Die heutige Diskussion über fachübergreifendes Lernen steht in einer längeren Tradition. Sie hat Konzepte von Gesamtunterricht und kooperativem Unterricht (1) zu Vorläufern. Mit Fächern wie "Gemeinschaftskunde" und "Gesellschaftslehre" (2) liegen auch praktische Großversuche vor. Sozialkunde scheint ein bewährter Ansatz fachübergreifenden Lernens zu sein, der selbst zum (Schul-)Fach geworden ist. Das hat Sozialkunde aber nicht davor bewahrt, der Forderung fachübergreifenden Lernens zu entgehen. In den 70er Jahren war die Diskussion um die Begriffe Integration, Kooperation und Eigenständigkeit zentriert (3). Heute tritt "fächerübergreifender (bzw. fachübergreifender oder fächerverbindender) Unterricht" an ihre Stelle. Vor über 20 Jahren (4) habe ich mich an dieser Debatte beteiligt, Grund genug, die eigenen Positionen zu überprüfen und auf neue Tendenzen zu reagieren. Auf Grund dieser jahrzehntelangen Diskussion sind nicht nur die theoretischen Prämissen, sondern auch die ihnen folgende Praxis beurteilbar.
Der Forderung nach fachübergreifendem Lernen liegt die Annahme zu Grunde, dass die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen und damit auch die mit ihnen korrespondierenden Schulfächer zu Erkenntnisgrenzen geworden seien. Eine Atomisierung der Fächer habe die Einheit der Wissenschaft bzw. der wissenschaftlichen Rationalität zerbrochen. Auf Grund dieser Entwicklung benötigten wir mit "fachübergreifendem Lernen" eine pädagogisch-didaktische Reparaturinstanz.
Unter drei Gesichtspunkten will ich untersuchen, ob die Forderung nach fachübergreifendem Lernen eine didaktische Notwendigkeit oder ein pädagogisches Artefakt - oder vielleicht beides gleichzeitig - ist:
- Wissenschaftstheoretische Ebene
- Wissenschaftshistorische Ebene
- Wissenssoziologische Ebene.
Das Problem der Integration, Kooperation und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer sowie des fächerübergreifenden Unterrichts ist weniger ein bildungspolitisches als ein didaktisches Problem. Es hat viel damit zu tun, wie die Fachdidaktiken sich selbst begreifen und wie sie die Wissenschaftsdisziplinen, auf die sie sich beziehen, auffassen. Ich deute nur an, dass ich Fachdidaktiken - gleich ob naturwissenschaftlicher oder geisteswissenschaftlicher Herkunft - für Kulturwissenschaften halte. Im Moment verstehen sich allerdings ihre Vertreter entweder als Interessenvertreter ihrer "Bezugsdisziplin" oder als Anwälte einer imaginären - wie ich meine - "pädagogischen Wirklichkeit".
Diese Konzeption von Fachdidaktik hat die Befunde von Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenssoziologie zur Kenntnis zu nehmen. Sie kann nicht so tun, als wenn deren Argumente sie nichts angingen.