Arbeits- und Lebenswelt ändern sich dramatisch. Treffen aktuelle Prognosen zu, werden schon im nächsten Jahrzehnt vier Fünftel der Arbeit aus Tätigkeiten bestehen, bei denen Daten Rohstoff, Werkzeug und Produkt sind. Neue Arbeitsplätze in der Wissens- und Informationsgesellschaft werden vor allem im Bereich Dienstleistungen entstehen: beraten, informieren, entwickeln, organisieren und vernetzen. Schon heute arbeiten hier 45 % aller Erwerbstätigen. Einmal erlerntes "Vorratswissen" veraltet angesichts des rasanten technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts immer schneller.
Vielen Jugendlichen wird angst und bange angesichts der dynamischen Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Suche nach einem Arbeitsplatz ist für viele schon eine große Herausforderung. War damit früher der Berufsweg vorgezeichnet, heißt es heute: lebensbegleitende Weiterqualifizierung und flexible Anpassung an neue Anforderungen. Sehr viel stärker als noch vor einer Generation werden Jugendliche in die Verantwortung genommen für ihren Berufsstart, ihre soziale Absicherung und ihre Altersvorsorge.
Junge Menschen finden sich immer häufiger in einem unberechenbaren Spannungsfeld:
- Zwischen der Sorge um einen interessanten, zukunftsfesten Ausbildungsplatz und dem Risiko prekärer Arbeitsverhältnisse;
- Zwischen einer ausreichenden Planung der Alterssicherung, Börsenengagement und dem Haushalten bei knapper Kasse;
- Zwischen so genannten "Patchwork-Biografien" aus "MacJobs", befristeten Honorar- und Werkverträgen, Erziehungszeiten und erodierender Vollzeitarbeit;
- Zwischen notwendiger Weiterbildungszeit und dem Fehlen fachgerechter Angebote, abgerundet durch zum Teil mangelnde Zeit- und Finanzressourcen.
Wer hier ernsthaft die Absicht hat, junge Menschen für eine aktive Gestaltung ihres Lebens zu begeistern, wer eine wache und lebendige Arbeitswelt und Demokratie wünscht, der muss Wege aufzeigen und wirkliche Beteiligung ermöglichen. Wer ihnen zeigen will, dass Veränderungen möglich und nötig sind, dass Engagement sinnvoll und unverzichtbar aber auch mit Rückschlägen verbunden ist, der kann Jugendliche nicht ernsthaft auf die Chancen ihrer "erwachsenen Zukunft" vertrösten.
Nicht zuletzt die PISA-Studie belegt, dass deutsche Schülerinnen und Schüler nur unzureichend auf den Übergang von der Schule ins Berufsleben vorbereitet sind, obwohl Jugendliche heute, wenn sie die Schule verlassen, deutlich älter sind als ihre Eltern und Großeltern es waren. Arbeit war und ist für jeden Menschen von lebensstrukturierender Bedeutung. Entsprechend ihrer personalen und objektiven Bedeutung müssen die Anforderungen, Möglichkeiten und Probleme der Arbeit und Arbeitswelt Eingang in die Schulen finden. Schülerinnen und Schüler haben einen berechtigten Anspruch auf Berufsorientierung, bevor sie sich am Ende ihrer Schullaufbahn für ihren Ausbildungsweg entscheiden.
Berufsorientierung muss deshalb einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Schülerinnen und Schüler auf den Weg in eine sich ständig verändernde Arbeits- und Lebenswelt vorzubereiten. Gleichzeitig muss vermittelt werden, dass die Zukunft von Arbeitswelt und Gesellschaft durch die aktive Teilnahme jedes Einzelnen wandelbar und gestaltbar ist.
Wie können Chancen des ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels genutzt, Risiken und Konflikte bewältigt werden? Die Antwort führt zu einer Berufsorientierung, die sich längst nicht mehr allein auf die Information über Berufsbilder beschränkt, sondern die Informationen über Veränderungsprozesse in Arbeitswelt und Gesellschaft aufgreift. Aufgrund der generellen Bedeutung der Arbeit für die Persönlichkeitsentfaltung und die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft kommt der erfolgreichen Eingliederung der Jugendlichen in das Beschäftigungssystem eine Schlüsselrolle zu.