Die Zeiten sind vorbei, in denen Migration in Politik und Öffentlichkeit eine gesellschaftliche Randerscheinung darstellte. Der folgende Beitrag handelt von einem Drittel der Kinder, die heute in der Bundesrepublik Deutschland leben und davon, ob wir ihre und unsere Zukunftschancen nutzen oder vertun.
"Langfristig Wohlstand sichern. Humanitär handeln. Miteinander leben." Das sind die Grundprinzipien, auf die sich die Zuwanderungskommission unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verständigt hat.
Deutlicher als die handelnden Politiker bisher hat die Zuwanderungskommission der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass gerade die Anstrengungen in Richtung gesellschaftliche Integration und tatsächliche Einbürgerung von Migranten einen neuen Schub brauchen. Bestätigt wird dies zudem durch die neuesten Ergebnisse der PISA-Studie, die auf erhebliche Schwächen im Schulsystem hinweisen.
Was not tut, ist eine umfassende Qualifizierungsoffensive, die in den Blick nimmt, dass etwa ein Drittel aller Kinder in Westdeutschland und insbesondere in den Ballungsgebieten, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind.
In der Bundesrepublik leben über 7 Millionen Menschen mit ausländischem Pass und über 2 Millionen Spätaussiedler, die zwar die deutsche Staatsangehörigkeit haben, aber gleichfalls Zuwanderer sind. Es gibt darüber hinaus viele hunderttausend Eingebürgerte. Es besteht ein erhebliches Interesse daran, diese und andere Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sozial und ökonomisch zu integrieren. Das gilt insbesondere auch für die junge Generation.
Um Chancengleichheit zu realisieren, sind Bildung, Ausbildung und Weiterbildung, aber auch gleiche Chancen beim Zugang zum Arbeitsmarkt zentral.
Ein großer Teil der Jugendlichen ausländischer Herkunft - und auf sie bezieht sich überwiegend die nachfolgende Analyse (s. u.) - ist bereits in Deutschland aufgewachsen. Vielfach kennen sie das Heimatland der Eltern bzw. Großeltern aus dem Urlaub, aus Erzählungen oder Medien. Die Mehrheit ist in Deutschland fest verankert und hat einen Platz in der Gesellschaft gefunden: Jugendliche ausländischer Herkunft sind Teil der pluralisierten Lebenswelten von Jugendlichen in Deutschland.
12 % der Kinder in Westdeutschland haben einen ausländischen Pass, über 7 % stammen aus binationalen Ehen. Rechnet man noch die Kinder hinzu, deren Eltern als Aussiedler zwar einen deutschen Pass haben aber gleichfalls zugewandert sind sowie die Kinder, deren Eltern eingebürgert sind und einen Migrationshintergrund haben, so sprechen wir heute von rund einem knappen Drittel der Kinder in Deutschland, die mit mindestens einem Eltern- oder Großelternteil einen Migrationshintergrund besitzen: Ihre Eingliederung in Berufsausbildung, Berufsleben und Gesellschaft ist zumindest für die Ballungsgebiete und die westdeutschen Bundesländer quantitativ und qualitativ eine zentrale gesellschaftspolitische Herausforderung. Qualifizierung und gesellschaftliche Integration gehören zusammen.
Angesichts der zu erwartenden enormen demografischen "Lücke" und der Prognosen zur Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes bzw. des Arbeitskräftebedarfs ist schon heute deutlich: Zuwanderung alleine genügt nicht, um den Arbeitskräftebedarf in den nächsten Jahren zu decken. Deswegen gilt es, das Arbeitskräftepotenzial im Inland stärker als bisher auszuschöpfen und vor allem zu qualifizieren (vgl. ausführlich Bethscheider u. a. 2001).
Sektoral und regional unterschiedlich ist bereits heute ein Rückgang an Bewerbern um Ausbildungsstellen und ein Anteil an unbesetzten Lehrstellen festzustellen.
So bleibt beispielsweise im Handwerk, trotz eines bundesweiten Angebotsrückgangs an Ausbildungsstellen, bereits heute jeder 18. Ausbildungsplatz unbesetzt. Der Bewerbermangel ist seit einiger Zeit insbesondere in Süddeutschland spürbar (Brosi u. a. 2001). Aufgrund der demografischen Entwicklung ist schon jetzt absehbar, dass in wenigen Jahren Auszubildende und junge Fachkräfte in Ostdeutschland Mangelware sein werden. In den westlichen Ländern tritt dies mit wenigen Jahren Zeitverzögerung ein.
Daher ist bereits jetzt das Ausbildungs- und Qualifikationspotenzial von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund stärker als bisher auszuschöpfen, sollen nicht perspektivisch gesehen, soziale Spannungen in Ballungsgebieten zunehmen und gleichzeitig erhebliche wirtschaftliche Einschnitte durch Facharbeitermangel die Folge sein.
Das Potenzial Jugendlicher mit Migrationshintergrund für die berufliche Ausbildung haben auch die Bündnispartner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, d. h. Bundesregierung, Unternehmerverbände und Gewerkschaften erkannt. In ihrem Beschluss zur "Aus- und Weiterbildung junger Migrantinnen und Migranten" fordern sie die Betriebe auf, das Potenzial von Jugendlichen mit Migrationshintergrund stärker als bisher für eine betriebliche Erstausbildung zu nutzen. Sie betonen, dass das interkulturelle Kapital der Jugendlichen von Betrieben bisher zu wenig erkannt und genutzt wird. Gleichzeitig fordern sie Betriebe auf, ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber Jugendlichen mit ausländischem Pass zu revidieren, ihre Vorbehalte aufzugeben und diese verstärkt in der Ausbildung zu berücksichtigen. Es gilt jetzt, die Beschlüsse der Bündnispartner konsequent umzusetzen.
Eine der größten Schwierigkeiten im Vorfeld der Berufsausbildung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist es, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, trotz Interesse der Jugendlichen. Alle Untersuchungen zeigen: Ein Mangel an ausbildungsinteressierten Schulabgängerinnen und Schulabgängern ausländischer Herkunft kann nicht festgestellt werden. Auch der Unterstützung durch die Eltern können sich die Jugendlichen überwiegend gewiss sein.
Wesentlich problematischer ist es nach wie vor, genügend Betriebe zu finden, die bereit sind, Jugendliche ausländischer oder anderer ethnischer Herkunft auszubilden.
Der vorliegende Beitrag analysiert daher die Chancen Jugendlicher ausländischer Herkunft in der Berufsausbildung (1), Hemmnisse und Schwierigkeiten beim Erhalt eines Ausbildungsplatzes (2), Möglichkeiten, den Ausbildungserfolg von Jugendlichen im Verlauf der Ausbildung zu sichern (3) sowie die Qualifikationsentwicklung junger Erwachsener zu fördern (4).
Da zur Bevölkerungsgruppe "Jugendliche mit Migrationshintergrund insgesamt" kaum statistische Angaben bzw. Untersuchungen existieren, konzentriert sich die folgende Analyse auf einen Teil dieser Gruppe, auf Jugendliche ausländischer Nationalität, da hier entsprechendes statistisches Material vorhanden ist. Die Schlussfolgerungen gelten jedoch für alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund, auch und gerade für Jugendliche aus Aussiedlerfamilien.