Selbstverständlich musste mit dem Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" bei der "bildungswirksamen Hinführung zur modernen Arbeitswelt" nicht noch einmal da angefangen werden, wo im Jahre 1964 der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen schon die Arbeitslehre als "Eingangsstufe des beruflichen Bildungsweges" konzipierte. Seither gab es zu diesem Thema nicht nur eine Textflut von circa 8.000 Titeln, über 50 Schulversuche und zahlreiche Kongresse. Es sind in allen Bundesländern auf den Ebenen Lehrplan, Lehrerausbildung sowie Unterrichtspraxis institutionelle und curriculare Maßnahmen ergriffen worden, um diesen wichtigen Bereich im allgemein bildenden Schulbereich zu regeln (zur Darstellung und Kritik vgl. Ziefuss 1993).

Gleichwohl werden der Stellenwert der Arbeitslehre bzw. der Berufsvorbildung in der Schule, die Lehrerausbildung wie auch die Stundentafel hierzu weithin und schon seit längerem als defizitär beklagt. Hinzu kommt, dass auf den oben angeführten Strukturwandel der Arbeit mit seinen zentralen Herausforderungen auch neue inhaltliche Antworten im Rahmen der Berufsvorbildung gefunden werden müssen.

Das Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" kann als eine solche systematische und anspruchsvolle, in vielen Teilen auch verallgemeinerbare, Antwortsuche verstanden werden, wenn man sich das Rahmenkonzept sowie die Gegenstände der bewilligten Projekte vergegenwärtigt. Nach dem Rahmenkonzept des SWA-Programms steht die Förderung innovativer Projekte zur Verbesserung des Übergangs von der Schule in das Berufsleben im Zentrum.

Gegenstand der Innovation können recht unterschiedliche Inhalte sein. Im Bereich der Berufsorientierung beziehen sich die wichtigsten Innovationsinhalte auf methodische (z. B. Lehr-/ Lernarrangements), personale (z. B. Kompetenzentwicklung) oder organisatorische Aspekte (z. B. Stundentafel). In der Praxis sind diese Aspekte kaum zu trennen, da beispielsweise für die Entwicklung neuer Lernarrangements auch organisatorische und personelle Veränderungen notwendig sein können. Eine Innovation muss dabei nicht etwas im globalen Maßstab grundsätzlich Neues sein, sondern kann auch eine Neuerung oder Veränderung in einer bestimmten Region oder für bestimmte Nutzergruppen bedeuten, die in anderen Kontexten bereits seit längerem eingeführt ist. So besteht eine innovative Aufgabe für SWA-Projekte darin, Maßnahmen so umzubauen und so zu kombinieren, dass sie zweckdienlich und effektiv eingesetzt werden können (Beispiel: Betriebspraktikum) und so zu organisieren, dass sie alltagstauglich werden (Beispiel: Qualitätsmanagement an Schulen).

Das Gros der Projekte verfolgt als Hauptziel zu etwa gleichen Teilen entweder Veränderungen auf der personalen Ebene bei den Jugendlichen und den Lehrkräften oder der methodischen Ebene, also der Form der Vermittlung von Erkenntnissen. Innovationen auf organisatorischer Ebene stehen bisher nur bei wenigen Projekten im Vordergrund.

Die Projekte sind bei aller Gemeinsamkeit in der Verfolgung des Oberziels (Entwicklung innovativer und nachhaltig wirksamer Maßnahmen zur Stärkung der Kompetenzen von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in das Berufsleben) im Hinblick auf Ausgangsbedingungen, spezifische Projektziele, Gegenstände und Maßnahmen kaum vergleichbar. Zum breiten Spektrum der Projektgegenstände gehören:

  • die Entwicklung eines Berufswahlpasses und flexibel einsetzbare Handreichungen zur Berufswahl;
  • die Durchführung systematisch vorbereiteter und begleiteter kontinuierlicher Praxistage;
  • die anspruchsvolle Bearbeitung realer betrieblicher Aufgaben durch Schülergruppen;
  • die Implementierung von individuell zugeschnittenen Förderpraktika;
  • die Einrichtung von Projektgruppen, in denen lernschwache oder schulaversive Schülerinnen und Schüler durch Lehrerteams in Produktions- und Dienstleistungsprojekten betreut werden;
  • die Entwicklung internetgestützter Bildungsangebote zur Berufswahlvorbereitung für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrerinnen und Lehrer;
  • die mediendidaktische Aufbereitung und interaktive Bearbeitung von Themen der Arbeitswelt;
  • die stärkere Einbeziehung von Fachleuten aus der Wirtschaft als Mentorinnen und Mentoren für die Beratung und Begleitung von Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Berufsbiografien;
  • die Schaffung von Korporationsverbünden zwischen Schulen und Unternehmen;
  • die Vernetzung von Projekten, Initiativen und Akteuren der Berufsorientierung durch "Agenturen" auf Landesebene;
  • die Einführung von schulischem Qualitätsmanagement zur Verbesserung der Startchancen in den Beruf;
  • die modellhafte Entwicklung von Schulprofilen mit besonderem Gewicht auf einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung und Beruf
  • und neue Kooperationsformen zwischen Schulen, Hochschulen und Unternehmen, um Jugendliche in ihrer Entscheidungsfähigkeit bei der Ausbildung und Berufswahl zu unterstützen.

Zieht man nach etwa drei Jahren Laufzeit ein erstes Zwischenfazit zur Arbeit im Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben", zeichnen sich die Umrisse oder zumindest Akzente eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung ab.

6. Konturen eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung

Aus fachlicher Sicht und vor einer Erörterung von Schlussfolgerungen aus der bisherigen Programmarbeit können die möglichen Konturen eines veränderten Verständnisses von Berufsorientierung bezeichnet werden:

  • Schülerinnen und Schüler werden stärker als "handelnde Subjekte" einbezogen, indem die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer wie auch andere Akteure zunehmend in die Rolle von Moderatorinnen und Moderatoren schlüpfen und durch Anwendung veränderter Lehr- und Lernformen bei ersten betrieblichen Arbeitserfahrungen sowie bei der Entwicklung eines eigenen Zukunftskonzepts unterstützend tätig sind.
  • Die Stärkung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung als die heute vielleicht wichtigsten Kompetenzen im Arbeitsleben ist als Aufgabe nicht erst in Ausbildung und Beruf sondern bereits in der allgemein bildenden Schule erkannt. Ansätze hierzu finden sich in einer Reihe von Projekten des SWA-Programms. In der Organisation aufgabenbezogener Betriebspraktika, über die Arbeit an betrieblichen Problemstellungen bis hin zur Existenzgründung wird in vielen Projekten das Arbeitshandeln in einen Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung gestellt und als Leistung erkannt und anerkannt.
  • Es wird Berufswahl als Prozess begriffen, indem der Übergang an der so genannten ersten Schwelle nicht punktualisiert, sondern flexibilisiert wird, indem die bisherige Stundentafel modifiziert, individuelle Orientierung und Lernplanung ermöglicht und die einzelnen selbst entwickelten Schritte in die Ausbildung mit einem Berufswahlpass dokumentiert werden. Mit der Flexibilisierung der Übergangsphase zeichnen sich vor allem erhöhte Chancen für die so genannten Benachteiligten ab, deren Integration in das Erwerbsleben sich zumeist nur als sozialpädagogisch und unterrichtsfachlich begleiteter Prozess vorstellen lässt.
  • Kooperation und Vernetzung: Weil eine nachhaltige Verbesserung der Berufsorientierung durch die Schule allein nicht zu leisten ist, werden in einer Reihe von Projekten gemeinsame Anstrengungen von Schulen, Betrieben, Berufsberatungen und Eltern ("Kooperation") in organisatorisch verankerter Form ("Vernetzung") unternommen.

Aufgrund bisheriger Erfahrungen und Erkenntnisse konnten bereits neue Akzente bei der Programmgestaltung gesetzt und die Durchführung der neuen Projekte verbessert werden. In der zweiten Projektrunde sind vor allem Themen wie planmäßige Gründung und Organisation von Netzwerken, der Transfer von Projektideen und -ergebnissen, das systematische Vorantreiben von Schulentwicklungsprozessen und die Beschäftigung mit besonderen Gruppen stärker in den Vordergrund gerückt.