Damit bin ich bei meiner eigenen Position: Ich halte die korrelative Verschränkung von historischem und politischem Bewusstsein, von historischem und politischem Denkens als zweier Formen kultureller Wirklichkeitser- und Verarbeitung für geboten und richtig. Angesichts der Pluralität der heutigen Gesellschaft und vor dem Hintergrund einer normativen Vorstellung demokratischer Beteiligung halte ich es aber nicht nur für geboten, Schüler darin zu befähigen, derartige Sinnbildungen überhaupt, bewusst und gut erstellen zu können, sondern ihnen diese Prozesse als Sinnbildungsprozesse selbst bewusst zu machen. Ich plädiere also dafür, die Meta-Ebene der Reflexion über das eigene denkende Tun und das von ihm orientierte Handeln in die Geschichtsdidaktik, die Politikdidaktik und die historisch-politische Didaktik einzubeziehen. Dazu gehört auch, die Logik dieser Sinnbildungsmechanismen selbst bewusst zu machen, um Lernende zu befähigen, Abweichungen in den Vorstellungen nicht notwendig als Ausdruck sachlicher Fehler (vornehmlich beim Gegenüber) zu verstehen, sondern solche Differenzen auch anerkennen zu können. Erst dann kann eine auf wahre Verständigung gerichtete Kommunikation über Geschichte und Politik bzw. über die politische Funktion historischer Aussagen und die historischen Entwürfe in politischen Konzepten in Gange kommen.

Ein reflexives Geschichtsbewusstsein ist dann auch politisch reflexiv, wenn es nicht nur um seine Tätigkeit weiß, "sich in der Zeit zurechtzufinden" (49), sondern auch um die politischen Implikationen ebendieser Tätigkeit - wenn es politisch darüber reflektieren kann, dass und warum seine eigene Ausprägung, die von ihm für plausibel gehaltenen Deutungsmuster, usw., sich von denjenigen anderer Mitglieder der Gesellschaft, von Menschen aus anderen Kulturen usw. unterscheiden, wenn es die Lage versetzt ist, sich mit anderen Menschen über Geschichte zu unterhalten (50), und zwar nicht nur im Hinblick auf eine vordergründige inhaltliche "Wahrheit" und (monodimensional-reflexiv) über z. B. plausible Deutungsmuster, Vorlieben etc., sondern wenn es auch in der Lage ist, sich mit ihnen über das Politische darin zu verständigen, also z. B. über die Gründe, warum bestimmte Vorlieben interessengebunden so sind, wie sie sind - in der Lage, eine Form von Verständigung über die Implikationen von Deutungsmustern und Theorieformen zu erzielen. So bedeutet es zum Beispiel, historisch politisch bewusst zu sein, wenn man in der Lage ist, die unterschiedlichen politischen Kriterien zu diskutieren, die der Historismus und die historische Sozialwissenschaften entwickelt haben, um mit vergangenen Ereignissen und Strukturen umzugehen.

Andersherum ist ein politisches Bewusstsein auch historisch reflexiv, das Kategorien und Konzepte besitzt, mit denen es die unterschiedlichen Deutungen von Geschichte, die es in verschiedenen politischen Konzepten thematisieren kann, in ihrer historischen Sinnbildungslogik einschätzen kann.

Schließlich eröffnet sich für die Didaktik auch ein weiteres Forschungsfeld: Ähnlich wie die Geschichtsdidaktik sich seit vielen Jahren um die Entstehung, Formen, Ausprägungen von Geschichtsbewusstsein von Individuen und Gruppen in der Gesellschaft auch empirisch kümmert, muss dies auch die Politikdidaktik tun (Ansätze dazu finden sich bei Grammes) und es muss auch für die Verschränkung gelten.

"Alltag" im Sinne einer eigenen Art des Denkens darf dabei nur heuristisch definiert werden, nicht z.B. als eine Sinnprovinz völlig eigenständiger Sinnbildungsprozesse. Es muss das Interesse der historischen, der politischen wie auch der verschränkenden Didaktik sein, zu ergründen, ob und wie das historische und das politische Denken von Menschen in ihren verschiedensten Lebenszusammenhängen ähnlich oder unterschiedlich funktionieren, welche Denklogiken diesen Prozessen zu Grunde liegen und zu ergründen, ob und wie sie zusammenhängen bzw. aufeinander bezogen werden können. Das gilt zum einen für jedes Fach für sich, aber es gilt auch für das historisch-politische Denken. Hier nämlich wird thematisiert (empirisch, normativ, pragmatisch), ob und wie Menschen Ergebnisse historischer Vergewisserung auf ihre politischen Vorstellungen übertragen und in welcher Form politische Konzepte und Vorstellungen auf das historische Denken zurückwirken. Es geht also um "relationales" Denken nicht nur zwischen "Wissenschaft" und "Alltag", sondern auch zwischen historischem und politischem Bewusstsein - auf der "Ebene" der Wissenschaft wie des "Alltags". Spezifisch unterrichtsfachdidaktisch bedeutet das auch, Lernprozesse zu analysieren, in denen Schülerinnen und Schüler alltägliche Argumentationen mit Geschichte (z.B. in der Familie) mit solchen in fachwissenschaftlicher Literatur oder der Presse vergleichen: Werden gleiche oder kompatible Deutungsmuster verwendet?

Abschließend möchte ich noch einmal definieren:

"Historisch-politische" Kompetenz besteht darin, historische Aussagen mit Hilfe politischer bzw. politikdidaktischer Kategorien und politische Aussagen mit Hilfe geschichtsdidaktischer Kategorien sachadäquat analysieren und sinnhaft verarbeiten zu können.

Historisch-politisches Lernen nimmt also die politische Funktion "der Geschichte", besser: der Geschichtsauffassungen wie der abstrakteren Geschichtskonzeptionen, in den Blick, und nimmt es sich zum Ziel, junge Menschen dazu zu befähigen, an der gesellschaftlichen Kommunikation (die oft genug eine Auseinandersetzung ist) über historische Themen teilzunehmen, indem der Blick nicht vornehmlich auf die Fragen der empirischen Triftigkeit gerichtet wird, sondern die normative und narrative Triftigkeit sowie eine Triftigkeit der jeweiligen Selektion der verwendeten Informationen ins Zentrum gerückt werden; für die akademische Disziplin der historisch-politischen Didaktik ist es daher zentral, diesen (selbst natürlich nicht absolut zu setzenden, sondern selbst der skizzierten Diskussion zu unterwerfenden) Begriff von Geschichte und historischem Denken zu vermitteln bzw. zu diskutieren, seine politische Bedeutung zu reflektieren und Begriffe, Konzepte und Methoden bereit zu stellen bzw. zu entwickeln, mit denen der politische Aspekt von Geschichtsaussagen und -diskussionen, von Kontroversen aber auch (vermeintlichen) Konsensen herausgearbeitet und diskutiert werden kann. Historisch-politische Didaktik ist nach diesem Konzept politisches Lernen über Geschichte als gesellschaftliche und individuelle Konstruktion. Geschichte wird als politisch begriffen, weil "Geschichte" gegenwärtige Konstruktionen sind.

Das bedeutet nicht, dass historisch-politische Didaktik ein reines Theorieunterfangen wäre. Vielmehr ist die politische Komponente an allen möglichen historischen (wie auch politischen) Themen aufzuzeigen. So ist z.B. ein historischer Gegenstand "Reichsgründung" dazu geeignet, an ihm zu verdeutlichen, dass und wie sich in unterschiedlichen Begriffen, Darstellungen und Aussagen, nicht nur Wertungen, über diesen historischen Vorgang, politische Konzeptionen erkennen lassen, ja wie diese unterschiedlichen historischen Aussagen mit politischen Konzepten in Wechselwirkung stehen. Historisch-politisches Lernen ist somit notwendig auf den Gesamtzusammenhang des historischen Denkens gerichtet, wie er in dem neueren Theoriemodell der Gruppe um Waltraud Schreiber formuliert wird: Noch stärker als in der "reinen" Geschichtsdidaktik müssen nicht nur Aussagen über Vergangenheit und über diachrone Zusammenhänge in den Blick genommen werden, sondern immer auch die Aussagen über die Bedeutung dieser Geschichten für die jeweilige Gegenwart der Autoren und Rezipienten bzw. Adressaten, noch stärker als in der Geschichtsdidaktik ist eine Darstellungsorientierung von Nöten, die die Quellenarbeit nicht ersetzt, ihr aber doch deutlich zur Seite gestellt wird, noch stärker muss auf die historiographische Denklogik von historischen Aussagen in ihrer politischen Relevanz geachtet werden. Die Forderungen von v.Borries, Multiperspektivität nicht nur in den Quellen, sondern ebenso auf der Ebene der Darstellungen und der gegenwärtigen Schlussfolgerungen einzulösen, also Kontroversität und Pluralität einzulösen, ist in der historisch-politischen Didaktik zu reflektieren. Historisch-politisches Lernen soll dazu befähigen, den politischen Charakter von Geschichtsaussagen zu erfassen und mit ihm umzugehen lernen.

Historisch-politische Didaktik ist so meines Erachtens nach vornehmlich die Didaktik der "Vergangenheitspolitik" bzw. "Geschichtspolitik", nicht die Didaktik der politischen Geschichte und auch nicht die Didaktik der Geschichte des politischen Denkens.