Seit den achtziger Jahren zeigt sich ein deutlicher Erosionsprozess. In der ersten Hälfte der vorigen Dekade waren erstmals mehr als zwei Millionen Personen als erwerbslos registriert. In den neunziger Jahren sprang die Zahl auf inzwischen über vier Millionen oder mehr als zehn Prozent. [/S. 15:] Bezieht man die Personen, die an Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit teilnehmen, sowie die potenziellen Arbeitnehmer in der "Stillen Reserve" ein, dann ergibt sich im Jahre 1999 ein Beschäftigungsdefizit von etwa sieben Millionen Arbeitsplätzen (vgl. Streeck/ Heinze 1999, S. 38).
Zugleich hat der Anteil von Erwerbsformen, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen, empirisch enorm zugenommen. Die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen schätzt, dass der Anteil von Personen in "Normarbeitsverhältnissen", d. h. mit unbefristeten Vollzeitverträgen, in Westdeutschland zwischen 1970 und 1995 von fast 84 Prozent auf 68 Prozent aller abhängig Beschäftigten zurückgegangen ist (vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997, Bd. I, S. 64).
Stark zugenommen hat demnach vor allem die Teilzeitbeschäftigung - von 6 Prozent auf 23 Prozent; sie wird ganz überwiegend von Frauen ausgeübt. Ein Teil dieser Beschäftigungsverhältnisse ist arbeits- und sozialrechtlich voll geschützt; ein anderer, die so genannten "geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse", sind auf einen monatlichen Höchstverdienst von gegenwärtig 630 DM begrenzt und vermitteln in der Regel allenfalls geringfügige Ansprüche auf soziale Sicherung. Bemerkenswert ist die schnelle Ausweitung des Anteils dieser Beschäftigungsform insbesondere in den neunziger Jahren (1). Neben der Teilzeitarbeit bildet die formell befristete Beschäftigung eine zweite große Gruppe "abweichender" abhängiger Erwerbstätigkeit. Sie macht (ohne Ausbildungsverhältnisse) etwa fünf Prozent abhängiger Beschäftigung aus, hat allerdings seit Mitte der achtziger Jahre nur geringfügig zugenommen (vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997, Bd. I, S. 64 und Bielinski 1997, S. 171 ff.). Schließlich haben sich auch weitere Beschäftigungsformen ausgeweitet, so die Leiharbeit und die öffentlich subventionierte Beschäftigung (ABM-Maßnahmen).
Bei allen statistischen Ungenauigkeiten und widersprüchlichen Interpretationen kann man insgesamt von einer starken Differenzierung der abhängigen Beschäftigung ausgehen. Das "Normarbeitsverhältnis" hat an Verbreitung verloren; zugleich haben Beschäftigungsformen zugenommen, die kein existenzsicherndes Einkommen, kaum stabile Perspektiven und/ oder nur eingeschränkten arbeits- und sozialrechtlichen Schutz bieten. Zusammen mit der Arbeitslosigkeit tragen sie zur Ausbreitung diskontinuierlicher Erwerbsbiografien bei, die nur noch in unzulänglichem Maße Ansprüche an ein System der sozialen Sicherung begründen, welches noch auf dem Normalarbeitsverhältnis aufbaut. Hohe Arbeitslosigkeit und die Ausweitung von "abweichenden" Beschäftigungsverhältnissen schaffen so wachsende Probleme generations- und geschlechtsspezifischer sozialer Ungleichheit: Einer älteren Generation (überwiegend Männer), die lebenslang im Normalarbeitsverhältnis erwerbstätig war und volle Ansprüche auf die soziale Sicherung erworben hat, stehen große Gruppen von Personen gegenüber, die wegen reduzierter oder diskontinuierlicher Beschäftigung nicht mit einer hinreichenden und stabilen individuellen Sicherung rechnen können, so vor allem Frauen und jüngere Arbeitnehmer.