Die Zukunft der Bildung
Welche Rolle wird Bildung in künftigen Gesellschaften einnehmen? Welche Fähigkeiten sollen vermittelt werden? Wer wird an ihr teilhaben (können)? Diesen Fragen widmen sich derzeit zwei groß angelegte Prozesse der UNESCO und der OECD. Ihre Vision einer zukunftsfähigen Bildung veröffentlichte die UNESCO kürzlich unter dem Titel „Reimagining our futures together: a new social contract for education“ (https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000379707). Bereits ein Jahr zuvor gab die OECD ihren „Lernkompass 2030“ heraus, der aus dem Projekt „Future of Education and Skills 2030“ entstanden ist (https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/German_Translation_LC_May_2021.pdf). Allein die schiere Tatsache, dass zwei im Bereich der Bildung wirkmächtige Institutionen zeitgleich an recht grundlegenden Veränderungsprozessen globaler Bildungsbemühungen arbeiten, offenbart den besonderen Moment, in dem sich Bildungsinstitutionen zu Beginn der 2020er Jahre befinden. Beide Prozesse legen auf unterschiedliche Weise nahe, dass ein Paradigmenwechsel der Bildung nicht nur geboten ist, sondern bereits vehement forciert wird (vgl. dazu etwa OECD S. 15). Tatsächlich haben die beiden Organisationen im Verlauf des 20. Jahrhunderts recht unterschiedliche Visionen der gesellschaftlichen Bedeutung und der konkreten Ausgestaltung von Bildungsprozessen hervorgebracht. Auch wenn sich solche Differenzen in den beiden genannten Dokumenten fortsetzen, so fallen vor allen Dingen markante Schnittmengen ins Auge. Vier seien hier genannt:
- Bildungsprozesse werden konsequent auf eine Vielfalt lebensweltlicher Arenen bezogen. Weder akademische Disziplinen noch vermeintliche Imperative des Arbeitsmarktes geben den Ausschlag, sondern eine plurale und herausfordernde Realität im 21. Jahrhundert. Auf diese Realitäten müssen sich Bildungsinstitutionen und die in ihnen vermittelten Fähigkeiten konsequent beziehen.
- Die Realitäten des 21. Jahrhundert sind geprägt von einer fundamentalen Unsicherheit und damit auch Unberechenbarkeit. Soziale, ökologische und technologische Disruptionen bilden keine Ausnahme, sondern vielmehr die Ausgangslage. Das macht es zunehmend schwer, statische Fähigkeiten ins Zentrum von Bildungsbemühungen zu platzieren, bspw. in der Form monothematischer oder monodidaktischer Curricula.
- Beide Projekte machen aus der Not eine Tugend und setzen stark auf transformative Fähigkeiten. So erscheinen stakeholder von Bildungsprozessen nicht als ‚Empfänger:innen‘ oder gar Opfer genannter Disruptionen, sondern vielmehr als die proaktiven Gestalter:innen eines wünschenswerten Wandlungsprozesses. Folgerichtig setzen beide Dokumente auf eine starke ‚student agency‘.
- Damit entsteht gleichzeitig die Frage nach Richtung und Orientierung von Transformationsbemühungen, die in beiden Fällen einerseits mit der Betonung und Stärkung ethischer Fähigkeiten von Lernenden begegnet wird. Andererseits bauen sowohl UNESCO, als auch OECD auf eine vehemente Pluralität von zu vermittelnden Fähigkeiten, sodass stakeholder im richtigen Moment nicht nur über Richtungen entscheiden, sondern diese auch performativ prägen können.
Ungeachtet dieser Gemeinsamkeiten setzen beide Projekte unterschiedliche Schwerpunkte. Während die UNESCO Bildung konsequent im Lichte von sozialer Gerechtigkeit und globaler Solidarität reflektiert, pointiert die OECD erwartete Arbeitswelten der Zukunft und daraus abgeleitete Anforderungen. Für den spezifischen Diskurs um sozioökonomische Bildungsprozesse halten die genannten Projekte maßgebliches Innovationspotenzial bereit, dem eine größere Aufmerksamkeit zu wünschen ist. Anhaltende Debatten entlang akademischer Disziplinen oder Denkschulen können auf Grundlage diese Impulse konsequent zugunsten einer akteursorientierten Reform sozioökonomischer Bildungsbemühungen im Kontext einer eminent disruptiven Gegenwart aufgegeben werden. Die entscheidende Frage lautet: Welche Fähigkeiten brauchen Akteure, um eine nachhaltige Wirtschaft effektiv gestalten zu können? Denn daran wird der Erfolg entsprechender Bildungsbemühungen letztlich gemessen werden: Ob sozioökonomisch Gebildete dazu in der Lage sind, ihre spezifischen lebensweltlichen Kontexte so zu transformieren, dass sie ein gutes Leben für alle – inklusive zukünftiger Generationen und nicht-menschlicher Lebewesen – ermöglichen.