Die grundlegende Kategorie, sowohl im zeitlichen wie auch im allgemein-kategorialen Sinne, dürfte für das Erlernen von Geschichte die Unterscheidung der Zeitmodi (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft; gestern - heute - morgen) darstellen (2).

Die ältere Geschichtsdidaktik und -methodik hat viel Energie darauf verwandt, diese Kategorien zu vermitteln. Der Erfolg solcher Bemühungen ist nachweislich auch nicht größer gewesen als jene Bemühungen, die nicht so sehr auf Zeit und Datierung fixiert waren. Diese Bemühungen vergaßen in der Regel einen zentralen Punkt, dass erst in der Kombination mit anderen Kategorien Zeit für das Lernen von Geschichte einen Wert hat. Die Isolierung und Abstrahierung von anderen Kategorien entkleidet Zeit gerade des historischen Charakters. Das Pauken von Zahlen, die Arbeit am Zeitstrahl etc. waren weniger Arbeit mit historischer, sondern mit biologischer und kalendarischer Zeit. Wenn d) Geschichte als Prozess Veränderung in der Zeit ist, darf dieser Fluss nicht wieder in einzelne Fixpunkte von datierbaren Fakten "fest"-gestellt werden. Eine Fixierung auf datierbare Ereignisse übersah langsam ablaufende Prozesse und langdauernde Strukturen. Sie blieb vorwiegend auf der Ebene der Ereignisgeschichte verhaftet, d. h. sie hatte diplomatiegeschichtlichen, besonders außenpolitischen Charakter.

Der Ausgangspunkt für das Denken in den verschiedenen Zeitmodi ist die lebensweltliche Wahrnehmung der Zeitlichkeit von Erfahrung und Handeln. Sprachlich drückt sich Zeitbewusstsein in der Fähigkeit aus, Ereignisse mit den Begriffen "gestern" "heute" und "morgen" zu versehen. Zeitbewusstsein als Dimension von Geschichtsbewusstsein leistet aber mehr als die zeitliche Lokalisierung (die Temporalisierung) von Ereignissen. Zeitbewusstsein als Komponente von Geschichtsbewusstsein konkretisiert sich darüber hinaus in vier Hinsichten:

  1. Zeitbewusstsein beinhaltet die Vorstellung von der Dichtigkeit der Ereignisse in der Zeit. Das jeweils konkrete und individuelle Zeitbewusstsein drückt sich darin aus, dass es bestimmte historische Epochen mit mehr Ereignissen und in kürzeren Abständen besetzt hat als andere. Für manche Zeitepochen verfügt das Individuum über ein Wissen von der Existenz vieler bzw. weniger Ereignisse (3).
  2. Die zweite Komponente bezieht sich auf die Länge der Zeitausdehnung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es geht hier um die Frage, wie weit das Geschichtsbewusstsein in die Vergangenheit zurück und in die Zukunft vorausdenkt. Auch die zeitliche Erstreckung von Gegenwart steht hier zur Debatte. Im zeittheoretischen Sinne kann Gegenwart zwar als ausdehnungsloser "Punkt" angesehen werden. Individuen erleben Gegenwart aber sehr wohl in einer zeitlichen Erstreckung, deren Ausdehnung herauszufinden wäre.
  3. Die dritte Komponente bezeichnet die Akzentuierung der Zeitdimensionen. Gesellschaften in bestimmten historischen Situationen und Epochen betonen immer eine Zeitdimension, bevorzugen sie vor den anderen und halten diese für wichtiger, um ihre eigene Lage zu deuten. Auch Individuen argumentieren mehr vergangenheits-, gegenwarts- oder zukunftsbezogen (4).
  4. Die vierte Komponente ist die Narrativierung von Zeit und meint die Umgliederung von wahrgenommenen und gelernten Ereignissen, wenn sie in eine Geschichte eingehen. Narrativierung von Zeit ist die Transformation der Chronik der wahrgenommenen und gelernten Ereignisse in eine narrative Chronologie. Man kann die Ursachen eines Ereignisses zeitlich nach der Wirkung erfahren und dennoch durch zeitliche Umgruppierung eine Geschichte nach Ursache und Wirkung erzählen. Die chronologische Reihenfolge, in der die Ereignisse wahrgenommen werden (indirekt oder kommunikativ), wird von uns in der Weise verändert, dass damit eine sinnvolle Geschichte entsteht. Über eine solche narrierende Umgruppierung von Zeit liegen allerdings noch keine gesicherten empirischen Ergebnisse vor.