Die Bildungspolitik und insbesondere die Berufsbildungspolitik sieht sich mit einer Reihe von tief greifenden Veränderungen konfrontiert: In den Industrieländern vollzieht sich ein fundamentaler Strukturwandel von der nationalen Industriegesellschaft zur globalen wissensintensiven Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Der Anteil der eigentlichen Produktionstätigkeiten an der Beschäftigung geht zurück, der Anteil wissensbasierter primärer und insbesondere sekundärer Dienstleistungen wächst. Mit der Informations- und Kommunikationstechnologie dringen moderne Wissenschaft und Technik in alle Lebensbereiche und Arbeitsprozesse vor. Damit verändern sich nicht nur die einzelnen Sektoren der nationalen Volkswirtschaften und internationalen Produktions- und Austauschbeziehungen. Dies hat vor allem Auswirkungen auf Beschäftigungsstrukturen, Arbeitsformen und die zukünftig erforderlichen Qualifikationen der Fachkräfte. Parallel dazu werden die internationalen Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen intensiver und weiten sich mit Auswirkungen auf eine zunehmende Zahl von Arbeitsplätzen aus.
Als Ergebnis wird der Anteil höher qualifizierter Tätigkeiten an der Beschäftigung deutlich zunehmen, während der Anteil einfacher Tätigkeiten sinkt. Nach der IAB/Prognos-Tätigkeitsprojektion von 1999 wird sich der Bedarf an Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss bis zum Jahre 2010 von etwa 20 auf dann 10 Prozent verringern (vgl. Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung 1999). Dieser Wandel verstärkt vor allem für Jugendliche ohne Schulabschluss und Berufsausbildung die Probleme bei der Integration ins Beschäftigungssystem. Damit einher geht auf allen Tätigkeitsebenen und an nahezu allen Arbeitsplätzen ein rascher organisatorischer und steter technischer Wandel. Neue und sich kontinuierlich verändernde Anforderungen an die fachlichen und allgemeinen Kompetenzen sind die Folge.
Seit den siebziger Jahren gibt es in der Bundesrepublik zusätzlich einen Trend von einem standardisierten System lebenslanger Ganztagsarbeit im Betrieb hin zu einem System pluralisierter, flexibler, dezentraler Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Festzustellen ist also eine doppelte Verlagerung von Erwerbstätigkeiten: vom industriellen Bereich in den Dienstleistungsbereich, von der Vollzeiterwerbstätigkeit zu den anderen Erwerbsformen wie geringfügige Beschäftigung, Werkvertrags- und Leiharbeit bis hin zur Selbstständigkeit. Doch trotz des Rückgangs der Erwerbsquote im Normalarbeitsverhältnis und Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die berufsförmig organisierte Vollzeiterwerbstätigkeit auch im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die bedeutendste Form der Arbeit.
Zugleich vollzieht sich ein - in seinen Konsequenzen für Qualifizierung und Beschäftigung noch nicht hinreichend wahrgenommener - grundlegender demografischer Wandel. Niedrige Geburtenraten führen nicht nur zu sinkenden Bevölkerungszahlen, sondern vor allem auch zu einer anderen Alterszusammensetzung der Bevölkerung und somit der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Der Anteil der Älteren wächst, der der Jüngeren und in der Folge der mittleren Generation sinkt. Diese beiden bedeutsamen Entwicklungen sind eine große Herausforderung für das gesamte gesellschaftliche System.
Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der parallel verlaufende demografische Wandel müssen nach den bisher vorliegenden Prognosen durch eine verstärkte Aktivierung und Ausschöpfung des - bisher nur unzureichend genutzten - inländischen Qualifikationspotenzials kompensiert werden. Für die wirtschaftliche, soziale und politische Zukunft Deutschlands ist es in hohem Maße mitentscheidend, ob und wie der Übergang der Jugendlichen von der Schule in die Arbeits- und Berufswelt gelingt, um alle vorhandenen Erwerbs- und Qualifikationspotenziale zu entwickeln und auszuschöpfen.
Zurzeit steigt mehr als jeder fünfte Jugendliche im Süden und im Westen und jeder vierte Jugendliche im Norden und im Osten vorzeitig aus seinem Ausbildungsvertrag aus (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002). Etwa 1,3 Millionen Menschen im Alter von 20-29 Jahren haben nach Ergebnissen des Mikrozensus 2000 weder einen Berufsabschluss noch befinden sie sich in einer Ausbildung. Auch wenn beinahe die Hälfte der "Aussteiger" nur "Umsteiger" sind, die ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb oder Beruf fortsetzen, zeigt die hohe Zahl der Ausbildungsabbrecher und der Ausbildungslosen Handlungsbedarf auf.
Primäres Ziel muss es sein, allen Jugendlichen die Chance zu eröffnen, mit einer arbeitsmarktverwertbaren Berufsausbildung den Start in das Berufsleben zu beginnen. Die Umsetzung eines solchen Ziels erfordert ein auswahlfähiges und differenziertes Angebot an Arbeitsplätzen in Berufen, die gute Beschäftigungsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnen und zugleich dem unterschiedlichen Leistungsvermögen und den Interessen der Jugendlichen gerecht werden. Die Bundesregierung versucht durch verschiedene Maßnahmen, wie dem Programm "Kompetenzen fördern - Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf", dem "Jugendsofortprogramm" oder dem "Job-AQTIV-Gesetz" (1), ihren Beitrag zur Erreichung dieses Zieles zu leisten. Schon heute ist die Ausbildungsplatzbilanz in starkem Maße durch die Ausweitung der öffentlich finanzierten Ausbildung geprägt. So haben durch das "Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit" 165.000 Jugendliche wieder den Einstieg in Ausbildung und Beruf gefunden (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 2000). Langfristig wird es von zentraler Bedeutung sein, dass die Bereitstellung eines ausreichenden und auswahlfähigen Ausbildungsplatzangebots durch die Wirtschaft auch zukünftig erreicht beziehungsweise gesichert wird.