Politische Bildung in Nordrhein-Westfalen – oder: Paradebeispiel für eine politisch motivierte Bildungsreform
Zum Schuljahresbeginn 2019/20 setzte die schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens die Neueinführung des Fachs „Wirtschaft-Politik“ durch. Dies geschah, obwohl die Forderung, das Separatfach „Wirtschaft“ an allgemeinbildenden Schulen einzuführen, wissenschaftlich höchst umstritten ist. Inzwischen betreffen die Veränderungen auch die Kernlehrpläne der Haupt-, Real- und Gesamt-/Sekundarschulen. An Hauptschulen wurde die ökonomische Bildung durch die Hervorhebung betriebs- und volkswirtschaftlicher Bildungsanteile in der Fachkonstruktion „Arbeitslehre“, die nun als „Wirtschaft und Arbeitswelt“ bezeichnet wird, gestärkt. An Real- wie auch an Gesamt-/Sekundarschulen wurde das Fach „Wirtschaft“ als eigenständiges Themenfeld innerhalb der Gesellschaftslehre eingeführt, die zuvor bereits die Fächer Erdkunde, Geschichte und Politik umfasste. Politische Bildungsanteile wurden gemeinsam mit historischen Bildungsanteilen reduziert. Die Marginalisierung politischer Bildung gefährdet die Institution Schule, „die prinzipiell alle jungen Bürgerinnen unabhängig vom sozialen, kulturellen und ökonomischen Status des Elternhauses erreichen und auf die Bürgerrolle in der Demokratie vorbereiten soll“ (Achour & Wagner 2019, S. 1: http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/15466.pdf), da gerade Hauptschülerinnen, die statistisch gesehen weniger politische Bildungsangebote als Gymnasiastinnen erhalten, dadurch noch weniger bedacht werden. Zudem zeigen Stellungnahmen der einschlägigen Fachverbände, der Landeselternkonferenz und der Landesschülerinnenvertretung im Zuge der üblichen Verbändebeteiligung eine grundlegende Ablehnung der derzeitigen Entwicklung. Die massive Kritik konnte indes nur marginale Veränderungen zugunsten politischer Bildungsanteile erwirken, weshalb das Verfahren u.a. von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung e.V. als „zunehmend pseudo-demokratische Abwicklung“ kritisiert wurde (https://www.sowi-online.de/blog/transparenz_schaffen_debatte_zu_den_neuen_kernlehrpl%C3%A4nen_nordrhein_westfalen_den_stellungnahmen.html). Die Behauptung der Landesregierung, „Wirtschaft-Politik“ sei ein integratives Fach und die Sorge um die Zukunft politischer Bildung unbegründet (https://www.schulministerium.nrw.de/zur-aktuellen-debatte-um-die-lehramtsstudiengaenge-sozialwissenschaften-und-wirtschaft-politik), ist ein Vorwand, der die Kernlehrpläne für die (noch) existierenden Sozialwissenschaften in der Sek. II bedroht. Kurzum: Parteipolitische Ziele der schwarz-gelben Landesregierung dominieren den Lehrplanentwicklungsprozess – zu Lasten der politischen und gesellschaftlichen Bildung in NRW.