Für die Maßnahmen der beruflichen Orientierung ebenso wie für die außerbetriebliche Ausbildung trifft es zu, dass die außerschulischen Träger der Benachteiligtenförderung aufgrund ihrer strukturellen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ein pädagogisches Angebot bereithalten können, das sich grundsätzlich von dem der Schule unterscheidet. Zwar bildet auch hier der Berufsschulunterricht einen wichtigen Baustein, der insbesondere im Hinblick auf den in der Regel von den Jugendlichen nachzuholenden Hauptschulabschluss von großer Bedeutung ist, den zeitlich größeren Anteil haben jedoch praktische Lernerfahrungen. Diese werden nach der Leitidee des handlungsorientierten Lernens (1) konzipiert, sozialpädagogische Aspekte sind systematisch integriert. Sie werden durch Betriebspraktika ergänzt. In enger Kooperation von AusbilderInnen, SozialpädagogInnen und BerufschullehrerInnen kann so eine passgenau auf den einzelnen Jugendlichen ausgerichtete, individuelle Förderung auf dem Weg in Ausbildung und Beruf erreicht werden. Die Bundesanstalt für Arbeit hat in entsprechenden Erlassen (42/96 und 5/99) die finanzielle Förderung der Maßnahmeträger an explizite Qualitätskriterien gekoppelt, zu denen u. a. auch die Ausrichtung der pädagogischen Grundhaltung an den Prinzipien des handlungsorientierten Lernens und eine Kompetenzen fördernde, an der Lebensrealität der [/S. 216:] Jugendlichen orientierte Befähigung zur selbstständigen Lebensführung gehören. Da gleichzeitig die finanzielle Förderung immer nur für die Dauer eines Lehrgangs gesichert ist und die Träger sich regelmäßig in einem Ausschreibungsverfahren der Konkurrenz stellen müssen, wird eine kontinuierliche Qualitätskontrolle und Selbstevaluation sichergestellt, die eine stetige Aktualisierung der Inhalte und Methoden begünstigt - freilich zum Preis von unsicheren und kurzfristigen Arbeitsperspektiven für die pädagogischen MitarbeiterInnen selbst.
Diese Rahmenbedingungen sind ein Grund dafür, dass diese Einrichtungen eine größere Integrativkraft entfalten können als Schule und andere (Berufs-)Bildungsinstitutionen. Weit wirkungsvoller ist jedoch, dass sie Jugendliche gezielter ansprechen und ihnen in praktischen Kontexten unmittelbar positive Lernerlebnisse vermitteln können. Die pädagogische Programmatik ist gekennzeichnet durch:
- Kompetenzorientierung,
- Handlungsorientierung,
- Praxisorientierung,
- sinnstiftende Lernkontexte,
- realitätsnahe Arbeitserfahrungen,
- Lebensweltorientierung,
- Nutzung von Lerngruppen als Ressource,
- aktive und gestaltende Teilhabe der Jugendlichen. (vgl. Niemeyer 2001, 2002)
Handlungsorientierung als Leitprinzip für die Gestaltung von Lernprozessen zielt darauf ab, dass die Jugendlichen in einer Lernumgebung, die sie als sinnvoll erfahren, befähigt werden, selbstständig die sechs Schritte einer vollständigen beruflichen Handlung (Informieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren und abschließendes Bewerten) zu vollziehen. Planvolles Handeln und die Aneignung problemlösender Fähigkeiten werden in den Mittelpunkt des Lernprozesses gestellt. Bei der Beantwortung der entsprechenden Fragen, was getan werden soll, wie vorzugehen ist, welche Hilfsmittel eventuell benötigt werden, ebenso wie bei der praktischen Ausführung eines Arbeitsauftrages und der anschließenden Bewertung des Ergebnisses und der Reflexion der eigenen Arbeit im Hinblick darauf, was ggf. beim nächsten Mal besser zu machen sei, sind andere Jugendliche von großer Hilfe. Selbstständigkeit und Sozialverhalten werden in Lerngruppen gefördert, man lernt von- und miteinander. Ein solcher Ansatz baut auf ein verändertes Selbstverständnis der pädagogischen MitarbeiterInnen und weist ihnen neue Rollen innerhalb des Lernarrangements zu. Statt zu belehren und vorzumachen stellen sie nun konstruktive Fragen, beraten die Jugendlichen bei der [/S. 217:] Lösungssuche oder moderieren Gruppenprozesse, um die selbstständigen Lernaktivitäten der Jugendlichen zu fördern. Eine weitere Herausforderung besteht darin, Lernsituationen zu gestalten, die es den Jugendlichen ermöglichen, auf bereits entwickelte Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zurückzugreifen. "Die Erfahrung, etwas zu wissen und zu können, ist der Ausgangspunkt für die (Weiter-)Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl und damit auch die Basis für einen neuen, anderen Zugang zum Lernen." (INBAS 1998, S. 44). Zur Förderung der Berufsreife gehört auch die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen, die zu einer selbstständigen, aktiven und gestaltenden sozialen Teilhabe befähigen. Bei der Wahl der Methoden sind die PädagogInnen dabei sehr frei und können auf Konzepte aus dem ökologischen, künstlerisch-kreativen, freizeitpädagogischen, sportlichen und interkulturellen Bereich zurückgreifen. Lernprozesse lassen sich leichter initiieren, wenn sie einen Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen haben, d. h. wenn Aufgaben oder Themenstellungen gewählt werden, mit denen die Jugendlichen eigene Erfahrungen verknüpfen können oder wenn ihre Lebenswelt zum Ziel von Erkundungen wird, aber auch wenn Eltern oder andere Bezugspersonen und -gruppen in die begleitende Arbeit des Maßnahmekonzeptes mit einbezogen werden (ebd., S. 48).
Obwohl auch in dem weiten Feld der Benachteiligtenförderung in der Praxis pädagogischer Anspruch und Wirklichkeit nicht immer deckungsgleich sind, kann hier doch gezielter darauf hingewirkt werden, Lernblockaden abzubauen, zur Qualifizierung zu motivieren und Lernerfolge zu vermitteln. Nicht zuletzt die Koppelung der Förderung an pädagogische Qualitätskriterien verhindert, dass sich pädagogische Trägheiten und strukturelle Verkrustungen herausbilden. Selbst angesichts tendenziell sinkender Jugendarbeitslosigkeitszahlen wird Benachteiligtenförderung mittlerweile als "Daueraufgabe und integraler Bestandteil der Berufsausbildung" betrachtet (Berufsbildungsbericht 2001, S. 12). Benachteiligtenförderung kann zwar schulischen Defiziten mit adäquateren Mitteln begegnen, gleichwohl sind den pädagogischen Ansprüchen in der Praxis oft Grenzen gesetzt - vor allem durch die Gegebenheit des Arbeitsmarktes. Berufliche Orientierung bedeutet daher auch, darauf hinzuwirken, dass die Jugendlichen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt realistisch einschätzen und an dieser Einsicht nicht scheitern. Die alltägliche Herausforderung der PädagogInnen besteht darin, diesen widersprüchlichen Prozess auszuhalten und auszugleichen. [/S. 218:]