Das Verständnis von Arbeit, ihre Bewertung und ihre Beschreibung haben sich immer wieder verändert, je nach den Rahmenbedingungen, unter denen Menschen die Arbeit gesehen haben. Unser heutiger "Arbeitsbegriff" ist durchaus nicht losgelöst von den historischen Entwicklungen und den natürlichen und gesetzten Rahmenbedingungen. Er ist zudem vielfältig und zeigt auch aktuell eine hohe Dynamik. Die Zentralität von Arbeit in der Gesellschaft und für die Gesellschaft wird daran deutlich, dass Thesen vom "Ende der Arbeit" große Resonanz finden.
[/S. 439:] Hier soll die Frage nach dem "Beruf" untersucht werden: Wird es in der Zukunft noch Berufe geben oder wird Erwerbsarbeit ohne das, was wir als Beruf bezeichnen, abgeleistet? Wird es also, wie schon sehr früh formuliert wurde, nur noch Tätigkeitsmuster oder "Jobs" geben? Oder besteht weiterhin der Wunsch und/oder die Notwendigkeit, Berufe abzugrenzen, sie auszufüllen und in ihrem Rahmen Erwerbsarbeit zu leisten?
Neben den traditionellen Zuordnungen, die den Beruf als umfassenden Begriff festlegen, der eine Vielzahl von Teilkategorien mit jeweils unterschiedlichem Gewicht harmonisch integriert, sehen aktuelle Beziehungsmuster die Erwerbstätigkeit eher im Job, der ad hoc spezifische Tätigkeiten umfasst, ohne die weiteren Teilkategorien von Beruf mitzutransportieren.
Schließlich gibt es immer wieder Einschätzungen, die davon ausgehen, dass die Erwerbstätigkeit aus dem Lebenszentrum auswandert und andere Bezüge zentral werden und dass damit insbesondere der Beruf an den Rand gedrängt würde bis hin zur Aussage, dass Beruf ersatzlos gestrichen werden könnte, da er in der modernen Gesellschaft keine Bedeutung mehr habe.
Daraus ergibt sich ein breites Spektrum: Auf der einen Seite der Beruf in seiner umfassenden Gewichtung, in der die soziale und gesellschaftliche Existenz auf die berufliche Verortung bezogen wird, auf der anderen Seite eine Gesellschaft von Menschen, die weder Sinn noch Verständnis für eine berufliche Verortung aufbringen und ihre - auch berufsähnlichen - Aktivitäten über andere Lebenssphären definieren.
Die Dominanz beruflicher Kategorien zeigt sich in folgenden Zusammenhängen:
In Bilderbüchern, in Liedern sowie in Spielen sind berufsbezogene Aspekte immer sehr dominant gewesen (siehe dazu beispielsweise Wallendy 1949, im Überblick Schneider 1990). Waren es früher eher handwerkliche Berufe im Wohnumfeld - beispielsweise der Bäcker und der Kaufmann - die in den Büchern und Spielen vorkamen, so kamen dann Räuber und Gendarm, auch Soldaten, bis diese vom Fußballprofi abgelöst wurden - allesamt spezifische beruflich definierte Rollen. Konkret werden Berufsfragen bei der Berufswahl, die einerseits Selbstfindung, andererseits Wahrnehmung der Erwerbswelt beinhaltet, und in der als Ergebnis eine zukunftsgerichtete Einordnung in eine durchaus als beruflich empfundene und geprägte Zukunft steht. Allein hier zeigt sich die große Bedeutung und Nützlichkeit eines knapp zusammenzufassenden Begriffs für ein komplexes Phänomen, denn eine Orientierung nur auf der Basis von wechselnden Jobs oder vielfältiger Tätigkeiten dürfte weitaus schwieriger sein, als wenn auf klar beschreibbare Berufsfelder zurückgegriffen werden kann, wenn also die übergroße Vielfalt der Merkmale in charakteristischen Clustern überschaubarer Zahl zusammengefasst und konkretisiert ist.
Die heutigen Berufsbildungsstrukturen der Aus- und Weiterbildung sind zwar überwiegend berufsbezogen, nicht aber mit der Berufelandschaft kongruent. Für manche Berufe gibt es keine geschlossene Ausbildungen, andere sind erst über Weiterbildungszertifikate erreichbar, für manche gibt es lediglich Einarbeitungen. "Berufsausbildung" als ausschließlicher Weg in den jeweiligen Beruf hat - speziell im Dualen System - eine gewisse Tradition, doch daneben zeigen sich zunehmend offene Muster, in denen Bildungselemente individuell gewählt und zusammengestellt werden und somit keine spezifische Beruflichkeit über die Qualifizierung vermittelt wird oder sich noch nicht prägend ausgewirkt hat, da die Entstehung bzw. Schaffung eines Berufsbildes einen langwierigen Prozess darstellt.
In der Arbeitswelt wird der Beruf genutzt, um die Rolle des Einzelnen im Betrieb und in der Gesellschaft zu beschreiben und zu bewerten. Betriebe sind nicht nur gezwungen, für die Statistik der sozialversicherten Mitarbeiter Berufskennziffern anzugeben, sondern sie nutzen den Berufsbegriff sowohl in der Berufsausbildung als auch für die Personalwirtschaft und die Personalplanung. Allerdings zeigen sich deutliche Auflösungstendenzen (siehe dazu auch Baethge/Baethge-Kinsky 1998), da im Wandel betrieblicher Arbeitsteiligkeit die traditionellen Berufszuweisungen oft nicht mehr geeignet sind, die aktuellen Erwerbsstrukturen zu beschreiben. Von den Erwerbstätigen selbst ist aber eine Berufszuweisung weiterhin gewünscht und wohl auch erforderlich, insbesondere wenn sich die betriebliche Zuordnung lockert.
Nach dem Ausscheiden bzw. Rückzug aus der Erwerbstätigkeit ist für viele Menschen in der Rückschau der Lebensweg durch den Beruf und die berufliche Tätigkeit geprägt. Viele Menschen haben durchaus den Wunsch, weiterhin ihre Berufszugehörigkeit aufrecht zu halten, möglicherweise sogar die Zuordnung zum Betrieb, in dem sie längere Phasen ihrer Erwerbstätigkeit verbracht haben. Selbst im Ruhestandsalter spielen der frühere Beruf und die Art der abgeschlossenen Erwerbstätigkeit eine weiterhin dominante Rolle.
Ein Gegenbild dazu könnte der Mensch sein, der in einer Lebenswelt agiert, in der Berufe nicht wahrgenommen werden, weil in den sozialen Bezügen Menschen nicht in ihrer Berufsrolle, sondern in anderen Aktivitäten erlebt werden, in der die unmittelbaren Dienstleistungen von Menschen ad hoc in Form von Jobs ohne Einbindung in traditionelle Berufsrollen geleistet werden. Eine Berufswahl erfolgt nicht, es werden lediglich Gelegenheitsarbeiten ausgeübt, bei denen möglicherweise Berufstätigkeiten abgedeckt werden, die aber wechselhaft und ohne Stabilität sind.