Eine Verfächerung des Unterrichts und die Überprüfung individueller Leistung fördern nicht unbedingt Sozialkompetenz. Die gegenwärtig vehement geforderte Einführung eines Schulfaches "Wirtschaft" nehmen wir zum Anlass, nach dessen Beitrag zur Steigerung der Sozialkompetenz zu fragen. Wenn es zutrifft, dass das Fach Politik in unseren Schulen vorrangig formales Wissen über demokratische Institutionen vermittelt, müsste in der Tat über eine Vitalisierung der "Polis" nachgedacht werden. In dem jüngst von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichten "Kerncurriculum Ökonomische Bildung", das nach dem Willen der Autoren möglichst bald zu implementieren sei, treffen wir auf die sattsam bekannten Kreisschaubilder (Staat / Unternehmen / Private Haushalte / Ausland). Diese gruppieren sich um ein sinngebendes Zentrum, das natürlich soziale Marktwirtschaft heißt. Die vier "Wirtschaftssubjekte" werden in jeweils dreißig Stunden abgehandelt. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass es beim Formalismus bleiben wird.
Weil das Fach Politik auf eine längere Tradition zurückblickt, fragen wir, wie es mit der Sozialkompetenz der Jungbürger bestellt ist. Dabei stellen wir fest, dass die Zahl der Nichtwähler ständig zunimmt. Und wir haben ein Problem, das manche nicht dramatisiert sehen wollen, das aber existiert: den Rechtsradikalismus. Den Bildungspolitikern fiel dazu noch nicht ein neues Fach ein, aber sie verordneten einzelne Unterrichtsveranstaltungen mit dem Thema "Rechtsradikalismus". Gleichzeitig wird das teilweise schon eingeführte Fach "Ethik" zum Hoffnungsträger.
Wir bezweifeln, dass ein Kerncurriculum der Konrad-Adenauer-Stiftung längerfristig die 250 000 überschuldeten Haushalte in der Bundesrepublik vermindern wird. Die Expertise von Piorkowsky für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in der Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten analysiert werden, kommt zu einer Auffassung, die Arbeitslehre für pädagogisch adäquater hält als ein Fach Wirtschaft. (Piorkowsky 2000).
Man kann davon ausgehen, dass die Sozialwisssenschaften die grobschlächtigen Stratifikationsmodelle der Vergangenheit zu den Akten gelegt haben. Statt mit Unter-, Mittel- und Oberschicht haben wir es heute mit einem Pluralismus der Lebensstile zu tun. Für die Sozialwissenschaften ist dies eine Herausforderung, auf die auch mit differenzierteren Forschungsprogrammen geantwortet wird. Die Anschlussfähigkeit der Pädagogik wird davon abhängen, ob Lebensstile in der Schule gelernt werden können. Politische Partizipation, Arbeitsmarktorientierung, Konsumpräferenzen, ökologische Verantwortung, Technikverständnis und Gesundheit sind wesentliche Elemente eines Lebensstils. Sie sollten in ihrer Interdependenz für Schüler erkennbar u n d erprobbar werden. Eine Rücknahme der Verfächerung wäre die Konsequenz aus der geforderten Problemorientierung des Lernen. Probleme hören bekanntlich an Fächergrenzen nicht auf. Ein mit der Arbeitslehre abgestimmter Unterricht im Fach Politik könnte höchst effektiv sein, die Inthronisierung eines Faches Wirtschaft ist der Schritt in die falsche Richtung.