Beruf beschreibt gleichermaßen aussagekräftig, vollständig und bewertend Erwerbsaktivitäten von Menschen. Er ist mehrdimensional angelegt und somit an komplexe Realitäten anpassbar. Darüber hinaus ist er in der Lage, auch Veränderungen aufzunehmen und zu transportieren. In einer von Wandel geprägten Welt kann Beruf weiterhin die Aufgaben übernehmen,
- als Gliederungs-, Struktur- und Schichtungsprinzip im sozialen Raum zu wirken,
- als Vorgabe für die Gestaltung von Ausbildungsprofilen zu dienen,
- Grundlage für die Berufsorientierung und -wahl und damit Kommunikationsbasis über die Eigenheiten der Arbeitswelt zu sein.
Auflösungstendenzen sind erkennbar, weil
- der im Sozialrecht verankerte Rechtsanspruch zur Absicherung beruflicher Positionen abgebaut wird,
- die Kluft zwischen Kern- und Randbelegschaften vertieft wird,
- die Kontinuität der Erwerbsarbeit abnimmt,
- der Zusammenhang zwischen Berufsausbildung und Berufstätigkeit gelockert wird.
Diese Auflösungstendenzen bieten aber zugleich neue Chancen für den Beruf. Wenn die Stabilität von Beschäftigung abnimmt und gleichzeitig hohe Anforderungen an die Mobilität gestellt werden, wenn sich weiterhin die Arbeitsaufgaben häufig verändern, dann lassen sich aus der Erwerbsarbeit immer weniger identitätsstiftende Faktoren ableiten. Unabhängig vom Arbeitgeber und einem spezifischen Arbeitsplatz erhält der Beruf eine neue Bedeutung, da er für die Berufswahl, die Qualifizierung und für den Arbeitsmarkt ein Raster anbietet, das wegen seiner Mehrdimensionalität und Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitiger Stabilität als Instrument zum Ausgleich und zur Bewältigung der erkennbaren Herausforderungen verwendet werden kann. Der Beruf als Allokationsprinzip sollte deshalb nicht leichtfertig aufgegeben werden, da er auch in einer nachindustriellen Gesellschaft mit offenen Arbeitsformen sinnvoll und nützlich ist.
Für die Berufsforschung ergibt sich daraus die Aufgabe, die Rolle und Bedeutung von Beruf in dieser Umbruchsituation herauszuarbeiten und Instrumente zu entwickeln, die Veränderungen im Umfeld von Beruf und innerhalb der Berufe zu analysieren und zu bewerten. Dazu gehören die Akzeptanz der Mehrdimensionalität, die Ausweitung der Kategorien bei der Erfassung und Strukturierung auch neuer Berufsfelder und Berufe, die Kategorisierung und Clusterung der vielfältigen Informationen sowie die Bereitschaft, die Berufelandschaft aus verschiedenen Blickrichtungen wahrzunehmen. Neben einer eher beschreibenden und quantitativ orientierten [/S. 459:] Berufsforschung sollte auch eine gestaltende, kreativ orientierte Berufsforschung betrieben werden, die bisherige und erwartbare Veränderungen beschreibt und zugleich neue Strukturierungshilfen erarbeitet und ihre Anwendung fördert.