Die große Vielfalt der Ausbildungsgänge dürfte eine Folge veränderter Bedarfsstrukturen im Beschäftigungssystem sein. Immer häufiger werden - geboren aus singulären Bedarfsaussagen - zusätzliche Kombinationen von Qualifikationselementen zu neuen Berufsausbildungen zusammengesetzt. Dabei handelt es sich nur selten um völlig neue Qualifikationselemente, sondern meist um eine neue Mischung verstreut bereits vorhandener Elemente im Sinne aktueller Forderungen. Die Probleme beim Übergang aus der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit haben die Autonomie der Ausbildung reduziert, da Ausbildungen immer spezifischer auf den aktuellen Bedarf hin ausgerichtet werden. Qualifikationen und ihre Vermittlung werden zunehmend unter dem unmittelbaren Verwertungsaspekt gesehen.
Wenn richtig ist, dass sich die Spezialisierung weiter erhöht, dann ist es nur plausibel, wenn auch die Vielfalt der angebotenen Berufsausbildungen zunimmt. Dies erfolgt vor allem im schulischen Bereich durch immer neue Kombinationen. Dort dienen Spezialisierungen der Abgrenzung, sie werden im Marketing privater Bildungsträger intensiv genutzt und sind oft Profilierungselement für die Lehrenden und Organisatoren.
In der Dualen Ausbildung existiert dagegen ein Bedarf nach Straffung, weil die Betriebe klare und übersichtliche Vorgaben benötigen und die Berufsschule berufsspezifische Angebote regional nur bei einer ausreichenden Zahl von Auszubildenden im jeweiligen Beruf verwirklichen kann. Bei dieser Erosion wird der Berufsbegriff gern umgangen, denn dieser signalisiert in der Ausbildung immer noch eine gewisse Abrundung und eine umfassende Basis der gebündelten Qualifikationsziele. Die erste Stufe dazu ist die Entfernung der Ausbildungsabschlussbezeichnung von der Bezeichnung des Zielberufs. Es ist bezeichnend, dass seit fast zwei Jahrzehnten Ausbildungsordnungen verabschiedet werden, die Berufsbezeichnungen transportieren, die den Voraussetzungen von Klarheit, Prägnanz und Kürze eklatant widersprechen. So sind erhebliche Veränderungen erfolgt (siehe dazu BIBB 1997, Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe), beispielsweise:
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- früher: Weber/in - heute: Textilmaschinenführer/in, - Weberei
- früher: Konditor/in - heute: Fachkraft für Süßwarentechnik (mit Ausbildung in vier Fachrichtungen)
- früher: Elektroinstallateur/in - heute: Industrieelektroniker/in, Fachrichtung Gerätetechnik.
Diese Wortungetüme sind Ergebnis einer differenzierten Optimierung von Qualifikationselementen, sie sind aber nicht transportabel für die Identifikation mit einer Rolle in der Gesellschaft. Es ist bedeutsam, dass im Gegensatz zu diesen ausdifferenzierten und spezialisierten Ausbildungsabschlussbezeichnungen die umgangssprachlichen Kurzformen wie beispielsweise "Mechaniker", "Kaufmann" oder "Elektroniker" immer häufiger bei Befragungen genannt werden. Offenbar lässt sich nur so berufliche Identität signalisieren.
Eine zweite Stufe bei dieser Zersplitterung wird durch die neue Kombination von Berufsinhalten ausgelöst. Immer wieder werden additiv zusätzliche Inhalte auf bestehende Ausbildungen aufgesetzt, bis sie ein inhomogenes Spektrum von Inhalten darstellen, das keine Identifikationsrelevanz mehr hat. Bindestrich- und Hybridberufe für integrative Aufgabenlösung, Aufbau- und Doppelausbildungen sowie die Ergänzung des Qualifikationsprofils durch Fort- und Weiterbildungen führen zu individuellen Qualifikationsmustern, die in dieser Vielfalt weder von den Erwerbstätigen noch von den Arbeitsorganisatoren überblickt werden können. Neben der inhaltsbezogenen Differenzierung der Ausbildungsabschlussbezeichnungen ist auch zu beobachten, dass ähnliche Ausbildungen mit unterschiedlichen Etiketten versehen werden.
Der Vorschlag, offene dynamische Berufsbilder zu schaffen (Heidegger/Rauner 1997: 20 ff.), führt ebenfalls zu einer neuen Vielfalt, die die Orientierung erschwert. So sollen nur 50 bis 60% der Inhalte betrieblicher Ausbildung als Kern bundeseinheitlich geregelt werden, 20 bis 30% betriebs- und regionalspezifisches Anwendungswissen und 20 bis 30% arbeitsplatz- und betriebsbezogenes Zusatzwissen sollen individuell ergänzt werden. Die Auszubildenden wären also - was ihre Qualifikationsbasis anbetrifft - nur im Bereich der Kerninhalte vergleichbar, die Arbeitgeber müssten zusätzlich analysieren, wann und wo der/die Bewerber/in diese Ausbildung absolviert hat, welcher Betriebsbezug in der Ausbildung wirkte und dabei die möglichen Lücken und ihren Ausgleich bedenken. Die heutige Regulierung mit bundeseinheitlichen Abschlussprofilen wäre ersetzt durch ein Spektrum verschiedener Profile, ohne dass dies durch die Abschlussbezeichnung deutlich würde. Dieses Modell ist eher dort relevant, wo Auszubildende unmittelbar an innerbetrieblichen Spezifika angepasst werden sollen, nicht für einen breiten Arbeitsmarkt. Dies macht Sinn vor allem dann, wenn auch alle Ausgebildeten im Betrieb übernommen würden, doch die erkennbare Entwicklung ist eher gegenläufig.
So ist es durchaus relevant, wenn durch die Öffnung der Ausbildung Mobilität gefördert werden kann. Ein Verzicht auf tradierte Beruflichkeit (siehe dazu die Übersichten 1 und 2) könnte Rekrutierungsstrategien fördern, wie sie aus dem anglo-amerikanischen Raum berichtet werden, bei denen die Frage, ob sich jemand einen Job, also eine spezifische Tätigkeit, die nicht im Rahmen eines mehrdimensional verorteten Berufes geleistet wird, zutraut, ob er/sie in knapper Zeit mit der Aufgabe zurechtkomme, neben der Sozial- und Humankompetenz über die Jobchancen entscheide. Ausbildung für die Erwerbsarbeit reduziert sich damit auf eine Sozialisation, die die nötige Handlungskompetenz aufzubauen hätte.
Parallel dazu ist dann aber zu erwarten, dass es weiterhin Semi- und Vollprofessionen gibt, bei denen schon wegen der Qualität der Leistungen auf "Professionals" (eine alte deutsche Bezeichnung war "Professionist") nicht verzichtet werden kann. In diesem Segment bleiben berufsbezogene Qualifizierungsmodelle mit spezifischer Berufseinmündung im Rahmen der angebotenen Arbeitsplätze erhalten, die Tendenz geht hier eher in eine enger gebündelte Grundausbildungsstruktur mit erst anschließender Spezialisierung.