Zur Analyse statistischer Quellen im Wirtschaftsunterricht

Karl-Josef Burkard

Inhalt

Zur Bedeutung des Themas
Schrittweise Heranführung an die Analyse von Statistiken
Stufe 1: Erstes Heranführen an das Arbeiten mit Tabellen und Diagrammen
Stufe 2: Selbstständiges Erstellen von Tabellen und deren graphische Umsetzung
Stufe 3: Ergebnisanalyse statistischer Darstellungen
Lösungsvorschläge zu Übung 1
1) Inhalt und Form der Statistik
2) Analyse der Statistiken
3) Interpretation: Zusammenfassung und Kommentar
Lösungsvorschläge zu Übung 2
Zu Tabelle 1: Gewinnentwicklung
Zu Tabelle 2: Eigenkapitalquoten
Zum Autor

 

Material/Übungen:

Material: Raster zur schrittweisen Erfassung der Inhalte statistischer Darstellungen
Übung 1: Analysieren Sie die Statistiken entsprechend dem eingeführten Analyseraster!
Übung 2: "Eigenkapitalrenditen und Eigenkapitalquoten

Zur Bedeutung des Themas

Statistiken spielen in der Wirtschaftsberichterstattung und folglich auch in einem aktualitätsbezogenen Wirtschaftsunterricht eine zentrale Rolle. Sie werden im Unterricht bei der Behandlung einer Vielzahl relevanter Themen herangezogen, um beispielsweise

- isolierte Daten zu relativieren,
- konkrete Phänomene in einen allgemeinen Zusammenhang einzuordnen,
- langfristige Trends aufzuzeigen,
- die Entwicklungsstände einzelner Volkswirtschaften miteinander zu vergleichen,
- die Reichweite ökonomischer Modelle oder die Wirksamkeit wirtschaftspolitischer Konzeptionen empirisch zu überprüfen,
- wirtschaftliche und soziale Probleme zu verdeutlichen und damit die Notwendigkeit ihrer Bearbeitung oder Lösung bewusst zu machen.

Auf die Möglichkeiten, Statistiken für Zwecke der politischen Propaganda oder der Werbung manipulativ einzusetzen, muss hier nicht näher eingegangen werden. Unzählige Bonmots zeugen von der berechtigten Skepsis berühmter Persönlichkeiten wie des "einfachen Volkes" gegenüber dem Blendwerk statistischer Darstellungen, die der Indoktrination - für welchen Zweck auch immer - dienen. In diesem Zusammenhang sei auf die verständlich und zugleich unterhaltsam geschriebenen Bücher des Statistikers Walter Krämer "Statistik verstehen" (3. Aufl. Frankfurt a.M. 1998) und "So lügt man mit Statistik" (7., überarbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt 1997) hingewiesen, in denen der Autor an vielen Alltagsbeispielen den Missbrauch der Statistik für politische und wirtschaftliche Werbezwecke, aber auch Fahrlässigkeit und Ignoranz von Journalisten und Lesern im Umgang mit statistischen Darstellungen eindrucksvoll beschreibt. (Siehe im übrigen auch den Beitrag von Ralf Raabe in diesem Heft!)

Angesichts der Bedeutung des Themas fällt auf, dass der kritische Umgang mit Statistiken in Rahmenrichtlinien zur politischen und ökonomischen Bildung zwar immer wieder gefordert, im Unterricht aber nur selten gründlich geübt wird.

Nach meinen Beobachtungen werden Statistiken in der Regel nur illustrativ eingesetzt, um eine gegebene Annahme oder Meinung zu bestätigen oder zu widerlegen. Eine methodische Herangehensweise an Statistiken wird auch im sozialwissenschaftlichen Unterricht der gymnasialen Oberstufe nur in wenigen Fällen vermittelt, wie sich noch in der Unbeholfenheit und Kritiklosigkeit zeigt, mit der beispielsweise Studenten des Studiengangs Arbeit/Wirtschaft in den ersten Semestern an Tabellen und Graphiken herangehen; insbesondere fällt auf, dass sich Schüler wie Studenten sehr schwer tun, Statistiken exakt zu beschreiben und immanent zu interpretieren. Nur durch eine systematische Erarbeitung lassen sich Fehler und vorschnelle Urteile vermeiden.

(Vollbild)

Schrittweise Heranführung an die Analyse von Statistiken

Die Fähigkeit, Statistiken schnell und sicher zu analysieren und zu kommentieren, kann nur das Ergebnis eines Lernprozes[/S. 37:]ses sein, der möglichst früh (am besten in den Klassenstufen 5/6) beginnen sollte und bei dem im günstigsten Fall verschiedene Fächer (wie Mathematik, Ökonomie, Geographie, Politik, Geschichte) kooperieren. In "arbeiten+lernen/Wirtschaft" sind bisher einige Beiträge erschienen, aus denen man ein mehrstufiges Lernprogramm zusammenstellen könnte.

Stufe 1: Erstes Heranführen an das Arbeiten mit Tabellen und Diagrammen

Karl-Heinz Hepp und Bernd Ott skizzieren in ihrem Beitrag "Zeichnen und Darstellen" in Heft 5 von "a+l/Wirtschaft" (S. 23 ff.) eine kleine Unterrichtseinheit, in der sie mit ihren Schülern an wenigen überschaubaren Daten zur Umsatz- und Kostenentwicklung eines fiktiven Unternehmens auf quasi experimentelle Weise verschiedene Diagrammformen entwickeln (Punkte-, Linien-, Kurven-, Flächen-, Säulen- und Balkendiagramm) und durch Gegenüberstellung von Umsatz und Kosten in Form eines Säulendiagramms sozusagen en passant die Kategorie des Gewinns einführen. Nach meiner Einschätzung könnte man diese Einheit durchaus schon mit Schülern einer sechsten oder siebten Klasse durchführen.

Stufe 2: Selbstständiges Erstellen von Tabellen und deren graphische Umsetzung

In seinem Artikel "Vom Rohmaterial zur Tabelle" (ebenfalls in Heft 5 von "a+I/Wirtschaft" erschienen) berichtet Bruno Weber über ein von ihm in einer 10. Klasse erprobtes Trainingsprogramm, nach dem die Schüler in einem unterrichtsmethodisch recht anspruchsvollen System arbeitsteiliger Gruppen- und Partnerarbeit weitgehend selbstständig Zahlenmaterial (geplante Ausgaben des Bundes und eines Bundeslandes während dreier Haushaltsperioden) ordnen, zu Tabellen verarbeiten, in Textform erläutern und schließlich in Säulendiagramme umsetzen. M.E. könnte diese Unterrichtseinheit unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere hinreichende Erfahrung mit Partner- und Gruppenarbeit sowie eine elementare Einführung in die Erstellung von Tabellen und Diagrammen) auch schon in einer 8. oder 9. Klasse realisiert werden. Bei einer gewissen Sicherheit der Schüler im Prozentrechnen böte sich als Variante auch die Umsetzung der Tabellen in Kreisdiagramme an.

Stufe 3: Ergebnisanalyse statistischer Darstellungen

Unter dem Titel "Diagramme und Tabellen in der Wirtschaftslehre" schlägt Günther Seeber in "a+l/Wirtschaft" Nr. 10 (S. 40 ff.) ein Verfahren zur schrittweisen Erfassung der Inhalte wirtschaftsstatistischer Darstellungen vor, das sicherlich erst von Lernenden der Sekundarstufe II voll beherrscht werden kann, aber in didaktisch reduzierter Form (insbesondere sprachlich vereinfacht) auch schon mit jüngeren Schülern praktiziert werden könnte. Ich arbeite seit vielen Jahren im Wirtschafts-, Geschichts- und Politikunterricht sowohl der Sekundarstufe I als auch der gymnasialen Oberstufe mit einem ähnlichen Analyseverfahren, das in einigen Punkten über Seebers Analyseraster hinausgeht oder es ergänzt.

Ein solcher Fragenkatalog, der nie ganz vollständig sein kann, hat Hinweischarakter; nicht jede Frage ist für jede Statistik sinnvoll oder von Bedeutung: So stellt sich bei einer Zeitpunkterhebung nicht die Frage nach Trends oder Entwicklungsauffälligkeiten; bei einer einfachen bzw. eindimensionalen Häufigkeitsverteilung mit nur einer Merkmalsausprägung erübrigt sich die Frage nach bestimmten Korrelationen usw. Entscheidend ist, dass die Lernenden durch ein derartiges Raster Anhaltspunkte und Maßstäbe für die genaue und kritische Analyse und Interpretation von statistischen Quellen erhalten, die sie mit zunehmender Übung immer selbstständiger und vollkommenen anwenden können.

Im Folgenden werden zwei Übungen dokumentiert, die von Schülern des 11. und 12. Jahrgangs im Wirtschaftsunterricht zu bearbeiten waren. Die von mir verfassten "Musterlösungen" sollten den Schülern als Orientierungshilfe dienen; auch Schüler mit einer mittleren Leistungsfähigkeit kamen in Klausurarbeiten diesem Anspruchsniveau recht nah. Die Diagramme zur Entwicklung der Brutto- und Nettoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit sowie zur Entwicklung der Abgaben- und Steuerbelastung wurde in einem Kurs des 11. Jahrgangs zum Thema "Der private Haushalt im Wirtschaftsgeschehen" ausgewertet. Sie könnten natürlich auch in anderen thematischen Zusammenhängen (Steuer-, Tarif- und Sozialpolitik) Verwendung finden. Die Tabellen zur Entwicklung der Eigenkapitalrenditen und Eigenkapitalquoten waren Bestandteile einer Klausur zum "externen Rechnungswesen", das im Rahmen eines Kurses zum Thema "Das Unternehmen als ökonomisches und soziales Aktionszentrum" Gegenstand einer längeren Unterrichtseinheit war.

 

Lösungsvorschlag zu Übung 1:

1) Inhalt und Form der Statistik

Die vorliegenden Statistiken wurden vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, einer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände nahestehenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtung, auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes erstellt und im hauseigenen Informationdienst IWD am 30.10.1997 veröffentlicht. Alle Daten beziehen sich jeweils auf das 1. Halbjahr.

Das Kurvendiagramm zeigt für den Zeitraum von 1991 bis 1997 die prozentualen Veränderungen der Brutto- und Nettoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit pro Beschäftigten (jeweils im 1. Halbjahr) gegenüber dem gleich 100 (%) gesetzten [/S. 38:] Basisjahr (Basishalbjahr) 1991. 1991 wurde wohl deswegen als Basisjahr gewählt, weil dies das erste Jahr nach der wirtschaftlichen und staatlichen Vereinigung Deutschlands war. Das Auseinanderdriften von Brutto- und Nettoeinkommensentwicklung wird durch die weiße Fläche zwischen den beiden Kurven optisch hervorgehoben.

Aus den Angaben der Herausgeber zur Statistik geht nicht hervor, ob sich die Kurven auf nominale oder auf reale Größen beziehen; nur durch Heranziehen weiterer Informationen (bzw. aus der Kenntnis der Einkommensentwicklung) wird klar, dass den Daten die Entwicklung der Nominaleinkommen (in jeweiligen Preisen) und nicht der Realeinkommen zugrunde liegt.

Das Säulendiagramm zeigt für die Jahre 1991, 1994 und 1997 die prozentualen Anteile der Sozialabgaben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie der Lohnsteuer an den Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit pro Beschäftigten jeweils im 1. Halbjahr.

Den Statistiken lässt sich im übrigen entnehmen, dass im Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit die Sozialabgaben der Arbeitgeber eingeschlossen sind, die hier als Summe der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung (einschließlich Unfallversicherung) und der unterstellten Beiträge der Arbeitgeber für Entgeltfortzahlung und Gesundheitsschutz definiert werden.

2) Analyse der Statistiken

a) Zum Kurvendiagramm:

Von 1991 bis 1997 wächst das Bruttoeinkommen pro unselbstständig Beschäftigten um 33,6 %, der Nettolohn aber nur um 21,9 %. Auf einen steilen Anstieg des Bruttoeinkommens aus unselbstständiger Arbeit von 1991 auf 1992 (rund 10 %), der sich 1993 noch verlangsamt fortsetzt (ca. 7-8 %-Punkte), folgen von 1994 bis 1997 bescheidenere, aber stetige Zuwächse (ca. 3-4 %-Punkte pro Jahr). Die Nettoeinkommen entwickeln sich 1991 - 1993 noch fast parallel zum starken Anstieg der Bruttoeinkommen. In den Jahren 1993 - 1995 weitet sich die Kluft zwischen Netto- und Bruttoeinkommen, während 1995 - 1996 die Nettoeinkommen sogar etwas schneller als die Bruttoeinkommen steigen (das einzige Mal im untersuchten Zeitraum). 1996 - 1997 stagnieren jedoch erneut die Nettoeinkommen; damit verschärft sich die Diskrepanz zwischen Netto- und Bruttoeinkommen.

b) Zum Säulendiagramm:

Der Anteil der Sozialabgaben und Lohnsteuern steigt von 43,5 % im Jahre 1991 über 46,4 % im Jahre 1994 auf 48,5 % des Bruttoeinkommens aus unselbstständiger Arbeit im Jahre 1997. Dieser Anstieg um 5 Prozentpunkte ist hauptsächlich dem Anstieg des Anteils der Sozialabgaben um 3,8 Prozentpunkte geschuldet (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zusammen von 30,8 % auf 34,6 %), während der Anteil der Lohnsteuer schon bis 1994 von 12,7 % auf 13,9 % des Bruttoeinkommens, d.h. um 1,2 Prozentpunkte zulegt.

3) Interpretation: Zusammenfassung und Kommentar

Im Zeitraum von 1991 bis 1997 stiegen zwar die nominalen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, jedoch langsamer als die nominalen Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit, da die Zuwächse der Bruttoeinkommen zu einem beträchtlichen Teil durch die steigende Steuer- und Abgabenlast "aufgefressen" wurden. Der Anstieg der Brutto- und Nettoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit wäre allerdings deutlich niedriger, wenn nicht nominale, sondern reale Größen zugrunde gelegt würden, wenn also die Inflationsraten berücksichtigt würden. Dann wären nämlich für einige Jahre (1994 und 1997) negative Veränderungsraten der Entwicklung der Nettolohn- und Gehaltssumme zu erwarten.

Die Intention der Herausgeber dieser Graphiken ist unschwer zu erkennen: Sie wollen offensichtlich die Aufmerksamkeit des Betrachters darauf lenken, dass für die zeitweise (1994, 1997) stagnierenden Nettolöhne weniger die bescheideneren Tariferhöhungen, sondern die enorm gestiegene Steuer- und Abgabenlast, also die Finanz- und Sozialpolitik des Staates verantwortlich ist. Damit wird einerseits nachdrücklich die Notwendigkeit einer sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer entlastenden Reform des Systems der sozialen Sicherung sowie der Besteuerung unterstrichen, andererseits aber auch den Arbeitnehmern suggeriert, dass sich Erhöhungen der Lohn- und Gehaltstarife im Grunde gar "nicht lohnen".

Lösungsvorschlag zu Übung 2:

Zu Tabelle 1: Gewinnentwicklung

a) Zum Inhalt der Tabelle

In der Tabelle wird die Entwicklung der Eigenkapitalrenditen von deutschen Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung) in Relation zu den Renditen festverzinslicher Wertpapiere im Zeitraum 1987 bis 1995 dargestellt.

Die Eigenkapitalrendite oder Eigenkapitalrentabilität nach Steuern ergibt sich als Verhältnis von Jahresüberschuss (Gewinn) nach Steuern zum eingesetzten Eigenkapital:

Eigenkapitalrentabilität =

Jahresüberschuß
------------------------- x 100
Eigenkapital

Dabei werden unter Eigenkapital die Mittel verstanden, die dem Unternehmen von [/S. 39:] den Eigentümern unbefristet zur Verfügung gestellt werden. Wir entnehmen das Eigenkapital der Passivseite der Bilanz, die für einen bestimmten Zeitpunkt, dem Bilanzstichtag (als letztem Geschäftstag eines Jahres), Vermögen (auf der Aktivseite) und Kapital (auf der Passivseite) gegenüberstellt, während wir den Jahresüberschuss (Gewinn) bzw. Jahresfehlbetrag in der zeitraumbezogenen, d.h. auf ein vergangenes Geschäftsjahr bezogenen Gewinn- und Verlustrechnung finden, in welcher der Erfolg der Unternehmung durch Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag ermittelt wird.

Die Bedeutung der Eigenkapitalrendite liegt darin, dass sie dem Kapitaleigner Aufschluss über die Verzinsung seines Eigenkapitals gibt und ihm einen Vergleich mit den Renditen anderer Anlagearten ermöglicht, z.B. Sparbriefe, Wertpapier-Investmentfonds, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien, Immobilien etc. Festverzinsliche Wertpapiere, mit deren Renditen hier die Eigenkapitalrenditen verglichen werden, sind mittel- und langfristige Schuldverschreibungen (Anleihen, Obligationen) mit Laufzeiten von (in der Regel) 5 und mehr Jahren, die von der öffentlichen Hand, von bestimmten Kreditinstituten oder von Industrieunternehmen ausgegeben werden. Im Unterschied zu Aktien garantieren sie während ihrer Laufzeit (meist) einen gleichbleibenden Zinsertrag, weshalb sie auch als Rentenwerte bezeichnet werden; sie stellen also einen im allgemeinen eher konservativen bis mäßig spekulativen, relativ risikoarmen Geldanlagetyp dar.

b) Analyse der Tabelle

Nachdem die durchschnittliche Eigenkapitalrendite (der prozentuale Anteil der Gewinne nach Steuern am Eigenkapital) bis 1989 auf den Höchstwert von 10,2 % angestiegen war, kam es zu einem erst langsamen und dann sich beschleunigenden Rückgang auf nur noch 1,7 % im Jahr 1993. Seitdem stieg die Eigenkapitalrendite auf zuletzt 7,1 %.

Ende der 80er Jahre bestand ein deutlicher Abstand der Renditen festverzinslicher Wertpapiere zu den Eigenkapitalrenditen (3,5 bzw. 3,2 %-Punkte in 1988 und 1989). In den Jahren 1990 bis 1994 kehrte sich das Verhältnis der Renditen um; die Eigenkapitalrenditen lagen zeitweise ganz erheblich unter denen der Renditen festverzinslicher Wertpapiere (1993 um 4,7 Prozentpunkte). Das heißt, dass Kapitalanleger mit der Geldanlage in festverzinsliche Wertpapiere deutlich höhere Erträge erzielen konnten als mit einer Beteiligung an Kapitalgesellschaften. Erst 1995 überstieg die durchschnittliche Rendite eines Kapitaleinsatzes im Unternehmen die Durchschnittswerte festverzinslicher Wertpapiere um magere 0,6 Punkte.

c) Kommentar zur Entwicklung der Renditen

Mit einer Anlage in risikoarme festverzinsliche Wertpapiere ließ sich in den fünf Jahren von 1990 bis 1994 eine zeitweise erheblich höhere Verzinsung des eingesetzten Kapitals erzielen als mit der gewöhnlich risikoreicheren Investition in ein produktives Unternehmen; oder anders ausgedrückt: Unternehmerisches Engagement wurde zeitweise eher bestraft als belohnt.

Diese Entwicklung musste zur Folge haben, dass die Selbstfinanzierung der Unternehmen litt, also die Finanzierung aus einbehaltenen Gewinnen. Da nun aber bei deutlich höheren Renditen für festverzinsliche Wertpapiere die Mobilisierung von Beteiligungskapital schwierig ist, muss folglich die Bedeutung der Kreditfinanzierung zunehmen. Es ist zu anzunehmen, dass die Eigenkapitalausstattung unter dieser Entwicklung gelitten haben dürfte. Die zuletzt geäußerte Hypothese scheint durch die Entwicklung der Eigenkapitalquoten bestätigt zu werden (Tabelle 2).

Zu Tabelle 2: Eigenkapitalquoten

a) Zum Inhalt des vorliegenden Datenmaterials

Das vorliegende Datenmaterial enthält durchschnittliche Eigenkapitalquoten (definiert als prozentualer Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital) für das Jahr 1994 in verschiedenen Branchen (Industrie, Baugewerbe, Handel), wobei zum einen nur für die Industrie Vergleichsdaten aus dem Jahre 1987 genannt werden, zum anderen für die Industrie größere Unternehmen und mittelständische Firmen, für das Baugewerbe größere Gesellschaften und der Branchendurchschnitt, für den Handel Groß- und Einzelhandel unterschieden werden. Für den Groß- und Einzelhandel, worunter im übrigen keine bestimmten Unternehmensgrößenklassen, sondern nur verschiedene Absatzwege (Verkauf an Weiterverkäufer oder Verkauf an Endverbraucher) zu verstehen sind, werden keine festen Zahlenwerte, sondern Schätzwerte mit Schwankungsbreiten von 1 %-Punkt (Großhandel) und 7 %-Punkten (Einzelhandel) genannt.

b) Analyse der Daten

Die vorliegenden statistischen Daten zeigen, dass in der Industrie die Eigenkapitalquote mittelständischer Firmen im Zeitraum von 1987 bis 1994 deutlich (um 4 %-Punkte) zurückgegangen ist, wobei nicht ersichtlich ist, wann dieser Einbruch erfolgte, während die großen Gesellschaften ihren Eigenkapitalanteil sogar um einen Prozentpunkt steigern konnten. Es ist ebenfalls zu erkennen, dass im Baugewerbe die größeren Gesellschaften eine um 3 Prozentpunkte höhere Eigenkapitalquote als der Branchendurchschnitt haben. Im Großhandel ist der Eigenkapitalanteil deutlich niedriger als im Einzelhandel. Generell fällt auf, dass die Eigenkapitalquoten außer bei den größeren Industrieunternehmen mit einem Wert von rund 20 % insgesamt recht niedrig sind.

c) Kommentar zur Situation der Eigenkapitalquoten

Angesichts der oben beschriebenen Entwicklung der Eigenkapitalrenditen bestehen nur geringe Aussichten, dass sich auf absehbare Zeit die Eigenkapitalanteile der Unternehmen über eine verbesserte Selbstfinanzierungsfähigkeit erhöhen lassen. Dies ist bedenklich, weil die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen wichtige einzel- und gesamtwirtschaftliche Funktionen erfüllt; sie dient

  • der Bestandsicherung und der Krisenvorsorge des Unternehmens, gewissermaßen als "Polster für Notzeiten",
  • der Kreditsicherung, da ein hoher Eigenkapitalanteil das Risiko der Fremdkapitalgeber (z.B. der Banken) senkt und damit die Bonität des Unternehmens erhöht,
  • als Risikoträger insbesondere bei Innovationen und damit auch
  • der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft überhaupt, wovon letztlich die Funktionsfähigkeit und Legitimität des Gesamtsystems abhängt.

5. zum Autor

Dr. Karl-Josef Burkard unterrichtet am Alten Gymnasium Oldenburg die Fächer Wirtschaftslehre, Politik und Geschichte.

Dieser Text ist ursprünglich unter gleichem Titel erschienen in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, 8. Jg. (1998) Nr. 32, S. 36-39.
© 1998 Verlag Erhard Friedrich, Seelze; © 2001 Karl-Josef Burkard, Oldenburg
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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