Das Fach Wirtschaft oder Wirtschaftslehre steht seit Jahrzehnten sozusagen ante portas der Schulstuben. In einigen Fällen gelang ihm auch der Schritt über die Schwelle. Neuerdings ist der Terminus "ökonomische Bildung" als Fachbezeichnung verbreitet (so als sei ein Schulfach schon identisch mit Bildung). Die Auflistung derjenigen Bundesländer, Schularten und Klassenstufen, wo das Fach Eingang fand und wo es ausgesperrt, blieb ist in unserem Zusammenhang von nachgeordneter Bedeutung. Vielfach gelang es nicht, ein autonomes Fach zu implementieren und die Wirtschaftslehre ist Bestandteil der politischen Bildung, der Sozialkunde oder rudimentär des Faches Erdkunde. Damit sind natürlich die Fachvertreter, in erster Linie die Hochschullehrer in Lehramtsstudiengängen, nicht zufrieden. Von den drei Partikularfächern Haushalt, Technik und Wirtschaft hätte letzteres, so dürfen wir vorsichtig spekulieren, die größte Chance, in die Stundentafel der allgemeinbildenden Schule aufgenommen zu werden, wenn dort nicht bereits Gedränge herrschte. Ein solcher Bonus kommt nicht von ungefähr: Wirtschaftslehre hat nicht das diffuse Image der Mädchenbildung, welches das Fach Haushalt belastet, und es kostet nicht soviel wie das ausstattungsintensive Fach Technik. Zweitens hat Wirtschaftslehre eine relativ einflußreiche Lobby in Gestalt der Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft". Ob die "Vereinigung junger Unternehmer" oder andere Honoratioren des öffentlichen Lebens, sie sind sich einig, daß die jungen Menschen wirtschaftlich alphabetisiert werden müßten. Wie das zu geschehen habe, können viele nicht genau sagen, gefordert wird es allemal.

Wir fragen also zunächst nach dem Objekt der Lehre. Bei Lehrbuchweisheiten, denen zufolge Wirtschaft die Gesamthe). Dem Begriff Wirtschaft fehlt das real existierende Substrat, das bei der Technik die Artefakte sind, beim Haushalt die zumindest empirisch vorweisbaren Aktionseinheiten. Was aber ist Wirtschaft? Selbst wenn die oberste Modellebene verlassen wird, um die "Weltwirtschaft", die "Europäische Wirtschaft", die "Nationalökonomie", die "Betriebswirtschaft", die "Marktwirtschaft" usw. zu beschreiben, sind wir auf Modellkonstruktionen angewiesen.

Man muß immer wieder auf eine sehr triviale Erkenntnis verweisen: Schüler der Sekundarstufe I verbinden häufig mit "Wirtschaft" den Ort, wo der Vater am Samstagabend hingeht und mit "Markt" den Wochenmarkt oder den Supermarkt, je nach Konsumentengewohnheit. Gewiß, Schule muß immer mit vorwissenschaftlichen, oft naiven [/S. 182:] Deutungsmustern der Jugendlichen rechnen, die es fortzuentwickeln gilt. Bei der Wirtschaftslehre allerdings hat man den Eindruck, daß die Schüler in eine virtuelle Welt geführt werden, wo alles Sinn zu haben scheint, selbst die Paradoxien.

GERDSMEIER, der sich sehr differenziert zur schulischen Wirtschaftslehre äußert, bemerkt:

"...hat das Unbehagen vieler Ökonomen am 'Modellplatonismus der Ökonomie' - also an der Bescit aller Maßnahmen ist, um unter Knappheitsbedingungen die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zögern wir schon. Uns fallen nämlich die Absatzschwierigkeiten ein, die die anbietende Wirtschaft hat und wir denken an die raffinierten Strategien, die zunehmend verfeinert werden, um dem Konsumenten Bedürfnisse zu oktroyieren. Verfechter eines Schulfaches Wirtschaft könnten wir damit nicht beeindrucken. Die Abweichungen von der reinen Lehre würden als besonders fruchtbares Moment im Bildungsprozeß definiert. Außerdem würden wir belehrt, daß Bedürfnisse nichts Statisches seien und Wirtschaft auch dazu da sei, Bedürfnisse zu stimulieren.

Erfreulicherweise gibt es in den Reihen der schulnahe denkenden Ökonomen und der Fachdidaktiker auch Stimmen, die Probleme mit dem Objektbereich einer schulischen Wirtschaftslehre haben. Die meisten berufen sich auf die schon klassische Kritik von

H. ALBERT am Modellplatonismus der Wirtschaftswissenschaften (ALBERT 1967 häftigung mit Modellen, die aus prinzipiellen Gründen nichts über die Wirklichkeit aussagen können und deshalb weder wahr noch falsch, sonder gehaltlos sind und bleiben - bereits vor Jahren zu einer verstärkten 'Problemorientierung' in Forschung und Lehre geführt. Anstelle der alles dominierenden Fragestellung der Gleichgewichtsökonomik wurden Fragen der gesellschaftlichen Organisation wirtschaftlicher Prozesse, wirtschaftlicher Instabilitäten, der Einkommens- und Vermögensverteilung, globaler Armut, wirtschaftlicher Macht usw. zu leitenden und strukturierenden Kriterien. Diesen Fragen ist gemeinsam, daß mit ihnen nicht allein einem theoretischen Erkenntnisinteresse gefolgt wird, sonder i.d.R. außerökonomische Werte ausdrücklich in den Forschungsprozeß einbezogen werden."

(GERDSMEIER 1980, S. 85, Hervorhebung: G.R.)

Ganz in diesem Sinne äußert sich auch LACKMANN 1996 (auf dessen "Ökologisierung der Ökonomie" kommen wir noch zurück). Die von GERDSMEIER genannten außerökonomischen Werte, sind allesamt Bestandteil jedes modernen Lehrplans für Politik/Sozialkunde. Es wäre verfrüht, das Schulfach Wirtschaftslehre als überflüssigen Separatismus im Kontext der Diskussion über politische Bildung zu bezeichnen. Wir werden noch weitere Argumente sammeln müssen.

GERDSMEIER und auch LACKMANN nennen drei Typen von wirtschaftsdidaktischen Konzepten, die heute unterscheidbar sind, wobei von Grenzfällen einmal abgesehen werden soll.

  1. Dieses Konzept versucht den Schülern ein ökonomisches Grundwissen zu vermitteln, das gewissermaßen als "Proviant" dazu dienen soll, spätere Herausforderungen im "Wirtschaftsleben" deuten zu können und die eigenen Interessen wahrzunehmen. Es handelt sich in den meisten Fällen um vereinfachtes ökonomisches Lehrbuchwissen, das aber leider auch die Grenze zur wissenschaftlichen Seriosität mitunter verletzt.
  2. Das zweite Konzept bemüht sich um formale Qualifikationen, in exponierter Weise um die Entscheidungsfähigkeit der Schüler. Der Schüler wird möglichst variantenreich in simulierte Entscheidungssituationen gestellt und muß sich - folgenlos - entscheiden. Folgenlos ist nicht ganz korrekt, denn das Entscheidungsverhalten des Schülers hat Konsequenzen für die Zensur. Dieses Konzept ist nur scheinbar der Lehrbuchökonomik nicht verhaftet, denn von dieser hat es eines der verhängnisvollsten Axiome übernommen, das des Rationalitätskalküls. Eine der Säulen wirtschaftlicher Theoriebildung ist die Annahme, der wirtschaftende Mensch handele rational.
  3. Das dritte Konzept ist auch kein inhaltliches. Es hypostasiert ein Methodenrepertoire, auf das wir weiter unten noch eingehen werden. Planspiele, Fallstudien und Rollenspiele sind beherrschend. Diese Spielszenarien sind zumeist simple Modellbildungen, denn die Zahl der Variablen muß klein gehalten werden, damit die Schüler "handlungsfähig" bleiben. GERDSMEIER bezweifelt die Realitätsabbildung und spricht von "unübersetzbaren Spielwirklichkeiten". (GERDSMEIER a.a.O., S.79) Zusätzlich wird, wie beim zweiten Konzept, ein überindividuelles Rationalitätskriterium eingebaut. [/S. 183:]

KAMINSKI gehört zu denjenigen Autoren, die konsequent von "ökonomischer Bildung" sprechen, weil sie der Arbeitslehre sehr kritisch gegenüberstehen, mit Rücksicht auf die landeseigene Konzeption jedoch keine Wirtschaftslehre pur proklamieren können. In einer zweiteiligen Veröffentlichung hat KAMINSKI es neuerlich unternommen, den "Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung" zu definieren. (KAMINSKI 1994). Zunächst wird eingeräumt, daß der ökonomischen Bildung (wir sprechen der Kürze halber von Wirtschaftslehre) keine universitäre Disziplin eindeutig zuzuordnen sei. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre würden nur "strukturelle Orientierungshilfen" für die inhaltliche Profilbildung des Schulfaches liefern. KAMINSKI bedauert dies ausdrücklich, denn er befürchtet eine "Anbindungsoffenheit" gegenüber anderen Fächern, also die Gefahr, Wirtschaftslehre könne bei der Arbeitslehre oder bei der Sozialkunde landen. Eine Grundfrage an unser Bildungswesen, namentlich an die allgemeinbildende Schule, lautet: soll die Verfächerung zurückgenommen oder weitergetrieben werden? Die Antwort wird hier präjudiziert. Es wird gar nicht ernsthaft erwogen, das Konstrukt "Ökonomie" aufzulösen in einen Machtaspekt und eine Sozialbindung (des Eigentums) - beides gut aufgehoben bei der politischen Bildung - und in einen ökologisch-warenkundlichen Aspekt, subsumiert unter den Gedanken der Verbraucheraufklärung, dem die Arbeitslehre gar nicht ausweichen kann.

Für KAMINSKI ist klar, daß es eines eigenen Schulfaches Wirtschaft bedarf. Man stutzt allerdings über Feinheiten der Argumentation:

"Die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse muß in Zukunft vor allem im Gymnasium mehr Bedeutung bekommen, zumal die meisten Gymnasiasten bisher in ihrer Schulzeit keine Gelegenheit haben, sich solide mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Einzelne Kurse im Fach Sozialkunde/Gemeinschaftskunde leisten keine grundlegende Abhilfe. Auch der Geographie-Unterricht, der sich u.a. mit der räumlichen Komponente des Wirtschaftens befaßt, kann keine Kriterien liefern, wirtschaftliche Prozesse theoriengeleitet verstehbar zu machen."

(KAMINSKI a.a.O., S.10)

KAMINSKIs Vorliebe für das Gymnasium resultiert aus dem ungeliebten Kooperationszwang der Wirtschaftslehre mit der Arbeitslehre, namentlich in Niedersachsen. Die Distanziertheit des Gymnasiums zur Arbeitslehre böte die Chance dort eine arbeitslehrefreie ökonomische Bildung zu installieren. Immerhin könnte man meinen, daß eher Hauptschüler wegen der prognostizierbaren wirtschaftlichen Mangelsituation ihres künftigen Lebens der ökonomischen Bildung bedürfen.

Welche Gegenstandsbereiche der Wirtschaftslehre bietet uns der Autor an? Er beginnt mit einer Aussage, die in höchstem Maße erklärungsbedürftig ist: Wirtschaftliche Tätigkeit stelle eine Universale dar und sei gewissermaßen im Leben aller Menschen eine Konstante. Wenn wir jetzt erführen, welches die wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Arbeitnehmerhaushalts der unteren Einkommensgruppe sind, wären wir dankbar. Diese soziale Gruppierung ist bekanntlich im Wachstum begriffen. Bezeichnend für sie ist, daß das Einkommen nur als Grenzfall der unmittelbaren Bedarfsdeckung gelten kann, daß Ersparnisse nicht vorhanden sind, ja, daß häufig eine gewisse Schuldenlast zu tragen ist. Auf die wirtschaftliche Mitbestimmung im Betrieb soll das Schulfach Wirtschaft vorbereiten. Abgesehen davon, daß diese nur ein Segment der betrieblichen Mitbestimmung darstellt, werden Betriebsräte nur in seltenen Fällen auf ihr Schulwissen rekurrieren, sondern die gewerkschaftliche [/S. 184:] Argumentationslinie sich zu eigen machen. Die Lobby des Schulfaches Wirtschaft wird nicht müde, das Fach als Grundlage für eine wie immer geartete wirtschaftspolitische Partizipation anzupreisen. Jeder Wahlberechtigte mag sich fragen, wie er die Relation zwischen Ökonomiekenntnissen und Einflußmöglichkeiten einschätzt. Die wirtschaftspolitischen Mainstreams der Parteien sind bekannt. Gleichwohl dürfte die Wahloption aller diplomierten Volkswirte genau so streuen, wie die von Bäckern. Dies hat eine einfache Erklärung: Nicht Fachwissen steht zur Wahl sonder allgemeine Absichtserklärungen. Aber selbst wenn sich wirtschaftspolitische Entscheidungen konkretisieren, gibt es konkurrierende fachwissenschaftliche Beurteilungen, wie es die oft konträren Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute zeigen.

Die dann folgende Aufzählung von "wirtschaftlichen Einflüssen", denen die Jugend ausgesetzt ist, darf man schon als Ritual bezeichnen. Die Jugend sieht sich mit Werbung konfrontiert, mit Wirtschaftsnachrichten in den Medien, mit Verbraucheraufklärungskampagnen, ökologischen Bedrohungen, die einen ökonomischen Hintergrund haben. Dies alles können die Jugendlichen nicht einordnen, wenn sie keinen Unterricht in Wirtschaftslehre hatten. Eine solche Aufzählung ist nicht neu, man kann auch aus ihr den Schluß ziehen, daß die Vermittlung von Strukturwissen, insbesondere der Erwerb einer wirtschaftstheoretischen Begrifflichkeit, das Verständnis zu verbessern vermag. Nicht zu verwechseln ist diese Zielebene jedoch mit Handlungsfähigkeit. Strukturwissen ist - wie so oft - eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Gestaltung der realen Welt.

KAMINSKI wartet aber mit noch eindrucksvolleren Fakten auf: Die internationalen Finanzströme wachsen dem Volumen nach und berühren auch die Privathaushalte. Nationalstaaten werden auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig; die Industrieländer gefährden mit ihrem Wachstum die armen Länder; Wirtschaftskreisläufe sind so global, daß ein nationaler Bankrotteur andere Staaten mit hineinreißt; die staatsfreien Räume (der Meeresboden, die Antarktis, der Weltraum) werden wirtschaftlich zum Zankapfel; die weltweite Arbeitskräftewanderung entleert die Herkunftsländer und schafft Zündstoff in den Aufnahmeländern. Das beeindruckt, entmutigt uns aber noch mehr, wenn wir an die Handlungsmöglichkeiten des Schülers denken. Und es sagt noch nichts über den angekündigten Gegenstandsbereich der Wirtschaftslehre aus.

Dieser wird uns nun - ein bißchen enttäuschend - angeboten. Nach den angerissenen Weltproblemen wird KAMINSKI wieder nationalstaatlich.

"Dies führt zur weiteren These, daß generell die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eines Landes den Ornungsrahmen für Arbeits- und Lebenssituationen der Bürger und für die Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft bildet. Wenn also die allgemeinbildende Schule auf die Bewältigung von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen, auf die Teilhabe am kulturellen, sozialen, ökonomischen, politischen Prozessen, vorbereiten soll, dann muß auch die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als der Ordnungsrahmen und als das Handlungsfeld gewählt werden, mit dem sich Kinder und Jugendliche in der allgemeinbildenden Schule auseinanderzusetzen haben."

(KAMINSKI a.a.O., S.11)

Das nachfolgend wiedergegebene Analyseschema sollen die Schüler in irgend einer Weise füllen (es bleibt die Frage offen, für wie viele Volkswirtschaften dies zumutbar ist). Ergänzt wird es durch den nicht eben originellen Vorschlag, daß eine Funktionsfolie über das Strukturschema zu legen sei, die die Kreislaufbeziehungen der Aggregate: Haushalte, Unternehmen und Staat zum Gegenstand hat. Wenn das kein Modelldenken in seiner rigidesten Form ist! [/S. 185:]

Noch immer ist der "Gegenstand der ökonomischen Bildung" kein Gegenstand sondern eine metasprachliche Kommunikation. Wie wir noch im Laufe unserer Betrachtungen sehen werden, ist das Schulfach Wirtschaft überwiegend das mühsame explizieren von Begriffen mit Hilfe von Begriffen.

[hier (S. 185) steht im Original ein ordnungspolitisches Analyseschema von Hans Kaminski (Der Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung, in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, H. 14/1994 (Teil I) u. 15/1994 (Teil II)) mit einer Übersicht über Ordnungselemente, Ordnungsformen und ihre Kombination zur Wirtschaftsordnungen; Anm. der sowi-online-Redaktion]

WEINBRENNER hat schon in einer viel früheren Veröffentlichung (WEINBRENNER 1983) das Thema "Wirtschaftsordnung" als didaktische Zielkategorie überzeugender diskutiert.

"Eine Bedingungsanalyse, die die anthropogenen und soziokulturellen Lernvoraussetzungen der Schüler zu klären hat, muß zunächst von dem Befund ausgehen, daß Jugendliche sich unter den Begriffen Markt, Marktwirtschaft und Wirtschaftsordnung nur wenig oder gar nichts vorstellen können. Es handelt sich bei diesen Begriffen um wissenschaftliche Konstrukte, die in der Alltagssprache der Jugendlichen nicht vorkommen und mit denen sie daher auch keine subjektiven Erfahrungen verbinden können."

(WEINBRENNER a.a.O. S.2)

WEINBRENNER geht von der Überlegung aus, daß das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft mit Schülern auf drei Ebenen reflektiert werden müsse, und erst die Zusammenschau eine Urteilsfähigkeit ermöglicht. [/S. 186:]

  • Die normative Ebene. Einige wesentliche Artikel des Grundgesetzes determinieren die Wirtschaftsordnung keineswegs endgültig, wie mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts zeigen, haben aber eine gestaltende Kraft: Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2), Gleichheit (Art. 3), freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl (Art. 12), Vereinigungs-und Koalitionsfreiheit (Art. 9), Privateigentum (Art. 14), Sozialisierung (Art. 15), Sozialstaatsprinzip (Art. 20) u.a. Das später verabschiedete Stabilitätsgesetz, das die Bundesregierung auf das Anstreben bestimmter Zielgrößen verpflichtet, ist eine weitere normative Rahmenbedingung. Schließlich sind im steten Wandel begriffene gesellschaftliche Wertvorstellungen zu nennen. Die Jugend etwa hat u.U. andere Präferenzen, wenn es um materiellen Wohlstand versus Wohlbefinden geht, als die ältere Generation.
  • Die theoretische Ebene. Hier geht es um das wirtschaftswissenschaftliche Modell der Marktwirtschaft mit den bekannten Implikationen, dem homo oeconomicus als Leitbild, der entweder Gewinn- oder Nutzenmaximierer ist und damit automatisch das Gemeinwohl mehrt, mit dem Preis als Knappheitsindikator, mit der optimalen Allokation der Ressourcen usw.
  • Die empirische Ebene. Hier geht es um eine Realanalyse, die sowohl Abweichungen vom Normenideal als auch von der Modellkonstruktion zutage fördert. Man muß nicht lange nach Krisenerscheinungen des ökonomischen Systems suchen: Arbeitslosigkeit, unbefriedigende Einkommens- und Vermögensverteilung, Vermachtung der Märkte, Lobbyismus u.a.

Unschwer erkennen wir, daß aus einer solchen mehrdimensionalen Betrachtungsweise, WEINBRENNER spricht von der Metaebene, Problembewußtsein und Urteilsfähigkeit erwachsen können. Was die Handlungsfähigkeit angeht, sind wir weiterhin skeptisch. Die drei Ebenen sind nun aber keineswegs die selbstverständliche Domäne des Lehrers für Wirtschaft. Die normative Ebene müßte jeder Lehrer des Faches Politik übersehen. Die empirische Ebene verlangt soziologische Kenntnisse, insbesondere solche über Indikatoren der sozialen Lage der Bevölkerung.

Im übrigen ist der Beitrag eines gut ausgebildeten Geographie-Lehrers zur ökonomischen Bildung nicht so marginal wie uns KAMINSKI glauben machen will. Zu Bodenschätzen, Klima, Infrastruktur, Industriestandort-Lehre u.a. kann sich ein Geographie-Lehrer kompetent äußern. Nebenbei bemerkt: in Österreich ist an allgemeinbildenden Schulen "Wirtschaft" Bestandteil des Geographieunterrichts.

KAMINSKI gibt sich nun allerdings mit der Strukturskizze "Wirtschaftsordnung" und dem darin gespiegelten Kreislaufschema (Austauschbeziehungen zwischen Haushalten, Unternehmen und Staat) nicht zufrieden. Offensichtlich ist ihm der Modellcharakter zu offenkundig und er führt zusätzlich sogenannte "Stoffkategorien" ein. Diese von MAY schon 1977 vorgeschlagenen Stoffkategorien stellen das Rohmaterial dar, an dem sich eine Wirtschaftslehre zu orientieren hätte. Wir geben die 33-Felder-Matrix verkürzt wieder. [/S. 187:]

[Matrix Stoffkategorien I]

Wirtschaftliches Handeln ist angeblich:
  1. bedürfnisgetrieben
  2. knappheitsbedingt
  3. konfliktgeprägt
  4. entscheidungsbestimmt
  5. risikobehaftet
  6. nutzen-, resp. gewinnorientiert
  7. arbeitsteilig
  8. interdependent
  9. koordinationsbedürftig
  10. schafft Ungleichheit
  11. vollzieht sich in Kreislaufprozessen
Die Akteure in diesem Handlungsfeld sind jene vertrauten "Wirtschaftssubjekte":

Private Haushalte

Unternehmen

Staat

Die elf Handlungsattribute werden mit den drei Wirtschaftssubjekten gekreuzt und in den entstehenden 33 Feldern finden sich die "Stoffkategorien" einer Wirtschaftslehre. Unsere Kritik an dem zunächst rein formalen Kategorienschema verweist auf die Unspezifität der Handlungsattribute. Mit Ausnahme der Gewinnorientierung, einer für kapitalistische Wirtschaftssysteme allerdings fundamentalen Handlungsmaxime, sind alle anderen Attribute Universalien menschlichen Handelns und keineswegs typisch für wirtschaftliches Handeln. Die Partizipation an der Kunst, am demokratischen Gemeinwesen, auch die sozialen Beziehungen in Partnerschaften unterliegen den genannten Kriterien. Unterzieht man den Kriteriensatz einer logischen Analyse, stellt man fest, daß es sich gar nicht um diskrete Handlungstypen handelt, sondern daß einige Handlungen nur Komplemente einer anderen sind: Knappheitsbedingt handeln wir nur, wenn (unendlicher) Bedürfnisdruck vorausgesetzt wird. Entscheidungszwang tritt nur auf, wenn die Handlungsfolgen risikobehaftet sind. Angesichts totaler Gewißheit besteht keine Entscheidungsnotwendigkeit. Arbeitsteilung, eine metaökonomische Konstante, schafft Interdependenz und Koordinationsbedarf. Ob Ungleichheit konfliktauslösend wirkt oder Konflikte in Ungleichheit einmünden, sei hier einmal dahingestellt. Die Kreislaufmetapher schließlich ist ein unzulängliches Erklärungsmodell für wirtschaftliches Handeln. Ihre Erklärungsschwäche besteht in der Annahme, die Wirtschaftssubjekte seien etwa gleich potent. Physikalisch gesprochen, müßte beispielsweise die Omnipotenz des Staates in einer zentralen Verwaltungswirtschaft infolge der Zentrifugalkräfte die Kreisbahn sprengen.

Die Hyperaggregate: Privathaushalte, Unternehmen, Staat, in der Sprache der Modellbauer auch "Wirtschaftssubjekte" genannt, nivellieren scheinbar die extremen Unterschiede im wirklichen Leben: Diese müssen hier nicht abermals nachgewiesen zu werden. Bei den Haushalten und bei den Unternehmen gibt es Unterschiede, die nur in Zehnerpotenzen ausgedrückt werden können und auch der Einfluß des Staates variiert weltweit zwischen "Bananenrepublik" und hochbürokratisiertem Versorgungsstaat.

Der formale Rahmen zur Bestimmung der sogenannten Stoffkategorien eines Schulfaches Wirtschaftslehre ist also über einen z.T. unstimmigen Begriffsrealismus nicht hinausgekommen. Wir betrachten aber dennoch einige der Inhalte jener 33 Matrixfelder. [/S. 188:]

[Matrix Stoffkategorien II]

FeldinhaltSchnittbereich
"Optimale Allokation der Ressourcen"

"Konsumwahl, Berufswahl, Freizeitverhalten"

"Wahlen, Gesetze zur Regulierung des Wirtschaftsgeschehens,(Hierarchie)"

"Verflechtung zwischen Betrieben (Zulieferbetriebe)"
Schnittbereich: Unternehmen / knappheitsbedingt

Schnittbereich: Haushalt / entscheidungsbestimmt

Schnittbereich: Staat / koordinationsbedürftig

Schnittbereich: Unternehmen / interdependent

Die auf diese Weise ermittelten "Stoffkategorien" liegen allesamt auf der Ebene solcher Gemeinplätze. KAMINSKI präsentiert sie auch nicht als Schulcurriculum, sondern führt ein weiteres Selektionsinstrument ein. Er spricht von "Bildungskategorien", die nunmehr als Sonde jene Inhalte bestimmen, die der Lehrer schließlich zu lehren hätte. Acht solcher Bildungskategorien werden sinngemäß wiedergegeben:

  • Eignung zur Offenlegung von wirtschaftlichen Zusammenhängen
  • Eignung zur Offenlegung von politischen Zusammenhängen
  • Eignung zur Offenlegung von ethischen Grundlagen der Gesellschaft
  • Über den Tag hinaus reichende Bedeutsamkeit
  • Eignung für das Trainieren von Entscheidungsfreudigkeit
  • Potentielle Betroffenheit der Schüler
  • Aktualität der Problematik
  • Eignung zum Erlernen von situationsbezogenen Verhaltensmustern.

(KAMINSKI, a.a.O. Teil II, S. 4 ff)

Diese "Bildungskategorien" sind leider wenig hilfreich, wenn es um den entscheidenden Schritt geht, nun endlich das Versprechen einlösend, den Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung zu bestimmen. Die 33 Stoffkategorien sind doch expressis verbis als der Zusammenhang von wirtschaftlicher Realität vorgestellt worden. Jetzt muß noch einmal ihre Eignung für das Offenlegen von wirtschaftlichen Zusammenhängen nachgewiesen werden. Die über den Tag hinaus reichende Bedeutsamkeit (eines Stoffes) ist selten mit dem Aktualitätspostulat vereinbar. Die potentielle Betroffenheit der Schüler als bildungsbedeutsam zu deklarieren, ist als Auswahlkriterium unstrittig. Sie gibt aber unserem Verdacht neue Nahrung, daß in den Stoffszenarien Bestände lagern, die weder faktisch noch potentiell eine Betroffenheit der Schüler erzeugen. Schließlich findet das Auswahlkriterium: Eignung der Stoffe für das Erlernen von Verhaltensweisen in (wirtschaftlichen) Situationen unsere ungeteilte Zustimmung.

Leider erweitert KAMINSKI die 33-Felder-Matrix nicht zu einer dreidimensionalen mit dann 8 mal 33 = 264 Feldern. Hier würde sich zeigen, daß allein die beiden Kriterien: "Potentielle Betroffenheit" der Schüler und "handlungsanleitendes Potential" des Stoffes, zur Aussonderung der meisten "Stoffkonstrukte" führen müßte. [/S. 189:]

Seine Glaubwürdigkeit setzt KAMINSKI allerdings mit folgenden Ausführungen aufs Spiel. Unter Berufung auf PIAGET, GALPARIN, LEONTIJEW und AEBLI erinnert er an das Primat der Handlung für menschliche Erkenntnisprozesse. Hier findet er unsere ungeteilte Zustimmung. Kühn wirkt jedoch die Behauptung, das Fach Wirtschaft sei in besonderer Weise geeignet, "ganzheitliches Lernen" zu befördern.

"Die anthropologische Einsicht, daß konkretes Handeln eine unabdingbare Bedingung menschlicher Entwicklung ist, und Kopf, Herz und Hand, Denken und Handeln, körperliche, geistige und seelische Entwicklung zusammengehören, muß Konsequenzen auch für die Entwicklung eines Lernkonzeptes der ökonomischen Bildung haben. ........Auch für das Fach Wirtschaft lassen sich 'Lernwerkstätten' für ganzheitliche Lernprozesse entwickeln, die in besonderer Weise geeignet sind, theoretische und praktische Unterrichtsteile miteinander zu verknüpfen."

(KAMINSKI, a.a.O. Teil II, S. 6)

Das Fach Wirtschaft, wo immer es Eingang in die allgemeinbildende Schule fand, ist ein unrühmliches Beispiel für einen Arbeitsbogen- und Frontalunterricht. Wir werden dem weiter hinten mit der Analyse von Unterrichtsbeispielen noch nachgehen. Simulationsverfahren sind das alles dominierende Muster der Wirtschaftslehre. Lernbüros und Warentests, um zwei der effektivsten methodischen Arrangements in der Arbeitslehre zu nennen, sucht man in den Wirtschaftslehre-Konzepten der Bundesländer vergeblich.

KAMINSKI beklagt, daß es bislang kein "Gesamtkonzept der ökonomischen Bildung für die Klassen 1 bis 13" gab. (!). Er macht sich anheischig, dieses in Ansätzen vorgelegt zu haben. Darüber hinaus unterstreicht der Autor immer wieder, wie notwendig es sei, auf Eltern, Lehrer, Parteien, Verbände und die Ministerialbürokratie einzuwirken, damit der ökonomische Bildung zum Durchbruch verholfen werde. (KAMINSKI, a.a.O. und passim)

Die Arbeitslehre, von der wir meinen, daß sie die bessere Wirtschaftslehre sei, hat es bisher versäumt, sich gegen die außerordentlich hegemonialen Aktivitäten der Wirtschaftslehrevertreter zu wehren. Als Beleg für einschlägige PR-Arbeit mag folgender Hinweis dienen: Bereits in zweiter Auflage erschien das Buch von H. MAY: "Ökonomie für Pädagogen". Es handelt sich um eine sehr konventionelle Stoffsammlung, die eklektisch aus wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt wurde. Jedes Kapitel schließt mit "Kontrollfragen" ab, die reinen Reproduktionscharakter haben und nicht den Ansatz didaktischen Problembewußtseins erkennen lassen. (MAY 1994). Das Buch wurde dann von einem großen Wirtschaftsunternehmen als Geschenk an viele pädagogische Einrichtungen verteilt.

Als nächstes skizzieren wir den Ansatz einer sogenannten "ökonomischen Verhaltenstheorie", der uns vielleicht von der Ungewißheit erlösen kann, die sich nach dem Studium von Strukturmodellen und Bedürfnistheorien einstellte. Noch immer können wir nicht verbindlich sagen, was die Ziele einer Wirtschaftslehre sein sollen. KROL, dessen Arbeiten hier schon deshalb auf Interesse stoßen, weil sie alle wirtschaftlichen Prozesse auf das Handeln von Individuen zurückführen, fragt nach der Beeinflußbarkeit des Handelns, mithin eine genuin pädagogische Fragestellung. (KROL 1995)

"Zentraler Bestandteil eines solchen Bezugsrahmens muß eine empirisch gehaltvolle Theorie sein, die nicht nur tragfähige Erklärungen für sozial, wirtschaftlich, ökologisch etc. problematische Verhaltensmuster , sondern auch empirisch gehaltvolle Aussagen über gangbare oder erfolgversprechende Wege zur Veränderung der Verhaltensmuster zu liefern vermag. Hieran mangelt es gegenwärtig in den einschlägigen [/S. 190:] Bildungs- und Unterrichtskonzepten, in denen die Förderung der Einsicht in 'gesollte Zustände' mit der größtmöglichen Förderung ihrer Realisierung gleichgesetzt wird. Eben hierin liegt ein systematischer Irrtum."

(KROL a.a.O., S.19, Hervorhebung: G.R.)

KROL subsumiert dem ökonomischen Verhalten eines Individuums dessen Handeln und Unterlassen, seine Urteilsbildungen und Entscheidungen. Letztere können bewußt und reflektiert ablaufen, aber auch Gewohnheitsverhalten, etwa täglich wiederkehrende Routineeinkäufe, rechnen dazu. Alle diese Verhaltensphänomene erklären sich aus Präferenzen die das Individuum hat. Präferenzen müssen aber stets an Restriktionen gespiegelt werden, die nicht hintergehbar sind. Weil die Entstehung von Präferenzen schwer rekonstruierbar ist und letztlich etwas mit individueller Freiheit zu tun hat, konzentriert sich die ökonomische Verhaltenstheorie vorrangig auf die Untersuchung der Restriktionen. Zu diesen rechnen das verfügbare Einkommen, der Zeitaufwand für Informationsbeschaffung, die physisch/ psychische Belastbarkeit, Gesetze und Verordnungen, Normen und Werte.

Das Spektrum von Präferenzen eines wirtschaftlich handelnden Subjekts hat eine Wurzel: den Eigennutz. KROL legt Wert auf die Feststellung, daß dieses Eigennutzaxiom zwar häufig zur moralischen Verurteilung ökonomischen Verhaltens geführt hat, gleichwohl in dieser Pauschalisierung abzulehnen ist, denn Eigennutzverfolgung geht nicht zwangsläufig mit der Benachteiligung anderer Subjekte einher.

Präferenzen und Restriktionen führen dazu, daß sich Individuen ständig entscheiden müssen. Die Präferenz von 'A' schließt die Abwahl der Alternative 'B' ein. Damit entstehen aber sogenannte Opportunitätskosten, eigentlich nicht erzielte "Gewinne". Ein Jugendlicher, der sich für schnelles Geldverdienen nach der Schule entscheidet, verzichtet auf eine längere Ausbildung und vermutlich auf ein insgesamt höheres Lebenseinkommen. Ein Verbraucher, der dem verbraucherpolitischen Imperativ folgend, eigentlich vor jede Kaufentscheidung gründliche Such- und Informationsprozesse schalten müßte, verzichtet darauf, weil ihm die Restriktionen in Form des Zeit- und Kraftaufwandes zu hoch erscheinen. Für KROL sind besonders Verbraucher- und Umwelterziehung typische Felder, auf denen das Ziel der Verhaltensänderung systematisch verfehlt wird. Der pädagogische Ansatz versucht vorrangig die Präferenzen zu ändern, was oft über moralische Einflußnahme geschieht.

Ziel einer ökonomischen Bildung wäre es, das Wissen um Restriktionen zu erweitern, weniger, Einfluß auf die Präferenzen nehmen zu wollen.

Die fast ungeteilte Akzeptanz sozialer Normen im Bereich des Umweltschutzes verleitet zu dem Irrtum, die Individuen handelten tatsächlich auch umweltverträglich. Die Präferenz für eine soziale Norm kann deutlich ausgeprägt sein, ja, sie ist im Falle des Umweltschutzes auch ausgesprochen rational, denn wenn sich alle umweltverträglich verhalten, profitiere ich davon. Wenn ich mich jedoch umweltverträglich verhalte, nehme ich u.U. deutliche Restriktionen in Kauf, etwa erhöhte Kosten, Arbeitsaufwand und Verlust an Bequemlichkeit. Dies führt in sehr vielen Fällen zu einer Präferenzwahl, die inkompatibel mit der Präferenz für eine soziale Norm "Umweltschutz" ist. Die genaue Analyse möglichst aller Restriktionen, auch solcher, die der ökonomisch Handelnde im Moment nicht übersieht, ist Aufgabe einer ökonomischen Verhaltenstheorie. Aber auch die Frage nach der Überwindung von Restriktionen ist bedeutsam, ob es möglich ist institutionelle, technische, organisatorische Verbesserungen durchzusetzen, die es dann erleichtern, die gesollten Präferenzen auch zu wählen.

Die "ökonomische Verhaltenstheorie", die hier nur sehr grob skizziert werden konnte, läßt in der Tat Konturen eines jugendgemäßen Unterrichts aufscheinen. Ein systematischer [/S. 191:] Einwand bleibt jedoch bestehen: Diese Theorie ist nur sehr bedingt eine ökonomische. Zu viele allgemein anthropologische Parameter müssen eingeführt werden (Bequemlichkeit, Belastbarkeit, Freizeit). Die Biografie eines jeden Menschen ist die Abfolge von Kontingenzpunkten, man hätte sich so oder anders entscheiden können. Damit eine Biografie entsteht, muß man sich entscheiden. Ein solches kontingentes Denken würde allen Schulfächern zum Vorteil gereichen. Ein eigenes Fach Wirtschaftslehre läßt sich damit nicht legitimieren.

NEUMANN/DRÖGE propagieren eine "arbeitsorientierte Wirtschaftslehre" Das Begriff "arbeitsorientierte Bildung" hat in jüngster Zeit Konjunktur (vergl.: DEDERING 1996). Zum einen handelt es sich um einen Reflex auf die immer noch dominierende philologische Bildung, zum anderen ist es der untaugliche Versuch, die Auflösung der Arbeitslehre-Idee zu verhindern, ohne die Partikularfächer mit dem ungeliebten Begriff Arbeitslehre zu verprellen.

NEUMANN/DRÖGE stellen zunächst klar, daß es bei ihrem Ansatz nicht um den Austausch der Kapitalorientierung durch eine Arbeitsorientierung ginge. Die klassischen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen kennen bekanntlich die drei niemals gänzlich zu substituierenden Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Boden. Daß schulische Wirtschaftslehren dazu neigen, die Kapitalorientierung zu betonen, haben schon 1974 REETZ/WITT in ihrer bekannten Schulbuchanalyse nachgewiesen. Der Terminus "Arbeitgeber" kommt signifikant häufiger vor als der des "Arbeitnehmers". Bemerkenswert ist die Tatsache, daß NEUMANN/DRÖGE ihr Wirtschaftslehrekonzept auf kaufmännische Berufsschulen hin entwerfen, also auf eine Schule, deren Klientel nach Meinung der Autoren bislang einen wirklich bildungswirksamen Unterricht entbehren mußte. Träfe diese Analyse zu, ist es nicht mehr verwunderlich, daß die allgemeinbildende Schule ohne ein stimmiges Theoriekonzept für Wirtschaftslehre auskommen muß.

"Gerade wenn es darum geht, die den Arbeitstätigkeiten zugrundeliegenden technischen, ökonomischen sozialen, ökologischen Bedingungen und Grundstrukturen zu erfassen, dann sind die dazu in der Wirtschaftslehre akkumulierten und tradierten Wissensbestände wenig geeignet. Dazu - das haben die Analysen gezeigt - fehlen der Wirtschaftslehre die übergreifenden Fragestellungen, die ökonomische, soziale und ökologische Sachverhalte miteinander verknüpfen. Und selbst im Ökonomischen stehen institutionenkundliche, synoptische und verfahrenstechnische Aspekte, aber auch thematische Verengungen so sehr im Vordergrund, daß damit keine aussichtsreichen kognitiven Muster für die Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge und zur Interpretation der eigenen Arbeitsrolle zur Verfügung stehen."

(NEUMANN/DRÖGE 1996, S. 460)

Wir können hier die arbeitsorientierte Wirtschaftslehre nach NEUMANN/DRÖGE nicht im einzelnen nachzeichnen. Für unsere Argumentation verdient es jedoch festgehalten zu werden, daß die Autoren einen Orientierungsrahmen vorschlagen, in dem in Anlehnung an die KRAPPMANNsche Rollentheorie (KRAPPMANN 1975) ein dreifaches Rollenhandeln erkenntnisleitend zu sein habe: Die Funktionsrolle im Betrieb, das heißt also technische und kommunikative Fähigkeiten erwerben, besitzen, modernisieren. Die Arbeitnehmerrolle, welche erlaubt, Interessenkonflikte auszuhalten, Solidarisierungschancen wahrzunehmen, betriebliche Strukturen zu durchschauen. Die Konsumentenrolle, die auch befähigt, Konsummuster zurückzuweisen, Konsumentenbeeinflussung zu durchschauen, Verbraucherrechte zu kennen.

Diese Trias findet sich in ähnlichen Formulierung in allen bisher veröffentlichten Arbeitslehrekonzepten. Es ist schon erstaunlich, daß das Nachdenken über die [/S. 192:] (professionelle) Unterweisung wirtschaftlich handelnder Individuen zu arbeitslehreähnlichen Vorschlägen führt.

Wenden wir uns nun dem "Paradigmawechsel" in der schulischen Wirtschaftslehre zu. Nach KUHN führen paradigmainterne Anomalien eines alten Paradigmas zum Wechsel. Unter Paradigma soll die prinzipielle Übereinstimmung verstanden werden, die in einer Scientific Community herrscht, wenn es um allgemeine Theorien, Erklärungen und Hypothesen geht, ohne daß in Einzelfragen schon Konsens bestünde. Ein Paradigmawechsel zeigt Veränderungen in statu nascendi an, wobei eine gemeinsam geteilte Interpretation der Scientific Community noch aussteht. (KUHN 1976)

LACKMANN spricht von einer "alten Ökonomie" und einer "neuen Ökonomie". Das Ende der alten Ökonomie wird markiert durch das Menetekel einer unausweichlichen Katastrophe, wenn die ökologischen Grenzen ökonomischen Handelns nicht viel genauer bestimmt werden.

" Alles, was die Menschen der Industriegesellschaft heute tun, läßt die natürlichen und sozialen Netze ihres Zusammenwirkens vibrieren - wesentlich stärker als in früheren Gesellschaften, weitgehender und heftiger, als es sich die meisten Menschen vorstellen können oder verantworten möchten. Die Zeit der einfachen Normen, der vernachlässigten Nebenwirkungen und der weggekehrten Konfliktstoffe ist vorüber. Eine Berücksichtigung der ökologischen Dimension des ökonomischen Handelns aller Wirtschaftssubjekte tut Not."

(LACKMANN 1996, S.38)

LACKMANN unterstreicht, daß "herkömmliches ökonomisches Denken" nicht darauf gerichtet ist, Aufwand und Ertrag möglichst objektiv zu vergleichen. Es geht vielmehr darum - und darin liegt der feine Unterschied -,dieses Verhältnis so günstig wie möglich zu gestalten. Dies führt zu den bekannten Effekten, daß wirtschaftlich Handelnde objektive "Kosten" auf Dritte abwälzen. Auf die Natur, indem diese verunreinigt und belastet wird, auf den Steuerzahler, in der Hoffnung, der Staat werde die schlimmsten Schäden mit öffentlichen Mitteln reparieren, auf den Konsumenten, der möglicherweise durch schadstoffbelastete Lebensmittel krank wird.

Die meisten wirtschaftlichen Entscheidungsträger (LACKMANN schließt die Konsumenten ausdrücklich ein) beruhigen ihr Gewissen mit der Hoffnung, der wissenschaftlich-technische Fortschritt werde für die in die Zukunft verschobenen Folgen des verantwortungslosen Handelns noch Lösungen finden. Eine solche Hoffnung dürfte tatsächlich unbegründet sein, wenn die auf Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung fixierten Wirtschaftssubjekte nicht einen Paradigmawechsel vollziehen.

LACKMANN übernimmt das von BUDDENSIEK entwickelte Schaubild, das in prägnanter Form den Paradigmawechsel veranschaulicht. [/S. 193:]

[im Original folgt hier das Schaubild: "Vom ökonomischen Wachstums- zum ökologischen Begrenzungsparadigma", übernommen aus: Buddensiek, Wilfried (1988): Wende-Pädagogik. Auf der Suche nach einer ökologischen Umwelterziehung. Paderborn, vervielf. Manuskript, S. 32; abgedruckt in: Lackmann, Jürgen (1996): Das Lernfeld Arbeitslehre als fachdidaktisches Problem. Spezifika des Gegenstandsbereiches Wirtschaft (Weingartener Beiträge zur Arbeitslehre). Pädagogische Hochschule Weingarten, ISBN 3-924945-24-1. Bezug der Publikation von J. Lackmann über: PH Weingarten, Forschungsstelle für politisch-gesellschaftliche Erziehung und Arbeitslehre, Kirchplatz 2, 88250 Weingarten, http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/publikationen.htm ; Anm. der sowi-online-Redaktion]

Nun dürfte es nicht schwer sein, ökologische "Begrenzungsparadigmen", z.B. das Recyclingmodell, genauso als Modellplatonismus zu denunzieren wie die schon etwas abgenutzten Marktschemata der Wirtschaftslehre. Ein Recycling ad infinitum ist derzeit nicht vorstellbar. Jeder Aufbereitungszyklus wirkt nutzenmindernd. Die Abfallproblematik ist also nicht prinzipiell lösbar, wohl aber deutlich zu entschärfen. Die drei zentralen Ansätze einer ökonomischen Umorientierung haben unterschiedliche Realisierungschancen:

  • Stabilisierung oder gar Verringerung von Produktion und Konsum (steady state economy)
  • Wesentliche Verbesserung des Verhältnisses von Inputs zu Outputs (ökonomisches Prinzip)
    [/S. 194:]
  • Überführung der "Abfälle" wieder als Input in den Produktionsprozeß (Recyling)

Nach unserer Einschätzung nimmt der utopische Charakter der drei Punkte von oben nach unten ab. Der erste Programmpunkt wird schon durch die Entwicklung der Weltbevölkerung auf längere Sicht verhindert. Der zweite Punkt kann empirisch mit Erfolgsnachweisen gestützt werden: ein Auto benötigt heutzutage etwa nur die Hälfte des Treibstoffes wie vor 20 Jahren. Die Zunahme der Motorisierung sorgt jedoch dafür, daß die Gesamttendenz erhalten bleibt, in einigen Fällen sich sogar verschärft. Was die Kreislaufprozesse in stoffwirtschaftlicher Hinsicht angeht, sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Eine Reihe von Einweg-Prozessen wurde auf zyklische Prozesse umgestellt, die gleichwohl finalen Zuschnitt haben.

Um nun die "Ökologisierung" einer schulischen Wirtschaftslehre nicht nur als Paradigmawechsel gewissermaßen zu verkünden, müssen wir fragen, ob halbwegs überzeugende Theorieansätze vorliegen. Schon auf den ersten Blick verstärkt sich der Eindruck, daß eine gesteigerte Umweltproblematik (diese wollen wir nicht mehr grundsätzlich in Zweifel ziehen) eigentlich alle Schulfächer betrifft. Skeptiker, die begründet einwenden, alle Erziehungsprogramme, die fächerübergreifend implementiert werden sollten, hatten keinen oder mäßigen Erfolg, fordern vielleicht deshalb eine stark ökologisch orientierte Wirtschaftslehre oder gehen so weit, Ökonomie durch Ökologie zu ersetzen.

LUHMANN hat versucht, auf die Frage: "Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?" (LUHMANN 1990) eine Anwort zu finden. Die Ausführungen des Systemtheoretikers sind erwartungsgemäß auf einem Abstraktionsniveau gehalten, das Schulpraktiker enttäuschen muß. Wir wollen dennoch versuchen, eine Transformation auf pädagogisches Handeln anzudeuten. Für Systemtheoretiker ist Gesellschaft als Ganzes nur beschreibbar als Kommunikationszusammenhang, der auf Sinngebung basiert. Für das Gesellschaftssystem ist Natur Umwelt. Und da sich Systeme allein über die Differenz System-Umwelt definieren, werden Mystifikationen oder pantheistische Vorstellungen von der Art, die menschliche Gesellschaft und die Natur seien eins, nicht ernsthaft diskutiert. Desgleichen wird die Hoffnung auf eine wie immer erneuerte oder diskursiv zu schaffende Moral der Gesellschaft skeptisch beurteilt. LUHMANNs Hauptthese besagt, daß die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft, namentlich das Politische System, das Wirtschaftssystem, das Rechtssystem, das Erziehungssystem, das Wissenschaftssystem - um nur die wichtigsten zu nennen - mit Resonanz auf Störungen der Umwelt reagieren. Wobei gesehen werden muß, daß für alle Systeme die Natur Umwelt ist, die einzelnen Systeme aber füreinander ebenfalls Umwelt sind. Auf der Ebene der Funktionssysteme der Gesellschaft gilt das Gleiche, was für die Gesamtgesellschaft gilt: das Aufrechterhalten der Systemgrenzen entscheidet über die eigene Existenz. Ökologische Gefahren werden von diesen Systemen zunächst als Rauschen wahrgenommen, können dann jedoch Resonanz erzeugen, was in der Sprache der Systemtheorie nichts anderes bedeutet, als die Kommunikationsstrukturen zu verändern.

"Jedenfalls haben wir heute davon auszugehen, daß die Resonanz auf ökologische Gefährdungen im wesentlichen durch diese Funktionssysteme erzeugt wird und nicht, oder nur sekundär, eine Sache der Moral sein kann. Oder um es noch schärfer zu sagen: Funktionssysteme wie Politik oder Wirtschaft, Wissenschaft oder Recht werden bei hoher Eigendynamik und Empfindlichkeit durch Umweltprobleme [/S. 195:] gestört. Dies geschieht teils direkt, wenn etwa Ressourcen versiegen oder Katastrophen drohen; teils aber auch indirekt über gesellschaftlich vermittelte Interdependenzen, wenn etwa die Wirtschaft sich gezwungen sieht, auf Rechtsvorschriften zu reagieren, die die Politik dem Recht aufgezwungen hat, obwohl die Wirtschaft ohne diese Vorschriften nach ihren Eigenbegriffen bessere ökonomische Resultate erzielen würde."

(LUHMANN 1990, S.97)

In unserem Zusammenhang ist es wichtig, daß wir kurz auf die systemtheoretische Analyse zweier Funktionssyteme der Gesellschaft eingehen: auf das Wirtschaftssystem und auf das Erziehungssystem. LUHMANN "entideologisiert" das Wirtschaftssystem indem er es auf seinen binären Code zurückführt, der da lautet Eigentum oder Nicht-Eigentum beziehungsweise in modernen Geldwirtschaften: zahlungsfähig oder -unfähig.

"Aufgrund ihrer monetären Zentralisierung ist die Wirtschaft heute ein streng geschlossenes, zirkuläres, selbstreferentiell konstituiertes System insofern, als sie Zahlungen vollzieht, die Zahlungsfähigkeit (also Gelderwerb) voraussetzen und Zahlungsfähigkeit schaffen. Geld ist insofern ein vollständig wirtschaftseigenes Medium: es kann weder als Input aus der Umwelt eingeführt noch an die Umwelt abgegeben werden; es vermittelt ausschließlich die systemeigenen Operationen."

(LUHMANN, a.a.O., S.103)

Für LUHMANN liegt der Schlüssel des ökologischen Problems, soweit die Wirtschaft betroffen ist, bei den Preisen. Alles was in der Wirtschaft geschieht, wird durch den Preismechanismus gefiltert. Auf Störungen (z.B. ökologische Gefährdungen) kann das Wirtschaftssystem nicht reagieren, es sei denn durch Preisbildung. Darin beschlossen ist der Verzicht auf andere Möglichkeiten, etwa auf Erziehungsprogramme, die nicht letztlich als Kosten erscheinen. Wenn allerdings das Umweltproblem in Preisen ausgedrückt werden kann, muß es im Wirtschaftssystem bearbeitet werden. Mit dieser einfachen Strukturskizze wird immerhin deutlich, daß einer Ökologisierung der Ökonomie sehr enge Grenzen gesetzt sind.

Zum Erziehungssystem äußert sich LUHMANN in der bereits oben erwähnten Weise. Dessen systemstabilisierender Code lautet: Anforderungen erfüllt oder nicht erfüllt. Das immer mitlaufende Schema in allen Schulen und Hochschulen ist Selektionszwang. Die übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme verlassen sich darauf. Die pädagogischen Programme können mehr oder weniger fortschrittlich sein, sie können großes ökologisches Engagement zeigen oder Formaldefinitionen bevorzugen (wie im Falle einer konventionellen Wirtschaftslehre), vom Selektionszwang werden sie nie suspendiert. Ungeachtet dieser Restriktionen sieht LUHMANN im Erziehungssystem relativ große Chancen für eine Stimulierung der gesellschaftlichen Kommunikation. Allerdings dürfen die Zeithorizonte nicht unterschätzt werden.

"Denn das Erziehungssystem wirkt unmittelbar nur auf eine besondere Umwelt des Gesellschaftssystems, nämlich die körperlichen und mentalen Befindlichkeiten von Menschen. Sollen davon Wirkungen im Gesellschaftssystem ausgehen, muß diese Umwelt wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken, das heißt: kommunikativ angeschlossen werden können. Das Erziehungssystem bietet somit für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation die vielleicht größten Chancen - unter der Voraussetzung, daß sich zwei Schwellen der Resonanz überwinden lassen: die des Erziehungssystems selbst und die aller anderen Funktionssysteme der Gesellschaft, in die über Erziehung neue Einstellungen, Werthaltungen und Problemsensibilitäten eingeführt werden sollen."

LUHMANN a.a.O., S. 200) [/S. 196:]

Wir können diese Einschätzung nur bestätigen. Auf den ersten Blick scheint die Resonanz des Erziehungssystems auf ökologische Gefährdungen sehr stark zu sein. Jüngere Lehrer an Gesamtschulen dürfen aber nicht als pars pro toto herhalten. Das Erziehungssystem besteht auch (zunehmend) aus älteren Lehrern, aus Seminarleitern, Schulräten, leistungeinfordernden Eltern und eben aus auf Lehrbuchökonomie fixierten Fachvertretern. Deshalb ist es gar nicht so einfach, die Resonanz des Erziehungssystems als Ganzes richtig einzuschätzen. Sehr viel höher dürfte die andere Schwelle angelegt sein, denn nach dem Übergang vom Erziehungssystem in die anderen Teilsysteme der Gesellschaft müssen Jugendliche, resp. junge Erwachsene oft schmerzlich die Grenzen ihrer Kommunikationsabsichten erfahren.

Im Anschluß an LUHMANN hat KAHLERT die umweltpädagogische Literatur genauer analysiert. (KAHLERT 1991). Er konstatiert erhebliche "Theoriedefizite" in dieser Kommunikation, so daß der angekündigte Paradigmawechsel noch keineswegs als vollzogen gelten kann, ja, daß es möglicherweise verfrüht ist, von einem solchen zu sprechen.

Für KAHLERT ist die umweltpädagogische Diskussion noch immer weitgehend bestimmt durch eine Differenz zwischen der "guten Gesinnung" der Umweltpädagogen einerseits und der Fehlleitung der Menschen bzw. der Gesellschaft. Leider sind Aussagen über die Gesellschaft genauso wenig erkenntnisfördernd wie die Einführung eines Kollektivsubjekts: die Menschen gelten bei vielen Autoren der umweltpädagogischen Literatur als anthropozentrisch verblendet, sie beuteten rücksichtslos die Natur aus, orientierten sich einzig am Eigennutzen. Wer so redet, läßt außer acht, daß die Menschen unterschiedliche Informationsstände und intellektuelle Verarbeitungskapazitäten haben, sehr verschieden am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren, mit mehr oder weniger Einfluß ausgestattet sind, und - wie KAHLERT bemerkt - damit auch die Möglichkeiten sehr weit streuen, anders als gewohnt zu konsumieren, zu fahren und zu heizen. (KAHLERT,a.a.O. S.107)

Anstatt den Jugendlichen ein schlichtes Panorama von umweltbesorgten und umweltkriminellen Handlungen zu zeichnen oder - was oft damit einhergeht - eine schon am Abgrund stehende Gegenwart mit einer gerade noch erreichbaren besseren Zukunft zu konfrontieren, müßte das mühsame Geschäft der Ursachenanalyse und Interdependenzaufdeckung betrieben werden. Den Umweltpädagogen wirft KAHLERT vor, wer nicht Grenzwerte für die Luftreinhaltung unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs durchsetzen muß, kann laufend Umweltfeinde in Politik und Wirtschaft entlarven; der kann auch Entsagungen predigen, wenn er, wie die meisten Pädagogen, in der gesellschaftlichen Privilegienverteilung einen ordentlichen Mittelplatz eingenommen hat und für die Wohlfahrtseinbußen der anderen nicht geradestehen muß.

"Mit seiner Schematisierung der Wirklichkeitswahrnehmung nach dem Muster von schlechter Gegenwart und gut zu gestaltender Zukunft sowie mit der emotionalen Beladung dieser Wahrnehmung durch Gegenwartsangst und Zukunftshoffnung füllt der pädagogische Fundamentalismus die Rolle einer säkularisierten Religion aus: Der Fundamentalismus konstituiert eine Gesinnungsgemeinschaft, die auf dem Glauben an ihre Voraussetzungen beruht: Wer nicht daran zweifelt, daß mit 'dem Menschen' und von 'der Gesellschaft' Erkenntnis produziert werden kann, und wer bereit ist zu glauben, daß über das jeweilige Erziehungsprogramm die Zukunft besser wird, der findet in dieser Gesinnungsgemeinschaft Gewißheit und Orientierung in einer vom einzelnen nicht mehr überschaubaren Welt."

(KAHLERT, a.a.O. S.115) [/S. 197:]

Für uns kristallisiert sich die Frage heraus, ob ein Paradigmawechsel vom Schulfach Ökonomie zur Ökologie oder auch nur eine Ökologisierung der Wirtschaftslehre Perspektiven bietet. Umweltpädagogische Analysen könnten den Schluß nahelegen, daß eine Ideologie durch die andere ersetzt werden soll. Wenn bis vor wenigen Jahren die Ökonomie den Schülern als die zwar störanfällige letztlich aber lebenserhaltende Kraft vorgestellt wurde, empfiehlt sich jetzt die Ökologie als der Königsweg aus einem unter anderem ökonomisch verursachten Dilemma.

Unstrittig scheint aber zu sein, daß Umwelterziehung Not tut. Auch KAHLERT bestreitet dies nicht. Eine solche Umwelterziehung muß aber bei den hochkomplexen Abhängigkeitsverhältnisse in gesellschaftlichen Teilsystemen und zwischen diesen ansetzen. Reichweite und Unsicherheit von Prognosen, die Fehlbarkeit von Risikoeinschätzungen, Machtverteilung und unterschiedliche Betroffenheit durch Folgen, das Offenlegen von Sachwissen und Werturteilen, diese und viele andere Reaktionsweisen der gesellschaftlichen Teilsysteme auf Umweltprobleme müssen in der Schule thematisiert werden. Ein Schulfach wäre damit überfordert! Aber nicht nur die Abkehr von allen monokausalen Erklärungsmodellen ist notwendig, es gilt auch, sich zu erinnern, daß es nicht ausreicht, Katastrophen an die Wand zu malen. Wer dies tut, ohne konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, der muß mit Angst, Verzweiflung oder Wut beim Schüler rechnen. Handlungsmöglichkeiten, sofern sie diese Bezeichnung verdienen, sind aber nicht in allen Schulfächern gleichermaßen angelegt. Was Umwelterziehung angeht, sind die Naturwissenschaften, die Fächer Technik und Haushalt bzw. Arbeitslehre, ferner Politik und Geographie prädestiniert.

Die nebulösen Ziele einer schulischen Wirtschaftslehre schienen zunächst durch die "ökologische Wende" an Konturen zu gewinnen. Dies erweist sich bei genauerem Hinsehen als unsicher. Die ökologischen Gefährdungen einer Gesellschaft erzeugen in den gesellschaftlichen Teilsystemen Resonanz. Im Bildungssystem ist diese Resonanz zweifellos registrierbar, was aber nichts über die "Güte" der Resonanz aussagt. Offenbar handelt es sich um eine Wellenlänge, die sehr stark von der vermeintlich rechten Gesinnung angeregt ist. Die Frage bleibt weiterhin offen, wie Jugendliche am besten auf die Probleme einer sich durch Arbeit reproduzierenden Gesellschaft vorbereitet werden können. [/S. 198:]