Für Überlegungen zur Füllung eines ganzheitlichen Erziehungsanspruchs sind die Aspekte des fächerübergreifenden Lernens, die Handlungsorientierung und die gelungene Balance aus leiblich-sinnlicher Erfahrung und kritisch-rationaler Reflexionsfähigkeit von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne ist die an ethischer Verantwortung orientierte Handlungskompetenz das Meta-Ziel des schulischen Unterrichts. Diesen Überlegungen folgend lassen sich folgende didaktische Eckpunkte des im Rahmen dieser Arbeit und der vorzustellenden Unterrichtsversuche vertretenen Anspruchs zusammenfassend darstellen und mit zu klärenden Fragestellungen versehen, die über die Analyse der Unterrichtsversuche und deren interpretativer Bearbeitung einer Beantwortung näher kommen könnten:

  1. In Zusammenhängen lernen: Wie kann über das exemplarische Erkunden über die Erhellung des Teilhaften, über die sinnliche und reflektierende Wahrnehmung des Speziellen übergegangen werden zu ökologischem und vernetztem Denken? Wie kann komplexes und teilhaftes Denken, fachliches und überfachliches Lernen integriert werden? Kann hier der Begriff der "Gestalt" eine Hilfe, ein Bindeglied zwischen Speziellem und Komplexen darstellen? Wie kann strukturkritisches Denken mit überfachlichem Lernen verbunden werden? Können im Verlassen fachlicher Sicherheit neue Situationen fächerübergreifenden Lernens entstehen, die stabilisierend und niveausteigernd an die Stelle ausschließlich fachbezogenen Unterrichtens treten? Wie kann das Dilettieren, die Überforderung von SchülerInnen und LehrerInnen hierbei vermieden werden?
  2. Ethik der Vernunft: Handlungsorientierung und auch fächerübergreifendes Lernen reichen nicht als grundlegende Kriterien eines didaktischen Konzeptes aus. Inwieweit kann es gelingen, eine handlungsleitende Ethik der Vernunft im Sinne POPPs (1997, 149) und eine Verantwortlichkeit zu etablieren, ohne oberlehrerhaft und moralisierend zu indoktrinieren? Wie kann man die Aufmerksamkeit der SchülerInnen für Schlüsselprobleme und deren ethisch geleiteter Bearbeitung im Sinne von KLAFKI (1985 / 1996 (a), 40) gewonnen werden, ohne zu manipulieren? Welchen Stellenwert darf hierbei [/S. 47:] eine eigene Meinungsäußerung einnehmen bzw. inwieweit darf sie überhaupt im Rahmen eines Unterrichtsvorhabens erfolgen? Wie kann eine "Überredungspädagogik" (GRAMMES, 1991, 28ff.) in Bezug auf den pädagogischen Umgang mit ethisch relevanten Problemstellungen vermieden werden?
  3. Selbständigkeit: Die Herausbildung einer selbständigen Handlungskompetenz steht im Mittelpunkt eines ganzheitlichen Erziehungskonzeptes. Wovon hängt das Ausmaß der den SchülerInnen zu eröffnenden Handlungsspielräume ab? Wie kann es gelingen, selbständiges Handeln und den fächerübergreifenden Unterrichtsansatz miteinander in Einklang zu bringen? Führt nicht gerade die selbständige Überschreitung der Fächergrenzen durch die SchülerInnen zur Überforderung und zum Dilettieren?
  4. Kompetenz zur Leiblichkeit: Ein ganzheitliches Erziehungsverständnis und entsprechende Unterrichtswege können das Leibthema nicht ausklammern. Es ist dringend notwendig gangbare Unterrichtswege aufzuzeigen, die Bewegung, Sinnlichkeit und Körpererfahrung mit fachlichem und überfachlichem Lernen verbinden. Insbesondere RUMPF (1981, 1997) hat immer wieder auf die Entkörperlichung und Entsinnlichung schulischer Strukturen und Prozesse hingewiesen, die den Schüler von sich, in seiner Subjektivität entfremden. Ganzheitliches Lernen muß das Leibliche wieder zum Thema machen, um dem Schüler seine Kompetenz zur Leiblichkeit im Sinne eines bewußten und achtsamen Umgangs mit der eigenen Leiblichkeit zu erhalten bzw. wiederzugeben. Hier zeigen sich auch Möglichkeiten zu Querverbindungen einer ganzheitlichen Bewegungserziehung in der Schule (MOEGLING, 1997, 1998), die ihr leibbezogenes Anliegen über den Schulsport hinaus ausdehnt und an die anderen Fächer und die fachübergreifenden Unterrichtsvorhaben heranträgt.
  5. Kritische Reflexionsfähigkeit: Ein ganzheitliches Erziehungskonzept wertet das Leibliche auf, ohne allerdings die Entwicklung eines kritisch-denkenden Zugangs zur Welt zu vermindern. Im Gegenteil: Es müssen Wege gefunden werden, wie die phänomenologische Berücksichtigung der Leib- thematik gerade zu einer kritischen Reflexionsfähigkeit führt und hierzu herausfordert. In diesem Sinne könnte das Leibliche auch zur sinnlich wahrnehmbaren Brücke zur Welt der Zusammenhänge werden, die sich im Leiblichen spürbar kristallisieren und zum leiblich-emotionalen Erlebnis werden. Über das Leibthema hinaus ist natürlich nach effektiven und erfolgreichen [/S. 48:] Wegen im Rahmen fächerübergreifenden Lernens zu fragen, wie im stofflichen Aneignungsprozeß, im Gewinnen fachlicher und überfachlicher Fakten und deren Vernetzungsmöglichkeiten das kritisch-reflexive Handeln gefördert werden kann. Gibt es besondere Methoden des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens, die zu der gemeinten kritischen Reflexionsfähigkeit im besonderen Maße beitragen?
  6. Lebensweltliche Kompetenz: Wie läßt sich im Rahmen des skizzierten ganzheitlichen Erziehungskonzeptes Schule so öffnen, daß Unterricht in die Lebenswelt der Schüler hineinführt, die Lebenswelt zu einem sinnlich erfahrbaren Erlebnis macht, ohne darüber die kritische Reflexionstätigkeit zu vernachlässigen? Wie kann unmittelbar Erlebtes, abstrakt Gedachtes und gesellschaftlich Beobachtetes zu einem Kompetenzgewinn führen, der die subjektiven Erfahrungen der SchülerInnen einbezieht und dennoch über eine lebensweltliche Provinzialität hinausgeht? Wie kann hierbei auch die Natur zum Thema werden, ohne sich in einer mythischen Überhöhung des Natürlichen zu verlieren?
  7. Lebensgeschichtliche Kompetenz: Wie können die Lebensgeschichten der Schüler und der in das Unterrichtsvorhaben einbezogenen Menschen in den Unterricht hereingeholt werden, ohne daß der Unterricht subjektivistisch wird, also auch noch zu verallgemeinerbaren Aussagen führen kann? Wie können die SchülerInnen hierbei aus ihren eigenen biographischen Erfahrungen, aber auch aus Lebensgeschichten anderer Menschen lernen?