Vor dem skizzierten Hintergrund ändert sich das Verhältnis von Fachdidaktiken und Fachwissenschaften. Fachdidaktiken, deren Perspektive sich auf Entwicklung, Formen und Inhalte gesellschaftlichen Bewusstseins und auf die damit verbundenen Sozialisations-, Lern- und Verständigungsprozesse richtet, können gegenüber den Fachwissenschaften an Autonomie und Selbstbewusstsein gewinnen. Denn diese Perspektive können sie auch auf die Fachwissenschaften selbst richten, um die Fachwissenschaft fachdidaktisch zu rekonstruieren. Fachdidaktische Rekonstruktion heißt, die implizite Didaktik der jeweiligen Bezugsdisziplin und ihres Verhältnisses zur externen (und internen) Öffentlichkeit zu beschreiben, zu erklären und möglicherweise zu kritisieren und umzugestalten. Fachdidaktiken, die Geschichtsbewusstsein, Politikbewusstsein oder Wirtschaftsbewusstsein in einer Gesellschaft in das Zentrum ihres Interesses stellen, machen auch didaktische Intentionen und Funktionen der einschlägigen Fachwissenschaften, die in der gesellschaftlichen Kommunikation über Geschichte, Politik und Wirtschaft zum Tragen kommen, zum fachdidaktischen Forschungsgegenstand. Fachdidaktik analysiert die implizite - und explizite! - Didaktik der Fachwissenschaften und stellt sie so in einen auf gesellschaftliche Kommunikation gegründeten und gerichteten Kontext. Tilman Grammes' kommunikative Fachdidaktik, die die unterschiedlichen Wissensformen zentral stellt (Grammes 1998), erhält dann eine neue Dimension: Fachdidaktik kann zu einem Ort der Selbstreflexion von Fachwissenschaft werden (vgl. Bergmann 1997, 248). Wollen Fachdidaktiker so unbescheiden sein? [/S. 119:]

Das didaktische Interesse und die didaktische Wirkung der Fachwissenschaft ist der Geschichtsdidaktik offensichtlich bewusst (S. 248 f.). So betont Jeismann, dass die Geschichtswissenschaft nicht unwesentlich zur "Selbstverständigung der Gegenwart" beitrage und "in Motivation und Wirkung didaktischer Natur" sei (Jeismann 2000a, 82). Diese Diagnose gilt meines Erachtens erst recht für Politikwissenschaft, Soziologie oder Ökonomik. Der ökonomische Mainstream beispielsweise ist tief erfüllt von der Mission, der Gesellschaft die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismus nachzuweisen und sie dazu zu bringen, ihre Institutionen nach dem Modell des Marktes neu zu gestalten.

Die fachdidaktische Rekonstruktion der Fachwissenschaft scheint der Geschichtsdidaktik mit der Leitkategorie Geschichtsbewusstsein ein Stück weit gelungen zu sein, während die Politikdidaktik mehrheitlich noch weit davon entfernt ist. Andere Fachdidaktiken müssen beides noch entdecken. Allerdings relativiert Bodo von Borries mit empirischen Befunden aus seinen groß angelegten Studien die bewusstseinsprägende Rolle der Geschichtswissenschaft und betont die Prägekraft nationaler Geschichtskulturen (von Borries 1999, 374). In ähnlicher Weise beklagen einige Politikwissenschaftler Wissenslücken, Vorurteile und Lernwiderstände der Bürger (z. B. Patzelt 1996) - und dokumentieren damit zugleich den didaktischen Impetus ihrer Disziplin und dessen begrenzte Wirkung.