deshalb fachimmanent eigentlich nicht möglich, darauf ist im Kontext der Projektdiskussion immer wieder hingewiesen worden. (FREY 1987, GUDJONS 1994).

Ein "Fach" Haushalt wird in der Regel die Herstellung eines textilen Gegenstandes vorsehen, niemals jedoch die Demontage und Analyse der Nähmaschine. Umgekehrt kann im "Fach" Technik durchaus die Nähmaschine Gegenstand des Unterrichts sein, ein Kleidungsstück zu nähen, wiese jeder Techniklehrer von sich. Der "Wirtschaftskunde"-Lehrer mag sich dem Thema "Kreditkarten" zuwenden und dem Vormarsch des bargeldlosen Zahlungsverkehrs; es überraschte sehr, würde der gleiche Lehrer eine simple elektronische Schaltung mit den Schülern bauen, die Magnetcodes zu dechriffieren gestattet.

Problemorientierte Didaktiken haben es mit zwei Schwierigkeiten zu tun: die Problemdimension kann außer Kontrolle geraten, m.a.W., wegen der Vielzahl der sich abzeichnenden Informationsdefizite werden einige Suchprozesse abgebrochen und Vermutungen an die Leerstellen gesetzt. Die andere Schwierigkeit besteht im Auffinden bildungsbedeutsamer Probleme überhaupt. Auf die erste Schwierigkeit gehen wir noch weiter unten ein. Die neuen Informationstechniken verheißen u.U. eine Lösung.

Welche Probleme sind es, die Schüler zur Lösungssuche stimulieren könnten? KLAFKI hat die epochalen Probleme herausgestellt, denen eine allgemeine Didaktik nicht mehr ausweichen darf. Wegen ihres überindividuellen Geltungsanspruchs nennt KLAFKI sie "Schlüsselprobleme". (KLAFKI 1991).

Die fünf von KLAFKI in die Diskussion gebrachten "epochaltypischen Schlüsselprobleme" wollen wir im folgenden von der Ebene eines allgemeindidaktischen Postulats auf die Arbeitslehredidaktik projizieren. In einem nächsten Schritt werden wir feststellen, daß Jugendliche zwischen 13 und 16 - die vorläufig wichtigste Zielgruppe der Arbeitslehre - diese Probleme nicht ohne weiteres als ihre eigenen identifizieren. Da die Probleme ausnahmslos alle betreffen, wird die Vermittlung mit den Deutungsmustern der Jugendlichen zur Aufgabe.

Die Friedensfrage ist das epochaltypische Schlüsselproblem, von dem die Arbeitslehre suspendiert werden sollte. Hier gibt es fachliche Zuständigkeiten bei anderen Fächern. Jenseits jeder Fachdidaktik gehört es zum Erziehungsauftrag der Schule, Friedfertigkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz einzuüben. Aber die systematische Behandlung der Rüstungsinteressen, des Fundamentalismus, der Bürgerkriege usw. ist nicht Sache der Arbeitslehre. [/S. 219:]

Die Umweltfrage dagegen findet in der Arbeitslehre einen Ort, wo die Problembearbeitung erfolgversprechend aufgenommen werden kann. Es ist wohl selbstverständlich, daß Arbeitslehre die Umweltfrage nicht monopolisieren kann und will; Fächer wie Erdkunde, Biologie und Politik leisten wichtige Beiträge. Die sehr hoch einzuschätzende Chance der Arbeitslehre besteht im Aufbau einer durchgängigen Doppelperspektive, angebunden an reale Stoffumwandlungsprozesse! Wenn in handwerklichen, bzw. in quasiindustriellen Herstellungsprozessen Gebrauchsgegenstände entstehen und wenn auf der anderen Seite Hausarbeit praktisch stattfindet, dann erlebt jeder Schüler, wie beide Sphären in je spezifischer Weise Umwelt belasten. Zum einen können umweltgefährdende Verfahren und Werkstoffe im Rahmen des Mikrokosmos Schulwerkstatt substituiert werden, zum anderen kann der Frage nachgegangen werden, welche wechselseitigen Einflußmöglichkeiten und -unterlassungen praktizieren die Haushalte und welche die Unternehmen.

Die Frage gesellschaftlich produzierter Ungleichheit. Auch hier gibt es wohl kein Schulfach, daß nicht aufgerufen ist, den Blick der Schüler zu schärfen für natürliche Ungleichheit (Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte) und die daran sich festmachenden Ungleichheitsnormen der Gesellschaft. Da die gesellschaftlich produzierte Ungleicheit ubiquitär ist, muß Arbeitslehre gewissermaßen seine Problembearbeitung definieren. Es sind hier vor allem zwei Problemkomplexe, die genuin zur Arbeitslehre gehören, und für deren Bearbeitung kein anderes Fach in Sicht ist: erstens die Ungleichheit bei der Last der Hausarbeit und die damit verbundene Ungleichheit bei beruflichen Karrierechancen zwischen Männern und Frauen. Der zweite Problemkomplex hat etwas zu tun mit der Arbeitsteilung zwischen "reichen" und "armen" Ländern. Jedes Stück Material, das in der Arbeitslehre verarbeitet wird, jede Speise, die zubereitet wird, jeder Konsumartikel, der analysiert wird, kommt u.U. aus einem Land, das selbst "arm" ist. Kurzschlüssig und populistisch wäre die Behauptung, wir mästen uns auf Kosten der Armen. Sehr viel komplizierter sind die wahren Zusammenhänge. So überlebensnotwendig die Industrieländer für die Billigproduzenten sind, so beunruhigend ist die Abhängigkeit, die beiderseits auf Dauer gestellt wird.

Die Frage der Kontrollierbarkeit moderner Technik. KLAFKI hat mit diesem epochalen Schlüsselproblem etwas bezeichnet, das extrem kompliziert ist. Inzwischen gibt es Forschungsprogramme zur Technikfolgen-Abschätzung. Allein die Diktion ist verräterisch: die Technik selbst erscheint als Neutrum, die Folgen aber können mehr oder weniger segensreich sein. Wenn es ein Argument gegen ein Schulfach Technik gibt das sich gleichzeitig als Argument für Arbeitslehre anbietet, dann ist es die Technikfolgen-Abschätzung, diese kann nämlich nicht technikimmanent geleistet werden. Arbeitslehre wird die finale Bestimmung von Technik, die Daseinserleichterung des (haushaltenden) Menschen, aus dessen Perspektive befragen und zur Reflexion über die Präferenzen des Haushalts selbst anhalten. Die IuK-Techniken, denen KLAFKI ausdrücklich eine besondere Qualität zuspricht, werden im Gegensatz zu anderen Techniken alle Schulfächer verändern. Das eigentlich Technische an der IuK-Technik hat nicht den Rang eines Schlüsselproblems. Das Problem besteht in der Gefahr, daß ein Ende der Privatheit heraufziehen könnte. Datenschutz und "informationelle Selbstbestimmung" sind die Abwehr-Vokabeln.

Die Frage der Ich-Du-Beziehung ist von KLAFKI wohl auch als eine sehr alte, die Menschheit begleitende Frage verstanden worden. Christliche Brüderlichkeit, [/S. 220:] sozialistische Solidarität, antiker Eros, verlieren sich in der Moderne, und der Ruf nach Religionsunterricht, Ethikunterricht oder sonstigen Programmen zur Entwicklung des Guten im Menschen wird lauter. Wir bezweifeln die Notwendigkeit weiterer Schulfächer, sehen aber auch die unterschiedliche "Eignung" der vorhandenen Fächer für eine wirksame Moralerziehung. Mathematik- und Chemieunterricht sind vielleicht weniger geeignet als der Deutschunterricht. Alle Fächer müssen sich jedoch fragen, ob sie Hilfsbereitschaft und Empathie fördern oder gar erschweren. Die Koedukation ist noch gar nicht so alt in unserem Bildungswesen, und doch gibt es bereits Stimmen, die eine (zeitweise) Abkehr fordern. Die Integration von Behinderten ist eine sehr junge Erscheinung. Und die Entwicklung der Gesamtschule, daran sei erinnert, wollte jungen Menschen das Ausgrenzungserlebnis ersparen. Fast jeder Schüler hat heute einen, meist mehrere ausländische Mitschüler, eine Erfahrung, die noch vor wenigen Generationen völlig fehlte. Institutionelle Bedingungen haben sich also eher verbessert, der Zustand der Gesellschaft aber wird von Soziologen pessimistisch beurteilt: Zahlen über Ehescheidungen, Kindesmißhandlungen, Verkehrs- und Rohheitsdelikte sind beunruhigend.

Es wäre anmaßend, wenn das Fach Arbeitslehre sich als Nothelfer anböte. Man muß aber die dem Fach immanenten Chancen benennen: Die Geschlechter, traditionell in zwei Daseinsbereichen "entmischt", finden in der Arbeitslehre zusammen. Gemeint sind die Technik im weitesten Sinne und die Hausarbeit. Ob Mädchen und Jungen, die gemeinsam eine elektronische Schaltung aufgebaut und Pizza gebacken haben, vor einander auch mehr Respekt empfinden, ist nicht beweisbar. Ob ein in den sprachlichen Fächern "schwacher" Schüler, der in Arbeitslehre überdurchschnittliche Erfolge hat, zu einem weniger frustrierten und ausgeglichenem Menschen sich entwickelt, bleibt ungewiß. Auch die Tatsache, daß isolierte Übungspraktiken in der Arbeitslehre kaum eine Rolle spielen, sondern gemeinsame Planungs- und Durchführungsphasen das Bild beherrschen, läßt bestenfalls die Hoffnung auf mehr Solidarität keimen.

Wir konnten zeigen, daß Arbeitslehre teilweise die KLAFKI schen Schlüsselprobleme aufgreift. Sofern ein einzelnes Schulfach überhaupt zur adäquaten Problembearbeitung geeignet ist, dürfte Arbeitslehre als privilegiert gelten. Die nicht monodisziplinäre Herkunft der Arbeitslehre erweist sich hier als Vorteil. Es wäre falsch, zu verschweigen, daß von Kritikern der Arbeitslehre die Gefahr in einer unkontrollierbaren Entgrenzung des Faches gesehen wird. Dieser Gefahr kann nur mit der Beschreibung eines invarianten Kerns der Arbeitslehre begegnet werden. Die Betonung liegt auf "Beschreibung", denn die explikative Annäherung erscheint uns als die einzig angemessene. Aussagen im Duktus von Lernzielen setzen bereits eine Problemlösung voraus.

Wenn dieser "Kern" einmal Konsens erlangt, ist eine Entgrenzung nicht mehr bedrohlich. Dies dürfte langfristig ein Gütekriterium für Schulfächer sein: Wie beweglich sind sie an den Rändern? Kein Schulfach kann genötigt werden, einen substantiellen Kern aufzugeben. Aber es muß erwartet werden können, daß Problemsensibilitäten für Grenzbereiche da sind und daß Vernetzungen stattfinden.

Die neun nachfolgend beschriebenen fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind deren invarianter Kern. Es ist nicht bekannt, daß irgend eine Arbeitslehrekonzeption eines dieser Probleme gar nicht thematisiert. Allerdings sind zahlreiche Themen bzw. Stoffkonvolute benennbar, die auch angeblich zur Arbeitslehre gehören, die wir aber vernachlässigen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Die Sozialisationsfunktion des Haushalts (Kindererziehung), die Geschichte der Arbeiterbewegung, große Teile der Wirtschaftspolitik (Unternehmenskonzentration, [/S. 221:] Steuern, Geldpolitik), Ökologische Fragen (Artenschutz, Klimaveränderungen), Fragen im Grenzbereich von Technik und Naturwissenschaften (Energiebilanzen, alternative Energieformen). Die Liste ist wesentlich länger. Man hat Skrupel bei der Ausgrenzung. Aber immer wieder muß an die Existenz der anderen Fächer erinnert werden, und solange Schule arbeitsteilig abgehalten wird, liquidiert sich ein Fach selbst, wenn es sich von der Allmachtsphantasie fortreißen läßt.

Die nachfolgend genannten fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre werden in komprimierter Form vorgestellt. Ihre Offenheit verbietet die Aufstellung von Inhaltskatalogen oder gar Lernzielen.

Der Beschreibung von neun fachdidaktischen Schlüsselproblemen vorangestellt ist die eigentliche Substanz der Arbeitslehre: die beiden unverwechselbaren Grundtypen der Arbeit, die Erwerbsarbeit und die Hausarbeit.

Dies ist notwendig, wie aus den folgenden Ausführungen vielleicht hervorgeht. Arbeit, sei eine Universale, machen die einen geltend und deshalb als Strukturierungskriterium ungeeignet. Die anderen wollen einen neuen Arbeitstyp entdeckt haben, der von der Arbeitslehre unbedingt systematisch zu bearbeiten sei. Diese sogenannte "Eigenarbeit" stößt neuerdings auf großes Interesse (vergl. auch unsere Anmerkung auf S dieser Arbeit). Unter Eigenarbeit wird ein Drittes verstanden, das angeblich nicht Erwerbsarbeit und nicht Hausarbeit ist. Wenn jemand sein Wohnzimmer tapeziert, an seinem Auto die Batterie wechselt oder neue Vorhänge näht, so sei dies Eigenarbeit. Bei Licht besehen handelt es sich um teilweise vergessene Hausarbeit oder um Berufsarbeit, die mehr oder weniger kompetent ohne Entlohnung ausgeführt wird. An die im historischen Prozeß notwendig gewordene Ausdifferenzierung der Berufe muß erinnert werden, weil das "ganze Haus" an Funktionsgrenzen gestoßen war. In dann folgenden Entwicklungsperioden waren auch scheinbar originäre Hausarbeiten wie Wäschewaschen und Nahrungszubereitung teilweise ausgelagert worden. Wenn jetzt im Zuge der "Sättigung" von Berufsarbeit eine Rückverlagerung in den Haushalt erfolgt, besteht noch keine Notwendigkeit, eine kategoriale Neuordnung zu verkünden.

Gewiß lassen sich im Kontext sogenannter Eigenarbeit veränderte Motivationslagen beobachten, etwa die von der Hobbykultur her bekannte Begeisterung. Und selbst wenn das Hobbyprädikat unzutreffend sein sollte, weil die Begeisterung sich in Grenzen hält und allein ökonomische Kalküle der Beweggrund sind, einen Typus "Eigenarbeit" vermöchten wir nicht zu erkennen.

An dieser Stelle möchte ich kurz einen unaufgelösten Dissens mit WILFRIED HENDRICKS benennen. In vielen Gesprächen legte er seine Option für eine Dreiteilung des Arbeitsbegriffes dar. Motivationale, funktionale und vom Mitteleinsatz her differente Merkmale rechtfertigten die Beschreibung der Eigenarbeit; die analytische Verfeinerung des Begriffsapparats könnte das Gesamtphänomen Arbeit transparenter machen. Wir glauben, daß die beiden Kategorien Erwerbsarbeit und Hausarbeit ausreichen. Eine über den Hypothesenstatus hinausgehende Bearbeitung des Problems steht noch aus, dürfte aber für die weitere Entwicklung der Arbeitslehre dringlich sein.

Eine andere Interessenkonstellation zielt offenbar darauf ab, den Begriff Hausarbeit generell durch Eigenarbeit zu ersetzen. Die Konnotationen von "Hausarbeit" werden als biedermeierlich empfunden, vom Begriff der Eigenarbeit erhofft man sich mehr Attraktivität. Sprachliches Design genügt in den meisten Fällen nicht. Die von einigen Fachvertretern als Peinlichkeit empfundene Bezeichnung Arbeitslehre soll durch "arbeitsorientierte Bildung" salonfähiger werden, ein aus unserer Sicht untauglicher Versuch. [/S. 222:]

R.G. HEINZE und C. OFFE haben sich mit "Formen der Eigenarbeit" auseinandergesetzt. Der besonders in den Medien oft unreflektierten Verwendung des Begriffes halten sie ihre Definition von Eigenarbeit entgegen. Es handelt sich dabei um professionelle "Erwerbsarbeit", die ihre betriebliche Bindung aufgegeben hat und nicht in Geldgrößen entlohnt wird. Würde sie dies nicht tun, wäre der Tatbestand der Schwarzarbeit erfüllt. So aber kommt es zu einer Tauschwirtschaft auf Gutscheinbasis, denn die Eigenarbeit kann nur selten direkt getauscht werden. (Haarschnitt gegen Ölwechsel am Auto) Die für die Eigenarbeit erworbenen Gutscheine dienen zum "Einkauf" fremder Eigenarbeit. Die relativ strengen Ansprüche an eine Arbeitsform, die das Prädikat "Eigen" verdient, schließen in den meisten Fällen das aus, was als Heimwerkerei und gutgemeinten Hilfsdiensten heute unter Eigenarbeit firmiert.

"Auch begrifflich-analytisch sind gegen eine expansive Neubestimmung des Arbeitsbegriffs Einwände zu erheben. Von 'Arbeit' kann nur dann gesprochen werden, wenn eine Tätigkeit durch ein vorbedachtes und nicht nur von den Arbeitenden selbst, sondern auch von anderen als nützlich bewertetes Ziel geleitet wird und wenn sich die auf dieses Ziel gerichteten Anstrengungen in einer gewissen Übereinstimmung mit dem gesellschaftlich erreichten Stand der technischen Produktivität befinden. Nach diesen beiden Kriterien der sozialen Validierung von Zielen und der Effizienz des Mitteleinsatzes würde etwa ein großer Teil der als 'Hobbies' betriebenen Tätigkeiten nicht sinnvollerweise der Sphäre der 'Arbeit' zugerechnet werden können, sondern müßte - wie etwa auch sportliche Tätigkeit - als eine konsumptive Art der Freizeitverwendung klassifiziert werden. Überall dort, wo der 'Arbeitsprozeß' und sein 'Ergebnis' schwer oder überhaupt nicht voneinander zu trennen sind und der Nutzen der Tätigkeit in ihrem 'Prozeßnutzen' aufgeht, wird man deshalb nicht sinnvoll von 'Arbeit' sprechen wollen."

(HEINZE/OFFE; 1990, S. 9)

Es ist schwer einschätzbar, welche Rolle diese Form der Eigenarbeit in unserer Gesellschaft heute schon spielt. Die kriminalisierte Schwarzarbeit und die informelle Eigenarbeit haben gemeinsam, daß sie im Schatten bleiben. [/S. 223:]

Abb.: Arbeitslehre - entgrenztes Fach mit invariantem Kern

Erwerbsarbeit Hausarbeit
Gemeinsamkeiten
  • ergebnisorientiert
  • Resourcenknappheit
  • Technikeinsatz
  • von Vorprodukten abhängig
  • die Umwelt beeinflussend
  • die eigene Gesundheit beeinfl.
Trennendes Trennendes
  • mehr fremdbestimmt
  • mehr zeitlich gebunden
  • entlohnt
  • vertraglich geregelt
  • hierarchieeingebunden
  • arbeitsteilig
  • berufsförmig
  • mehr selbstbestimmt
  • zeitlich variabel
  • nicht entlohnt
  • hierarchiefrei
  • ganzheitlich
  • autodidakt. Kompetenzerwerb
  • teilweise sozial isoliert

Fachdidaktische Schlüsselprobleme der Arbeitslehre
  1. Arbeit und Technikgebrauch. Die Erwartungen an Technik sind inkonsistent: Arbeitserleichterung im Haushalt, jedoch keine Arbeitslosigkeit im Betrieb. Weil der technikgebrauchende Mensch Neben- und Folgekosten zu minimieren trachtet (psychische und monetäre Kosten), muß er urteils- und handlungsfähig gegenüber den verschiedensten technischen Sachsystemen werden. Die Frage der unterrichtlichen Auswahl der Sachsysteme und der Umgang mit ihnen verlangt nach einer Antwort.
  2. Arbeit und Umweltbelastung. Die Umwelt wird teilweise bis an Toleranzgrenzen belastet. Die Mikroökonomie des Privathaushalts und die industrielle Produktion addieren sich zum "Verursachersyndrom". Wechselseitige Schuldzuweisungen sind üblich. Der einzelne hat in der Privatsphäre größere Autonomie in Sachen Umweltverantwortung als in betrieblichen Arbeitsverhältnissen. Wie können Arbeitsformen im Betrieb und im Haushalt komplementär oder auch kontrovers gestaltet werden, wenn es eine "Generalverantwortung" für die Umwelt gibt?
  3. Arbeit und Beruf. Es gibt Anzeichen dafür, daß die über Jahrhunderte vorherrschende Form des Arbeitens, die berufsförmige, durch "Jobgesinnung" abgelöst wird. Die Bewertung dieses Phänomens ist kompliziert. Bestehen bleibt der Zusammenhang zwischen der Investition in (berufliche) Qualifizierung und erwartbares Einkommen. Die Leistungen des Haushalts sind Voraussetzung und Ergebnis der Erwerbsarbeit. Die Reproduktionsproblematik erweitert sich heute um [/S. 224:] die Krise des Selbstkonzepts. Wenn die identitätsstiftende Funktion des Berufs entfällt, muß dann die Leerstelle gefüllt werden?
  4. Arbeit und Gesundheit. Um arbeiten zu können, muß man gesund sein. Diese profane Feststellung gilt für Erwerbsarbeit und für Hausarbeit. In dem einen Falle wird Arbeitsunfähigkeit kontrovers diskutiert, als Drückebergerei und volkswirtschaftlicher Schaden, in dem anderen Falle wird sie erlitten, denn der Hausarbeit eigen ist ihre tägliche Dringlichkeit. Als Prämisse kann wohl gelten, daß jeder unfallfrei und gesund durchs Leben kommen möchte, intelligente Arbeitsorganisation und vernünftige Ernährung vergrößern die Chancen. Wie läßt sich diese Einsicht mit einer gewissen Nachhaltigkeit durchsetzen?
  5. Arbeit und IuK-Techniken. Die IuK-Technik ist keine Partialtechnik, wie sie heute, oft unbemerkt für den Normalbürger, in Produktionsprozesse Eingang findet. Sie ist eine Art Metatechnik, die alle anderen Techniken überformt, jedoch kaum substituiert. Dieser Tatbestand rechtfertigt ihre didaktische Sonderbehandlung. Die Frage, ob IuK-Technik eher eine technische oder ein medientheoretische Herausforderung ist, bedarf noch der didaktischen Klärung. Die Informations- und Unterhaltungsdimension, die durch die neuen Technologien enorm erweitert wird, hat unabhängig von der Arbeitswelt ihren gesellschaftlichen Platz. Die Arbeitslehre wird also angesichts der gesamtgesellschaftlichen Wirkungen, jene thematisieren müssen, die Arbeit verändern. Im Bereich der Erwerbsarbeit scheinen dies zum einen Freisetzungseffekte zu sein, zum anderen Qualifikationsverlagerungen vom Kontakt mit dem Arbeitsgegenstand zu dessen symbolischer Repräsentation. Im Bereich der Hausarbeit dürfte es zu Verhaltensänderungen beim Nutzen von Dienstleistungs- und Warenangeboten kommen.
  6. Arbeit und Einkommen. Jeder Haushalt hat ein Einkommen. Zwischen Sozialunterstützung, Lohnarbeit und Dividende aus Aktienbesitz existiert eine Bandbreite der Einkommensarten. Die Verwendung dieser Einkommen liegt irgendwo zwischen Sparen, Ausgeben und Schulden machen (wobei die Tilgung der Schulden als Einkommensverwendung antizipiert wird). Ob Einkommenseinbußen durch vermehrte Hausarbeit kompensiert werden können, ist eine normative und praktisch-technische Frage.
  7. Arbeit und Konsum. Gemäß überlieferter Wirtschaftsdoktrin ist man als Erwerbstätiger meist abhängig und als Konsument souverän. Offenbar sind die Verhältnisse nicht so klar. Erste Anzeichen deuten darauf hin, daß sich Erwerbsarbeitsverhältnisse stärker flexibilisieren und Konsumentenentscheidungen zunehmend raffinierter manipuliert werden.
  8. Arbeit und ihre Teilung. Bei der Hausarbeit trifft man mehr Frauen als Männer und in vielen, meist technischen Berufen sind Männer deutlich in der Überzahl. Objektiv gibt es keinen Grund, daß es nicht auch ganz anders sein könnte. Innerhalb der berufsförmigen Arbeit ist die Arbeitsteilung sehr weit fortgeschritten, und zwar sowohl funktional wie auch hierarchisch. Eine generelle Rücknahme der Arbeitsteilung verspricht u.U. erhöhte Arbeitseffizienz und die Befriedung des Geschlechterkampfes. [/S. 225:]
  9. Arbeit und Rekreation. Neben Sport, Hobby und der Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen dürfte die Wohnung mitbestimmend sein für Rekreationsschancen. Der Mensch ist ein behauster. Seine Wohnung, sein Haus kosten Geld, begünstigen oder behindern soziale Beziehungen. Die Gegenstände des täglichen Gebrauchs haben praktische und symbolische Bedeutung. Da unser Wohlbefinden sehr stark hiervon geprägt ist, stellt sich einer Arbeitslehre die Frage, ob Wohnkultur erlernbar ist.

Diese neun fachdidaktischen Schlüsselprobleme gehören zum unverzichtbaren Kern der Arbeitslehre. Wie die offene Problemformulierung bereits ahnen läßt, besteht die Gefahr der extensiven Bearbeitung im Unterricht, allerdings nur dann, wenn unter "Bearbeitung" verbalsymbolische Diskurse verstanden werden. Die Begrenzung erfolgt in raum-zeitlicher Hinsicht durch zwei Faktoren: Erstens gilt der Primat der Handlungsorientierung, und Handeln in der materiellen Welt ist zeitaufwendig, so daß im Unterricht die Gefahr der Ausschweifung gering ist. Auf den von uns verwandten Handlungsbegriff gehen wir weiter unten ausführlich ein.

Zweitens ist die Problembearbeitung an Fachräume gebunden. Fachräume kann man nicht wie Schulbücher auswechseln. Oft handelt es sich um säkulare Prozesse: bis zum Schulgebäude selbstverständlich eine Turnhalle gehörte, verging viel Zeit. Ungewöhnlich rasch wurden in jüngster Zeit einige Computerräume eingerichtet. Die Anforderungen an einen solchen Raum sind allerdings gering: Wenn man auf eine Vernetzung verzichtet, reicht es in der Regel, die Computer auf vorhandene Schultische zu stellen. Andere Fachräume der Arbeitslehre benötigen erhöhte zulässige Deckenlast, spezielle Stromversorgung, Abluftkanäle, einen qualitativ besonderen Bodenbelag und diverse technische Geräte.

Noch immer - dies sei hier eingeflochten - beherrschen in unseren Schulen Klassenzimmer das Bild, deren Inventar aus Tischen, Stühlen, einem Lehrertisch und der Tafel besteht. Lediglich in der Grundschule beobachten wir eine Entwicklung zum anregungsreichen Environment: Pflanzen, Aquarien und Bastelecke sind nicht mehr die Ausnahme. Daß Schüler in der Sekundarstufe disponiert sind, einem letztlich lehrerzentrierten Unterricht dauerhaft ihre Zuwendung zu schenken, wird von der Unterrichtsrealität widerlegt. Ein Raum etwa, in dem Deutschunterricht erteilt wird, könnte über ein kleines Tonstudio, eine Minibühne für szenische Darstellungen und über eine Druckerei verfügen. Beispiele gibt es. Für Arbeitslehre müßte es u. E. selbstverständlich sein, daß dieses Fach nicht in einem der oben beschriebenen, anregungsarmen Klassenzimmer stattfindet. Leider trifft dies nicht zu. "Arbeitslehre-Theorie", so lautet eine verquaste Wortschöpfung, könne doch im Klassenzimmer stattfinden, und gelegentlich ginge man dann in die Werkstatt. Einem solchen Irrtum ist schwer beizukommen, wie uns jahrelange Bemühungen lehrten. Wenn die Prämisse akzeptiert wird, daß aus Handlungsabläufen Theoriebedarf hervorgeht und umgekehrt, Theorie (verstanden als Handlungsentwurf) auf unmittelbare Überprüfung drängt, dann sind unterschiedliche Raumkonzepte schon eine große Hürde. In einer Werkstatt kann man immer auch zum Zwecke theoretischer Reflexion innehalten, in einem Klassenzimmer kann man selten etwas ausprobieren. Zum Stand der Ausstattung mit Fachräumen für Arbeitslehre und verwandte technische Fächer in der alten Bundesrepublik hat WULFERS eine Befragung im Auftrag der GATWU durchgeführt (WULFERS 1989). [/S. 226:]

Die nachfolgende Tabelle zeigt die fünf Handlungsfelder der Arbeitslehre, die weitgehend mit entsprechenden Fachräumen korrespondieren. Gekreuzt werden die Handlungsfelder mit sogenannten Orientierungspfaden, die gewissermaßen als Dauerreflexion in jedem Handlungsfeld mitlaufen: Sicherheitsorientierung, Verbraucherorientierung, Berufsorientierung, Ökologische Orientierung und Designorientierung

Abb.: Handlungsfelder und Orientierungspfade der Arbeitslehre

Orientierungspfade
Handlungsfelder
Integrierte Holz -,Metall -,und Kunststoffverarbeitung 
Signal -,und Datenverarbeitung 
Büroarbeit 
Lebensmittelverarbeitung 
Textilverarbeitung 

Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme sind aus der gesellschaftlichen Situation nicht ableitbar, aber in dieser zu entziffern. Die Handlungsfelder werden teilweise determiniert durch vorhandene Fachraumstrukturen aber auch durch Machbarkeitserwägungen. Die Orientierungspfade schließlich sind so etwas wie normative Lernzielbestimmungen.

Zum Fachraumensemble der Arbeitslehre einige kurze Bemerkungen. (Siehe auch: REUEL: Die Ausstattung von Arbeitslehre-Fachräumen sowie deren Unterhaltungskosten, Pädagogisches Zentrum Berlin, 1993) Die optimale Ausstattung eines Arbeitslehre-Fachbereichs umfaßt mindestens fünf Räume. In diesen handeln die Schüler auf unterschiedliche Weise. Und doch erschließt sich nach kurzer Zeit der Sinnzusammenhang. Es folgt eine Kurzcharakteristik der Räume.

Raum für integrierte Holz-, Metall- und Kunststoffverarbeitung

Dieser ist in der Regel geteilt, in eine Maschinenzone und eine Zone für manuelles Arbeiten. Die Werktradition sah immer getrennte Räume für Holz und Metall vor, Kunststoffe spielten kaum eine Rolle. Eine beinahe dogmatisch zu nennende Auffassung der Werkstoffpuristen ging von einer Unverträglichkeit zwischen Holz und Metall aus. Eine ohnehin vorgeschriebene moderne Staubabsaugung, verbunden mit etwas Reinlichkeit, läßt die gemeinsame Verarbeitung von Holz und Metall hervorragend in einem Raum zu. Die Vorteile überwiegen bei weitem: Schüler begreifen jetzt unmittelbar, warum Schnittgeschwindigkeiten und Keilwinkel bei Metall anders sein müssen als beim Holz. Sie kennen Vor- und Nachteile eines gewachsenen, eines "abgebauten" und eines vollsynthetischen Werkstoffs. Sie erfahren beim Arbeiten, welche Substitutionsmöglichkeiten bestehen und welche Verfahren nur bei diesem, nicht jedoch bei anderen Werkstoffen anwendbar sind. Sie entwickeln überdies eine sensorische Wahrnehmung [/S. 227:] von Werkstoffeigenschaften, die nach Möglichkeit von objektiven Prüfverfahren unterstützt wird.

Signal- und Datenverarbeitung

In diesem Raum spielt die Werkstoffbearbeitung eine nachgeordnete Rolle. Die Schüler verursachen mit ihrer Arbeit Zustandsänderungen, die nur sekundär, anhand akustischer, optischer oder thermischer Erscheinungen beobachtbar sind. (u.U. nur als Ja- oder Nein-Aussage.) Im Gegensatz zu einem theoretischen Physikunterricht, anders aber auch als im experimentellen Physikunterricht, entsteht in der Arbeitslehre eine elektronische Schaltung, die einem Verwendungszweck zugeführt wird. (etwa ein Feuchtigkeitsmelder für den Blumenkübel.) Auch der Einsatz des Computers in diesem Raum ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß mit seiner Hilfe Prozesse gesteuert werden. Angefangen vom Fräsen einer Leiterplatine bis hin zum Ausschneiden eines komplizierten Styroporteils, das als Formkern verwendet wird. Kann dieser Typus von Arbeit nicht in dem vorher genannten Raum (Integrierte Holz-, Metall- und Kunststoffbearbeitung) stattfinden? Unter restriktiven Bedingungen geht es, allerdings darf nicht übersehen werden, daß im ersten Falle überwiegend stehend gearbeitet wird, im zweiten sitzend. Dies erfordert unterschiedliche Werkbänke.

Büroarbeit

Ein Raum für Büroarbeit, auch als Lernbüro bekannt, ist der jüngste im Fachraumensemble der Arbeitslehre und noch keineswegs überall vorhanden. Ein moderner Arbeitslehreunterricht kann die Büroarbeit nicht ausklammern. Dieser Sektor der Erwerbsarbeit (aber auch eine Bürokratisierung der Haushaltsführung) gewinnt an Bedeutung. Die Textverarbeitungsprogramme, die überall in reinen Computerräumen geübt werden, haben natürlich eine Erhöhung der "Bürokompetenz" im Gefolge, diese ist aber nur sehr rudimentär. In einem Lernbüro werden elementare kaufmännische Geschäftsvorfälle im Zusammenhang bearbeitet. Besonders wichtig ist die Spiegelung der Kaufmanns-Interessen an denen der Konsumenten.

Lebensmittelverarbeitung

Ein Fachraum für Lebensmittelverarbeitung hieß doch früher Lehrküche, werden Leser räsonnieren. Dies ist richtig. Um den Wandel wenigstens anzudeuten: der alte Vierplatten-Haushaltsherd, an dem ein Schüler kochte, drei weitere zuschauten, sollte allmählich verschwinden. Überhaupt bekommt der Fachraum für Lebensmittelverarbeitung zunehmend mehr Ähnlichkeit mit einem Arbeitsraum der Gastronomie. Das Abarbeiten einer Rezeptfolge ist nicht mehr das beherrschende Moment in diesem Fachraum. Andere Unterrichtsformen gewinnen langsam an Bedeutung. Ein Lebensmittel (z.B. Brot, Tomaten oder Kartoffeln) wird im Hinblick auf Anbau- und Zubereitungstechniken untersucht; Konservierungs- und Handelsformen, Herkunftsländer und Artenvielfalt werden in die Untersuchung einbezogen. Auf keinen Fall bedeutet dies die Verdrängung von Kochkultur und der Möglichkeit sensorischer Erfahrungen. Der Horizont wird jedoch um Fragen der Nahrungsmittelversorgung im überregionalen Maßstab erweitert.

Textilverarbeitung

Dieser Fachraum hatte oft eine Prägung durch die Sozialisationsgeschichte der Lehrerin. Es fanden sich entweder schnörkellose Werkstücke, wie sie dem handwerklichen Anfängerniveau entsprechen (Grillhandschuh), oder die kunsthandwerklich ambitionierte [/S. 228:] Lehrerin batikte mit ihren Schülern und brachte auf dem Genähten nicht immer überzeugende Applikationen an. Einen Fachraum für Textilverarbeitung in der Arbeitslehre muß man sich anders vorstellen: In einer Laborecke können die verschiedensten Materialprüfungen an fertigen Textilien vorgenommen werden. Mindestens eine der robusten Nähmaschinen ist computeransteuerbar. Schnittmuster können auf einem Bildschirm variiert, und so die verschnittärmste Stoffaufteilung gefunden werden. Daß außerdem noch genäht und gebügelt wird, versteht sich.

Wer einen Computerraum vermißt, dem ist vielleicht nicht aufgefallen, daß die Tendenz zur Computernutzung in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen angelegt ist. Es gibt natürlich auch in Berlin Schulen, die einen reinen Computerraum zunächst einrichteten und die übrigen Arbeitslehre-Fachräume bis heute völlig computerfrei hielten. Dieses Modell entspricht der immer weiter getriebenen Parzellierung des Bildungsangebots. Es wird von uns abgelehnt.

Auf den ersten Blick erscheint die Forderung eines Schulfaches nach fünf verschiedenen Fachräumen überzogen. Zumal viele Fächer gar keinen haben und in unspezifischen Allerweltsräumen ihr Dasein fristen. Dabei ist zu bedenken, daß Arbeitslehre zwei Partikularfächer aufgenommen hat, die jeweils mindestens einen Raum beanspruchten. Auch ein moderner Physikunterricht reklamiert u.U. zwei bis drei Experimentalräume, denn je nach Größe der Schule müssen mehrere Lerngruppen gleichzeitig in Fachräumen sein. So ist selbstverständlich auch bei der Arbeitslehre nicht nur ein Fachraum belegt, sondern zu bestimmten Zeiten sind es mehrere. Wie bereits oben erwähnt, determiniert die Struktur der Fachräume weitgehend was möglich ist. Die Feinstruktur des Unterrichts sei einmal ausgenommen, denn in den genannten Fachräumen kann man natürlich sowohl lehrerzentrierten Unterricht als auch Projektunterricht machen. Man kann aber in einem Fachraum für Lebensmittelverarbeitung nicht viele andere Dinge tun als mit Lebensmitteln umzugehen. Und so ist es eine Angriffsfläche der Arbeitslehre, daß jemand morgen geltend machen könnte, wir benötigten angesichts der Zunahme der Pflegeberufe einen Fachraum für Pflegetechniken. Oder: Stadtkinder brauchen unbedingt ein Freigelände, in dem Landschaftsgestaltung praktisch geübt wird. Auch für Praxis im Zusammenhang mit Bauen, wird Freigelände benötigt. Die Bedeutung des Autos, dies sei völlig wertfrei angemerkt, rechtfertigte eigentlich die Existenz einer Kfz-Werkstatt in jeder Schule. In den USA ist dies längst der Fall. Als die Alliierten Berlin verließen, übernahmen wir eine amerikanische High-School, in der imposanten Autowerkstatt standen noch Übungswagen. Die Werkstatt wurde liquidiert, die nachrückenden deutschen Schüler haben es bedauert.

Die von uns skizzierten fünf originären Arbeitslehre-Fachräume decken zusammengenommen ein breites Spektrum menschlicher Produktionsverhältnisse ab, und sie treffen mit wenigen Einschränkungen ein spontanes Interesse der Schüler. Wir gehen hierauf im nächsten Kapitel noch ausführlicher ein.

Die materiellen Ausstattungs-Voraussetzungen der Arbeitslehre sind vielen Schulträgern nicht willkommen. Und so wird von Zeit zu Zeit in Frage gestellt, ob denn nicht ein multifunktioneller Raum ausreiche. Man muß das Ausstattungsniveau der Arbeitslehre angesiedelt sehen, zwischen Grundschule und berufsbildendem Schulwesen. Während in der Grundschule der Technikeinsatz hauptsächlich auf Handwerkzeuge begrenzt ist, Emmissionen und Energiebeträge klein sind, Werkstoffe wie Pappe und Papier eine wichtige Rolle spielen, ist die Berufsschule bemüht, betriebliche Verhältnisse wenigstens [/S. 229:] annähernd abzubilden. Die Arbeitslehre kann nicht mehr - will sie die Gelenkfunktion zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung übernehmen - mit Bastelräumen zufrieden sein. Andererseits darf sie sich nicht unter einen Modernitätsdruck stellen lassen, der jede technische Innovation bei der Arbeitslehre abmahnen zu können glaubt. Die Ausstattung der Arbeitslehre-Fachräume erfordert sehr viel Sachkenntnis im Hinblick auf schülertaugliches Gerät und auf die Vermeidung einer raschen Obsoleszenz.

Wir gehen jetzt auf die fünf Orientierungspfade ein, die sozusagen in allen fünf Arbeitslehre-Fachräumen vorgezeichnete Wege sind. Und wenn man sie auch nicht gleichzeitig abschreitet, auf einem befindet man sich immer.

Sicherheitsorientierung. Normativ gewendet, bedeutet dies, daß wir Unversehrtheit beim Arbeiten für besser halten als Gefährdungen oder gar Schäden. Dies scheint zwar selbstverständlich, bedarf aber doch einer Erklärung. Extremsportarten und Grenzsituationen (U-Bahn-Surfen) erfreuen sich bei einigen Jugendlichen einer gewissen Beliebtheit. Erwachsene entscheiden sich unter dem Zielkonflikt: Geldverdienen versus Sicherheit oft für Zeitgewinn, und dies bedeutet nicht selten gegen Sicherheit. Versicherungen sind kühle Rechner, sie räumen deshalb ein, daß ein starker Raucher wegen seiner niedrigeren Lebenserwartung ein "guter" Versicherter ist.

Ein Jugendlicher aber soll in der Arbeitslehre lernen, daß zur Beurteilung von Risiken, die Kenntnis der Entstehungsbedingungen und die Folgenabschätzung gehören. Er soll für sich und seine Mitschüler das empfinden, was Fürsorge genannt zu werden verdient. Darüber hinaus kann es zweckmäßig sein, empirische Gewissheiten, etwa die volkswirtschaftliche Belastung durch Unfallopfer, anzuschauen.

Verbraucherorientierung. Die drei übergeordneten Ziele jeder Verbraucherbildung sind: Kenntnisse über Werkstoffeigenschaften und technische Funktionszusammenhänge; Kenntnisse über Verbraucherrechte, sowie deren Fortentwicklung und Durchsetzung; Aufklärung über die soziokulturelle Bedingtheit von Bedürfnissen. Da sehr viele Menschen mit einer Rollenparadoxie leben müssen - sie produzieren etwas in ihrer Rolle als Erwerbstätiger, was sie als Konsument nie kaufen möchten - sind die Arbeitslehrewerkstätten immer auch ein Ort für die Reflexion dieses Dilemmas.

Berufsorientierung heißt ja zunächst einmal Orientierungsgewinn angesichts einer großen Zahl von Ausbildungsberufen und einer sehr großen Zahl von mehr oder weniger dauerhaft ausgeübter Erwerbstätigkeiten. Berufsorientierung sollte günstigstenfalls in eine Berufswahl einmünden. Dies ist nicht mehr immer die Regel, teils verhindern es Engpässe auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt, seltener wird Berufswahlverzicht geübt. Dieses Phänomen tritt gehäuft bei jungen türkischen Frauen auf. Der Begriff der Berufsorientierung hatte immer schon die beiden Implikationen: Eignung und Neigung. Eine Vermittlung dieser biographischen Elemente ist notwendig. Wir lassen vorerst dahingestellt, ob Eignung nur subjektbezogen verstanden werden darf, im Sinne einer Passung an starre Berufsbilder. Oder ob nicht Berufsbilder offener sein sollten auch für von der Norm abweichende Merkmale des Berufsnachwuchses. Zugespitzt läßt sich die Geschichte der schulischen Berufsorientierung auf zwei Ansätze reduzieren: Der weithin dominierende Ansatz ist der einer verbalsymbolischen Belehrung über Berufe. Die Vermittlung bezieht auch Filme und Abbildungen ein. Der weniger forcierte Ansatz basiert auf Erfahrungen bei der praktischen Arbeit in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen. Diese Erfahrungen können noch wesentlich fruchtbarer aufgearbeitet werden. [/S. 230:]

Ökologische Orientierung In allen fünf Arbeitslehre-Werkstätten wird nolens-volens die Umwelt belastet. Die Spielräume zwischen einer minimalen und einer maximalen Belastung sind nicht erheblich. Umweltkatastrophen können von der Arbeitslehre gottseidank nicht ausgehen, aber die Spielräume sollten didaktisch genutzt werden. Wo immer produziert wird, werden Werkstoffe und Energie verbraucht, es treten Emmissionen aus, und es ist vorhersehbar, daß die Produkte irgendwann entsorgt, recycelt oder downcycelt werden müssen. Die "ökologischen" Entscheidungen, die in der Werkstatt getroffen werden müssen, reichen vom Mengeneinkauf und der damit verbundenen Verpackungsproblematik bis hin zur Wahl energiesparender Verfahren und leicht recycelbarer Werkstoffe.

Designorientierung. Den Designbegriff verwenden wir nicht in dem engen Sinne einer Lehre von der guten Form. Es kommt darauf an, daß Lehrer und Schüler bewußter als bisher wahrnehmen, daß alle materiellen Produkte eine Formensprache sprechen, die man bis zu einem gewissen Grade entschlüsseln kann. Sie verrät etwa über die Solidität der Gegenstände, über die Geltungsbedürfnisse des Besitzers usw. Das gilt selbst für die Produkte der Lehrküche, denn Aussehen und Anrichtung von Speisen sind keineswegs nur Dekor. Die Produkte, die in den Arbeitslehre-Werkstätten entstehen, sind sehr unterschiedlich. Und so reicht auch die Reaktion der außenstehenden Betrachter von Verlegenheit bis Lob. Nach dem BAUHAUS kann man nicht mehr auf eine völlige Beliebigkeit der Produktgestaltung - auf "Geschmacksache" - insistieren.

[/S. 231:]

Abb.: Fachdidaktische Schlüsselprobleme

Arbeit und Technikeinsatz Arbeit und Umweltbelastung Arbeit und Beruf
Arbeit und Gesundheit Arbeit und IuK-Techniken Arbeit und Einkommen
Arbeit und Konsum Arbeit und ihre Teilung Arbeit und Rekreation

Fachraumensemble

Das Spektrum der Arbeitserfahrungen

[Die Abb. "Fachraumensemble" fehlt im online-Reprint; sie stellt die fünf Fachräume dar und verknüpft sie mit den Orientierungen Berufs-, Design-, Sicherheits-, Verbraucher- und Ökologische Orientierung; Anm. der sowi-online-Redaktion]

[/S. 232:]

Zusammenfassung

Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind auf Konsens angewiesen. Wir haben sie beschreibend kurz vorgestellt, und ihre Korrespondenz mit den epochalen Schlüsselproblemen KLAFKI scher Observanz zu zeigen versucht. Es bleibt die Aufgabe eines konkreten Schulcurriculums, Projektideen aufzufinden. Daß die Schlüsselprobleme mehr Projektideen bergen, als die Arbeitslehre jemals in vier Jahren bearbeiten kann, erscheint uns sicher. Die eben angesprochene Konsensbedürftigkeit der fachdidaktischen Schlüsselprobleme geht allerdings nicht mehr soweit zurück, daß die Frage gestellt werden dürfte, ob der Lösungsbeitrag zu den Problemen nicht besser bei verschiedenen Fächern gesucht werden sollte.

Unsere weiteren Ausführungen galten der materiellen Basis der Arbeitslehre, der Fachraumstruktur. Diese steckt die Handlungsfelder ab, oder, wenn man die andere Perspektive bevorzugt, die Wahl von Handlungsfeldern führt unweigerlich zu fachraumähnlichen Arrangements.

Schließlich haben wir fünf Orientierungspfade beschrieben, die in ihrem Verlauf durch eine Anzahl von Lernzielen markiert sind. Der Ausweis dieser Lernziele ist eher eine Aufgabe der Lehrplanformulierung und natürlich historisch wandelbar. Die Orientierungspfade können, wie vieles im Bildungswesen, in Zweifel gezogen werden. Außer einer verhältnismäßig hohen Evidenz für die Notwendigkeit der fünffach gegliederten Orientierungsaufgabe können wir keinen Kausalnexus beweisen. Gemessen an der Diskussion um "Schlüsselqualifikationen", die eine Festlegung auf Lernziele zu vermeiden trachtet, und deshalb "Sozialkompetenz", "Methodenkompetenz", auch: das "Lernen des Lernens" vorschlägt, , sind unsere Orientierungspfade verhältnismäßig gut operationalisierbare Richtungsangaben.

[/S. 233:]