Wenn Jugendliche aufgrund ihrer biografischen Situation am Ende ihrer Schulzeit eine Berufswahlentscheidung (noch) nicht treffen können (was sich insbesondere am fehlenden Hauptschulabschluss festmacht), gelten sie als nicht ausbildungsreif. Sie können dann an einer einjährigen Maßnahme zur Berufsvorbereitung teilnehmen. In der Praxis ist dabei zu unterscheiden zwischen dem Besuch eines Ausbildungs- oder Berufsvorbereitungsjahres (AVJ/ BVJ) an einer Berufsschule und der Teilnahme an einer BfA-geförderten Maßnahmen eines freien Trägers. Die Entscheidung darüber, welcher der beiden Wege eingeschlagen wird, ist im Wesentlichen durch die Berufsberatung bestimmt.
Das schulische Berufsvorbereitungsjahr wird dabei durch die ausschließliche Fixierung auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses und aufgrund der mangelnden Möglichkeiten einer weitergehenden Qualifizierung oder des Erwerbs von Arbeitserfahrung meist als unproduktive Warteschleife erlebt. "Der Sackgassencharakter des BVJ wird durch eine Doing-Gender-Struktur verstärkt: Die überwiegend geschlechter-homogene Aufteilung der Schülerinnen auf die Berufsschultypen verhindert, eigene Interessen und Fähigkeiten in einem breiteren Spektrum auszuprobieren. Insofern stellt es eine rein kompensatorische Maßnahme mit überdies geringen Vermittlungsquoten dar." (Schneider 2001, S. 3)
Im Kontrast dazu bieten die Maßnahmen außerschulischer Träger der Benachteiligtenförderung von ihrer Intention her eine sinnvollere Möglichkeit, das Berufsleben kennen zu lernen, die eigenen Chancen realistisch auszuloten und die Wahlmöglichkeiten zu vergrößern. Die Teilnahme an diesen Maßnahmen hat jedoch für die Jugendlichen ihren sozialen Preis. Sie ist nur möglich durch die Festschreibung eines "Devianz-Status". Die Bereitstellung von Sonderwegen lässt sich nur legitimieren durch die Identifikation eines Sonderstatus. Die Stigmatisierung als Benachteiligte ist somit zwingende Bedingung für staatliche Intervention und Hilfe (Ulrich 1998, S. 370). Dennoch wächst seit Ende der 70er Jahre die Zahl der Jugendlichen, denen ein Einstieg ins Erwerbsleben nur mit Hilfe zusätzlicher Förderung gelingt, [/S. 214:] kontinuierlich an. Die bunte Landschaft von staatlichen und arbeitsamtgeförderten Maßnahmen fungiert als Brücke zwischen Schule und Beruf mit dem Anspruch, soziale Desintegration zu verhindern und die Jugendlichen individuell auf eine Ausbildung vorzubereiten. Mit hohem finanziellen und pädagogischem Aufwand werden hier die Auswirkungen dominanter Selektionsprinzipien abgefedert und es wird versucht, strukturelle Mängel des Ausbildungssystems auszugleichen. In diesem Kontext von Berufswahl zu sprechen, suggeriert das Vorhandensein eines breiten Angebotes von Wahlmöglichkeiten. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Vorstellung jedoch als Mythos. Insbesondere für benachteiligte Jugendliche stellt sich der Prozess der Auswahl eher im negativen Sinne als soziale Selektion dar.
Berufswahlentscheidungen von Jugendlichen sind in erster Linie durch ihr soziales Umfeld, die Familie und den Freundeskreis geprägt. Die hier vorherrschenden religiösen und kulturellen Orientierungen, die Vorstellungen über das Rollenverhalten von Männern und Frauen und die konkreten Berufserfahrungen wirken maßgeblich prägend auf die Vorstellung von Jugendlichen über ihre berufliche Zukunft. Gleichwohl besteht bei vielen zunächst eine Diskrepanz zwischen dem "Traumberuf" und den realistisch zu erwartenden Beschäftigungsperspektiven. Oft schätzen Jugendliche das Verhältnis von Arbeitstätigkeit, Entlohnung und Konsum falsch ein. Sie träumen von einem Beruf, bei dem sie viel Geld verdienen, wenig arbeiten und sich nicht dreckig machen. Wie wichtig es ist, in dieser biografischen Phase und unter diesen sozialen Bedingungen Raum und Zeit für eine berufliche Orientierung zu erhalten, zeigt die Tatsache, dass die Mehrheit der TeilnehmerInnen an einjährigen Berufsvorbereitungsmaßnahmen während dieser Zeit den Berufswunsch mindestens einmal ändert. (1) Diese Änderung kommt in der Regel einer realistischen Anpassung an die Gegebenheiten des lokalen Arbeitsmarktes und an die eigenen Potenziale gleich. Betriebspraktika sind dabei von zentraler Bedeutung.
Eine Wahl kann nur treffen, wer eine Auswahl hat. Für die Jugendlichen bedeutete dies, verschiedene Berufsfelder zu kennen und möglichst eigene Erfahrungen darin gemacht zu haben, bevor sie eine Entscheidung treffen. Das in den Fördereinrichtungen bereitgestellte Entscheidungsspektrum ist jedoch nur partiell durch die Gegebenheiten eines aktuellen Ausbildungsstellenmarktes geprägt. Die hauseigenen Angebote für eine praktische berufliche Erprobung sind begrenzt und bieten auch aus geschlechtsspezifischer Perspektive ein erschreckend konventionelles Bild. Eine Befragung des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) von Trägereinrichtungen für Maßnahmen der überbetrieblichen Berufsausbildung ergab im Jahr 2000, dass überwiegend in herkömmlichen, produktionsorientierten oder kaufmännischen Berufsfeldern ausgebildet wird. Maßnahmen, die Jugendliche an die [/S. 215:] neueren IT- oder Dienstleistungsberufe heranführen, sind vergleichsweise selten (vgl. Linder 2000) (2). Auch die Maßnahmen zur Berufsvorbereitung konzentrieren sich vor allem auf die Berufsfelder Holztechnik, Hauswirtschaft, Wirtschaft und Verwaltung, Metalltechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung. (vgl. BIBB-forum 11/2001)
Entsprechend zeigt eine Analyse der Berufe, die von Jugendlichen in überbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen gewählt wurden, ein eher traditionelles Bild, das stark von Geschlechterstereotypien geprägt ist. Mädchen wurden vor allem zur Modenäherin, Damenschneiderin, Friseurin und in hauswirtschaftlichen Berufen ausgebildet, Jungen wurden hauptsächlich in metalltechnischen Berufen und in Berufen des Baugewerbes ausgebildet (BIBB 2000). Begrenzte Auswahl und traditionelles Wahlverhalten verstärken wechselseitig bereits existierende Einschränkungen der Ausbildungsmöglichkeiten der Jugendlichen.