Eine berufliche Orientierung sehen die Curricula für die Schulen der Sekundarstufe I oder/ und für die gymnasiale Oberstufe aller Bundesländer vor. Zwischen den Schulformen bestehen aber erhebliche Unterschiede in der Gestaltung der Berufsorientierung:

  • In der Haupt-, Gesamt- und Sonderschule sowie in der Sekundarschule (in Sachsen-Anhalt) und in der Regelschule (in Thüringen) ist die Berufswahlvorbereitung Teil des Faches bzw. des Fächerverbundes Arbeitslehre (mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, wo die Vorbereitung auf die Berufswahl zum Unterrichtsfach Technik und von Schleswig-Holstein, wo sie zum Unterrichtsfach Wirtschaft/ Politik gehört). In diesen Schulen ist Berufsorientierung als selbstständiger Unterricht oft auch im Zusammenhang mit einem Betriebspraktikum organisiert. [/S. 28:]
  • In der Realschule sowie in der Mittelschule (in Sachsen) ist die Berufsorientierung meist in der Arbeitslehre bzw. in einem anderen Fach (Gemeinschaftskunde, Sozialkunde, Wirtschaft/ Politik, Technik) angesiedelt. Hier hat sie einen festen Platz in Form eines Kurses und durch Zuweisung eines Stundenvolumens. In einigen Bundesländern (Bayern, Nordhrein-Westfalen, Saarland und Sachsen) wird die Berufswahlvorbereitung in der Real- bzw. Mittelschule in mehreren Fächern (Deutsch, Politik, Erdkunde u. a.) wahrgenommen. Die Lehrpläne weisen berufsorientierte Inhalte - besonders für die beiden Abschlussklassen - auf, die zusammen mit den anderen Fachinhalten und/ oder in fächerübergreifenden Veranstaltungen vermittelt werden. Außerdem gehören ein Betriebspraktikum und Betriebserkundungen mit berufsorientierender Funktion zum Regelangebot der Real- und Mittelschule.
  • Im Gymnasium sind Elemente der Berufsorientierung entweder in ein bestimmtes Fach (meist Sozialkunde) integriert oder hierfür sind mehrere, manchmal auch alle Fächer zuständig. Dabei kommt den berufsbezogenen Inhalten gegenüber den 'eigentlichen' Fachinhalten oft nur eine Randbedeutung zu. Einen eigenständigen Stellenwert hat Berufsorientierung im Gymnasium nur in wenigen Bundesländern, und zwar in Brandenburg (in Arbeitslehre und Sozialkunde), in Berlin (in Sozialkunde), in Sachsen-Anhalt (in Wirtschaft/ Technik und Sozialkunde) und in Thüringen (in Wirtschaft und Recht). Im Gymnasium konzentriert sich das berufsorientierte Unterrichtsangebot auf das 9. und 10. Schuljahr. Die in der gymnasialen Oberstufe unterrichtete Berufs- und Studienorientierung wird im Rahmen bestimmter Fächer (Gemeinschaftskunde u. a.) oder in Form von besonderen Orientierungsseminaren mit Expertengesprächen durchgeführt. In den letzten Jahren hat das Betriebspraktikum auch im gymnasialen Bereich Verbreitung gefunden. Sein berufsorientierender Wert ist aber meist gering, insbesondere wenn auf eine theoretische Vor- und Nachbereitung verzichtet wird.

Grundsätzlich erscheint es als sinnvoll, wenn alle Unterrichtsfächer zur Berufsorientierung beitragen, indem z. B. die fachspezifischen Berufe vorgestellt werden. Es ist aber problematisch, den Inhaltskomplex der Berufsorientierung zu 'zerstückeln' und die einzelnen Elemente in andere Fächerstrukturen einzufügen. Die Vorbereitung auf die Berufswahl als ein biografiebedeutsamer Zusammenhang erfordert auch eine Organisation als eigenständiger Unterrichtsbereich, entweder im Rahmen eines Faches oder in Form von fächerübergreifenden Veranstaltungen. Dabei kann ein arbeitsweltbezogener Kontext, wie er mit dem Fach Arbeitslehre hergestellt wird, durchaus lernförderlich sein, denn er ermöglicht die stetige Berücksichtigung [/S. 29:] übergreifender, gesellschaftlicher Aspekte der Berufswahl. Dies bedeutet, dass in der Hauptschule sowie in den anderen Schulen, in denen eine Arbeitslehre mit einem eigenen Berufswahlunterricht existiert, relativ günstige Voraussetzungen für die Vorbereitung der Schüler auf die Berufswahl gegeben sind. Hier hat der Berufswahlunterricht - umgekehrt - auch die Arbeitslehre im Laufe ihrer Entwicklung konsolidiert. Demgegenüber führt die fachliche Einbindung der Berufsorientierung im Gymnasium in der Regel zu Defiziten in der unterrichtlichen Vermittlung. Im gymnasialen Bereich sind die bildungspolitischen Ansprüche und bildungstheoretischen Vorschläge zur Berufsorientierung am wenigstens schon umgesetzt worden. Dabei ist auch die Tatsache von Bedeutung, dass mit steigenden Schülerzahlen im Gymnasium mehr Jugendliche eine schlechte Berufswahlvorbereitung erhalten. Die Situation der schulischen Berufsorientierung ist also zwiespältig. Sie ist aufgrund der schon angeführten inhaltlichen Reduzierungen (primär Informationsvermittlung u. a.) zwar auch dort nicht 'rosig', wo es einen eigenständigen Berufswahlunterricht gibt, die organisatorischen Unterschiede treten aber deutlich hervor. Somit nötigt die aktuelle Situation zur Fortführung der jahrzehntelangen Bemühungen um eine bessere berufliche Orientierung, nun aber mit stärkerer Konzentration auf das Gymnasium.