Eine Theorie, welche die Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Wissen und Handeln aufgreift, ist die Theorie des situierten Lernens. Sie befasst sich aus pädagogisch-psychologischer Perspektive mit Problemen des Lehrens und Lernens sowie der Gestaltung von Lernumgebungen.

Wissenserwerb wird als kontextgebunden aufgefasst und es wird davon ausgegangen, dass Wissen nur mit den Bedingungen verknüpft repräsentierbar ist, in denen es erworben wurde (vgl. dazu exemplarisch Klauer 2001).

Aus dieser Perspektive entwickelt sich Expertise aus einer langwährenden Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Gegenstandsbereichs (vgl. dazu ausführlicher Gruber 1999). Erfahrung und Kompetenz werden als sozial ausgehandelt verstanden und spielen deshalb für Prozesse des sozialen Lernens und Verstehens eine bedeutende Rolle (vgl. Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 144; Gräsel, Parchmann 2004, S.173).

Theorien des situierten Lernens bauen auf zwei Grundannahmen auf, die auf den Erwerb von Erfahrung abzielen: Zunächst wird angenommen, dass erlebte Situationen, die markant genug sind, um als Episode erinnert und in künftigem Handeln berücksichtigt zu werden, sozial geprägt sind (Lernen ist situiert). Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass sich kognitive Prozesse nicht allein im Individuum abspielen, sondern vor allem im Austausch mit Anderen (Lernen ist zu wesentlichen Teilen soziale Kognition) (vgl. dazu Gruber 1999, S. 151; Gruber, Mandl, Renkl 2000, S. 143).

Im Kontext dieser Grundannahmen werden Lernen und Kompetenzerwerb nicht als individueller Fortschritt, sondern als Hineinwachsen in eine community of practice (vgl. Lave, Wenger 2002) verstanden. Die Mitglieder einer Gemeinschaft erwerben die für diese Gemeinschaft gültigen Sichtweisen und Problemlösestrategien durch den sozialen Austausch untereinander. Als primärer Ort des Lernens wird nicht die Einzelperson verstanden, sondern die sozial strukturierte Gemeinschaft in situierten Kontexten. Angesprochen werden damit Kompetenzen, die sich in der sozialen Auseinandersetzung mit der Praxis und durch den Austausch von Erfahrungswissen herausgebildet haben (vgl. Gruber 1999, S. 165; Lave, Wenger 2002, S. 29).

Vor diesem Hintergrund ist der cognitive apprenticeship Ansatz von Bedeutung, da er, beispielhaft für Lernen durch angeleitete Erfahrung, drei grundlegende Strategien miteinander verbindet: Nachahmung, angeleitete Erprobung und selbständiges Problemlösen. Dieser Ansatz geht auf Collins, Brown & Newman (1989 ) zurück und orientiert sich am Modell der traditionellen Handwerkslehre. Die Lernenden werden in diesem Ansatz über praxisnahe Anleitung und soziale Interaktion in die Expertengemeinschaft eingeführt. Es wird angenommen, dass durch eine äußere Anleitung kognitive Kompetenzen in ähnlicher Weise wie handwerkliche Fertigkeiten auf der Basis sozialer Interaktionen Gegenstand von Reflektion und Rückmeldungen werden können (vgl. dazu Gruber, Mandl, Renkl 2000, S.145). Solch ein Lernprozess findet idealerweise in sechs Schritten statt:

Das Lernen beginnt mit der Bearbeitung realer Problemstellungen, indem der Experte dabei sein Vorgehen demonstriert und seine Aktivitäten und Gedanken verbalisiert (modelling). Anschließend befassen sich die Lernenden selber mit dem Problem und werden dabei individuell und situationsbezogen durch Hinweise und Rückmeldungen unterstützt (coaching und scaffolding). Darauf wird die Lernumgebung zunehmend komplexer und unterschiedlicher gestaltet. Beabsichtigt wird, die Lernenden in die Lage zu versetzen, ihr Wissen flexibel auf neue Kontexte anzuwenden. Die Unterstützung durch den Experten wird dann allmählich ausgeblendet (fading), um sie von der Unterstützung unabhängig zu machen, indem sie selber Ziele und Strategien zur Problemlösung entwickeln. Sie werden im gesamten Verlauf des Lernprozesses immer wieder aufgefordert, ihre Denkprozesse und Lösungsstrategien zu artikulieren (articulation) und untereinander zu reflektieren (reflection). Auf diese Weise wird ein sozial-kommunikativer Austausch untereinander gefördert, der ihnen die Möglichkeit bietet, sich mit unterschiedlichen Lösungsalternativen und verschiedenen Standpunkten auseinandersetzen. Abschließend werden sie dazu angeregt, Probleme selbständig zu lösen (exploration) (vgl. dazu Gruber 1999, S. 180; Straka, Macke 2002, S. 127).

Der kooperative Charakter des cognitive apprenticeship Ansatzes und seine besondere Verknüpfung von Beobachtung, Anleitung und zunehmend selbständiger Erprobung ermöglichen den Lernenden, ihr individuelles Vorgehen selbst zu überprüfen und zu beurteilen. Angestrebt wird, über reflexiv zugängliche Erfahrung, Anreize und Strategien zur Selbststeuerung des eigenen Lernprozesses anzubieten.

Das zentrale Anliegen dieses Ansatzes ist, Lernen durch Instruktion und Konstruktion innerhalb einer sozialen Gemeinschaft von Lernenden und Experten zu initiieren. Hierfür sind Lernprozesse in zunehmend komplexer werden Kontexten anzuregen, zu unterstützen und zu reflektieren. Gleiches gilt für die Förderung von Metakognition. Die Anleitung sollte durch eine gezielte Hilfestellung erfolgen und im weiteren Verlauf allmählich reduziert werden.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die Gestaltung von situierten Lernumgebungen folgende Anforderungen:

  • Lernen in einer sozialen Umwelt von Lernenden und Experten
  • Lernen zwischen Konstruktion und Instruktion
  • Lernen in komplexer werdenden Kontexten
  • Lernen durch Metakognition