Beide Fächer verhalten sich wie konzentrische Kreise. Welcher den anderen in sich enthält ist In den Konzeptionen verschiedener Zeiten unterschiedlich, im Grunde aber auch belanglos. Die jüngste Konzeption ist das in den 70er Jahren vieldiskutierte "Integrationsmodell".

Dieses Verhältnis war lange Zeit das herrschende - solange, bis sich aus der noch zaghaften Entwicklung der Staatsbürgerkunde und auf der Basis der Entwicklung der Sozialwissenschaften schließlich ein eigenes Fach herauskristallisierte, das nicht nur als "Gemeinschaftskunde" spezifische Prinzipien bündelte, sondern sich autonom verstand als politischer Unterricht, Gesellschaftslehre, Sozialkunde.

Der Geschichtsunterricht hat sich seit seiner Institutionalisierung im frühen l9. Jahrhundert immer auch als das Fach der politischen Bildung verstanden. Der Konflikt zwischen historischer und politischer Bildung wurde in den Grenzen des Faches selbst ausgetragen Ich erinnere an den Protest Oskar Jägers gegen die Versuche in der Wilhelminischen Zeit den Geschichtsunterricht politisch zu instrumentalisieren, seinen Kreis also genau in den übergeordneten Kreis politischer Bildung einzupassen: "Wenn man fragt, wie sich unser Unterricht national, nationaler, am nationalsten, deutsch, deutscher, am deutschesten gestalten lasse, so antworten wir einfach - indem man sich ... bemüht, ihn immer wahrer zu gestalten."(zit. nach Weymar 1961: 222). Jäger war kein Kritiker des nationalen Staates, war kein Gegner deutscher nationaler Bildung, aber er war ein Gegner der Subordination historischen Lernens unter politische Ziele, anders ausgedrückt, er verteidigte mit dem, was er "Wahrheit" der Historie nannte, den über die "Deutschheit" räumlich, zeitlich und sachlich hinausreichenden Bildungs- und Erkenntnisraum der Geschichte. Anders als Jäger hat der letzte bedeutende Geschichtsdidaktiker, der aus der Weimarer Zeit bis in unsere Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg hinaus gewirkt hat, Erich Weniger, den Geschichtsunterricht in didaktischer Reduktion den Zielen der politischen Bildung untergeordnet. Das Verständnis der Entwicklung des nationalen, republikanischen Staates, der ihn erhaltenden Kräfte und die Fähigkeit, in solchem Staate Verantwortung zu tragen, galt ihm als das "Herz" des Geschichtsunterrichtes, der eine spezifische Form der politischen Bildung sei. Dass Geschichtsunterricht überhaupt sei, wird aus seiner politischen, staatsbürgerlichen Funktion legitimiert (3). Auf ganz andere Weise haben die rudimentären Ansätze einer Neuordnung des Geschichtsunterrichts im Nationalsozialismus und die elaborierten geschichtsmethodischen Instrumente in den kommunistischen Staaten, besonders konsequent in der DDR, den Geschichtsunterricht als politischen Unterricht verstanden - in dem weiten Sinne freilich, dass man auch umgekehrt den politischen Unterricht - Marxismus-Leninismus oder Staatsbürgerkunde - als weltgeschichtlich historischen Unterricht hätte bezeichnen können. Das war möglich durch die Grundannahme des Histomat, die als wissenschaftliche Wahrheit verstandene Geschichtsphilosophie (4).

Die konzentrische Kreisform des Verhältnisses beider Fächer deutet auf ein politisches und historisches Bewusstsein hin, das sich des Sinnes und Zieles der Universalgeschichte oder begrenzterer Sinngebungen, etwa der nationalen Geschichte, gewiss ist und diese Gewissheiten nicht befragen lässt, sondern als historisch evident setzt. Formal macht es dabei keinen Unterschied, ob die politische Bildung, welche den Geschichtsunterricht in ihren Dienst nimmt, auf den dynastisch-monarchischen Staat, die nationale Republik, die "Volksgemeinschaft", die klassenlose Gesellschaft hinzielt: Immer ist es das Ziel politischer wie historischer Bildung, den Heranwachsenden zu befähigen, in &Uml;berzeugung und Handlungsbereitschaft sich in den Dienst dieser historisch-politisch als fraglos richtig verstandenen Zielvorgabe zu stellen.

An dieser Stelle des Gedankens wird man sich die schwierige Frage vorlegen müssen, ob ein solches Verhältnis der Fächer mit seinen Auswirkungen auf die Wahl des Gegenstands, auf Deutung und Werturteil zu verurteilen oder zu rechtfertigen ist, je nachdem, ob die Überzeugung vom Geschichtsverlauf und von der zu erhaltenden oder zu erreichenden politisch-gesellschaftlichen Ordnung richtig oder falsch, besser: erwünscht oder unerwünscht ist. Wir kämen bei einer solchen Behauptung in eine heikle Situation, sobald unser als richtig verstandenes Ziel politischer Bildung möglicherweise durch den Verlauf der Geschichte selbst Korrekturen erfährt. In der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts ist dies bislang dreimal der Fall gewesen, aber in der Diskussion des Verhältnisses von Geschichts- und Politikunterricht spielt die Figur der konzentrischen Kreise bis in unsere Tage weiterhin eine bedeutende Rolle, indem die Sinn- und Zielrichtungen der Geschichte zugleich mit den Normen richtiger politischer Ordnung neu definiert werden.

So hat Hermann Giesecke in einer lesenswerten Fortführung und Erweiterung der Konzeption von Erich Weniger den Geschichtsunterricht politisch begründet, indem er den noch formalen, republikanischen Staatsbegriff Wenigers erweiterte zum Begriff einer demokratisch verfassten Gesellschaft - nicht etwa wie sie existiert sondern wie sie werden soll (Giesecke 1978). Die Geschichte wird für die Geburt der besseren, der wahrhaft demokratischen Welt zu Hilfe gerufen als Nachweis dafür, dass nichts so bleibt, wie es ist, dass die Welt veränderbar ist, die Zukunft die bessere Alternative zur Vergangenheit sein müsse. Dahinter steht ein Totalentwurf der menschlichen Gesellschaft, wie sie sein soll; daher ist nach Giesecke ohne den Bezug auf die "Kritische Theorie" eine Begründung und Legitimierung des Geschichtsunterrichtes nicht möglich. Bei Annette Kuhn erscheint dann die Geschichte in gleicher Tendenz als eine Kette von Defiziten, aus der die Versuche erinnerungswürdig sind, sie zu überwinden (Kuhn 1974: 15f.) - das ist eine alte Denkfigur, viel klarer als bei den Modernen, aber auch viel vorsichtiger schon dargestellt in Kants Skizze zur Idee einer Universalgeschichte in weltbürgerlicher Absicht (Kant 1968).

Diese Rechtfertigungen historischen Lernens aus emanzipatorisch politischer Zielsetzung sind nur dem Vorzeichen, nicht der Struktur nach unterschieden von jenen, welche die Geschichte als Tradition beschwören, nicht zur Emanzipation, sondern zur Identitätsbildung aufrufen, entweder, um die gegenwärtigen Zustände als gewordene zu rechtfertigen, oder aber, um sie angesichts besserer Vergangenheit zu kritisieren und zur Rückkehr aufzufordern. Ein Musterbeispiel für die "emanzipatorische" Konstruktion des Verhältnisses der beiden Fächer des konzentrischen Kreises waren die Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre (1972). Der letzte gegenläufige, affirmativ-konservative Versuch, politische Bildung durch Geschichte unmittelbar zu legitimieren und Geschichte als Beweis des Existenzrechts gegenwärtiger Ordnung zu nehmen, waren die kräftigen - keineswegs aber durchschlagenden - Initiativen einer monarchisch-nationalistischen historisch-politischen Didaktik (5).

Diese Konzepte, mehr oder weniger stringent, mehr oder weniger dogmatisch angelegt, wurzeln in einer Geschichtsgewissheit - begründet in Tradition oder durch Utopie - und im Glauben an die Normativität einer Gesellschaftsvorstellung. Indem sie das historische Lernen darauf ausrichten und in Selektion der Thematik wie der Wertungen allein in diese Perspektive einstellen, verzichten sie darauf, das kritische Potential an der eigenen Interpretation zu mobilisieren, welches die Geschichte bereithält, und fixieren den Schüler auf eine bestimmte historische Lehre. Das ist im Sinne der Traditionalisten politisch verständlich, ganz unverständlich aber in der Denkweise derer, die Emanzipation als Sinn der Geschichte propagieren, jedoch die historischen Formen von Emanzipation selbst der Kritik entziehen. Das zeigt sich z.B. in den didaktischen Entwürfen dieser Art am undifferenzierten, unreflektierten Gebrauch des Begriffs der "Demokratie". Er erscheint als nicht mehr hinterfragbarer Legitimationsbegriff und wird abstrakt (6). Die Vergangenheit wird mediatisiert angesichts des Zukunftsentwurfs. Die ambivalente Geschichte dessen, was alles mit dem Demokratiebegriff sich rechtfertigte, verschwindet. Im Extremfall führt das zum Wirklichkeitsverlust und damit nicht nur zur Verkürzung der historischen, sondern auch zur Untauglichkeit der politischen Bildung. So läuft die Betrachtung des konzentrischen Verhältnisses beider Fächer auf die Frage zu, wie es zu verhindern ist, dass historisches Lernen zur bloßen Bestätigung politischer Doktrin und damit zur Verfälschung von Geschichte missrät - und umgekehrt.