Angesichts des unübersichtlichen theoretischen Status der Fachdidaktiken im gesellschafts- und geschichtswissenschaftlichen Feld kann man zur Zeit weder eine Integration historisch-politischer Bildung noch deren klare Trennung theoretisch überzeugend begründen.

Das traditionelle Muster, mit dem Fachdidaktiken ihre disziplinäre Identität herstellen und sichern wollen, besteht darin, sich mehr oder weniger eindeutig auf Großdisziplinen und/oder auf deren typische Erkenntnisweisen zu beziehen. Dieses Muster wird angesichts der Doppelbewegung von Differenzierung und Konvergenz der Disziplinen zunehmend obsolet: einer starken disziplinären und binnendisziplinären Ausdifferenzierung der Sozial- und Kulturwissenschaften stehen paradigmatische und methodologische Konvergenzen zwischen den Disziplinen gegenüber. Auch die aktuelle Debatte um das integrative Paradigma der Kulturwissenschaft und einer kulturwissenschaftlichen Methodologie schwächt das traditionelle Muster fachdidaktischer Identität. Vor allem in den siebziger Jahren hat sich die Geschichte mit dem Paradigma der Historischen Sozialwissenschaft in ihrer Fragestellung und ihrer Methodologie den Sozialwissenschaften angenähert. In der jüngsten Vergangenheit kann man nun feststellen, dass sich die Sozialwissenschaften unter dem Paradigma der Kulturwissenschaft ihrerseits der historischen Methodologie annähern. Das gilt insbesondere für die so genannte "kulturwissenschaftliche Wende" der Soziologie, die sich auf die Leitkategorien wie Sinn, Kultur und Historizität richtet (vgl. Lichtblau 2001; Barrelmeyer/Kruse 2002). [/S. 120:]

Vor diesem Hintergrund ist es dringender und schwieriger denn je, historische und politische Bildung von einander zu unterscheiden und unter Aufrechterhaltung und Akzentuierung ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander zu beziehen. Die fehlende disziplinäre Trennschärfe der fachwissenschaftlichen Erkenntnisweisen wäre dann für Fachdidaktiken weniger ein Problem als eine Chance, wenn diese sich als eigenständige Disziplinen begreifen oder dazu werden wollen.

Ein eigenständiges, sowohl gemeinsames wie unterschiedenes theoretisches Fundament könnten die Fachdidaktiken des sozial- und kulturwissenschaftlichen Feldes in der Leitkategorie "gesellschaftliches Bewusstsein" und deren Ausdifferenzierung in historisches, politisches und ökonomisches Bewusstsein finden. Darüber hinaus könnte jede Fachdidaktik ihr Spezifikum durch die begründete Wahl derjenigen Erkenntnisweisen schärfen, auf die sie sich konzentrieren will. Geschichts-, Politik- und Wirtschaftsdidaktik wären damit einerseits integriert, nämlich über die allgemeine Leitkategorie gesellschaftliches Bewusstsein und über die Schnittmengen und wechselseitigen Zusammenhänge von historischem, politischem und ökonomischen Bewusstsein. Andererseits wären sie deutlich differenziert, nämlich durch die je unterschiedlichen Leitkategorien Geschichts-, Politik- und Wirtschaftsbewusstsein, durch die spezifischen Erkenntnisweisen, mit denen sie diese Leitkategorien bearbeiten, und nicht zuletzt durch die wesentlichen Differenzen in der Handlungsdimension (auf die ich hier nicht näher eingehen kann).

Mit der Leitkategorie Geschichtsbewusstsein und der Fokussierung auf das narrativistische Paradigma scheint die Geschichtsdidaktik in dieser Richtung bereits einigermaßen erfolgreich zu sein, jedenfalls erfolgreicher als die Politikdidaktik, die sich zunehmend unter die Obhut der Politikwissenschaft flüchtet. Würden sich Politikdidaktik auf die Leitkategorie politisches Bewusstsein und Wirtschaftsdidaktik auf die Leitkategorie ökonomisches Bewusstsein orientieren, könnten sie mit der Geschichtsdidaktik an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: Geschichts-, Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsbilder als perspektivische und aufeinander bezogene Konstrukte durchschaubar zu machen und "die gegenwärtige Gesellschaft in ein 'bewusstes' Verhältnis" zu ihrer Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu setzen (Jeismann 1990/2000, 47). Im Spannungsfeld zwischen Erwartung und Erinnerung würde damit zugleich die von Jörn Rüsen eingeforderte "kulturelle Erinnerungsarbeit" zur "Öffnung des historischen Bewusstseins für die Zukunftsgestaltung" möglich (Rüsen 1998, 232 u. 228).

Wie weit die Leitkategorie "gesellschaftliches Bewusstsein", der wechselseitige Zusammenhang von Geschichts-, Politik- und Wirtschaftsbewusstsein und die didaktische Rekonstruktion der Fachwissenschaften tragen, wäre aber auch empirisch zu überprüfen. Das zeigt sich exemplarisch am Geschichtsbewusstsein. Der Vorschlag, Geschichtsbewusstsein prospektiv für die Zukunft zu aktivieren, überzeugt im Jeismann-Rüsen-Konzept zwar theoretisch; aber von Borries zeigt, dass sich dazu zumindest bei Jugendlichen empirisch kaum ein Korrelat findet (von Borries 1999, 378-381). Dieses Forschungsfeld, das sich für Denkmuster und [/S. 121:] Denkprozesse des gesellschaftlichen Bewusstseins bei Jugendlichen interessiert und zusätzlich nach den didaktischen Effekten der einschlägigen Fachwissenschaften fragt, kann gut mit der empirischen Unterrichtsforschung verknüpft werden.

Angesichts des "Abgrunds ungeklärter Fragen" kann eine seriöse Theorie einer historisch-politischen Bildung und ihrer Fachdidaktiken derzeit nicht vorgelegt werden. Die Fachdidaktiken des kultur- und sozialwissenschaftlichen Feldes, nicht nur die Geschichts- und die Politikdidaktik, müssen eine Debatte darüber beginnen, wie sie sich angesichts der wissenschaftstheoretischen Unübersichtlichkeit positionieren und zueinander verhalten wollen. Fachdidaktische Selbstentwürfe, die voluntaristisch oder autistisch argumentieren, bleiben allemal unterkomplex. Einen einigermaßen rationalen und wissenschaftstheoretisch anspruchsvollen Diskurs unter den einschlägigen Fachdidaktiken zu beginnen, der über eine rein fachstrategisch motivierte Kommunikation hinausreicht, ist zwar mühsam, aber unvermeidlich.