Die Debatte um politische Bildung als Unterrichtsprinzip auch unter einem demokratischen Vorzeichen und ihr Verhältnis zum Politikunterricht ist nicht neu (vgl. etwa Ulshöfer / Götz, Sander 1985). Es gibt aber eine Reihe von Entwicklungen und Diskussionen in jüngster Zeit, vor deren Hintergrund die Forderung nach fächerübergreifendem Lernen auch in der politischen Bildung neue Aktualität gewonnen hat:
Aus politiktheoretischer Sicht wird das Auswandern des Politischen aus dem politischen System, die "Entgrenzung von Politik" (Beck) zu einem Merkmal von Politik in der Gegenwart. Die Grenzen zwischen Staat, Gesellschaft und Ökonomie verwischen sich, an die Stelle einer klaren institutionellen Abgrenzung des Bereichs der Politik vom sonstigen sozialen Leben tritt die "Allgegenwart des Politischen" (Greven). Zum Politikum können sehr unterschiedliche soziale Situationen werden: beispielsweise die Glatze eines Jugendlichen, die Arbeit in einem biologischen Forschungslabor, die Arbeitsverteilung im privaten Haushalt, der Umgang mit dem Internet, das Kopftuch einer türkischen Lehrerin. Das Politische erscheint hier gewissermaßen eingebettet in anderen Kontexte und ist ohne diese Kontexte nicht versteh- und beurteilbar - kann man den (politischen) Konflikt um die Nicht-Einstellung einer kopftuchtragenden Lehrerin beurteilen ohne (religionswissenschaftliche) Kenntnisse des Islam?
In der bildungstheoretischen Diskussion hat Wolfgang Klafki ein viel diskutiertes und breit rezipiertes Konzept eines neuen Allgemeinbildungsbegriffs vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die thematische Orientierung [/S. 7:] an Schlüsselproblemen der Gegenwart und der absehbaren Zukunft steht (vgl. Klafki). Mit diesem Konzept rückt politische Bildung als eine fächerübergreifende Aufgabe ins Zentrum allgemeiner Bildung, denn die Schlüsselprobleme sind einerseits politisch zu nennende Problemlagen, andererseits aber auch komplexe Gegenstandsbereiche, die sich nur aus den Perspektiven mehrerer Fächer sinnvoll erschließen lassen.
In der schulpädagogischen Diskussion um innere Schulreform und schulische Modernisierung wird die Schule immer stärker als ein Ort offenen Lernens im Sinne des ergebnisoffenen Einlassens auf komplexe, die Fächergrenzen überschreitende Realsituationen gesehen. Die zeitliche, inhaltliche und organisatorische Zersplitterung des Lernens in der gefächerten Unterrichtsschule erscheint zunehmend als problematisch, ja als ein Lernhindernis - nicht nur klingelt es allzu oft, wenn es gerade interessant wird, es entspricht auch seit langem alltäglicher Beobachtung, daß die Schülerinnen und Schüler überfordert sind, wenn von ihnen erwartet wird, das unzusammenhängende Nebeneinander einer Fülle von fachbezogenen Informationen zu einem reflektierten Weltverständnis zu integrieren.
Unterstützung erfahren die Bemühungen um eine Modernisierung der schulischen Lernkultur unter anderem aus innovativen Unternehmen. Aus ökonomischer Perspektive wird die Vermittlung von neuen Schlüsselqualifikationen wie etwa Kreativität, Teamfähigkeit oder Vernetzungsfähigkeit gefordert, die nicht zu den tradierten Strukturen schulischen Lernens passen und Arbeiten in fächerübergreifenden Zusammenhängen erfordern (vgl. zur Bedeutung für die politische Bildung Arnold, Mannheim-Runkel, Sander 1996).