Die Veränderung der Arbeitswelt lässt sich anhand folgender dominanter Trends beschreiben

(Abbildung 3):

  1. Informatisierung und Übergang zur wissensbasierten Gesellschaft
  2. Globalisierung der Wirtschaft und der Arbeitsmärkte
  3. Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und Erwerbsformen [/S. 16:]
  4. Höherqualifizierung und Alterung der Erwerbsbevölkerung
  5. Entkoppelung der Erwerbsarbeit von Qualifizierung und sozialer Sicherung
  6. Entstandardisierung der Erwerbsbiografien
  7. Entberuflichung von Qualifizierungsprozessen und Arbeitsmärkten

- Zu 1.: Informatisierung und Übergang zur wissensbasierten Gesellschaft -

Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich auf dem Weg von der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft in die Wissens- und Informationsgesellschaft. Augenfällig wird das an der Veränderung der Erwerbstätigenanteile in einem "Vier-Sektoren-Modell", das die Erwerbstätigen nicht nach ihrer Zugehörigkeit zu den traditionellen Wirtschaftssektoren zuordnet, sondern nach ihrer dort vorrangig ausgeübten Tätigkeit. Danach üben bereits jetzt über 50 % der Erwerbstätigen Informationstätigkeiten aus, während nur noch jeweils ein Fünftel bis ein Viertel Produktions- oder Dienstleistungstätigkeiten verrichten (Abbildung 4). Während der Anteil der Produktionstätigkeiten noch weiter schrumpfen wird, werden künftig noch mehr Erwerbstätige Dienstleistungen und Informationsleistungen erbringen.

Sichtbares Zeichen der Informatisierung ist die allgegenwärtige Nutzung von programmgesteuerten Arbeitsmitteln an ganz unterschiedlichen Arbeitsplätzen und in fast allen Berufen - seien es PC und Internet, seien es programmgesteuerte Werkzeugmaschinen oder Prüf- und Messgeräte. Zwischen 1992 und 1999 hat sich die Nutzung computergesteuerter Arbeitsmittel fast verdoppelt (von 36 % der Erwerbstätigen auf 62 %; Abbildung 5) mit besonders hohen Anteilen in technischen, Planungs- und Laborberufen sowie in Verwaltungs- und Büroberufen oder in kaufmännischen Berufen und personenbezogenen Dienstleistungen. Auch in bestimmten Produktionsberufen arbeiten fast 60 % mit programmgesteuerten Arbeitsmitteln (Troll 2000).

- Zu 2.: Globalisierung der Wirtschaft und der Arbeitsmärkte -

Die Globalisierung verändert die Arbeitswelt zunächst für Menschen, die unmittelbar auf internationaler Ebene zusammenarbeiten - etwa durch erhöhte Anforderungen an berufliche Mobilität, an Fremdsprachenkenntnisse und [/S. 17:] sonstige interkulturelle Kompetenzen. Sie verändert aber auch für jene Menschen, die nicht unmittelbar von internationaler Zusammenarbeit an ihren Arbeitsplätzen betroffen sind, die Arbeitsanforderungen und die Arbeitsorganisation, die Konkurrenzsituation und die Zumutbarkeit an diesen Arbeitsplätzen, weil Unternehmen angesichts des internationalen Wettbewerbs kaum noch regionale Sonderwege bei der Produktion, der Arbeitsorganisation oder der Beschäftigung von Arbeitskräften gehen können.

- Zu 3.: Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und der Erwerbsformen -

Die "Erosion des Normalarbeitsverhältnisses" ist in aller Munde, ohne dass immer überall klare Vorstellungen darüber bestehen, was darunter zu verstehen ist und in welchem Ausmaß eine solche Erosion stattgefunden hat. Neuere empirische Befunde aus einer EU-weiten Untersuchung zeigen, dass 1998 (nur) noch 62 % der deutschen Erwerbstätigen in einem unbefristeten Vollzeit-Arbeitsverhältnis standen gegenüber 67 % 10 Jahre zuvor (Hoffmann, Walwei 2000).

Obwohl diese Daten noch keine dramatische Veränderung signalisieren, zeigt dieselbe Studie, dass "atypische" Beschäftigungsverhältnisse in allen westeuropäischen Ländern an Bedeutung gewonnen haben: So befanden sich EU-weit im Jahre 1998 29 % der Erwerbstätigen in atypischen Arbeitsverhältnissen gegenüber 25 % im Jahre 1988. West-Deutschland liegt mit 27 % leicht über dem EU-Durchschnitt und hatte in den vergangenen Jahren auch einen stärkeren Zuwachs zu verzeichnen (Anstieg von 19,7 % auf 27,0 %). In Ostdeutschland liegt der Anteil der "atypischen" Beschäftigungsverhältnisse (4) bei rund 22 %. Eine weitere Zunahme solcher atypischen Beschäftigungsformen in Ost und West ist zu erwarten aufgrund weiterer Deregulierungen der Arbeitsmärkte im Zuge der EU-Rechtsangleichungen und bedingt durch internationalen Wettbewerbsdruck, aber auch als zwangsläufige Folge des sektoralen und beruflichen Strukturwandels und der Informatisierung aller Lebensbereiche.

Eine andere Untersuchung, die sich dem Problem "unsicherer" oder "prekärer" Beschäftigungsformen widmet (5), kommt zu dem Ergebnis, dass 1998/99 in West-Deutschland rund 10 % der Erwerbstätigen in solchen "unsicheren" Arbeitsverhältnissen waren, in Ost-Deutschland hingegen 16 % (Schreyer 2000). In [/S. 18:] dieser Studie wird deutlich, dass es insbesondere die Un- oder Niedrigqualifizierten sowie jüngere Arbeitskräfte sind, die sich in prekärer Beschäftigung befinden (Westdeutschland: 20 % aller Erwerbstätigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung gegenüber 9 % derer mit abgeschlossener Lehre/ Berufsfachschule, in Ostdeutschland sogar 32 % gegenüber 14 %), aber auch akademische Berufsanfänger. Hauptkomponente unsicherer Beschäftigung ist in Westdeutschland die geringfügige, in Ostdeutschland die befristete Beschäftigung (z. B. ABM).

Zu den neuen Erwerbsformen gehört auch die "Telearbeit", die durch die Informatisierung der Arbeitswelt befördert wird und den Erwerbswünschen vieler Arbeitnehmergruppen entgegenkommt, z. B. dem Wunsch nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dem Wunsch nach größerer persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung in der Arbeitsgestaltung. Allerdings ist Telearbeit in Deutschland noch nicht sehr weit verbreitet, wenn auch im Wachsen begriffen: Im Mai 2000 hatten rund 1 % der Erwerbstätigen in Deutschland einen Telearbeitsplatz, rund die Hälfte davon mit überwiegender Beschäftigung am PC. Am häufigsten kommt diese Erwerbsform bei Selbstständigen und bei Frauen vor (Statistisches Bundesamt 2001).

Die Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis und die Entstehung neuer Erwerbsformen werden häufig auch unter dem Aspekt gesehen, dass der Mensch dadurch zunehmend zum "Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft" wird, für deren Ausprägung, Reproduktion und Weiterbildung er ganz allein verantwortlich ist. Auch dieses Phänomen gehört zum Paradigmenwechsel in der Berufsorientierung.

- Zu 4.: Höherqualifizierung und Alterung der Erwerbsbevölkerung -

Mit den beschriebenen Trends der Informatisierung und Globalisierung, den Veränderungen in der Arbeitsorganisation und dem Entstehen neuer Erwerbsformen verändern sich auch Qualifikationsanforderungen sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung. Anspruchsvollere und teurere Technik, abstraktere Produktionsabläufe und Geschäftsprozesse und rascherer Wandel bei Produkten und Verfahren erfordern von allen Beschäftigten höhere und breitere Qualifikationen. Arbeitsplätze für Ungelernte fallen zunehmend weg. 2010 sind voraussichtlich nur noch 11 % der Erwerbstätigen auf solchen Arbeitsplätzen beschäftigt, die keinerlei formale Berufsausbildung erfordern. Der Trend zur Akademisierung der Erwerbsbevölkerung wird also anhalten und von [/S. 19:] gegenwärtig rund 15 % auf rund 17 % im Jahre 2010 und vermutlich auch danach noch weiter ansteigen (Abbildung 6a und b).

Neben dem Anstieg des formalen Qualifikationsniveaus erhalten außerfachliche, extrafunktionale Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen) immer größere Bedeutung. Diese beziehen sich vor allem auf:

  • Vernetztes, logisches und ganzheitliches Denken
  • Kreativität
  • Organisations-, Planungs- und Managementfähigkeiten
  • Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft
  • Teamfähigkeit und andere soziale Qualifikationen
  • Ergebnis- und Kundenorientierung
  • Internationale und interkulturelle Qualifikationen.

Fachliche Qualifikationen sind nach wie vor wichtig, unterliegen aber einem raschen Verfall und müssen ständig aktualisiert werden. Daraus resultiert neben der Forderung nach einem hohen Allgemeinbildungsniveau und einer möglichst hohen und qualifizierten Erstausbildung als Voraussetzung für den Einstieg in den Arbeitsmarkt, die Forderung nach lebensbegleitendem Lernen, das die fachlichen Qualifikationen ständig auf den neuesten Stand bringt und die außerfachlichen Qualifikationen trainiert.

In vielen dualen Ausbildungsgängen und auch in manchen Studienfächern werden schon derzeit vermehrt curriculare Elemente eingebaut, die dem Erwerb außerfachlicher Kompetenzen dienen sollen. Von vielen Seiten wird gefordert, dass dieser Prozess bereits in den Schulen einsetzen müsse und auch Gegenstand der schulischen und außerschulischen Berufsorientierung und Berufswahlvorbereitung sein sollte.

Schaut man sich vor dem Hintergrund dieser prognostizierten Qualifikationsentwicklung die aktuelle Bildungslandschaft an, so wird deutlich, weshalb gegenwärtig wieder eine intensive Bildungswerbung anläuft. Die westdeutsche Bildungsexpansion der 70er und 80er Jahre ist in den 90ern nämlich ins Stocken geraten. Experten sprechen von einer "Bildungsstagnation" (Reinberg/ Hummel 2001a). So hat sich in Westdeutschland zwischen 1990 und 1998 weder das Abschlussniveau der Schulabgänger aus dem allgemein bildenden Schulwesen noch die Übergänge der Schulabgänger in berufliche Ausbildungsgänge und Studium nennenswert weiter "nach oben" entwickelt, so dass von der jetzt ins Erwerbsleben eintretenden Generation keine Fortsetzung des Höherqualifizierungstrends in der Erwerbsbevölkerung zu erwarten ist. Auch in den neuen Ländern zeigt sich nach der starken Erhöhung der Bildungsbeteiligung bis 1995 [/S. 20:] eine deutliche Abflachung des Höherqualifizierungstrends (Abbildung 7a/b und 8a/b).

Berücksichtigt man zudem die demografische Entwicklung - sinkende Geburtenraten, Alterung der Erwerbsbevölkerung (Abbildung 9a/b) - so wird deutlich, dass Deutschland vor einem dramatischen Fachkräftemangel im Bereich der mittleren und der höheren Qualifikationen steht, wenn nicht rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Das erfordert u. a. auch die Bereitstellung von Nachqualifizierungsprogrammen für jüngere Erwachsene, die derzeit als Ungelernte in den Erwerbsprozess eintreten, und erhöhte Anstrengungen zur Weiterqualifizierung der Beschäftigten im mittleren und höheren Alter (lebensbegleitendes Lernen).

Für die Arbeit der Berufsorientierer und -berater bedeutet dies Ermutigung - Jugendlichen Mut zu machen für eine Zukunft, in der ihre Arbeitskraft gebraucht wird, Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich lohnt, in die eigene Arbeitskraft zu investieren und eine möglichst qualifizierte Ausbildung zu absolvieren.

- Zu 5.: Entkoppelung der Erwerbsarbeit von Qualifizierung und Sozialer Sicherung -

Auch dieser Prozess hat bereits eingesetzt und lässt sich zum einen an der Diskussion um die Reformen in der Renten- und Krankenversicherung (private Altersvorsorge, Ausklammerung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung) und der Ausweitung von prekären Beschäftigungsverhältnissen ohne soziale Sicherung belegen.

Zum anderen sind im Bereich der beruflichen Qualifizierung Tendenzen einer Entkoppelung der Erwerbsarbeit von der Berufsaus- und Weiterbildung erkennbar. Zwar geben Unternehmen nach wie vor viel Geld für die Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten aus, doch ist der Trend hin zu vermehrter Privatisierung von Ausbildungskosten durch Verlagerung in die Freizeit oder Kostenbeteiligung der Beschäftigten unübersehbar. In der dualen Berufsausbildung sinkt die Ausbildungsquote (Anteil Auszubildende an Beschäftigten) und nach wie vor bilden nur rund 30 % aller Betriebe selbst aus, obwohl sehr viel mehr eine Ausbildungsberechtigung haben (IAB 2001). Immer mehr Betriebe gehen dazu über, für bestimmte Positionen, die früher mit weitergebildeten Fachkräften aus dem eigenen Unternehmen besetzt wurden, Hochschulabsolventen zu rekrutieren, für deren Ausbildung sie nichts zahlen mussten und bei denen nur noch die Einarbeitungskosten anfallen. [/S. 21:]

Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern und deren soziale Absicherung würden Unternehmen künftig - so die Meinung von Experten - nur noch für ein bestimmtes Segment ihrer Belegschaft, die sog. Kernbelegschaften, selbst übernehmen (Dostal, Stooß, Troll 1998).

Neue Arbeitsformen und selbstständige Arbeit in vielen Facetten und mit hohen Anforderungen an die Eigenaktivität und Eigenverantwortung für die eigene Qualifizierung und soziale Sicherung prägen das künftige Anforderungsprofil, auf das Jugendliche vorbereitet werden müssen.

- Zu 6.: Entstandardisierung von Erwerbsbiografien -

Die beschriebenen Entwicklungen befördern und unterstützen eine Entstandardisierung traditioneller Lebens- und Erwerbsverlaufsmodelle. Die traditionelle berufliche Normalbiografie, die - nebenbei bemerkt - immer nur eine männliche war, hat zwar noch nicht ausgedient, löst sich aber tendenziell auf. Insbesondere die Notwendigkeit lebensbegleitenden Lernens, aber auch die Verbreitung neuer Erwerbsformen, die Forderung nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen und nicht zuletzt der Wertewandel in der Gesellschaft befördern andere Lebensmodelle als die traditionelle Verteilung von Lernen, Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, Familienarbeit, gesellschaftlicher Arbeit ("Bürgerarbeit") und Nichtarbeit ("Freizeit"). Mit solchen neuen und vielfältigeren Verteilungsmodellen, die selbstverständlich flankiert werden müssen von veränderten Modellen der Sicherung des Lebensunterhalts in diesen verschiedenen Phasen, ergibt sich auch eine Entzerrung und Dekomprimierung des derzeit gültigen Modells von Ausbildung - Erwerbstätigkeit - (relativ frühzeitiger) Ruhestand hin zu einem Modell verteilter und z. T. wiederkehrender Phasen von Lernzeiten, Erwerbszeiten, Unterbrechungen der Erwerbsarbeit und (relativ spätem) Ruhestand (Abbildung 10).

Solche Entwicklungen sind vereinzelt, wenn auch in bescheidenem Umfang, bereits sichtbar, z. B. beim Elternurlaub, Sabbatjahr, Bildungsfreistellungen, Seniorenstudium, aber bei weitem noch nicht gesellschaftliche Normalität. Am deutlichsten erkennbar sind die Auflösungstendenzen beim Berufseinstieg. Hier beobachten wir schon seit längerem eine tendenzielle Auflösung traditioneller Übergangsmuster von der Schule in den Beruf (6). Das lange Zeit gültige "Zwei-Schwellen-Modell" des Übergangs vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem [/S. 22:]

  • Schwelle 1: Übergang von der allgemein bildenden Schule in Berufsausbildung/ Studium
  • Schwelle 2: Übergang von der Berufsausbildung/ Studium in Beschäftigung

und die sich daran knüpfenden politischen Handlungsfelder (Mertens/ Parmentier 1988) haben sich überholt. Jugendbiografien sehen heutzutage vielfach schon anders aus - nicht zuletzt bedingt durch Arbeitslosigkeit und Ausbildungsstellenmangel in den 80er und 90erJahren. Nach dem Ende der allgemein bildenden Schule (mit oder ohne Abschluss) diversifizieren sich die Übergänge und die Abfolge der Stationen:

  • Traditionelle Ausbildung oder Studium
  • Berufsvorbereitungslehrgänge/ -maßnahmen
  • Gelegenheitsjobs
  • Praktika
  • Auslandsaufenthalt
  • Wehr-/ Zivildienst, Freiwillige Dienste
  • Ausbildungs-/ Studienabbruch
  • Erwerbsarbeit
  • Familienzeit
  • Zweitausbildung/ Doppelqualifizierung
  • usw.

In dieser Situation sind die für Berufsorientierung und Berufswahlvorbereitung Verantwortlichen gefordert, Jugendlichen bei der Konstruktion ihrer Biografie zu helfen, um aus den möglichen Stationen und Optionen kein zielloses, undurchschaubares Labyrinth und "Sich-Treiben-Lassen" werden zu lassen, sondern eine planvolle und kohärente, individuelle Karriere zu begründen.

- Zu 7.: Entberuflichung von Qualifizierungsprozessen und Arbeitsmärkten -

Die Bedingungen der Informatisierung und Globalisierung der Erwerbsarbeit und die Qualifikationsanforderungen in den neuen Beschäftigungsfeldern erfordern eine hohe Flexibilität des Arbeitskräfteeinsatzes und eine "Just-in-time"-Qualifizierung der Arbeitskräfte auf der Basis eines soliden und breit angelegten Qualifikationsfundaments. Damit wird sich in Deutschland der Trend zur Entberuflichung des Arbeitsmarktes, d. h. zu einer tendenziellen Auflösung der beruflich strukturierten Zugangswege zum Arbeitsmarkt und der beruflich strukturierten Arbeitsteilung in den Betrieben, in Teilbereichen des Arbeitsmarktes [/S. 23:] fortsetzen. Ein Blick in die Stellenanzeigen von Firmen des sog. "neuen Marktes" verdeutlicht dies: Hier lässt sich weder von der Stellenbezeichnung noch von den geforderten Qualifikationen auf einen "Beruf" oder eine "Berufsausbildung" schließen, die da gesucht wird:


Beruflichkeit - so die Einschätzung von Experten - wird vor allem in folgenden Bereichen auch in Zukunft noch eine Rolle spielen (Abbildung 11):

  • bei den freiberuflichen Tätigkeiten ("professionals"),
  • bei der Rekrutierung von Kernbelegschaften,
  • bei fachzentrierten Kernbelegschaften (im Gegensatz zu unternehmenszentrierten Kernbelegschaften).

Für Angehörige der sog. Randbelegschaften und für Erwerbslose wird die Beruflichkeit weder bei der Rekrutierung noch bei der Tätigkeit künftig eine nennenswerte Rolle spielen (Dostal, Stooß, Troll 1998).

Gründe für das Festhalten am Beruf und am Berufskonzept in der Berufsbildung, wie sie von den für die Berufsbildung Verantwortlichen vorgebracht und verteidigt werden, sind vornehmlich soziologisch, psychologisch und pädagogisch-didaktisch legitimiert. Beruf und Beruflichkeit haben nämlich in der Gesellschaft und im Beschäftigungssystem neben der Qualifikations- und Allokationsfunktion auch eine Sozialisations- und Integrationsfunktion sowie eine identitäts- und sinnstiftende Funktion für den Einzelnen. Letztere sind für die soziale Verortung der Individuen in der Gesellschaft und für das Berufswahlverhalten von Jugendlichen von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Die seit einigen Jahren geführte Modularisierungsdebatte in der Berufsbildung verdeutlicht den Spagat zwischen Entberuflichungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt und dem Festhalten am Berufskonzept in der beruflichen Ausbildung. Modularisierung soll einerseits im Interesse von Jugendlichen und von Betrieben mehr Flexibilität und Differenzierung in die starren Regelungen des dualen Systems bringen, andererseits soll sich Modularisierung am Berufskonzept als pädagogisch-didaktischer Klammer einzelner Ausbildungsmodule und als Orientierungsrahmen gegen die totale Beliebigkeit und Unübersichtlichkeit [/S. 24:] einer vollständig modularisierten Ausbildungslandschaft orientieren (Kloas 1997).

Inwieweit allerdings die orientierungs- und identitätsstiftende Funktion des "Berufs" für die Berufswahl und Berufsorientierung von Jugendlichen noch gewährleistet ist, scheint fraglich angesichts der Erosion der Beruflichkeit in den neuen Ausbildungsgängen:

"Die große Vielfalt der Ausbildungsgänge dürfte eine Folge veränderter Bedarfsstrukturen im Beschäftigungssystem sein. Immer häufiger werden - geboren aus singulären Bedarfsaussagen - zusätzliche Kombinationen von Qualifikationselementen zu neuen Berufsausbildungen zusammengesetzt. (...) Die Probleme beim Übergang aus der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit haben die Autonomie der Ausbildung reduziert, da Ausbildungen immer spezifischer auf den aktuellen Bedarf hin ausgerichtet werden. Qualifikationen und ihre Verwertung werden zunehmend unter dem unmittelbaren Verwertungsaspekt gesehen. (...) Bei dieser Erosion wird der Berufsbegriff gern umgangen, denn dieser signalisiert in der Ausbildung immer noch eine gewisse Abrundung und eine umfassende Basis der gebündelten Qualifikationsziele. Die erste Stufe ist die Entfernung der Abschlussbezeichnung von der Bezeichnung des Zielberufs. Es ist bezeichnend, dass seit fast zwei Jahrzehnten Ausbildungsordnungen verabschiedet werden, die den Voraussetzungen von Klarheit, Prägnanz und Kürze eklatant widersprechen. (...) Diese Wortungetüme sind Ergebnis einer differenzierten Optimierung von Qualifikationselementen, sie sind aber nicht transportabel für die Identifikation mit einer Rolle in der Gesellschaft. (...) Eine zweite Stufe bei dieser Zersplitterung wird durch die neue Kombination von Berufsinhalten ausgelöst. Immer wieder werden additiv zusätzliche Inhalte auf bestehende Ausbildungen aufgesetzt, bis sie ein inhomogenes Spektrum von Inhalten darstellen, das keine Identifikationsrelevanz mehr hat. Bindestrich- und Hybridberufe für integrative Aufgabenlösung, Aufbau- und Doppelausbildungen sowie die Ergänzung des Qualifikationsprofils durch Fort- und Weiterbildungen führen zu individuellen Qualifikationsmustern, die in dieser Vielfalt weder von den Erwerbstätigen noch von den Arbeitsorganisatoren überblickt werden können." (Dostal, Stooß, Troll 1998, S.451 f)