Im Geschichtsbewusstsein perspektivieren sinnhafte Zeitzusammenhänge die menschliche Lebenspraxis. Mit dem politikgeschichtlichen Bewusstsein prägt das Geschichtsbewusstsein jenen Teilbereich aus, in dem sich das historische Denken mit Fragen der Herrschaftslegitimation befasst. Politikgeschichtliches Denken verleiht den Vorstellungen von der Transformation individuellen Interesses in kollektive Verbindlichkeit eine zeitliche Kontinuität.
Jede politische Herrschaft muss den Nachweis erbringen, dass sie in der Lage ist, für eine ungewisse Zukunft kollektive Verbindlichkeit herzustellen. Die Argumentation mit Geschichte verschafft der Politik eine scheinbare Sicherheit. Der Verweis auf die historische Wirklichkeit soll politische Herrschaft auch für die Gestaltung zukünftiger Wirklichkeit legitimieren. Politikgeschichtliche Sinnbildung legitimiert Herrschaft, indem sie diese als ein Kontinuum darstellt. Die Erinnerung an die Vergangenheit wird so verzeitlicht, dass sie als Garant für die sinnhafte Erwartung der Zukunft dient.
Politikgeschichtliches Lernen findet statt, wenn sich Bewusstseinsstrukturen bilden, die Zeitzusammenhänge so sinnhaft machen, dass politische Herrschaft anerkennungswürdig beziehungsweise kritisierbar wird. Politikgeschichtliches Lernen lässt sich danach unterscheiden, wie der Zeitzusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft modelliert wird. Karl-Ernst Jeismann hat hierfür eine Unterscheidung der Denkoperationen vorgeschlagen (38). Er begreift historisches Lernen als eine Stufenfolge, die bei der "Wahrnehmung, Unterscheidung, Einordnung von Phänomenen" ansetzt und über die "Bedeutungszumessung und Beurteilung" bis hin zu "Wertungen und Einstellungen [reicht; D.L.] [...], die als Konsequenz bestimmte Verhaltensweisen nach sich ziehen" (39). Jörn Rüsen hat das Modell erzähltheoretisch erweitert. Ausgehend von der Erkenntnis, dass 'Erzählen aus Zeit Sinn macht' hat er mit dem traditionalen, exemplarischen, kritischen und genetischen Erzählen vier Sinnbildungsformen entwickelt (40).
In den folgenden Überlegungen wird das historische Lernen zeittypologisch unterschieden. Die Focusverlagerung auf die Zeit bleibt dem erzähltheoretischen Ausgangspunkt, dass historisches Denken Zeitzusammenhänge sinnhaft macht, verhaftet. Sie begreift als maßgebliches Sinnbildungskriterium jedoch nicht mehr die Form des Erzählens, sondern die Struktur von Zeitverlaufsvorstellungen, durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einen Zusammenhang gebracht werden (41). Als Grundformen politikgeschichtlichen Lernens können dann ein zirkulärer, ein linearer und ein punktueller Typus unterschieden werden.
Durch zirkuläres politikgeschichtliches Lernen wird die Kompetenz erworben, politische Herrschaft durch ihr Überdauern im Wandel der Zeit zu legitimieren. Es wird die Denkfähigkeit erworben, politische Vorstellungen zustimmungswürdig zu machen, indem sie als 'Schon-Immer-So' dargestellt werden. Hierzu wird die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft so in Übereinstimmung gebracht, dass politische Herrschaft als zeitübergreifend vorgestellt werden kann. In dieser Form politikgeschichtlichen Lernens wird der Wandel politischer Systeme als eine Oberflächenerscheinung interpretiert, unter der das Wesen althergebrachter Herrschaft überdauert. "Zeit wird als Sinn verewigt" (42) .
Durch zirkuläres politikgeschichtliches Lernen können Denkprozesse erlernt werden, die politische Herrschaft als ein überzeitliches Phänomen begreifen, das als solches schon immer anerkennungswürdig war. Der Zeitzusammenhang zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft wird dabei so versinnlicht, dass Herrschaft letztlich als wesenhaft und unhistorisch erscheint. In dieser Denkfigur wird eine politische Ordnung durch den Bezug auf Traditionen anerkennungswürdig gemacht. Die Denkstrukturen im politikgeschichtlichen Bewusstseinsbereich werden so eingerichtet, dass Herrschaft durch zirkuläre historische Sinnbildungen legitimiert werden kann. Der historisch-politische Lernende entwickelt die Kompetenz, Politikvorstellungen zeitlich zu überliefern.
Zudem können durch zirkuläres politikgeschichtliches Lernen grundlegende und zeitübergreifende Einsichten gewonnen werden. Bei der Erinnerung an Vergangenes stehen dann nicht mehr die konkreten historischen Ereignisse und Bedingungen im Vordergrund. Vielmehr dient die Rekonstruktion von vergangenen Erfahrungen der Begründung und Entwicklung allgemeiner Prinzipien. Die Geschichte wird vergegenwärtigt, da sie Ereignisse repräsentiert, aus denen der Sinn und die Bedeutung grundsätzlicher Werte abgeleitet werden können (43).
Durch lineares politikgeschichtliches Lernen wird die Kompetenz erworben, politische Herrschaft durch ihre Entwicklung im Wandel der Zeit zu legitimieren. Es wird gelernt Herrschaft entwicklungslogisch darstellen. Dafür werden Zeitzusammenhänge so strukturiert, dass gegenwärtige und zukünftige Herrschaft als legitime Folge vergangener Herrschaft erscheint. Lineare politikgeschichtliche Kompetenz ermöglicht es, den Zeitverlauf als politisches Fortschreiten zu interpretieren. Politikvorstellungen werden legitimiert, indem sie als Fortschritt gegenüber früheren Herrschaftsformen gedeutet werden.
Durch den linearen Lerntypus wird die Denkfähigkeit erschlossen, die historische Prozesshaftigkeit als politische Legitimationsquelle zu nutzen. Politikgeschichtlich wird gelernt, wie politische Herrschaft in einen ursächlichen Zusammenhang zur Geschichte gestellt werden kann.
Durch punktuelles politikgeschichtliches Lernen wird die Kompetenz erworben, politische Herrschaft durch Momente aus dem Wandel der Zeit zu legitimieren. Dabei wird die Geschichte als Reservoir singulärer Erfahrungen genutzt, die als Analogien für gegenwärtige politische Probleme betrachtet werden. Der punktuelle Lerntypus entwickelt die Fähigkeit, Herrschaft durch den Vergleich mit historischen Beispielen zustimmungsfähig zu machen.
Punktuelles politikgeschichtliches Lernen entwickelt die Fähigkeit, politische Problemgehalte der Gegenwart mit Konstellationen früherer Epochen zu vergleichen. Die historischen Analogien zur politischen Gegenwart sind dabei nicht gleich, sondern vergleichbar. Punktuelle politikgeschichtliche Denkfähigkeit bezieht sich sowohl auf Ähnliches als auch auf Differentes. Durch politikgeschichtliches Lernen entsteht also auch die Fähigkeit, historische Erfahrungen als Alternativen zu gegenwärtigen Politikvorstellungen zu interpretieren (44). Die 'Geschichte historischer Verlierer' (Benjamin) sowie verebbte historische Prozesse und Institutionalisierungen können durch punktuelle Sinnbildungen für gegenwärtige politische Legitimationen genutzt werden.
Punktuelles politikgeschichtliches Lernen erschließt die denkstrukturelle Fähigkeit, durch zeitliches Vergleichen politische Herrschaft zu legitimieren beziehungsweise zu delegitimieren. Es wird gelernt, wie gegenwärtige Politikvorstellungen durch historische Analogien unterstützt beziehungsweise in Frage gestellt werden können.