Der Vorschlag der Curriculumtheorie, von Lebenssituationen oder Lernfeldern auszugehen, birgt für die ungelöste Integrationsproblematik noch ungenutzte Möglichkeiten, da sich hier für die einzelnen Fächer gemeinsame Bezugsrahmen anbieten. In der didaktischen Literatur ist dieser Ansatz aber bisher in einer Weise aufgegriffen worden, die die unauflösbaren Zusammenhänge von Lernfeldern und Wissenschaftsdisziplinen vernachlässigte. Der Begriff des "Lernfeldes" beinhaltet, daß die Anordnung der Unterrichtsinhalte nicht nach den in den Fächern dominierenden Darstellungsweisen und -formen erfolgt, sondern nach denjenigen Feldern, "wo und wie Schüler Gesellschaft erfahren" (32). Die Unterrichtsinhalte sollen aus der Systematik und Anordnungsweise der einzelnen Unterrichtsfächer herausgelöst und in "Lebenssituationen" angeordnet werden. Aber auch hier haben die vorliegenden Lernzielentwürfe die Rechnung ohne die Fachdisziplinen gemacht. In den einzelnen Lernfeldern der hessischen Rahmenrichtlinien (Sozialisation, Öffentliche Aufgaben, Wirtschaft, intergesellschaftliche Konflikte) sind die einzelnen Fachdisziplinen unterschiedlich stark vertreten (33). Die Lernziele, die diese Lernfelder konkretisierend umschreiben sollen, spiegeln Terminologie und Fragestellung der Fachdisziplinen in einer bestimmten gewichteten Weise wider. Im Lernfeld "Sozialisation" dominiert die Soziologie. 53 % aller soziologischen Begriffe, Theoreme und Fragestellungen befinden sich in diesem Lernfeld. Entsprechendes ist in den anderen Lernfeldern zu finden. Im Lernfeld "Wirtschaft" dominiert die Ökonomie, im Lernfeld "Öffentliche Aufgaben" die Politologie und im Lernfeld "Intergesellschaftliche Konflikte" ebenfalls die Politologie. Der Assoziationszusammenhang, der sich bei den Verfassern der Richtlinien zwischen Lernfeld und Disziplin einstellt, ist offensichtlich. Das belegt die Auffächerung der Fachaspekte nach Lernfeldern: [/S. 365:]



Lernfeld
AspekteIIIIIIIVGes.
1.Soziologie.53.15.16.14.21
2.Historie.14.07.17.17.13
3.Politik.19.23.60.45.37
4.Geographie.08.08.02.09.07
5.Psychologie.06.00.00.02.01
6.Ökonomie.00.45.05.13.21
7.Sonst..00.01.00.02.01
Gesamt1.001.001.001.001.00

(Annäherungswerte durch Abrundung)

Nicht nur innerhalb der Lernfelder schlägt die Fachlichkeit wieder durch. Die Lernfelder selbst sind weitgehend disziplinär erzeugt. Die Lernfelder, die bisher vorgeschlagen wurden, sind keineswegs disziplinlose Wirklichkeitsbereiche, obwohl sie es dem Anspruch nach sein sollten, sondern sie sind selbst Wissenschaftsdisziplinen. Sozialisation z. B. ist weniger ein Lernfeld, als eine sich gegenwärtig durchsetzende Forschungsrichtung, die alle Chancen hat, sich als Disziplin dauerhaft zu institutionalisieren. Ebenso sind die "Intergesellschaftlichen Konflikte" kein disziplinfreies Lernfeld, sondern eine sich aus der Politologie aussondernde Teildisziplin. Internationale Beziehungen sind "heute zum Erkenntnisgegenstand einer weitgehend anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden" (34). Diese Befunde legen den Schluß nahe, daß die Konzeption von Lernfeldern nicht so sehr auf dem Versuch einer Integration von Fachdisziplinen beruht, sondern sich von der Zielsetzung leiten läßt, in den Unterricht neue, modernere disziplinäre Frageweisen einzubeziehen. Die vorgestellten Lernzielraster ergeben sich folglich nicht aus einer Integration der traditionellen Fächer durch disziplinfreie Lernfelder. Das Design der neuen Lernfelder resultiert vielmehr [/S. 366:] daraus, daß die Ergebnisbestände der klassischen Fächer, Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde mit den Fragestellungen von neueren Disziplinen (z. B. Sozialisationsforschung und Internationale Beziehungen) analysiert werden, um ihnen andere Akzentuierungen abzugewinnen. Dadurch werden den traditionellen Wissensbeständen zweifellos neue Erkenntnisse abgewonnen; den disziplinär gebundenen Sichtweisen kann aber auch so nicht entgangen werden.