Neben der Öffnung der Arbeitsformen verändert auch der Übergang in eine nachindustrielle Gesellschaft die Rolle von Beruf. Zur Vereinfachung der Diskussion sollen hier dominante Arbeitstypen von morgen knapp beschrieben und in ihren Folgen für die Beruflichkeit bewertet werden. Diese Skizzierung möglicher Arbeitstypen kann nur sehr kursorisch sein und dient lediglich zur Beschreibung der relevanten Elemente für den Beruf.
5.2.1 Produktionsarbeit
Trotz aller Schrumpfungstendenzen der Produktion, insbesondere in den entwickelten Industriestaaten, wird ein gewisser Produktionskern in jedem Land erforderlich sein, dazu bedarf es spezifischer Arbeits- und Berufsstrukturen. Allerdings sind die Vorstellungen über den adäquaten Arbeitseinsatz im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert worden.
Frühe Formen handwerklicher Fertigung durch qualifizierte, in detaillierte Berufstätigkeiten eingeordnete Fachleute mit langjähriger Arbeitsplatz- und Unternehmenstreue und hohem Produktbezug wurden zu Beginn des Jahrhunderts im Zuge einer massiven Expansion durch Ungelernte ersetzt, die an determinierenden Produktionseinrichtungen wie dem Fließband und Einzweckmaschinen jene Aufgaben übernahmen, die noch nicht mechanisiert bzw. automatisiert werden konnten oder bei denen dies nicht wirtschaftlich erschien. Dies löste einen Prozess aus, der den Berufsbezug auflöste und bei dem die Arbeitskräfte in hohem Maße austauschbar wurden. Allerdings sind in diesem Organisationsmodell neue Berufe in der Kontroll- und Überwachungshierarchie neu entstanden. Aus fachlichen Berufszuweisungen wurden statusbezogene.
Die steigende Komplexität und Flexibilität von Produkten erzwang dann ab den Jahren um 1930 neue Qualifikations- und mit ihnen Berufsstrukturen, in denen Integrationsaufgaben als besonders wichtig erschienen. Die Entberuflichung im Taylorismus und Fordismus war immer nur auf die unterste Ebene der Erwerbstätigkeit bezogen, während sich darüber durchaus neue Beruflichkeit entwickelte, die aber keine Anknüpfungsstellen zur handwerklichen Organisation zeigte, sieht man von den Meistern ab. Aber gerade auf dieser unteren Ebene wurden Defizite deutlich, die offenbar durch die Entberuflichung ausgelöst wurden: mangelnde Identifikation mit der Aufgabe, nicht zureichende Qualifikationen, leichtfertiger Umgang mit Ressourcen und Infrastrukturen. Je komplexer und wertvoller die Arbeitsmittel und die Vorprodukte wurden, umso folgenreicher waren unbewusste oder bewusste Störungen und Fehlhandlungen.
Im Zuge der Arbeitsstrukturierung wurde deshalb versucht, wieder eine Basis für die Genese einer neuen Beruflichkeit zu [/S. 454:] legen. Dass dies zunächst vor allem im Sinne von Aufgabenanreicherung erfolgte, hat zunächst nahe gelegt, hier von einer Erosion von Beruf zu sprechen (siehe dazu auch Baethge/Baethge-Kinsky 1998), zumal dabei immer wieder sog. Hybridberufe (beispielsweise Mechatroniker) entstanden sind. Doch bei genauer Analyse wird deutlich, dass diese Strukturierung das Ziel hatte, Tugenden, die vormals mit der Beruflichkeit verknüpft waren, neu zu beleben, ohne die Starrheit beruflicher Segmentation zu übernehmen. Bei diesen Entwicklungen entstehen durchaus neue Beruflichkeiten - zwar mit breiteren oder neu geschnittenen Inhalten -, die einerseits die nötige integrative Kompetenz sichern, andererseits auch durch die Vielfalt der Arbeitsaufgaben die Zufriedenheit erhöhen. Die massiv unterstrichene Bedeutung extrafunktionaler Qualifikationen lässt sich auch im Sinne eines Wunsches nach zunehmender Beruflichkeit interpretieren, und zwar nach jenen Berufselementen, die eher querschnittsorientiert sind, also zusätzlich zu den funktionalen aus einem Job einen Beruf machen.
Neuere Entwicklungen hin zur Null-Fehler-Produktion begünstigen möglicherweise wieder tayloristische Strukturen, da die erwünschte Fehlerfreiheit bei Standardprodukten wohl eher durch deterministische Vorrichtungen und Verriegelungen auf der Seite der technischen Vorrichtungen und der eingesetzten Software als durch noch so umfassende Schulung des Personals erreicht werden kann. Bei innovativen Produkten bleibt dagegen die qualifizierte und spezialisierte Fachtätigkeit bedeutsam.
5.2.2 Arbeit in Forschung und Entwicklung
Ob die Innovationsraten in unserer Gesellschaft wirklich so massiv steigen oder ob dies eher Folge spezifischer Interpretationen ist, sei hier dahingestellt. Frühere Arbeiten des IAB (Lahner/Ulrich 1969 und die Innovationsdokumentation, siehe auch Dostal 1983) haben deutlich gemacht, dass Messung und Bewertung von Innovationen äußerst komplexe Aufgaben sind und dass gerade in diesem Bereich die Planung und Determinierung von Aktivitäten nur hilfsweise möglich sind.
Es stellt sich die Frage, ob Innovationen innerhalb einer traditionellen arbeitsteiligen und auf Berufe bezogenen Organisation möglich sind, oder ob sie eher dann auftreten, wenn die Struktur traditioneller Berufe aufgebrochen wird. "Querdenker", Interdisziplinarität und evolutionäre Denkstrukturen scheinen in diesem Bereich von besonderer Bedeutung. Ohnehin gibt es die Berufsbezeichnungen "Erfinder" oder "Innovator" in der Berufsklassifikation nicht, lediglich Hilfskräfte mit determinierten Aufgabenstellungen als "Innovationsassistenten/innen" (technischer Umweltschutz, Berufsklasse 6293 - Statistisches Bundesamt 1992: 262). In der Gesellschaft sind aber derartige Berufsabgrenzungen durchaus gegenwärtig und anerkannt. Die These von der Entberuflichung speziell im innovativen Bereich geht wohl darauf zurück, dass die klassische überkommene Schneidung von Berufen den Innovationsprozess behindert und andere Kombinationen erforderlich sind, die bislang noch wenig analysiert sind. Die Behauptung, eine neue Zuweisung beruflicher Elemente würde die Innovationsfähigkeit reduzieren, lässt sich nicht belegen. Es ist durchaus möglich, dass neue Allokationen geeigneter beruflicher Elemente in der Aggregation von beruflichen Strukturen eine hohe Innovativität erlauben, die - weil sie "professionell" sind - Defizite nichtprofessioneller innovativer Aktivitäten vermeiden.
Doch auch in Forschung und Entwicklung gilt, dass nach einer anfänglichen Öffnung verkrusteter überkommener Berufsstrukturen interdisziplinäre und wenig determinierte Aufgabenfelder erkennbar sind, die zunächst von Personen mit breiten und kaum durch in traditionelle Berufe kanalisierten Kompetenzen abgedeckt werden. Danach beginnt zunächst bei den Hilfskräften, später auch in der mittleren Ebene eine Professionalisierung, bei der auch die spezifische fachliche Beruflichkeit an Bedeutung gewinnen wird. Berufliche Spezialisierung wird also insbesondere in der mittleren Qualifikationsebene bedeutsam bleiben.
5.2.3 Informationsarbeit
Branchen, Berufe und Tätigkeiten, die dominant Informationen verarbeiten, haben sich in den letzten Jahren massiv in den Vordergrund geschoben. Die zunehmende Individualisierung hat eine steigende Komplexität ausgelöst, die individuelle Informationsverarbeitung erfordert. Durch den Einsatz von Computern besteht die Möglichkeit extremer Differenzierung und gleichzeitig wird eine Automatisierung der Informationsverarbeitung erleichtert. Informationsnetze hoher Leistungsfähigkeit erzwingen die Computerisierung auch bei der Kommunikation.
Auch hier stellt sich die Frage, ob die Informationsverarbeitung besser in berufsbezogenen Strukturen, also "professionell" aufgebaut und benutzt werden sollte, oder ob diese eher schädlich weil zu sehr determinierend sind. Weiterhin ist zu prüfen, ob anspruchsvolle Computerroutinen, die im Rahmen der künstlichen Intelligenz entwickelt und genutzt werden, Rückschlüsse auf die Beruflichkeit der Informationsverarbeitung zulassen (siehe dazu Dostal 1993).
Folgende Tendenzen sind in diesem Umfeld derzeit zu erkennen:
- Informationsarbeit ist heute überall dominant. Etwa die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland übt - quer über eine ganze Reihe von Berufen hinweg - Tätigkeiten aus, die als Informationstätigkeiten klassifiziert werden (Dostal 1995a: 529).
- Die Gegenüberstellung etwa von Tätigkeitsschwerpunkt und Berufszuordnung zeigt, dass sich Berufe einigermaßen trennscharf in Informationsberufe und Nicht-Informationsberufe einteilen lassen. Der Mischbereich, in dem sich die Berufsangehörigen gleichermaßen beiden Kategorien zuordnen, ist wenig ausgeprägt (siehe dazu Dostal 1988, Bild 1 auf S. 870).
- Spezifische Berufe, die sich lediglich auf die computerisierte Informationsverarbeitung beziehen, gibt es zwar, sie zeigen aber meist einen zusätzlichen Anwendungsbezug und sind in ihrer quantitativen Expansion eher beschränkt.
- Informationstätigkeiten sind leicht globalisierbar und werden damit von internationalen Strukturen beeinflusst, die abweichend vom deutschen Berufeprinzip einem eher tätigkeitsorientieren Ansatz folgen (u. a. in Verbindung mit der Art und Weise, wie das jeweils erforderliche Know-how angeboten und vermittelt wird).
Die Gestaltbarkeit von Informationsarbeit scheint durch die hohe Flexibilität der Instrumente deutlich breiter zu sein als die anderer Arbeitstypen. Überdies geschieht der Umgang mit Informationen und Informationssystemen gleichermaßen in Erwerbsarbeit, in sonstiger Arbeit und in der Freizeit. Allein durch diese Universalität der Informationsverarbeitungsaufgaben könnte sich die Polarisierung in Berufsausübung und Freizeittätigkeit reduzieren.
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5.2.4 Dienstleistungsarbeit
Dienstleistungen sind in der volkswirtschaftlichen Zuordnung Sammelbegriff für alle jene Aktivitäten, die nicht im primären und sekundären Sektor stattfinden, wobei die Grenzen unterschiedlich gezogen sind.
Dienstleistungsberufe sind nach der Klassifikation sehr eng eingegrenzt; die technischen Berufe (Ingenieure, Techniker, Naturwissenschaftler, Laboranten etc.) werden nicht dazugerechnet. Auch im Alltag sind Unterscheidungen im Detail nicht gebräuchlich. So wird ein Installateur, wenn er im Neubau installiert, meist als Produzent eingeordnet, wenn er vorhandene Einrichtungen repariert, wäre er eigentlich Dienstleister, dies wird aber in der Klassifikation nicht berücksichtigt. Die deutsche Berufsklassifikation trennt innerhalb der Produktionsberufe nicht zwischen Fertigung im eigentlichen Sinn und Wartung sowie Reparatur (vgl. dazu Übersicht 3 - Sektor A "Produktions- und Wartungsberufe").
Die massive Zunahme von Dienstleistungsaktivitäten, seien sie gemessen anhand der Zuordnung zu Sektoren oder Berufen, verstärkt die Beschäftigung in Bereichen, die sich nicht alle auf eine traditionelle Beruflichkeit beziehen können. Die Frage, ob die Beruflichkeit in den Dienstleistungen eine steigende oder fallende Bedeutung hat, ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung.
Dienstleistungen haben eine lange Tradition. Es waren insbesondere die haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen, in denen meist keine besonderen Qualifikationsanforderungen gestellt wurden und die somit auch im Geflecht anderer Tätigkeiten nur gering eingestuft waren. Ähnliche Tätigkeiten wurden auch außerhalb des Erwerbssystems geleistet. Die Unterschiede zwischen beruflicher Dienstleistung und privat erbrachter Dienstleistung bestehen lediglich in der Vorgabe des Berufsbegriffs, der lediglich Erwerbsarbeit, die vergütet wird, erfasst und statistisch als Erwerbstätigkeit ausweist.
Folgende Entwicklungen sind in diesem Bereich erkennbar:
- Dienstleistung kann über Selbstbedienung oder Eigenarbeit aus dem Erwerbssystem herausgelöst werden. Damit führt sie zur Deprofessionalisierung. Technische Hilfen erleichtern diesen Prozess, indem sie die Qualifikationsschwelle absenken (Taylorisierung) und gleichzeitig vor Missbrauch zu sichern in der Lage sind (Beispiel Geldausgabeautomat).
- Neue Lebensstile mit vermehrter Erwerbsarbeit und belastetem Zeitbudget begünstigen die Auslagerung von Eigentätigkeit hin zu professionell erbrachten Dienstleistungen und führen somit zu einer weiter zunehmenden Arbeitsteiligkeit. In diesem Prozess entstehen neue Berufe mit weiter differenzierten Berufselementen und allen Elementen einer Verberuflichung wie Berufsausbildung und berufliche Weiterbildung, Aufbau eines beruflichen Bewusstseins bis hin zu Image-Einordnungen und der Definition einer Berufsethik.
In der Dienstleistungsarbeit sind kaum noch Zwänge zu finden, sie nach dem überkommenen Modell der Produktionsarbeit zu organisieren. Dies öffnet breite Freiräume für die Gestaltung von Erwerbsarbeit und Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit. Es dürfte in vielen Fällen Ergebnis individueller Haltungen und Kalküle sein, ob spezifische Aufgaben in berufsbezogener Erwerbsarbeit oder als Freizeitaktivität geleistet werden.