Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine neue Allgemeinbildung gab es Bemühungen, eine technische, ökonomische und berufsorientierte Grundbildung stärker auch im Gymnasium zu verankern. Arbeitslehre sollte nicht länger ein 'Blaukittelfach' für praktisch Begabte sein, sondern ein allgemein bildendes Angebot für alle Schülerinnen und Schüler. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Gymnasiasten in Ausbildungsberufe drängen, erschien insbesondere ihre Vorbereitung auf die Berufswahl notwendig.

Entsprechend hat die KMK 1987 Materialien verabschiedet, die die Empfehlungen zur Arbeitslehre an der Hauptschule von 1969 aktualisieren und auf die gesamte Sekundarstufe I erweitern (vgl. KMK 1988, S. 3 ff.). Danach kann Arbeitslehre als eigenständiges Fach, als Fächerverbund oder als Teil von bestehenden Fächern unterrichtet werden. Neben Technik, Wirtschaft und Haushalt bildet der Beruf einen eigenen Gegenstandsbereich. Dieser ist - in starker Anlehnung an die Vorschläge von Dibbern, Kaiser und Kell in ihrem Gutachten für die Bundesanstalt für Arbeit - auf die Bedingungen und Formen von Erwerbsarbeit bezogen und zielt auf die Fähigkeit zur Berufswahl. Während die Arbeitslehre-Materialien inhaltlich offen und politisch unverbindlich geblieben sind, hat die KMK 1993 die "Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt" als verbindliche Aufgabe aller Schulen der Sekundarstufe I festgeschrieben (vgl. KMK 1993, S. 9). Sie hat aber auf eine Präzisierung dieser Aufgabe verzichtet, so dass die Bundesländer die Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen gestalten konnten. Da sich die neuen Bundesländer bei der Entwicklung der Lehrpläne mehr oder weniger eng an einzelne Lehrpläne der alten Bundesländer angelehnt haben, hat die in den westdeutschen Curricula vorgesehene Berufsorientierung - neben der institutionellen - auch eine regionale Ausweitung erfahren.

[/S. 27:] In den 1990er Jahren ist zunehmend erkannt worden, dass die Berufswahl ein Prozess ist, der nicht auf die Sekundarstufe I begrenzt werden darf. Demzufolge sind auch zur Berufsorientierung in der Sekundarstufe II Regelungen getroffen worden. Zum einen haben KMK, Bundesanstalt für Arbeit und Hochschulrektorenkonferenz 1992 eine Gemeinsame Empfehlung zur Zusammenarbeit von Schule, Berufsberatung und Studienberatung in der gymnasialen Oberstufe und in berufsbildenden Schulen beschlossen. Hierin werden die Kompetenzen der beteiligten Bereiche sowie die gemeinsamen Ziele und Aufgaben - detaillierter als in der Rahmenvereinbarung von 1971 - festgelegt (vgl. Gemeinsame Empfehlung 1992, S. 452 ff.). Zum anderen hat die KMK 1997 in einer Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe ihre bereits im Jahre 1972 erhobene Forderung nach Verbesserung der beruflichen Orientierung und der Studier- und Berufswahlfähigkeit wiederholt und konkretisiert (vgl. KMK 1997). Inzwischen haben fast alle Landesregierungen Erlasse zur Berufs- und Studienorientierung in der gymnasialen Oberstufe herausgegeben.

Bei der institutionellen und regionalen Ausweitung der Berufsorientierung ist - ebenso wie bei den Lehrplanrevisionen - der Theoriestand nur ansatzweise berücksichtigt worden. Auch haben dabei Rezeptionen der Berufsorientierung im Ausland (vgl. z. B. Bojanowski/ Dedering 1991; Ziefuß 1996, S. 130 ff.) kaum Beachtung gefunden. Die aufgezeigten Veränderungen in der Praxis der Berufsorientierung bleiben also hinter ihren theoretisch ausgewiesenen Möglichkeiten zurück.