Aus den gegenwärtigen Verlautbarungen der bildungspolitischen Agenten muss man den Eindruck gewinnen, sie sähen die Lehrerausbildung als die entscheidende Schwachstelle im Bildungswesen. Dabei scheinen sie eine Zusammenhangsvermutung vor Augen zu haben, die – im Stile einer Kausalkette – etwa folgendermaßen lautet (vgl. Übersicht 3, weiße Felder): Bessere Lehrerausbildung führt zu besserer Lehrerqualität – führt zu besserem Unterricht – führt zu besserer Schülerleistung – führt zu besserer Produktivität (im Sinne ökonomischen Wohlstandes) und höherer Bildung – führt zu höherer Lebensqualität. Der Outcome beschränkt sich in dieser Sichtweise nicht, wie oben angedeutet, auf Schülerleistungen allein. Und damit eröffnen sich natürlich auch weitere Felder für standardisierungssüchtige Steuerungsfunktionäre.

Die Zusammenhänge, die in der Tendenz sicherlich so bestehen, sind in der Ausbildungswirklichkeit jedoch keineswegs linear, sondern vielfach mit weiteren relevanten Faktoren vernetzt und können darüber hinaus in Wechselbeziehungen unterschiedlicher Art gebrochen werden (vgl. Terhart 2000, S. 155). Ein bildungspolitischer Eingriff an einer bestimmten Stelle der langen Wirkungskette wird daher nicht unvermittelt auf das gewünschte Ergebnis durchschlagen (vgl. ähnlich Wilbers 2004, S. 3, S. 6). Jede Station der skizzierten Kausalkette unterliegt nämlich in ihrer Ausprägung dem Einfluss von weiteren Funktionen (vgl. Cochran–Smith 2005, S. 5-7, S. 11). So hängen etwa bessere Schülerleistungen nicht allein von der Lehrerqualität ab, sondern auch von der Eingangsqualität der Schüler, von den Ausstattungsbedingungen und vom lernförderlichen Milieu der Schule, von der Größe der Schulklasse usw. (vgl. Übersicht 3, graue Felder; Terhart 2003, S. 170). Jeder dieser Faktoren kann seinerseits Qualitätsverän–

Übersicht 4: Hypothetische "Wertschöpfungskette" für Bildung, Produktionsleistung und Lebensqualität

 

derungen der anderen kompensieren, konterkarieren oder auch potenzieren. Und einige von ihnen üben auf andere womöglich eine schwellenwertgebundene Deckelungsfunktion aus, die bewirkt, dass erst ab einem bestimmten Qualitätsniveau des einen Faktors Verbesserungen der anderen Faktoren auf das Endprodukt durchschlagen können. So bliebe – um ein zugegebenermaßen extremes Beispiel zu nennen – die Verbesserung der Lehrerqualität in der Unterrichtung von Datenverarbeitung sicherlich weitgehend folgenlos, wenn in der Ausstattung der Schule gar keine Computer enthalten wären. Ebenso wäre von der Erhöhung der Praxis [/S. 50:]

Übersicht 5: Wirkungsgefüge qualitätsrelevanter Faktoren im (Aus–) Bildungsprozess (Bores 2004)

 

anteile in der Lehrerausbildung keine günstige Wirkung zu erwarten, wenn die dort zu machenden Erfahrungen nicht systematisch ausgewertet werden.

Analysiert man das Zusammenhangsgeflecht etwas differenzierter, so zeigt sich, dass allein schon der Erfolg des schulischen Teils der Berufsausbildung in ein noch viel weiter verzweigtes und durch viele Interdependenzen charakterisiertes Kausalnetz eingebettet ist, als es die bisherige Darstellung angedeutet hat. Ein Blick auf die Grafik, die Marion Bores (2004) zur Darstellung der relevanten Wechselbezüge entwickelt hat, vermittelt m.E. einen recht guten Eindruck von diesem Sachverhalt (vgl. Übersicht 4). Ganz so schlicht, jedenfalls wie fast alle Bildungspolitiker und freilich auch so manche "Bildungswissenschaftler" – wie sie ja neuerdings heißen – zu glauben scheinen und wie es in den von ihnen vorgeschlagenen oder bereits ergriffenen Maßnahmen zum Ausdruck kommt, liegen die Dinge in der Bildungsrealität bestimmt nicht. Wenn schon um der Qualitätsentwicklung willen Standards für die Lehrerausbildung unumgänglich erscheinen, so wird man ohne ein integratives Konzept, das an mehreren Stellen zugleich angreift (vgl. Korthagen 2004), kaum messbare oder doch wenigstens "fühlbare" Erfolge erzielen. Und es dürfte nach allem deutlich geworden sein, dass die Lehrerkompetenzen, also der output der Stufe I, kaum zu jenen Stellgrößen rechnen, die für solch einen simultanen Mehrfacheingriff in erster Linie in Frage kommen. Die Erfolgschancen dürften ungleich höher und die erreichbaren Qualitätszugewinne deutlich besser sein, wenn sich Standardisierungsmaßnahmen auf die oben genannten Bereiche (1) der Eingangsqualifikation der Studierenden, (2) der input-Qualität und (3) der Prozessqualität der Ausbildung richten. So viel Einsicht sollten zumindest diejenigen aufbringen, die es – trotz ihrer schlechten Lehrer? – bis zur Mitgliedschaft in der KMK gebracht haben. [/S. 52:]