Zukunftswerkstatt

Inhalt
1. Kurze Beschreibung der Methode
2. Zielsetzung
3. Ablauf der Methode
4. Forschungsstand
5. Pro und Contra in der Anwendung
6. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel
7. Literatur

 

1. Kurze Beschreibung der Methode

Das Konzept der Zukunftswerkstatt ist untrennbar verbunden mit Robert Jungk, dem als wirkmächtigem Vertreter einer humanistisch und ökologisch engagierten Zukunftsforschung 1986 der Alternative Nobelpreis verliehen wurde. Im Rahmen der Zukunftswerkstatt, die ihre Popularität hierzulande vor allem dem Bielefelder Pädagogen Peter Weinbrenner zu verdanken hat, sollen Utopien entwickelt werden, die nach einer Vorbereitungs-, Kritik- und Phantasie- schließlich in eine Verwirklichungsphase münden sollen. Wesentliches Moment dieser in den 1970er-Jahren entwickelten Methode ist es, Perspektiven für die individuelle und/oder gesamtgesellschaftliche Zukunft zu eruieren. Nach einer Phase des prospektiven Sinnierens über Gestaltungsmöglichkeiten erarbeiten die Teilnehmenden in assoziativer, spielerischer und kreativer Form Lösungsansätze in Form in realitätsgetreuen Schritten zur Erreichung der zuvor formulierten Ziele. Da die Wurzeln der Methode eng mit einem Hauptziele der 1968er-Bewegung – der Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche – verbunden ist, haben Zukunftswerkstätten frühzeitig in den Sozialen Bewegungen Anklang gefunden und werden bis heute in verschiedenen Bürgerinitiativen als wirksames Instrumentarium begriffen, um gemeinsame Ziele zu formulieren (Engartner 2010: 184; Weinbrenner/Häcker 1997: 23).

 

2. Zielsetzung

Wesentlich für die Zielsetzung und auch den Ablauf der Methode ist das Verständnis der Zukunftswerkstatt als integratives Demokratisierungsinstrument: Auf konstruierten Wissenshierarchien basierende Machtverhältnisse in Form des Gegensatzes von Experten und Laien sollen aufgehoben werden, um gruppendynamische Synergieeffekte für kreative Denkprozesse fruchtbar zu machen (Jungk/Müllert 1981: 22-23; Stracke/Baumann 2008: 71-74; Weinbrenner/Häcker 1997: 25). Zu erwarten sind also auch kommunikationsfördernde sowie die schöpferische Phantasie der Teilnehmenden herausfordernde Effekte (Engartner 2010: 185), das gewohnte linear-kausal verfahrende Denken soll in Richtung eines Denkens in komplexen Zusammenhängen überwunden werden (Dauscher 1998: 101). Auch wenn oder gerade weil zumeist erst in Krisenzeiten das Bewusstsein für die Bedeutung alternativer Gedankengänge zu etablierten Ideen geweckt wird, kann in der Förderung eines solchen prospektiven Denkens ein besonderes Potenzial der Methode gesehen werden (Engartner 2010: 184).

 

3. Ablauf der Methode

Das von Jungk und Müllert im Jahre 1981 entwickelte Grundkonzept wurde bei einer methodischen Ausdifferenzierung der verschiedenen Phasen entlang der folgenden Gliederung weitestgehend beibehalten. Eingebettet in Vor- und Nachbereitung werden mit  Phasen der Kritik, der Phantasie und Utopie sowie schließlich der Verwirklichung und Realisierung folgende Kernphasen unterschieden (z.B. Albers/Broux 1999: 28):

  1. Vorbereitungsphase: Neben der Festlegung des Themas stehen in dieser Phase praktische Vorbereitungen sowie Zeit- und Raumorganisation inklusive der Beschaffung benötigter Materialien im Mittelpunkt.
  2. Kritikphase: Mittels formulierter Leitfragen, stummer Impulse oder freier Assoziationen werden die negativen Aspekte einer Situation aus Sicht der Teilnehmer(innen) gesammelt. Die Beiträge sind kurz zu fassen und es wird auf Diskussion oder Lösungsvorschläge verzichtet. Es empfiehlt sich zudem eine Visualisierung (z.B. in Form einer Wandzeitung oder Karteikarten), die die anschließende Systematisierung und Auswahl prioritärer Problembereiche erleichtert.
  3. Phantasie- und Utopiephase: In dieser Phase werden die zuvor benannten Probleme ins Positive gewendet, indem ideale Vorstellungen von der Zukunft formuliert werden. Da hier vor allem das phantasievolle Entwerfen und Ausmalen des gewünschten Zustands wesentlich ist, werden zur Eröffnung dieser Phase spielerische Phantasielockerungsübungen empfohlen, wohingegen jede Form der Realitätsprüfung explizit untersagt ist. Vielmehr kommt es darauf an, die gesammelten Ideen so zu bündeln und weiter zu entwickeln, dass sie zu utopischen Entwürfen verdichtet werden können.
  4. Verwirklichungs- und Realisierungsphase: Der Übergang von der Phantasie- zur Realisierungsphase kann als eine „Sollbruchstelle“ der Zukunftswerkstatt bezeichnet werden, müssen die formulierten Wunschvorstellungen doch in realisierbare Umsetzungsschritte transformiert werden. Die utopischen Entwürfe werden mit Blick auf ihre Realisierbarkeit einer Prüfung unterzogen, wobei auch für die Entwicklung von Durchsetzungsstrategien ein gewisses Maß an Erfindungsreichtum erforderlich ist. So wird zwar zur Vermeidung eines „Realitätsschocks“ empfohlen, zunächst auf Ideen mit hohen Realisierungschancen zu fokussieren, doch gilt es bei der Suche nach neuartigen Wegen auch die Frage nach noch zu schaffenden Bedingungen für die Verwirklichung einer besseren Zukunft in den Blick zu nehmen. Im Sinne der angestrebten Umsetzung der Ideen gilt es schließlich auch, konkrete Projekt- und Finanzierungspläne zu erstellen und diese auch einer breiteren Öffentlichkeit publik zu machen.
  5. Nachbereitungsphase: In der letzten Phase, die entweder im unmittelbaren Anschluss an die Realisierungsphase oder mit einigen Tagen Abstand stattfindet, wird die gesamte Werkstatt reflektiert. Mit der Nachbereitung verbunden ist die Idee der permanenten bzw. der weiterführenden Werkstatt, damit die gewonnen Erkenntnisse nicht folgenlos bleiben, d. h. die konkrete Umsetzung der Ergebnisse systematisch begleitet werden kann (Albers/Broux 1999; Dauscher 1998; Engartner 2010).

Beim unterrichtlichen Einsatz der Methode kommt der Lehrkraft eine weitreichende Moderationsaufgabe zu, ist sie doch für die Einhaltung der Regeln in den jeweiligen Phasen verantwortlich. Ebenso sind die Unterschiede zwischen diesen Phasen auch den Schüler(innen) bewusst zu machen. Zur Unterstützung der Moderation empfiehlt es sich, eine Bandbreite geeigneter Materialien zur Visualisierung der Ergebnisse bereit zu halten (Albers/Broux 1999; Dauscher 1998).

 

4. Forschungsstand

Ursprünglich als Methode der beruflichen und politischen Erwachsenenbildung konzipiert, hat die Zukunftswerkstatt inzwischen auch Eingang in Handbücher zu schulischen Unterrichtsmethoden in der politischen Bildung gefunden (z.B. Sander 2014; Schmidt-Wulffen 2013). Bei den Publikationen, die zuvorderst die methodischen Grundlagen beschreiben, handelt es sich meist um praxisorientierte bzw. erfahrungsbasierte Berichte. Eine umfassende empirische sowie wissenschaftlich fundierte Studie zur Nachhaltigkeit von Zukunftswerkstätten im Bereich der Sozialen Arbeit, die neben der Rolle der Moderator(inn)en und Teilnehmer(inne)n auch die Bedeutung von Auftraggeber(inne)n untersucht, legte Stracke-Baumann im Jahre 2008 vor. Auf der Grundlage von mit Auftraggeber(inne)n und  Moderator(inn)en geführten Experteninterviews arbeitete die Autorin Kriterien heraus, die die Nachhaltigkeit von Zukunftswerkstätten fördern oder hemmen , um schließlich ein Modell zur nachhaltigen Implementierung  von Zukunftswerkstätten zu fördern.

 

5. Pro und Contra in der Anwendung

Die beiden größten Herausforderungen der Methode werden darin gesehen, dass es gelingt, in der Werkstattphase bisher bekannte Denkstrukturen zu verlassen und alternative Gedankengänge zu entwickeln sowie auch über die Werkstattphase hinaus sicherstellen zu können, dass die Realisierung dieser Ideen angestrebt wird. Riskiert wird dann, dass die Unter- oder Überschätzung der eigenen Möglichkeiten bei den Teilnehmer(inne)n letztlich zu Resignation oder Frustration führt. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang wiederum der Aufgabe der Moderation zu, die die Kalkulation mit unvorhergesehenen Störungen und die Vorbereitung darauf miteinschließt (z.B. Stracke-Baumann 2008). Sofern im Umgang mit den beschriebenen Schwierigkeiten auf die Möglichkeiten einer professionellen Moderation vertraut werden kann, sprechen jedenfalls die beschriebenen Potenziale der Zukunftswerkstatt dafür, diese auch weiter zum Kanon der handlungsorientierten Methoden sozialwissenschaftlicher Bildung zu zählen.

 

6. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel

Die Methode kann nicht nur in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern, sondern auch im Ethik- oder Philosophieunterricht zum Einsatz gebracht werden. Mit Blick auf den zeitlichen Rahmen bietet es sich an, die Methode in einen Projekttag oder in eine Projektwoche zu integrieren. Bei kürzeren zeitlichen Verfügbarkeiten wäre zumindest eine fächerübergreifende Anlage sinnvoll. Bei der Wahl der Themen ist darauf Acht zu geben, dass der zukunftsweisende Charakter der Methode gewahrt wird und die Lernenden als Betroffene involviert werden. Im Sinne der angestrebten Realisierung entwickelter Ideen sollten dabei bereits im Vorfeld die Handlungsmöglichkeiten von Schüler(inne)n im Blick behalten werden. So sollte das gewählte Thema auch auf lange Sicht von Relevanz sein und ein Veränderungspotenzial aufweisen, das von den Schüler(inne)n beeinflusst werden kann. Einschlägige Anregungen und zahlreiche Praxisbeispiele sind dazu in der Literatur zu finden (z.B. Albers/Broux 1999; Dauscher 1998; Schmidt-Wulffen 2013).

 

7. Literatur

Albers, Olaf/Broux, Arno (1999): Zukunftswerkstatt und Szenariotechnik. Ein Methodenbuch für Schule und Hochschule. Hrsg. von Peter Thiesen. Weinheim: Beltz Verlag.

Dauscher, Ulrich (1998): Moderationsmethoden und Zukunftswerkstatt. Neuwied: Luchterhand.

Engartner, Tim (2010): Didaktik des Ökonomie- und Politikunterrichts. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.

Jungk, Robert/Müllert, Norbert R. (1981): Zukunftswerkstätten. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Sander, Wolfgang (Hrsg.) (2014): Handbuch politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politischer Bildung.

Schmidt-Wulffen, Wulf (2013): Die besten Lehrmethoden im sozialwissenschaftlichen Unterricht. Schüler aktivieren - Lernen individualisieren. Hamburg: AOL-Verlag.

Stracke-Baumann, Claudia (2008): Nachhaltigkeit von Zukunftswerkstätten. Bonn: Verlag Stiftung MITARBEIT.

Weinbrenner, Peter/Häcker, Walter (1997): Theorie und Praxis von Zukunftswerkstätten. Ein neuer Methodenansatz zur Verknüpfung von ökonomischem, ökologischem und politischem Lernen. In: Burow, Olaf-Axel/Neumann-Schönwetter, Marina (Hrsg.): Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht. Hamburg: Bergmann + Helbig Verlag GmbH, S. 23-54.