Um die Möglichkeiten einer pädagogisch notwendigen Zusammenarbeit von Sozialkunde, Geographie und Geschichte zum Zwecke der politischen Bildung zu erörtern, wähle ich im folgenden als theoretische Prämisse einen fachdidaktischen Bezugsrahmen (1). Fachdidaktik begreife ich dabei weder als schiere Unterrichtstechnologie noch als fachenthobene allgemeine Didaktik, sondern als Reflexionsinstanz, die darauf gerichtet ist, den gesellschaftlichen Relevanzanspruch und die faktische Relevanzwirkung der Fachwissenschaften auf Lernprozesse in Form von Emanzipationsprozessen der lernenden Subjekte einzulösen. Ausdruck für diesen Anspruch ist die beobachtbare Tendenz der Fachdidaktiken, sich als kritische wissenschaftliche Instanzen mehr und mehr zwischen Fachwissenschaften und Schule einerseits und zwischen Staat und Schule andererseits zu schieben. Die Fachdidaktiken wären der theoretisch geeignete und legitime Ort, die Ansprüche von Schuladministrationen und Wissenschaften in reflektierter Parteinahme für den Schüler zu prüfen. Das gilt auch für die Forderung nach Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Schulfächer.
Weder Vertreter der Fachwissenschaften, des Staates, der Schulpraxis noch der Standesverbände konnten bisher eine Lösung dieses Problems anbieten. Es wurden weder befriedigende Integrationskonzepte vorgelegt, noch wurden überzeugende Nachweise für deren Unmöglichkeit erbracht. Die Antworten wurden nämlich auf Ebenen gesucht, auf denen sie m. E. nicht zu finden sind. Das Problem der Integration, Kooperation und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer im Rahmen der politischen Bildung ist weder ein [/S. 347:] wissenschaftsorganisatorisches oder ein bildungspolitisches, sondern ein didaktisches Problem. Diese Problemkonstellation brachte deshalb auch Richtlinienverfasser und um Integration bemühte Schulpraktiker immer wieder in Schwierigkeiten. Sie waren (und sind es wohl noch immer) gezwungen, einen fachdidaktischen Diskussionsstand zu antizipieren, der heute noch nicht erreicht ist. So existiert z. B. noch immer keine einzige fachdidaktische Monographie des Integrationsproblems.
Der Anspruch der Fachdidaktiken, diejenigen Probleme zu lösen, die bisher als bloße wissenschaftsorganisatorische und bildungspolitische Fragen angesehen wurden, hat ihnen heftige Kritik eingetragen. Ihnen wird die Legitimation, Ziele zu formulieren, als ein "hybrider" Anspruch abgesprochen (2); weiterhin wird ihnen vorgeworfen, nur eine ‚sich zum Heilsmythos steigernde Didaktik" könne das Integrationsproblem lösen wollen (3). Trotz dieser Argumente, die als wenig überzeugende Gegenvorschläge die sich potentiell im Vierjahreszyklus der Wahlen erneuernde staatliche Dezision und eine personengebundene Wissenschaftlerethik für Interdisziplinarität empfehlen, halte ich an dem Konzept einer wissenschaftstheoretisch aufgeklärten und um Erkenntnisweisen zentrierten Didaktik als Sozialwissenschaft fest.
Eine fachdidaktische Bestandsaufnahme des Integrationsproblems (in dem eben skizzierten Sinne von Fachdidaktik) müßte sich m. E. auf drei Argumentations- und Diskussionszusammenhänge beziehen: auf die curriculare Diskussion, wie sie sich nach Abschluß der Richtlinienkontroversen zeigt, auf den innerwissenschaftlichen Diskussionsstand der Fachwissenschaften und auf die Ergebnisse der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Die Fachdidaktiken lassen sich gegenwärtig stärker auf die Reflexion ihrer facheigenen Grundlagen ein und gewinnen zunehmend an kategorialer Festigkeit. Der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in den Fachwissenschaften, der gekennzeichnet ist durch Tendenzen und Versuche einer sozialwissenschaftlichen Fundierung sowie einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung der Disziplinen, ergibt [/S. 348:] (eventuell) neue Perspektiven für die didaktische Diskussion (Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Geographie als Sozialgeographie bzw. als Raumwissenschaft). Ein für die Didaktik noch unerschlossener Argumentationszusammenhang liegt in der Wissenschaftstheorie vor. Von der "Wissenschafts-Wissenschaft" haben die Didaktiken bisher kaum Kenntnis genommen.