Seit den siebziger Jahren gibt es in der Bundesrepublik einen Trend von einem standardisierten System lebenslanger Ganztagsarbeit im Betrieb hin zu einem System pluralisierter, flexibler, dezentraler Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Bereits heute sind nur noch weniger als die Hälfte aller Erwerbspersonen in einem so genannten Normalarbeitsverhältnis beschäftigt (vgl. Oschmiansky/ Schmid 2000, S. 4), bei dem eine fachlich qualifizierte Arbeit mit voller Stundenzahl ausgeübt und mit vollem tariflichen Entgelt bezahlt wird, in dem gesetzlicher Kündigungsschutz besteht und volle Urlaubs- und Rentenansprüche gesichert sind. Auf die anderen Erwerbspersonen trifft hingegen die Realität zeitweiser oder anhaltender Erwerbsarbeitslosigkeit sowie flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu. Auch wenn man durchaus noch nicht vom Verschwinden der Normalarbeit sprechen kann und aufgrund der neuen Arbeitsformen und -verhältnissen wie dem "Arbeitskraftunternehmer" (vgl. Voß/ Pongratz 1998) oder dem "Scheinselbstständigen" (vgl. Reindl 2000) die Verallgemeinerung und Zukunftsfähigkeit mit guten Gründen bestritten werden kann, dürften wir erst am Beginn der Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis ökonomisch bestimmter Flexibilität und sozialpolitisch notwendiger Sicherheit nach "Flexicurity" stehen (vgl. Keller/ Seifert 2000).

Immerhin hat die Erosion des "Normalarbeitsverhältnisses" auch dazu geführt, dass zunehmend Formen von Eigenarbeit (etwa im Privathaushalt) und öffentlicher Arbeit (etwa als Engagement in der Kommunalpolitik) als Alternativen zur Erwerbsarbeit diskutiert werden. Doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass diese Formen von Arbeit auf längere Sicht weniger als Alternativen, sondern eher in einem engen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zur Erwerbsarbeit zu sehen sind (vgl. Wagner/ Gensior 1999, S. 57ff).

Weil die Erwerbsarbeit zumeist unbezahlte Hausarbeit zur Voraussetzung hat, bleibt die Aufgabe der Umverteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, das heißt vor allem der Erwerbs- und Hausarbeit, zwischen den Geschlechtern auf der Tagesordnung. Doch ein "Ende der Erwerbs-Arbeitsgesellschaft" ist deshalb nicht in Sicht. Dieses Ende würde auch durch mehr "Geschlechterdemokratie" und einen "Geschlechtervertrag" zur Neuverteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (Hausarbeit und Erwerbsarbeit) noch nicht herbeigeführt, auch wenn sich darin eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung von Erziehungs- und Pflegearbeit ausdrückt und der Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen bei der bislang stark geschlechtsspezifisch geprägten Berufswahl die wesentliche Grundlage entzogen würde (vgl. näher hierzu Lemmermöhle 2001).

Festzustellen ist heute die weitere Verlagerung von Erwerbstätigkeiten: vom industriellen Bereich in den Dienstleistungsbereich, von der Normalarbeit zu den anderen Erwerbsformen wie geringfügige Beschäftigung, Werkvertrags- und Leiharbeit bis hin zur so genannten neuen Selbstständigkeit etwa in der Form der "Ich-AG". Oschmiansky/ Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin plädieren für eine "institutionelle Absicherung von Übergängen zwischen den verschiedenen Erwerbsformen, um soziale Ausschließung zu vermeiden und zu einer Neuverteilung der Arbeit bei gleichzeitiger Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit beizutragen" (Oschmiansky/ Schmid 2000, S. 5; als Beispiel für die erfolgreiche Neuregelung von "Übergängen" dient die dänische Qualifikations-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik; vgl. hierzu Braun 2003).

Trotz des Rückgangs der Erwerbsquote im Normalarbeitsverhältnis und der Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die Erwerbsarbeit auch im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die anerkannteste Form der Arbeit. Insofern bewegen wir uns weiterhin in der historischen Form "Wirtschaftsgesellschaft" (vgl. Polanyi 1979), in der die vor allem ökonomisch determinierte Erwerbsarbeit das "organisierende Zentrum" der Lebensführung bildet. Durch sie werden für Individuum und Gesellschaft zugleich Wohlstand möglich, aber auch Problemlagen erzeugt, die zum Teil durch "Familienarbeit" bzw. Sozialpolitik wiederum kompensiert werden müssen (vgl. Famulla 1990).

Fazit: Bei der Berufsorientierung in der Schule sollte ein erweiterter Arbeitsbegriff zugrunde gelegt werden, der neben der Erwerbsarbeit die Hausarbeit und Bürgerarbeit umfasst. In der Wirtschaftsgesellschaft bildet die Erwerbsarbeit das organisierende Zentrum der Lebensführung, eine Auseinandersetzung mit ihren ökonomischen und sozialen Bedingungen ist unabdingbar (Aneignung arbeits- und berufsbezogener Wirtschaftskenntnisse).