Wir hatten die Entwicklung der Arbeitslehre in der Bundesrepublik nachgezeichnet bis zu jenem Punkt, wo die polytechnische Bildung der ehemaligen DDR als Konkursmasse beim nunmehr "gesamtdeutschen" Bildungssystem abgeliefert worden war. Die historische Situation ist nicht markiert durch mehr Einigkeit über einen im Prinzip unwiderlegbaren Bildungsauftrag. Im Gegenteil: Die schwungvoll begonnene Arbeitslehreentwicklung war zum Stillstand gekommen, der nie ganz erlahmte Separatismuswunsch der Partikularfächer erstarkte, die Restauration des Gymnasiums mit seinem arbeitslehreabstinenten Fächerkanon war nicht aufzuhalten, die Polytechnik-Erbschaft fand in den alten Bundesländern keine Sympathie und in den neuen zu wenig entschiedene Verfechter des bewahrenswerten Grundgedankens. (Vergl. unseren Exkurs im ersten Teil der Arbeit)

Die Bildungsidee der Arbeitslehre hatten wir am Ende des ersten Teils unserer Arbeit noch einmal aus drei Perspektiven reflektiert: Arbeit als unhintergehbare Bedingung des täglichen Lebens auf die vorzubereiten einer allgemeinbildenden Schule wohl anstünde (HANNAH ARENDT). Die gut begründete Hoffnung, daß sich so etwas wie Bildung einstellte, wenn tätiges Eingreifens in das Leben zur Maxime einer Schule würde (JOHN DEWEY). Der experimentell untermauerte Aufbau kognitiver Strukturen, für dessen Gelingen die Arbeitslehre optimale Voraussetzungen bietet. (HANS AEBLI).

Im zweiten Teil der Arbeit befragten wir die Partikularfächer, deren Fortbestehen ein wesentlicher Anteil an der Krise der Arbeitslehre zuzuschreiben ist. Es stellte sich heraus, daß die drei Fachkonstruktionen kaum widerspruchsfreie Bildungsprogramme genannt zu werden verdienen. Ihre Hauptschwäche besteht im Ausgrenzen. Hausarbeit und Erwerbsarbeit müssen als ganzes im Blick sein, ihre Interdependenz, Technizität und Ökonomie zu verstehen, bedarf einer ordnenden Hand.

Immer unabweisbarer wird also die Frage, ob ein Festhalten an der Arbeitslehreidee sinnvoll ist oder ob nicht die Partikularfächer nach didaktischer Modernisierung auf einen Lehr- und Lernverbund festgelegt werden könnten. Aus drei Gründen erscheint uns die zweite Möglichkeit völlig unrealistisch:

  1. Es gibt viele gute Gründe für die Forderung nach Kooperation aller Fächer der allgemeinbildenden Schule. Daß sie nicht stattfindet, ist in der Lehrerbildung und in der Schulorganisation vorgezeichnet. Sogenannte Projekttage, die sich heute einer gewissen Beliebtheit erfreuen, sind nicht Anzeichen für die Ablösung des Fächerdenkens. Abgesehen davon, daß man sich nur schwer Ein-Tag-Projekte vorstellen kann, sind solche "Projekte" häufig ein Drittes: sie sind nicht organisch aus den Fächerpensen erwachsen, sondern wurden als irgendwie in der Luft liegend aufgefunden. So ist selbst bei optimistischer Einschätzung nicht zu erwarten, daß eine kleine Fächergruppe sich ganz anders verhalten würde, daß also die hier interessierenden Partikularfächer konsequent eine Integrationsidee pflegten, unter Beibehaltung einer fachspezifischen Autonomie. [/S. 216:]
  2. Geht man einen Augenblick von einem neuen Menschen aus, einem Schulleitermenschen und einem Lehrermenschen, die beide die Fächerkooperation sehnsüchtig herbeiwünschen, sie wüßten sofort oder spätestens nach einigen Wochen, welchen immensen Arbeitsaufwand gelingende Fachlehrerkooperation erzwingt. Da es nicht damit getan ist, "Themen" verbal auszutauschen, sondern Problemstellungen mehrperspektivisch aufzubereiten, was nicht schon damit erreicht ist, daß die Fachbetroffenheit aufgespürt wurde. Methoden müssen offengelegt und kommunizierbar gemacht werden, damit Anschlußfähigkeit garantiert ist. Sehr stark methodenabhängige Lernprozesse, etwa die Habitualisierung von Sicherheitsregeln, erfordern Absprachen bis ins kleinste Detail, soll nicht im ungünstigsten Falle Konträres erreicht werden. Kooperation zwischen den Partikularfächern kann vor der wechelseitigen Nutzung von Fachräumen nicht halt machen. Hier flacht in vielen Fällen die Begeisterung deutlich ab. Selbst eine vorsichtige Schätzung des Zeitbedarfs für die ernsthafte gemeinsame Planung von Unterricht durch drei Fächer kommt zu einer Relation von 1:1, d.h. jede Unterrichtsstunde - auch die des jeweils anderen Faches - erfordert eine Stunde gemeinsame Vorbereitung. Die Nichtrealisierbarkeit dürfte evident sein. Man kann leider den Effekt der Erfahrungsakkumulation nicht so einbeziehen wie es für viele andere Fächer durchaus realistisch ist: Ein Mathematiklehrer braucht sich mit zunehmender Berufserfahrung nicht mehr so zeitaufwendig vorzubereiten wie am Anfang. Die Aktualitätspostulate, unter denen alle drei Partikularfächer stehen, verbrauchen diesen Zeitgewinn.
  3. Noch ist die Arithmetik der Stundentafel das alles beherrschende Prinzip zeitgenössischen Schulehaltens. Es gibt Fächer, deren Anteil an der Stundentafel ist viermal so groß wie der eines anderen Faches - bezogen auf die wöchentliche Periodisierung; auf die Gesamtschulzeit bezogen, kann ein privilegiertes Fach durchaus ein viel größeres Vielfaches zum Besitzstand rechnen. Vorstellbar sind natürlich Flexibilisierungen der Stundentafeln, etwa durch Zuweisung eines Anteils an der Gesamtschulzeit, der dann bedarfsgerecht, z.B. mit Blick auf reifungsbedingte Interessenlagen der Schüler kompakt angeboten wird. Für unsere Argumentation ist der Hinweis wichtig, daß bei gegenwärtiger Stundentafelpolitik die Untergrenze für ein lebensfähiges Schulfach bei einem Stundentafelanteil von einer Stunde pro Woche zu ziehen ist. Die Partikularfächer hätten also zusammen mindestens drei Stunden, womit sie nicht zufrieden sein dürften, zumal sie den Kooperationsanspruch geltend machen würden. Daß die Partikularfächer mehr als eine Stunde - durchgängig wenigstens für die Sekundarstufe I - zuerkannt bekommen, ist unwahrscheinlich, ja, die genannte Untergrenze ist keineswegs für alle Schulformen gesichert.

Die Lösung kann nur bei einem Integrationsfach gesucht werden. Das bedeutet Abschied von den Partikularfächern, nicht von deren Inhalten, Methoden Fachraumtraditionen usw. Aber es bedeutet entschiedene Eingriffe in Selbstverständlichkeiten und die müssen bekanntlich mit heftigen Abwehrreaktionen rechnen. Es darf keine spezifische Lehrerausbildung unter den logisch fragwürdigen Begriffsbildungen "Technik", "Haushalt", "Wirtschaft" geben. Damit verschwindet nach einer gewissen Zeit das korrespondierende Standesbewußtsein der Lehrer. Schulbuchtitel würden schnell verschwinden, denn die Schulbuchverlage sind erfahrungsgemäß sehr anpassungsfähig. Die Terminologie der Rahmenpläne bedarf einer sorgfältigen sprachlichen Überarbeitung, die allseits Unzufriedenheit auslösenden geringen Stundentafelanteile der Partikularfächer werden gebündelt einem Integrationsfach zugeschlagen. [/S. 217:]

Der vielleicht wichtigste Einwand wird von Menschen kommen, die sogar bis hierher zu folgen bereit waren. Sie werden sagen: und wieder nur ein Schulfach, ein vielleicht nicht so fachsystematisch verengtes, aber eben ein Fach unter einem Dutzend anderer. Wir sehen keine Alternative. Alle Reformer des Gesamtsystems Schule müssen scheitern, und da das System in Fächern organisiert ist, käme eine Ablösung der Fächer einer Fundamentalerneuerung gleich. Eine Verminderung der Fächerzahl, namentlich dort, wo die Fächergrenzen nur noch unter Argumenten, die ihre Überzeugungskraft längst eingebüßt haben, zu halten sind, ist machbar.

Im letzten Teil dieser Arbeit versuchen wir zu zeigen, daß ein Fach Arbeitslehre nicht die Addition handverlesener Inhalte der Partikularfächer ist. Arbeitslehre muß sogar die alte systemtheoretische Formel überbieten: das Ganze sei mehr als die Summe der Teile. Arbeitslehre ist auch dann noch mehr, wenn nur Teile der Teile summiert wurden.

Wir hatten bei der Analyse der Partikularfächer festgestellt, daß sie dazu tendieren, Stoffmengen ständig zu akkumulieren - ein Symptom, das sie mit vielen Schulfächer teilen. Wenn die Arbeitslehre in diesen Sog gerät, ist die Aporie unvermeidlich. Die vorliegenden Arbeitslehreansätze weisen bereits Merkmale von Überfrachtung auf. Hierfür ist aber eine plausible Erklärung zur Hand: Alle Rahmenplankommissionen der ersten Jahre waren mit Vertretern der Partikularfächer besetzt, von denen jeder seine Mitgift aufgenommen sehen wollte. Es ist deshalb sehr wichtig, das Arbeitslehre von vornherein Fachsystematiken zurückstellt und eine Problemorientierung in den Mittelpunkt stellt. [/S. 218:]