Der 1973 unternommene Versuch, bisher voneinander getrennte Schulfächer durch Lernbereiche abzulösen und diese vorrangig an fächerübergreifenden gesellschaftsrelevanten Zielen auszurichten, musste scheitern, weil die wissenschaftstheoretische Fundierung fehlte. Hinzu kam, dass der politische Konsens nicht erreicht wurde und es noch keine Lehrerausbildung für dieses Fach gab.

In Hessen wurde seit 1973 an einer Neufassung der HRRG gearbeitet und 1980 das Ergebnis vorgelegt. Eine entscheidende Korrektur bestand darin, dass zu den Grundsätzen für den Lernbereich Gesellschaftslehre auch Wissenschaftsorientierung gehörte: Es wurde bei der Neufassung der Rahmenrichtlinien davon ausgegangen, dass die Wissenschaftsdisziplinen die wesentlichen gesellschaftlichen und historisch-politischen Probleme und Lerninhalte benennen und → Methoden sowie → Kategorien für ihre Bearbeitung im Unterricht zur Verfügung stellen können. Das früher bestehende Defizit in der theoretischen Grundlegung wurde also aufgehoben.

Im Jahre 1978 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe von Historikern, Politikwissenschaftlern und Soziologen (Behrmann u. a.) das Konzept für einen kooperativen Unterricht in den Fächern Geschichte und Politik für die Sekundarstufe I. Vorgeschlagen wurde eine gestufte Verbindung zwischen geschichtlichen und politischen Unterrichtseinheiten. Die wissenschaftstheoretische Fundierung wurde hier ebenso abgesichert wie der methodische Zugriff.

Für den historischen und politischen Unterricht wurden jeweils vier Thementypen entwickelt und als Leitthemen bzw. Zusatzthemen einander zugeordnet. Thementypen des Politikunterrichts sind: die →> Erkundung, die systematische Analyse oder der → Vergleich, die → Fallstudie, die Bearbeitung eines aktuellen Problems. Die vier Thementypen des Geschichtsunterrichts werden nach Kooperationsmöglichkeiten mit dem politischen Unterricht befragt. Der erste Thementyp ist die genetisch vorgehende Erarbeitung eines historischen Prozesses, die tendenziell alle seine Faktoren fasst (z. B. Industrielle Revolution, Imperialismus) - hier gibt es über den Gegenwartsbezug kombinatorische Möglichkeiten mit dem Politikunterricht. Der zweite Thementyp ist der thematische Längsschnitt. Auch hier besteht zwischen historischem und politischem Unterricht ein ergänzender Zusammenhang. Dabei kommt es für den historischen Unterricht darauf an, dass eine der aktuellen vergleichbare Problematik in der Vergangenheit in ihren unterschiedlichen und in ihren ähnlichen Strukturen herausgearbeitet wird. Der dritte Thementyp ist die querschnittartige Repräsentation einer besonders wichtigen Epoche. Hier ist die Möglichkeit der Kooperation nur über die Methode der Analogie möglich. Im Unterschied dazu besteht eine enge Verbindung des vierten Thementyps zum politischen Unterricht. Er greift ein gegenwärtig wichtiges Phänomen der politischen Welt regressiv in [S. 547:] seiner historischen Bedingtheit auf (z. B. Revolution in Ländern der Dritten Welt, israelisch-arabischer Konflikt). Bei diesem Thementyp verbinden sich politischer und historischer Unterricht jeweils eng. Die Kombination dieser vier Thementypen des Geschichtsunterrichts und die Kooperation mit den entsprechenden Thementypen des Politikunterrichts sind als → offenes Curriculum konzipiert. Es ist also eine Vielzahl flexibler Verbindungsmöglichkeiten zwischen Geschichte und Politik zu komponieren.

Geschichtsdidaktik beschäftigt sich mit dem Prozess der Rezeption von Geschichte in der Gesellschaft. In der geschichtsdidaktischen Diskussion ist seit den 70er Jahren der Begriff Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie herausgearbeitet worden. Geschichtsbewusstsein meint über geschichtliches Wissen hinaus auch Vorstellungen und Deutungen von der Vergangenheit und daraus entstehende Einstellungen. Erforscht wird das Geschichtsbewusstsein von Individuen und Kollektiven. Dabei geht es um Inhalte und Formen, um Bedingungen des Aufbaus und der Veränderung, um Bedeutung und Funktion des Geschichtsbewusstseins. Durch die Einführung des Begriffs Geschichtsbewusstsein wurde die Geschichtsdidaktik neu fundiert und ihre über den schulischen Bereich hinausreichende Dimension verdeutlicht. Ohne Geschichtsbewusstsein ist die Gewinnung sozialer und politischer Identität nicht möglich. Deshalb ist Geschichtsbewusstsein ein Schlüsselbegriff aller historischen, aber auch aller pB. Historische und politische Urteilskompetenz werden durch ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein gefördert. Wenn es dem Politikunterricht um die Vermittlung von Sachwissen und jener Kompetenzen geht, die zu politischer Reflexion, → Urteilsbildung und verantwortlichem politischen Handeln befähigen, so kann er nahtlos mit einem Geschichtsunterricht kooperieren, dessen Bezugsdisziplin zunehmend einen Praxisbezug vertritt und folgende Funktionsziele betont: Geschichtswissenschaft

  • schafft aufklärungsgeprägte Rationalität;
  • bewahrt gesellschaftliches Wissen, ist Kollektivgedächtnis;
  • interpretiert Gegenwart aus deren Vergangenheit und trägt so zur Ortsbestimmung der Gegenwart bei;
  • legt Ursachen und Entwicklungen bestimmter Gegenwartsprobleme offen;
  • schafft Distanz zu emotional besetzten Gegenstandsbereichen;
  • zeigt die Entwicklung und Veränderung sozialer Wandlungsprozesse und weist den Rahmen der Veränderbarkeit auf;
  • leistet → Ideologiekritik;
  • vermittelt einen kritisch aufgeklärten Praxisbezug;
  • legt Grundlagen für politische und soziale Identifikationen;
  • bewahrt vor Manipulation, indem sie Erinnerung aufklärt;
  • wirkt als Korrektiv gegenüber generalisierenden »Totalentwürfen«;
  • motiviert durch den Aufweis welthistorischer Perspektiven zu globaler Verantwortung.