a) Bereits auf der Ebene der Bezugsdisziplinen sind Asymmetrien unverkennbar. Während Geschichtsunterricht in der Geschichtswissenschaft eine eindeutige Bezugsdisziplin besitzt, greift das Fach Sozialkunde/Politik auf Politologie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre zurück. Politologie hat sich aber in den letzten Jahren in dieser Trias zur Leitdisziplin entwickelt. Während historisches Lernen sich stärker auf die Bezugsdisziplin Geschichtswissenschaft bezieht, geht politisches Lernen mehr von der erfahrenen politischen Lebenswelt aus. Das eine Fach ist mehr disziplinär, das andere mehr erfahrungsorientiert.
b) Hemmend für eine Zusammenarbeit wirkte sich auch die Ansicht aus, Geschichte und Politologie unterschieden sich durch unterschiedliche Ausschnitte von Wirklichkeit. Die geschichtstheoretische wie die methodologische Diskussion der Politologie haben diese Ansicht aber als unzutreffend erwiesen. Weder kann man der einen Disziplin die Vergangenheit, noch der anderen die Gegenwart zuordnen. Auch die angenommene Zuständigkeit der Geschichtswissenschaft für "die Geschichte" und die der Politikwissenschaft für die "gegenwärtige Lebenswelt" ist unzutreffend. Gegenwart ist ebenso eine Kategorie der Geschichte, wie sich Politik auch der Vergangenheit zuwenden kann.
c) Ebenfalls unzutreffend ist die Annahme von disziplinunabhängigen Gegenständen, auf die sich dann die einzelnen Disziplinen richten müssten. Es gibt keine vorwissenschaftlichen "Gegenstände an sich", die dann nur durch die unterschiedlichen Disziplinen [/S. 320:] erklärt werden müssten. Es ist wissenschaftstheoretisch nicht haltbar, dass eine pädagogische Vereinbarung, sich mit den gleichen Gegenständen zu beschäftigen, schon Integration und politische Bildung ermögliche. Demgegenüber ist festzustellen, dass Gegenstände sich erst durch die verschiedenen disziplinären Sichtweisen konstituieren. "Krieg" ist kein disziplinunabhängiger Gegenstand, sondern je nach disziplinärer Sicht erhalten wir verschiedene Gegenstände, auch wenn die einzelnen Disziplinen den gleichen umgangsprachlichen Namen dafür verwenden.
d) Als Wissenschaftsdisziplinen bzw. Unterrichtsfächer sind "Fächer" spezifische Sichtweisen auf Wirklichkeit, die sich zum Zweck wissenschaftsförmiger Rationalität an Methoden gebunden haben. Wenn Geschichts- und Politikwissenschaft Beiträge zur Orientierung in der Gegenwart leisten sollen, ist es notwendig, dass sie ihre eigenen Fragestellungen und ihre eigenen methodischen Zugriffe nicht aufgeben. Es kommt darauf an, dass in der politischen Bildung gelernt wird, sich der einzelnen Sichtweisen auf Welt zu bedienen.