Politische Bildung ist nicht identisch mit den Erkenntnissen von Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie etc. Zum Zwecke von Bildung müssen die Ergebnisse einer didaktischen Reflexion unterzogen werden. Das geschieht auf drei Ebenen.
(1) Für Politische Bildung sind zunächst und im engeren Sinne Geschichts- und Politikunterricht (bzw. Sozialkunde) zuständig. Sie liefern grundlegende Sach- und Zeitorientierung.
(2) Vom Anspruch her ist politische Bildung aber Unterrichtsprinzip und deshalb sind prinzipiell alle Fächer daran beteiligt. Politische Bildung als Unterrichtsprinzip ist die "permanente, in der didaktischen Konzeption jedes Faches wie bei der didaktischen Planung der einzelnen Unterrichtsthemen mit zu reflektierende Aufgabe aller Fächer" (Sander 1989, 163). In dieser Reflexion wird die politische Dimension des jeweiligen Faches herausgearbeitet, d. h. es wird bestimmt, welchen Beitrag das jeweilige Fach einschließlich seiner Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse zur Regelung der herrschaftsgeordneten Angelegenheit menschlicher Gemeinschaften leistet. Der Beitrag der politischen Dimension erschließt sich in drei Hinsichten. (a) Die Reflexion der politischen Dimension liefert eine vertiefte Kenntnis des jeweiligen Fachgegenstandes. So liegt beispielsweise die politische Dimension der französischen Menschenrechtserklärung im Problem der Universalisierbarkeit; der Nationsbildungsprozess des 19. Jahrhunderts steht in Verbindung mit der Reaktivierung von Ethnizität bei gleichzeitig zunehmender weltweiter Migration etc. Angesichts der wieder zunehmenden Personalisierung im Geschichtsunterricht ist erneut daran zu erinnern, dass in dem Verfahren der Personalisierung die Gefahr der politischen Apathie steckt. (b) Politische Bildung als Prinzip erschließt Aspekte des Politischen, die nur von den jeweiligen Fachdisziplinen erhoben werden können. Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht können besser als andere Disziplinen die Wirkung langandauernder Mentalitäten explizit machen. Alltagsgeschichte verdeutlicht Wahrnehmungsmuster alltäglichen Handelns, die politisches Handeln beeinflussen, ohne dass sie erkannt und diskutiert werden. (c) Politische [/S. 321:]Bildung als Prinzip orientiert die fachspezifischen Inhalte auf die Grundprobleme ("Schlüsselprobleme") der gegenwärtigen Situation, so dass diese Probleme von unterschiedlichen Disziplinen bearbeitet werden können.
(3) Politische Bildung ist aber nicht nur schulische Aufgabe. Als politisch gewollter Auftrag ist sie in den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung institutionalisiert. "Die Bundeszentrale hat die Aufgabe, durch Maßnahmen der politischen Bildung im deutschen Volk das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewußtsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken" (§ 2 des Erlasses vom 8. Dezember 1987 über die Bundeszentrale für Politische Bildung).