Fragen und Hinweise zur Interpretation von Witzen
- Wer sind die Handelnden in den Witzen?
- Gegen wen oder was richtet sich die Pointe des Witzes?
- Ist bekannt, in welcher Situation der Witz entstanden ist?
- Von wem wird der Witz weitererzählt?
- Wie erklärt es sich, daß Witze über körperliche Gebrechen kaum in Gegenwart von Betroffenen (z. B. Stotterern) erzählt werden?
-
Welche Stereotypen tauchen in Witzen über soziale Gruppen auf
(z. B. über Ärzte, Lehrer, Adelige )? - Werden bei ethnischen Witzen zutreffende Eigenschaften beschrieben oder herrschen soziale Vorurteile vor?
- Welche Kenntnisse und Voraussetzungen sind notwendig, um ethnische (oder politische) Witze verstehen zu können?
- Welche Wirkungen werden politischen Witzen in totalitären, welche in demokratischen Gesellschaften zugeschrieben?
- Was verraten politische Witze über die politischen Zustände und die Menschen in einer Gesellschaft?
Vgl. Hannost Lixfeld: Witz. Arbeitstexte für den Unterricht.
Stuttgart 1986, S. 62 ff.
Der Flüsterwitz im Dritten Reich
Jeder Witz, der während der braunen Herrschaft unter Vertrauenswürdigen
von Mund zu Mund weitergesagt wurde, war eine Ladung Sprengstoff am Fundament
des Monsterstaats. Die Ideologen wußten genau, daß ihr rauschender,
aber dennoch dürftiger Weltanschauungszauber durch Spott plötzlich
lächerlich werden konnte. Falsches Pathos verbirgt bekanntlich leicht
einen hohlen Innenraum. Weil sie diese Zusammenhänge kannten, richtete
sich im Dritten Reich der finstere Zorn der Parteiführer auf den
Witzbold. Er entsprach dem Rüstungssaboteur. Beide taten der Wehrkraft
Abbruch, und also verwirkten sie zumindest ihre Freiheit.
Totalitäre Systeme sind auf sturen Ernst zugeschnitten und verstehen
keinerlei Spaß.
Der Witz bleibt ein Spiel des Geistes, wen es trifft, den trifft es. Er
geißelt scharf den neuen Gott Hitler, seine von ihm erhobenen und
von seiner Gnade allein abhängigen Kreaturen, und er geißelt
schließlich den ganzen Betrieb des Dritten Reiches. Dabei ist ihm
eigen, daß er nicht die Ideen als Ideen ironisiert, sondern den
verunstalteten Menschen in seiner Abhängigkeit, sei es als Nutznießer,
sei es als Ausgebeuteter. Dabei darf das Mißverständnis nicht
aufkommen, der Flüsterwitz diene etwa als Beweis für die Gegnerschaft
des deutschen Volkes gegenüber dem Nationalsozialismus. Davon kann
keine Rede sein.
Die Tatsache der Soziabilität des Individuums schafft eine im Wesen
bedingte dauernde Spannung zwischen dem Persönlichkeitsanspruch und
dem Gruppenbestreben nach Einordnung des Individuums.
In den nichttotalitären Staatsformen wird die genannte Dauerspannung
gelöst durch die Möglichkeit beständigen Widerspruchs in
beliebiger Form, vom unverhohlenen Witz bis zur ironischen Leserzuschrift,
vom offenen Brief in der Tagespresse bis zum Protest gegenüber Parlament
und Regierung. Damit pendelt sich im Menschen etwas aus. Er bleibt ein
Sprechender, er befreit sich, redet es sich von der Seele, obwohl keine
sichtbare politische Wirkung zustande kommen muß. Die Tat selbst
hat erlösenden Charakter und muß nicht durch Erfolg nachträglich
ausgewiesen werden.
Der Witz ist das letzte freie Spiel des Individuums, das der Staat nicht
"gleichschalten" kann und das er darum fürchtet oder haßt.
Indem sie mit der Waffe des Witzes das ihnen feindlich gegenüberstehende
System anfechten, bilden sie im kleinen Kreise neu, was in nicht totalitären
Lebensformen den großen Bereich der öffentlichen Kritik ausmacht.
Der Flüsterwitz korrespondiert mit jenen heimlichen Zirkeln, in denen
verantwortliche Menschen gefährliche Arbeit leisten, indem sie forschen,
wie man zum Sturz des absoluten Systems und zum Aufbau einer besseren
Ordnung beitragen könne.
Der Flüsterwitz vermittelt also anthropologische Aufschlüsse
über den Menschen im Totalitarismus, wie sie von anderen Dokumenten
nicht erwartet werden können. Er sagt etwas aus über die Grundbefindlichkeit
in einem Lebenskreis, in welchem das Unrecht regiert und die Perversion
sich unangefochten brüsten darf, wie es im NS-Staat der Fall war.
Er enthüllt das Selbstverständnis des Menschen unter dem äußersten
Druck staatlicher Willkür und zeigt den Zusammenstoß von Einzelanspruch
und kollektiver Gewalt, von Individualgewissen und Gruppenmoral.
Zusammenfassend läßt sich über die Struktur der Witze
und der ihnen entsprechenden politischen Karikaturen folgendes sagen:
Sie unternehmen es, das Wesen von Menschen und Umständen scharf auszuleuchten,
obwohl oft einseitig akzentuierend. Damit machen sie aber verborgene Kräfte
und Tendenzen sichtbar und tragen folglich zur Klärung der Situation
bei, wie sie damals empfunden wurde. Das Witzphänomen steht nicht
nur repräsentativ für das völkische Empfinden, für
den "Zeitgeist" jener Jahre, sondern es erschließt auch
eine Sicht auf den Menschen, die sonst verborgen bliebe. Aus einem anthropologischen
Einzelbefund, wie er sich am Witz darstellt, ergeben sich Möglichkeiten,
den ganzen Menschen zu verstehen. Jeder einzelne Witz ist individuelle
Situationsantwort und zeugt für seinen - meist unbekannten - Urheber;
jeder dieser Witze erhebt sich aber auch ins Überindividuelle, indem
er "umgeht", begegnet und erweckt und durch seine aggressive
Neigung und demaskierende Kraft den Gruppenmitgliedern noch nicht hinlänglich
geklärte Erfahrungen zugänglich macht.
Hans-Jochen Gamm: Der Flüsterwitz im Dritten Reich. München 1963, S. 167-175, Auszüge.
Politische Witze aus dem Nationalsozialismus Die Reichsregierung hat dem Allmächtigen eine Kirche
gebaut. Sie will damit ihre Dankbarkeit für seine Mitwirkung
am Sieg über Frankreich ausdrücken. Folgende Widmungen
werden angebracht. Brief einer Berliner Arbeiterfamilie an ihre Verwandten im Ausland: "Uns geht es gut. Hitler führt uns einer besseren Zukunft entgegen. Fritz, der das Gegenteil behauptet hat, wird morgen beerdigt." Das Auto des Führers fährt den Hund eines Fleischers
tot. Adolf schickt den Chauffeur in den Fleischerladen, um sich
zu entschuldigen und Schadenersatz anzubieten. Der Chauffeur sagt:
"Heil Hitler! Der Hund ist tot " |
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