Welche Folgerungen ergeben sich nun aus diesen drei zentralen Herausforderungen an Arbeit und Beruf für den Übergang an der "ersten Schwelle"? Die strukturellen Veränderungen innerhalb der Erwerbsarbeit - Stichworte: Mikroelektronik, Dienstleistungen, Internationalisierung, Flexibilisierung - haben zwar eine erneute Diskussion um die Zukunft und Reform des dualen Systems der Berufsbildung angestoßen. Für die Phase der Berufsvorbildung haben sie jedoch noch keine vergleichbaren Veränderungsimpulse ausgelöst. Deutlich wird dies daran, dass mit den "alten" Begriffen wie "Berufswahlfähigkeit", "Ausbildungsfähigkeit" und "Arbeitsmarktfähigkeit" allein das Verhältnis von geänderten subjektiven Interessenlagen der Jugendlichen bei der Berufswahl einerseits und den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt andererseits nicht mehr angemessen bezeichnet werden kann. "Berufswahlfähigkeit" verengt die wichtige Kategorie des Berufs als Schnittpunkt objektiver Arbeitsmarkterfordernisse und subjektiver Entwicklungsbedürfnisse in und mit der Arbeit. "Ausbildungsfähigkeit" verengt die Wahrnehmung und Stärkung der Kompetenzen von Jugendlichen zu sehr auf die Erfordernisse des Beschäftigungssystems. Der Begriff "Berufsorientierung" scheint noch am wenigsten vorbelastet, wenn auch bislang eher ein "dünnes Abstraktum".

Nimmt man den Begriff "Berufsorientierung" gleichwohl als eine Art Suchbegriff, um die neue Situation am Übergang Schule-Arbeitsleben und vor allem die neu zu entwickelnden oder zu stärkenden Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern näher bestimmen zu können, so muss hier auch mehr als das traditionelle Verständnis von "Berufswahlfähigkeit" gemeint sein (zu einem erweiterten Begriff von Berufsorientierung, bei dem die Berufswahlvorbereitung nur eine von vier Dimensionen bezeichnet vgl. auch Schudy 2002). Unter "Berufswahlfähigkeit" konnte man bis weit in die siebziger Jahre hinein noch die Fähigkeit verstehen, sich unter genauer Kenntnis seiner Wünsche und Fertigkeiten wie auch des zumeist regionalen betrieblichen Ausbildungsplatzangebots für einen "Lebensberuf" entscheiden zu können.

Aus der Jugendforschung wie auch aus Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Schober/ Gaworek 1996; Fobe/ Minx 1996) wissen wir von der hohen Bedeutung, die Ausbildung und Beruf nach wie vor für die Jugendlichen haben. Zugleich ist zu konstatieren, dass die Gestaltung der Berufsbiografie weniger nach vorgegebenen Mustern verläuft, sondern zunehmend in die Entscheidung und Verantwortung des Einzelnen gelegt ist und die Berufswahl, als ein anhaltender, stufenweiser Prozess von Qualifikations- und Arbeitsplatzentscheidungen zu verstehen ist. Berufsorientierung wandelt sich von der gesteuerten Orientierung auf den Lebensberuf zu einer eigenverantwortlichen Berufswahl als Prozess, wobei man versucht, auf jeder Stufe Optionen für mehrere berufliche Alternativen zu erlangen.

Diese neue Art der Berufsorientierung, zu der das Entwerfen eines eigenen Zukunftskonzepts ebenso wie das Wissen um die betrieblichen Flexibilitätserfordernisse gehört, macht eine stärkere Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft erforderlich. Hierzu sind bei Wahrung und Akzeptanz aller Unterschiede in den Zielsetzungen beider Bereiche innovative Impulse gefragt, wie sie vom Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" gewünscht und gefördert werden (vgl. hierzu Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben": Zwischenbericht, Flensburg/ Bielefeld 2001).

Die Abstimmung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem ist kein eigengesetzlicher Prozess, sondern Resultat von Gestaltungsprozessen der beteiligten Akteure. Hieraus erwächst für die Jugendlichen zugleich eine wachsende Eigenverantwortung auch für die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Berufsbiografie. Gefordert sind hierauf bezogene neue Curricula sowie Lehr- und Lernmethoden, die besonders auf die Förderung von Selbstständigkeit, Team- und Kommunikationsfähigkeit orientieren.

Förderprogramme, Initiativen und unterstützende Maßnahmen seitens der arbeits- und bildungspolitisch Verantwortlichen können helfen, die Suche nach neuen Wegen zur Gestaltung von Berufs- und Erwerbsarbeit bereits in der Phase der Berufsvorbildung mit nachhaltiger Wirkung beginnen zu können.

Für die Jugendlichen ergeben sich hieraus je nach Qualifikationsvoraussetzungen unterschiedliche Probleme, aber auch Chancen. Nach den Prognosen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wird insbesondere für gering Qualifizierte das Arbeitsplatzangebot weiter schrumpfen. Aber auch höher Qualifizierte in abhängiger Beschäftigung werden nicht mehr die Sicherheit des Arbeitsplatzes vorfinden, die für sie bis in die siebziger Jahre anzutreffen war (vgl. Jansen 2000). Daraus folgt für die pädagogisch und politisch Verantwortlichen im Bereich der Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen, sich einerseits stärker als bisher auf die so genannten besonderen Gruppen ("Benachteiligte") zu konzentrieren und andererseits der Befähigung zum selbstständigen, eigen- und sozial verantwortlichen Handeln bis hin zur Option auf unternehmerische Selbstständigkeit ein größeres Gewicht einzuräumen.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Anmerkungen zum Wandel in der Berufs- und Arbeitswelt ist die Konkretion und Anwendung der Ziele und Förderkriterien zu verstehen, die sich aus dem Rahmenkonzept des Förderprogramms "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" ergeben und die für die Beratung und Begutachtung der einzelnen Projekte bedeutsam sind. Bei diesen Kriterien wird dem Aspekt "Berufsorientierung" angesichts des Wandels der Arbeits- und Berufswelt ein besonderes Gewicht zugemessen. Zugleich wurde und wird im Einzelnen gefragt, ob und welchen spezifischen Beitrag die Projekte etwa zur Stärkung der Ausbildungsfähigkeit von Mädchen leisten, ob und wie die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse angestrebt wird, welchen innovativen Beitrag das einzelne Projekt vor dem Hintergrund bereits laufender Maßnahmen im jeweiligen Bundesland leistet und wie die überregionale Kooperation, der Transfer von Projektergebnissen und die Vernetzung dieses Projektes mit anderen Projekten des Programms und darüber hinaus realisiert wird.