Standards für die Bildung von Lehrkräften werden fundamental kritisiert. Offene Fragen betreffen weiterhin a) die Ziele der Standards, b) das Vorgehen bei der Entwicklung, c) das Setzen von Relevanz(kriterien), d) das Assessment der Standards, e) ein Empiriedefizit, f) die Implementation, g) professionsübergreifende Kompetenzen, h) den Spannungsboden zwischen Professionalität und Polyvalenz sowie i) das Verhältnis der Standards zu den Kerncurricula.
a) Fundamentale Kritik: Herzog (2004, S. 26 f.) kritisiert eine "zugespitzte Normierung" (S. 26). Die akademische Freiheit gilt als bedroht. Standards wenden sich allerdings in den Augen der Befürworter gegen eine Beliebigkeit in der Bildung von Lehrkräften. Oelkers (2004, S. 2) begründet die Notwendigkeit von Standards mit einem Blick auf vorliegende Evaluationen der Bildung von Lehrkräften: "Sie haben in einem zentralen Punkt fast vollständige Übereinstimmung, die Ausbildung ist bei hoher formaler Reglementierung inhaltlich beliebig" (S. 2). "Unter dem Mantel der ‚Freiheit von Forschung und Lehre' kann alles angeboten werden, was den Dozenten in der Lehrerbildung, aus welchen Gründen auch immer, teuer ist" (Oelkers 2004, S. 4). Terhart (2002, S. 14 f.) weist darauf hin, dass auch jetzt eine Standardisierung stattfinde, und zwar eine implizite. "Eine offensive Erörterung und Erprobung von Standards mache diese ‚implizite Standardisierung' transparent, diskutierbar, überprüfbar" (Terhart 2002, S. 15).
Kritiker wenden sich gegen Bestrebungen, in denen Standards hilfreich wären. Die Standardisierung sei, so Herzog (2004, S. 26), die "Kehrseite der Liberalisierung im Bildungswesen" (S. 26), das "Komplement zur Umstellung von der Systemkontrolle von Input– und Outputsteuerung" (S. 26). Insofern werden der zugrunde liegende Nährboden (siehe erster Abschnitt) bzw. die Funktionen von Standards (siehe zweiter Abschnitt) kritisiert. In gleicher Weise könnte, besonders mit Blick auf die Standards im Projekt "Curriculare Standards Bildungswissenschaften", ein kritisches Auge auf den Bologna–Prozess geworfen werden.
b) Zielfrage: Nicht immer finden sich explizite Angaben zu den Zielen, die mit der Vorlage von Standards verfolgt werden. Insbesondere auch Aussagen zu den sekundären Zielen fehlen. Außerdem erscheinen die Ziele nicht widerspruchsfrei, die Zielfrage insgesamt nicht gelöst.
c) Vorgehen bei der Entwicklung: Oelkers (2004, S. 9) verdichtet seine Erfahrungen mit zwei Vorgehensweisen bei der Entwicklung von Standards, nämlich Aushandlungen und Vorgaben. Oser (2002) führt folgende Verfahren an: Expertenbefragung/Delphi, Forschung/Einzelstudien, Metaanalysen. Insgesamt liegt bisher noch kaum empirisches Wissen zur Entwicklung von Standards vor.
d) Setzen von Relevanz(kriterien): Die Setzung von Standards erfolgt auf der Basis von Relevanzkriterien. Über diese gibt es bisher keinen Konsens. Unklar ist auch, inwieweit Standards gewichtet werden können bzw. sollten und welcher Grad an Vollständigkeit (im Gegenzug zu Exemplarizität) gewährleistet sein sollte (Oser 1997).
e) Assessment der Standards: Oser (1997) weist darauf hin, dass "ein objektives Feststellen des Ausmaßes des Beherrschens der Standards erheblichen Aufwand in sich birgt. Für eine einzige junge aus der Lehrerbildungsinstitution austretende Lehrperson müssten viele Situationen filmisch festgehalten und dieses Material einzeln ausgewertet werden" (1997, S. 211). Terhart (2002, S. 37) ordnet die Möglichkeiten einer an Standards orientierten Evaluation auf vier Stufen nach Anspruch und Aussagekraft an: Selbsteinschätzung, Testverfahren, Beobachtung und Beurteilung, Lernleistung/Erfahrung der Schüler. Er plädiert dafür: "Evaluation von Ausbildung muss mehr sein als eine nachgängige Befragung von Absolventen zu Erfahrungen und Wert der Ausbildung" (S. 36). Insgesamt liegen jedoch praktikable, auch in Massenuniversitäten einsetzbare Verfahren nicht vor, die auch testtheoretischen Ansprüchen genügen würden.
f) Doppeltes Empiriedefizit: Standards haben mit einem doppelten Empiriedefizit zu kämpfen. Die Herleitung von Standards kann – mangels empirischen Wissens – in Gänze nicht auf empirischer Basis erfolgen. Außerdem liegt zum Impact von Standards bisher kaum empirisches Wissen vor (vgl. Herzog 2004; Oser 2002).
g) Implementation von Standards: Kataloge mit Standards sagen in der Regel nichts aus über die Implementation dieser Standards. Hier sind jedoch eine Reihe von Fragen zu stellen, beispielsweise jene nach der Qualifizierung von Ausbildenden in Hochschulen ebenso wie Fragen der Sequenzierung des Studiums.
i) Professionsübergreifende Kompetenzen: Standards sind im Verständnis
von Oser (1997) professionsspezifisch, während
auch professionsübergreifende Kompetenzen relevant seien. "Standards
sind keine Schlüsselqualifikationen, und Wissen, das nicht in Handeln umgesetzt
wird, kann genauso wichtiges Wissen sein, wie jenes, das sich direkt auf Standards
bezieht. Es muss nur nach Relevanzkriterien für Wissenschaft und Beruf
ausgewählt [/S. 10:] und vorgestellt werden. Schlüsselqualifikationen
… beziehen sich auf verschiedene Professionen übergreifende Fähigkeiten,
wie Abstraktionsfähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Kritikfähigkeit
u.ä." (Oser 1997, S. 36). Damit stellt sich
die Frage, in welcher Form derart professionsübergreifende Kompetenzen
in die Normierung der Bildung von Lehrkräften eingebracht werden.
j) Spannungsbogen von Professionalität und Polyvalenz: Bisherige Standards
sind auf die Situation von Lehrkräften in öffentlichen Schulen ausgerichtet.
Dem eigenen Selbstverständnis nach bildet die Berufs– und Wirtschaftspädagogik
nicht ‚nur' Lehrkräfte aus, sondern bereitet auf eine Berufstätigkeit
in einer Reihe von Berufsfeldern vor (BWP 2003). Diese
Grundidee wurde auch für die Bildung von Lehrkräften für allgemein
bildende Schulen übernommen, z.B. bei der Terhart–Kommission
(2000). Tramm (2003) bringt zum Professionalisierungsprinzip das "komplementäre
– oder muss ich sagen konkurrierende – Prinzip der Polyvalenz"
(S. 47) ins Spiel. Er führt aus, dass es notwendig sei, einen "Kernbereich
berufs– und wirtschaftspädagogischen Handelns" (S. 48) zu umreißen,
"auf den die Profession aus durchaus unterschiedlicher Perspektive bezogen
wäre" (S. 48). Auf einzelne Handlungsfelder könnte dann "in
exemplarischer Weise" (S. 48) Bezug genommen werden. Insgesamt herrscht
auch hier jedoch noch kein Konsens.
k) Verhältnis von Standards zum Kerncurriculum: Unklar bleibt das Verhältnis von Kerncurricula und Standards. Dies führt zur Frage der weiteren Auseinandersetzung mit den Standards, die den Abschluss dieses Beitrages bildet.