Um politische Bildung zu bewirken und nicht nur politisches Wissen zu vermitteln, muss das historisch-politische Wissen durch ein didaktisches Bezugsraster auf Bildung hin strukturiert werden. Es bietet sich ein zweistufiges Verfahren aus historisch-politischen Schlüsselproblemen und politischen Qualifikationen an.
1) Mit den Schlüsselproblemen liegt ein sinnvoller Ansatz vor, gegenwärtige Probleme zum Ausgangspunkt zu machen. Schlüsselprobleme sind gegenwärtige historisch-politische Probleme von struktureller Aktualität. Es sind diejenigen Probleme einer jeden Gegenwart, die für das humane Leben einer Gesellschaft lebens- und überlebenswichtig sind. Diese Probleme sind über die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Parteiungen hinweg als Probleme konsensfähig, obwohl ihre Lösungsvorschläge und -strategien kontrovers sind: Menschenrechte, Umwelt, Meinungsfreiheit in der Mediengesellschaft etc. Schlüsselprobleme helfen, die einzelnen Unterrichtsfächer auf Gegenwartsprobleme hin zu orientieren. Bei der Sozialkunde ist das sowieso der Fall, wie die Konzepte des Fallprinzips und der Konfliktorientierung deutlich machen. Aber auch die wenig offene Werteerziehung macht es, da sie nicht unbefragte, sondern die in der Gegenwart erodierenden Werte ins Zentrum stellt. Die Geschichtsdidaktik hat seit den siebziger Jahren, veranlasst durch die sozialgeschichtliche Wende der Geschichtswissenschaft, den Schritt zum Gegenwartsbezug als Ausgangspunkt für historische Auswahl [/S. 323:]getan. Diese Probleme werden unter den verschiedenen Sichtweisen der Disziplinen zu unterschiedlichen Gegenstandskonstitutionen führen. Schlüsselprobleme leiten in Gegenwarts- und Problemorientierung der politischen Bildungsprozesse. Konkrete Probleme der Schüler wie aktuelle gesellschaftliche Probleme sind Ausgangspunkt für Curriculumkonstruktionen und Unterrichtsplanung.
2) Als Prozesse politischer Bildung müssen Lernprozesse die Schüler und Schülerinnen einbeziehen und die Schlüsselprobleme unter dem Blickwinkel der Lernenden und deren Lebenswelt sehen. Am konsequentesten leistet dies das Konzept der Qualifikationen, das das Land Nordrhein-Westfalen in seinen Richtlinien verfolgt. Qualifikationen verbinden den Inhalts- und Verhaltensaspekt. Der Inhaltsaspekt "Friedensordnungen" wird mit einem Verhaltensaspekt "Fähigkeit und Bereitschaft ... für eine gerechte Friedensordnung ... einzutreten, auch wenn dadurch Belastungen für die eigene Gesellschaft entstehen" (Qualifikation 10 der "Richtlinien für den Politikunterricht" in NRW). Solche Verhaltensaspekte wie Ideologiekritik, Konfliktfähigkeit, altruistische Parteinahme, aktive Friedensfähigkeit etc. machen erst die Dimensionen politischer Bildung deutlich. Die Verhaltensweisen beanspruchen, keine Verhaltensvorschriften, sondern Verhaltensdispositionen zu sein. Das soll durch den Qualifikationsaspekt "Fähigkeit und Bereitschaft" ausgedrückt werden. Allerdings sind bei der Formulierung "Bereitschaft" Zweifel an deren Offenheit anzumelden. Auch wenn Bereitschaft in vielen Qualifikationen durchaus sinnvoll erscheint, sind doch Bedenken angebracht, ob eine offene demokratische Gesellschaft über "Möglichkeit" hinaus zu "Bereitschaft" gehen darf, um damit ein bestimmtes Verhalten festzulegen.