Die Lehrerausbildung ist gegenwärtig wieder einmal in aller Munde.(2) Das PISA–Beben, dessen Schockwellen sich eigentlich nur auf das allgemeinbildende Schulwesen ausbreiten sollten, erschüttert inzwischen auch die Berufsbildung. Die Bildungspolitik reagiert nicht mehr nur mit Strukturreformen, sondern mischt sich jetzt, nach Beratung durch – wer weiß wie – ausgewählte Berater, mit inhaltlichen Vorgaben in die Lehrerausbildung ein – auch in die der Berufsschullehrer, obwohl wir hier mit unserem Basiscurriculum, von dem noch zu reden sein wird, schon wichtige Schritte gegangen und der Politik mit unserem marktgängigen polyvalenten Diplom–Abschluss weit voraus sind.

Es ist insbesondere die KMK, der wir schon die "verschlimmbessernde" curriculare Lernfeld–Reform verdanken, die sich auch jetzt wieder als Schrittmacher und Vorreiter geriert. Sie propagiert die Einführung von Standards für die Lehrerbildung in der Hoffnung, auf diesem Wege das Bildungsniveau der Schülerschaft, wie es auf der PISA–Skala gemessen wird, zu heben. Dieses Vorhaben verbindet die KMK mit der forcierten Umsetzung des Bologna– Prozesses. Und die Neuordnung aller Studiengänge im BA/MA–Korsett wird darüber hinaus mit der Forderung verknüpft, alle neuen Studiengänge seien zu modularisieren und die Module auf die Vermittlung von Kompetenzen auszurichten. Dieser Anspruch wird durchgesetzt mit der Androhung von Sanktionen: Studiengänge, die sich diesem Konzept nicht beugen, werden nicht akkreditiert (KMK 2005).

Wieder einmal, wie z.B. beim "Lernfeld–Ukas", werden die Reformen verordnet ohne jede vorauslaufende empirische Fundierung und sogar ohne empirische Begleitforschung.(3) So haben wir weder eine Vorstellung davon, was das neue Treatment leistet, noch werden wir am Ende sagen können, ob es mehr leistet als das bisherige. Denn selbst wenn PISA–Befunde (oder die noch lange nicht vorliegenden PISA–B–Befunde) künftig günstiger ausfallen sollten, wird dieser Effekt nicht geradewegs auf die geänderte Lehrerausbildung zurückführbar sein, weil zur gleichen Zeit weitere Reformen angesetzt werden (z.B. Ganztagsschule, Oberstufenreformen, Verkürzung der Schulzeit).

Selbst im Umfeld der Berufs- und Wirtschaftspädagogik stoßen diese politischen Maßnahmen auf teilweise erstaunlich große Zustimmung (vgl. Sloane 2003). Sie speist sich vermutlich aus dem Eindruck, dass die Lehrerbildung auch in unserem Felde noch nicht optimal sei – und einem solchen Urteil muss man natürlich immer zustimmen. Wann wäre die Lehrerausbildung schon optimal! Überraschend ist gleichwohl, dass in argumentativen Umfeldern wie dem unsrigen, in denen man kontrollierende Begleitforschung für Modellversuche in Schulen und Betrieben für nötig hält, ein gänzlich unfundierter, auf Spekulationen angewiesener Reformeifer in Sachen Modularisierung, BA/MA und Standards entfesselt zu sein scheint.(4)

Der Schlüsselbegriff, der die aktuellen Aktivitäten nicht nur begleitet, sondern begründet, ist die Formel von der "Qualitätsentwicklung durch Output–Steuerung" (vgl. Heinrich 2005, S. 266). Gemeint ist, dass die Lehrerausbildung nicht (mehr) über den Input, sondern über die zu erzielenden Ausbildungsresultate gesteuert werden soll. Diese Resultate werden in aller Regel (von Ausnahmen wird noch zu sprechen sein) in Kategorien von Kompetenzen beschrieben und zugleich vorgeschrieben bzw. in Form von Selbstverpflichtungen verbindlich gemacht. So hat die KMK am 16.12.2004 eine Liste von gruppierten Einzelkompetenzen für die pädagogische Qualifizierung von Lehrern aller Art, also auch Berufsschullehrern erlassen. Hier zur Erinnerung ein paar Beispiele:

"Die Absolventinnen und Absolventen …
– … kennen allgemeine und fachbezogene Didaktiken und wissen, was bei der Planung von Unterrichtseinheiten beachtet werden muss." (KMK 2004, S. 7, Sp. 1)
– … wissen, wie man Lernende aktiv in den Unterricht einbezieht und (wie man; K.B.) Verstehen und Transfer unterstützt." (ebd., S. 8, Sp. 1)
– … wecken und stärken bei Schülerinnen und Schülern Lern– und Leistungsbereitschaft." (ebd., Sp. 2)
– … kennen interkulturelle Dimensionen bei der Gestaltung von Bildungs– und Erziehungsprozessen." (ebd., S. 9, Sp. 1)
– … begründen Bewertungen und Beurteilungen adressatengerecht und zeigen Perspektiven für das weitere Lernen auf." (ebd., S. 11, Sp. 2)

Übersicht 1: Ausbildungsstandards für Lehrer (Auswahl aus KMK 2004)

 

Man muss bei der Lektüre dieser Formulierungen den Eindruck gewinnen, dass hier in der Tat relevante Kompetenzen benannt werden. Diese Relevanz ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass es sich um vergleichsweise [/S. 44:] anspruchsvolle, komplexe Kompetenzen handelt, die für das Tätigkeitsfeld Schule durchaus charakteristisch sein dürften. Freilich verbindet sich damit zugleich unausweichlich, dass sie nicht ohne weiteres, ja, dass sie gegenwärtig und in absehbarer Zukunft überhaupt nicht diagnostiziert werden können. Wir verfügen über keine auch nur annähernd verlässlichen Verfahren zur einigermaßen kontrollierbaren objektiven Erfassung solcher Kompetenzen und niemand darf ernsthaft behaupten, er könne gar die Höhe ihrer Ausprägung im Personenvergleich feststellen (vgl. Diehl 2003).

Die Lage ist insofern noch viel desolater, als noch nicht einmal die unverzichtbaren theoretischen Voraussetzungen für die Messung derart komplexer Fähigkeiten geschaffen sind, auf deren Grundlage das schwierige und langwierige Geschäft der Entwicklung von Messinstrumenten allererst betrieben werden könnte. Es fehlen nämlich konzise theoretische Modelle der Lehrer–Kompetenzentwicklung (vgl. Klieme et al. 2003, S. 58), welche die interne Struktur von elaborierten Lehrerleistungen und die Entwicklungsstufen auf dem Wege dorthin beschreiben. Soweit ich sehe, liegen bislang überhaupt nur drei hinreichend tragfähige und einschlägige theoretische Modelle für Kompetenzentwicklung vor, nämlich das von Piaget zur Intelligenzentwicklung (2003), das von Selman (1980) zur Entwicklung der sozialen Perspektivenübernahme und das von Kohlberg (Colby, Kohlberg 1987) zur moralischen Entwicklung – alle drei inzwischen durch eine umfassende empirische Forschung fundiert. Und dennoch ist noch nicht einmal für sie, insbesondere für das Selman– und das Kohlberg–Modell, eine hinlänglich befriedigende Umsetzung in gut handhabbare und praktikable Messinstrumente gelungen.

Genau diese Konstellation, nämlich dass einerseits ein dringender Bedarf für hochwertige Ausbildung und leistungsfähige Absolventen gesehen wird, dass zugleich jedoch andererseits kein Wissen darüber vorliegt, wie die anspruchsvollen Ziele erreicht und erst recht, wie ihre Erreichung festgestellt werden soll, ist uns freilich bestens vertraut. Wir kennen dieses Szenario aus der Schlüsselqualifikationsdebatte. Es verleitete erst vor wenigen Jahren phantasievolle Zeitgenossen zur kaum zu bremsenden Produktion immer neuer Ausbildungsziele, nicht zuletzt weil man auf eine an geeigneten Adjektiven reiche Kompetenz–Umgangssprache zurückgreifen konnte. Angesichts der weit über 600 Schlüsselqualifikationsvarianten, welche Didi u.a. (1993) in der einschlägigen Literatur identifizieren konnten, dürfte nicht ganz zu Unrecht das böse Wort von der "verbalen Inkontinenz" der betreffenden Autorenschaft die Runde gemacht haben. Was aus der Schlüsselqualifikationsdebatte geworden ist, brauche ich nicht näher zu erläutern. Ein pietätvolles "requiescat in pace" dürfte das Beste sein, was man ihr angedeihen lassen kann.

Eine nahezu identische Lage haben wir jetzt mit der "Qualitätsentwicklung der Lehrerausbildung durch Output–Steuerung" vor Augen. Die Kompetenzenproduktion läuft bereits auf Hochtouren (vgl. auch Korthagen 2004, S. 79). Wir verdanken der KMK, d.h. genauerhin den Herrn Kollegen Terhart, Tenorth, Krüger und, in allen Gassen vorweg, Herrn Oelkers, die umfängliche Liste von 84 verbindlich vorgeschriebenen Kompetenzen, und zwar allein schon für den Bereich "Bildungswissenschaften". Von fachdidaktischen Kompetenzen, die in der Lehrerausbildung hinzukommen müssen, ist hier noch gar nicht die Rede. Die rheinland–pfälzischen Studienseminare für berufsbildende Schulen (vgl. "Architektur") haben sich auf die Vermittlung von nicht weniger als 107 Kompetenzen verpflichtet. Für die erste Phase produziert dieses Bundesland ebenfalls gerade Kompetenzlisten zu jedem Unterrichtsfach und noch einmal für die sog. Bildungswissenschaften. Die letzteren enthalten für alle Lehrer 39 Kompetenzen (Autor ist – wieder einmal – Jürgen Oelkers). Hinzu kommen die fachspezifischen Kompetenzen, für Wirtschaftslehrer an Haupt– und Realschulen z.B. 45 Kompetenzen plus weitere 40 bis 50 Kompetenzen für das zweite Fach, also insgesamt gut 130 Kompetenzen, die von jedem künftigen Lehrer in Rheinland–Pfalz zu erwerben sind.(5)

Angesichts der fehlenden Diagnostizierbarkeit jeder einzelnen dieser Kompetenzen kann man leicht absehen, was das etwa für die Prüfungen in den ersten und zweiten Staatsexamina bedeutet(6), nichts anderes nämlich als die Öffnung aller Schleusen für Willkür, Unzuverlässigkeit und Subjektivität. So lässt sich, wenn man will, zweifellos bei jedem Prüfling oder Beförderungsaspiranten unter den vielen Kompetenzen mindestens eine finden, von der man ihm gegenüber behaupten kann, sie sei essentiell und er habe sie nicht hinreichend entwickelt. Und natürlich gilt auch das umgekehrte, was die Angelegenheit besonders pikant macht: Könnten wir alle der (vorerst!) weit über hundert Einzelkompetenzen zuverlässig und genau messen, so fänden wir wahrscheinlich niemanden mehr, der in allen die geforderte Mindestausprägung erreicht – eine sehr unerfreuliche Feststellung unter der Perspektive der Sicherstellung des Lehrernachwuchses!

Halten wir zunächst fest:

  • Wir erleben gegenwärtig in der Lehrerbildungsdiskussion einen – wie Peter Sloane (2005) es mit Blick auf die Paralleldiskussion zur Berufsausbildung in der ZBW genannt hat – "Paradigmenwechsel von der Input– zur Output–Steuerung".
  • Diese Diskussion dreht sich im Wesentlichen um Lehrerkompetenzen, also um die Vermittlung von internen Dispositionen, die adäquates oder gar vorbildliches Lehrerhandeln ermöglichen sollen.
  • Die in Rede stehenden Kompetenzen sind aus guten Gründen, nämlich wegen des hohen Anspruchs an die Lehrertätigkeit, relativ anspruchsvoll und komplex.
  • Das bedeutet zugleich, dass sie sich, wenn überhaupt, zumindest gegenwärtig nicht zuverlässig und erst nicht valide diagnostizieren lassen. Damit ist jedoch das Konzept der Output–Steuerung und die Idee des direkten Monitoring von Qualitätsentwick– [/S. 45:] lung, die beide essentiell auf Messung angewiesen sind, nicht rational umsetzbar.
  • Dass ganz abgesehen davon die inhaltliche Bestimmung dessen, was einen guten (Berufsschul–)Lehrer ausmacht, in all den gegenwärtig auf dem Verordnungswege befindlichen Kompetenzkatalogen eher dezisionistisch behandelt wurde, ist ein weiterer zentraler und problematischer Punkt, der hier nicht vertieft werden kann. Auf die gravierenden Legitimationsdefizite der gegenwärtigen Standardisierungswelle hat Helmut Heid bereits hingewiesen (2003).