Wir haben im Projekt das didaktische Konzept und die Themeneinheiten nicht nur entwickelt, sondern auch in verschiedenen Schulformen erprobt. Trotz gleicher Vorbereitung und überwiegend gleicher Materialien verlief die Umsetzung in jeder Klasse anders. Je nach Lerngruppe und Lernsituation wurde gekürzt, erweitert, geändert, umgestellt. Was an einer Schule möglich war - die Durchführung von Projektwochen, die Arbeit in geschlechtshomogenen Gruppen, die Verlagerung von Unterricht in außerschulische Bildungsstätten -, war in anderen Schulen nur reduziert, in Dritten überhaupt nicht möglich. Während an einigen Schulen männliche Kollegen - angeregt durch das "Mädchenprojekt" - über antisexistische Jungenarbeit nachzudenken begannen, mussten sich an anderen Schulen die Lehrerinnen gegen Ausgrenzung ob der von ihnen eingebrachten provozierenden Perspektiven und Organisationsformen von Unterricht wehren.
Möglicherweise waren diese Schulen Ausnahmen. Wodurch die Unterstützung der Mädchen im Berufsfindungsprozess konkret begrenzt wurde, zeigte sich deutlich bei Schul- und Fachkonferenzen, bei Fortbildungen und in Gesprächen in einzelnen Klassen. [/S. 133:]
- Nicht nur im Forschungsschwerpunkt "Arbeit und Bildung" in Bremen (vgl. Alheit u. a., 1990) ist der um Haus-/ Familienarbeit erweiterte Arbeitsbegriff erheblich umstritten, sondern auch in der Schule. Was den Lehrerinnen aufgrund ihrer Erfahrungen unmittelbar einleuchtet, wird von der Mehrzahl der männlichen Kollegen abgewehrt, weil lange gehegte Theorie- und Traditionsbestände ins Wanken geraten und - beziehen wir die Handlungsdimension mit ein - nicht nur ein Umdenken, sondern ein "Umhandeln" gefordert wird. Da in der Regel der berufsorientierende Unterricht in der Hand der männlichen Kollegen liegt - sie vertreten mehrheitlich die Fächer Wirtschaftslehre, Politik und Technik -, wird es noch erheblicher Anstrengungen bedürfen, um den erweiterten Arbeitsbegriff in der Schule zu etablieren.
- Durch die Entspannung auf dem Ausbildungsstellenmarkt einerseits und die medienwirksame Werbung von Industrie und Handwerk um Mädchen in gewerblich-technischen Berufen andererseits entsteht auch bei vielen Lehrern und Lehrerinnen der Eindruck, die quantitativen Engpässe der 70er und 80er Jahre sowie geschlechtsspezifische Benachteiligungen beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt gehörten der Vergangenheit an. Auch unter dem Deckmantel der Chancengleichheit bei einer koedukativen Erziehung erscheint ein die besonderen Probleme der weiblichen Jugendlichen berücksichtigendes Konzept überflüssig, wenn nicht gar rückschrittlich. Das eingeschränkte Berufsspektrum der Mädchen wird zwar durchaus registriert, aber auf ein Problem der Technikdistanz von Mädchen reduziert. Tatsächlich wird damit aber allenfalls eine Dimension angesprochen. Wie unsere empirische Untersuchung zeigt, ist für die Zurückhaltung der Mädchen gegenüber gewerblich-technischen Berufen mindestens ebenso entscheidend die Angst, alleine in einem männerdominierten Bereich zu arbeiten, die eigene die Geschlechtergrenzen überschreitende Leistungsfähigkeit [/S. 134:] immer wieder unter Beweis stellen zu müssen und sexuellen Belästigungen ausgesetzt zu sein. Technikkurse allein - so notwendig sie sind - verdecken diese Ängste und werden den Mädchen nicht gerecht.
- Die heute in den Schulen tätigen Lehrerinnen und Lehrer haben in der Regel ihr Examen vor 20 Jahren gemacht, d. h., weit bevor erste Frauenforschungslehrstühle an den Universitäten eingerichtet und frauen- bzw. geschlechtsspezifische Themen im Lehramtsstudium angeboten wurden. Nicht nur Lehrern, sondern auch Lehrerinnen sind frauenspezifische Sichtweisen fremd und nicht wenige auch der weiblichen Kollegen stehen ihnen ablehnend gegenüber.
- Auch bei den Schülerinnen stößt die Thematisierung ihrer Probleme nicht nur auf Gegenliebe. Ein nach Geschlechtern getrennter Unterricht weckt nicht nur bei den Mitschülern Protest, sondern es entsteht bei den Mädchen häufig der Eindruck, bei ihnen müssten Defizite ausgeglichen werden. Dagegen wehren sie sich zu Recht. In ihrer widersprüchlichen Situation zwischen Individualisierungsansprüchen und Anpassungszwängen setzen sie auf Chancengleichheit und darauf, Benachteiligungen durch individuelle Leistungen ausgleichen zu können und zu müssen. Unterricht, der strukturelle Bedingungen der Geschlechterungleichheit aufzeigt, stört dieses harmonisierende Verständnis.
Angesichts der hier aufgezeigten Probleme zeigt sich, dass die Entwicklung eines didaktischen Konzepts und thematischer Einheiten zur Berufsorientierung allenfalls ein Schritt auf dem Weg zu einer Veränderung des Unterrichts ist. Der Möglichkeit nach könnte Unterricht durchaus ein Ort kritischer weiblicher Selbstreflexion und Selbstbewusstwerdung sein (vgl. Rabe-Kleberg 1990) und die Schülerinnen bei ihrer Suche nach neuen, eigenen Wegen jenseits der traditionellen weiblichen oder männlichen Biografien [/S. 135:] unterstützen. Damit aber schulische Berufsorientierung zu diesem Ort wird, bedarf es vor allem organisatorischer Veränderungen und einer gezielten und systematischen Fort- und Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern.