Die Vertiefung der Elbe im Streit zwischen Ökonomie und Ökologie. Didaktische Überlegungen zur Planung einer Unterrichtseinheit in der Sekundarstufe II zum Themenbereich "Umweltpolitik"

Joachim Detjen

Inhalt

Summary
1. Didaktische Vorüberlegungen
1.1 Das Sachgebiet Umweltschutz in didaktischer Perspektive
1.2 Didaktische Aspekte einer Fallanalyse zur Elbvertiefung
2. Sachanalyse
2.1 Die Situation des Hafenplatzes Hamburg
2.2 Ökologische Probleme einer Vertiefung der Elbe
2.3 Die Einbindung der Elbvertiefung in umweltrechtliche Vorschriften
2.4 Chronologie der Ereignisse um die Elbvertiefung
3. Didaktische Analyse
3.1 Unterrichtsbedingungen
3.2 Politikdidaktische Strukturierung des Gegenstandes
3.3 Ziele der Unterrichtseinheit
4. Planung des Unterrichtsverlaufes
4.1 Unterrichtsphasen und Zuordnung der Materialien
4.2 Mögliche Arbeitsaufträge zur Auswertung der Materialien
4.3 Inhaltsanalyse, Worterklärungen und didaktische Kommentierung ausgewählter Materialien
Anmerkungen
Literatur

 

Summary

Seit bald 10 Jahren bildet die Vertiefung der Elbe zwischen Hamburg und Cuxhaven den Gegenstand heftiger politischer Kontroversen. Das Vorhaben veranschaulicht zugleich die Spannung zwischen Ökonomie und Ökologie. Das Ende dieses Konfliktes ist noch nicht abzusehen. Zwar ist das Thema nach Abschluß der rot-grünen Koalition in Hamburg im Herbst 1997 (vorläufig) von der politischen Agenda verschwunden - die Grün-Alternative Liste hatte bei den Verhandlungen ihre radikal ablehnende Haltung aufgegeben, um in die Regierung zu gelangen - , aber über den Klageweg können von der Baumaßnahme Betroffene das Projekt zumindest noch beeinträchtigen. Die vorgestellte Unterrichtseinheit ist eine Fall- oder Politikanalyse, die dem didaktischen Konzept des Politikzyklus folgt. Sie ermöglicht Einblicke in einen besonderen Bereich des Umweltrechts sowie in die Kompliziertheit eines rechtsstaatlich geordneten Entscheidungs- und Implementationsprozesses.

1. Didaktische Vorüberlegungen

1.1 Das Sachgebiet Umweltschutz in didaktischer Perspektive

Umweltschutz ist ein aktuelles und wichtiges Thema. Dies gilt für das reale gesellschaftliche Leben, wie sich der täglichen Zeitungslektüre entnehmen läßt. Es gilt aber auch für das Aufgabenfeld der Schule. So heißt es beispielsweise in § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes: "Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden, ... ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen" und "für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewußt zu leben." Deutet der zweite Aspekt einen allgemeinen erzieherischen Auftrag an, der für alle Klassenstufen gilt und fächerübergreifende Züge trägt, so ist der erste Aspekt eher dem Bildungsgedanken zuzuordnen und weist eine spezifische Nähe zum Politikunterricht auf.

Das Umweltthema selbst ist hochkomplex und differenziert sich in viele Problemkreise aus. Die Komplexität zeigt sich in den kaum exakt zu bemessenden Auswirkungen menschlicher Handlungen auf die diversen Ökosysteme wie Wasser, Luft, Klima, Boden, Pflanzen und Tiere. Allgemein erörterte Problemkreise sind die industrielle und landwirtschaftliche Produktion, die nachhaltige Versorgung mit Energie, die Abfallbeseitigung, die Abwasserreinigung und die Eingriffe des Menschen in die Landschaft. Zu diesen Eingriffen zählt auch der Fließgewässerausbau in der Absicht, das Gewässer für den Schiffsverkehr nutzbar zu machen.

Sämtliche der eben angesprochenen Problemkreise sind ohne Zweifel relevant für eine Behandlung im Politikunterricht. Gleichwohl dürfte einleuchten, daß sie nicht alle Gegenstand des Unterrichts sein können, da für andere Themen vermutlich keine Zeit bliebe. Im Grunde müßte ein Problembereich genügen, wenn sich an ihm exemplarische Einsichten aufzeigen ließen.

Ein solcher Problembereich unterliegt noch weiteren didaktischen Anforderungen. Er muß zunächst die Umwelt und ihren Schutz thematisieren. Er muß aber auch das Politische, d.h. das Aufgabenhaltige, das Strittige und das Rechtsförmige in der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten, repräsentieren. Hieran ermangelt es nicht selten im Politikunterricht, der sich gerade beim Umweltthema leicht zu einer Art Weltproblemkunde verflüchtigt. Weiterhin ist der Politikunterricht dem Prinzip der Aktualität verpflichtet, was mehr bedeutet als Tagesaktualität, nämlich strukturell bedingte permanente Aktualität. [/S. 96:]

Wünschenswert wäre außerdem, wenn dieser Problembereich unterschiedliche Handlungsebenen abbildete, so daß die Verschränkungen individuellen, regionalen, nationalen, internationalen und globalen Handelns deutlich würden.

Schließlich ist eine grundsätzliche didaktische Entscheidung über die anzuwendende Lehrform zu treffen. Auch wenn das Umweltthema auf einen Problemkreis eingegrenzt wird, bleibt noch offen, ob sich neben - voraussetzungsreichen - handlungsorientierten Lehrformen die textorientierte Lehrform des Lehrganges oder der Fallanalyse besser für eine unterrichtliche Behandlung eignet. Der fachsystematische, auf Vollständigkeit angelegte Lehrgang breitet eine Sachlage generell und abstrakt aus. Die Fallanalyse konzentriert sich auf ein exemplarisches Ereignis, das konkret und induktiv erarbeitet wird und aus dessen Ergebnissen dann über eine Verallgemeinerung grundsätzliche Erkenntnisse gezogen werden (Gagel 1983, 37 ff.).

Alle Unterrichtserfahrung besagt, daß die Fallanalyse motivierender als der Lehrgang ist, da sie einen anschaulichen, auf konkrete Personen, Institutionen und Organisationen bezogenen Unterricht ermöglicht. Es kommt folglich darauf an, einen thematisch einschlägigen Fall ausfindig zu machen, dessen Problematik sich in didaktisch geeigneten Materialien angemessen widerspiegelt.

1.2 Didaktische Aspekte einer Fallanalyse zur Elbvertiefung

Die Vertiefung der Unter- und Außenelbe, d.h. des Flußabschnittes von Hamburg bis zur Nordsee, stellt seit Anfang der neunziger Jahre ein politisches Streitthema in Norddeutschland dar. Während die Freie und Hansestadt Hamburg, genauer: der maßgeblich von den Sozialdemokraten getragene Senat, die Vertiefung der Fahrrinne aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit des Hafens mit Nachdruck verfolgt, lehnen die Umweltschutzverbände mit demselben Nachdruck dieses Vorhaben aus Gründen schwerwiegender, nicht reversibler Eingriffe in Natur und Umwelt ab. Die prinzipielle Spannung zwischen Ökonomie und Ökologie läßt sich also am Fall der Elbvertiefung paradigmatisch aufzeigen. Der besondere Reiz des Themas Elbvertiefung besteht aber darin, daß auch die Betreiber des Vorhabens für sich in Anspruch nehmen, dem Umweltschutz Genüge zu tun. Der Streit geht also nicht einfach um den Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie, sondern um den - politisch kontroversen - Grad des zu berücksichtigenden Umweltschutzes.

Die politische Entscheidung für die Vertiefung der Elbe, die eine Bundeswasserstraße ist, wurde von der Bundesrepublik Deutschland auf Antrag von Hamburg im Einvernehmen mit den beiden anderen anliegenden Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein 1996 gefällt und erfuhr 1997 eine Bestätigung. Gleichwohl ist der Streit um die Fahrrinnenanpassung noch nicht zu einem Ende gekommen. In den Details der 1997 der Öffentlichkeit vorgelegten Planung sehen Umweltschützer und andere Gegner Ansatzpunkte für Kritik und rechtliche Anknüpfungspunkte, das Projekt doch noch zu Fall zu bringen oder zumindest zu modifizieren.

Nach didaktischem Selbstverständnis bedarf jeder im Unterricht behandelte thematische Zusammenhang einer Begründung oder Legitimation. Die bildungstheoretische Didaktik stellt hierfür drei Kriterien zur Verfügung, nämlich Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung und exemplarische Bedeutung (Klafki 1995, 15 ff.).

Die Gegenwartsbedeutung bezieht sich einmal auf die Verankerung eines Gegenstandes im Alltagsbewußtsein der Schüler. Ist dies der Fall, so erleichtert eine solche subjektive [/S. 97:] Bedeutsamkeit oder Betroffenheit den unterrichtlichen Zugang ganz erheblich. Zum anderen verbindet sich mit der Gegenwartsbedeutung die pädagogisch-normative Vorstellung, daß ein Thema für das gegenwärtige Leben objektiv bedeutsam ist und von daher auf die unterrichtliche Agenda gehört. Die Zukunftsbedeutung überträgt den Gedanken der objektiven Bedeutsamkeit auf das zukünftige (Erwachsenen-)Leben der jungen Menschen. Eine exemplarische Bedeutung ist gegeben, wenn sich am Gegenstand allgemeinere Zusammenhänge, Beziehungen, Gesetzmäßigkeiten, Strukturen oder Handlungsmöglichkeiten erarbeiten lassen.

Eine Fallanalyse über die Elbvertiefung unter den Gesichtspunkten von Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung scheint prima facie für alle diejenigen Lernenden unwichtig zu sein, die nicht im Einzugsgebiet der Elbe wohnen. Denn sie sind von der strittigen Angelegenheit weder jetzt noch zukünftig unmittelbar betroffen. Sofern aber der Konflikt um die Elbvertiefung über sich hinausweist und Erfahrungen über die (Umwelt-)Politik in einer Demokratie ermöglicht, ist er hinsichtlich der exemplarischen Bedeutung fruchtbar. Die Fallanalyse erfüllt dann insofern auch die Kriterien der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutsamkeit, als die von ihr ausgehenden Einsichten das Verständnis für die Funktionsmechanismen des demokratischen Verfassungsstaates anbahnen oder vertiefen können. Der Bestand dieses politischen Systems ist zweifellos objektiv gegenwarts- und zukunftsbedeutsam.

Im Recht und in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland ist das Prinzip Umweltschutz völlig unumstritten. Daß Konsens auf prinzipieller Ebene Dissens im Konkreten nicht ausschließt und folglich immer erneut um das richtige Verhältnis zwischen dem einen Gut, hier also dem Umweltschutz, und anderen Gütern gerungen werden muß, ist eine Einsicht, die sich aus der Fallanalyse gewinnen läßt. Daß diese Auseinandersetzung sich im Rahmen des Rechts bewegt und unter ständiger Bezugnahme auf Rechtsnormen geführt wird, zeichnet die Politik eines Verfassungsstaates aus und unterscheidet ihn von Diktaturen, die bekanntlich ihre Maßnahmen durchführen, ohne über Paragraphen zu stolpern. Auch dies ist eine Einsicht von bleibender Aktualität. Daß die politischen Akteure eine Vielzahl von Faktoren in ihre Kalküle einbeziehen müssen - Rechtsvorgaben, Sachgegebenheiten, Zielvorstellungen, konträre Positionen, Machterhaltungsstrategien und Lösungsvorschläge -, daß Politik mithin ein anspruchsvolles Geschäft ist, läßt sich als dritte Einsicht der Fallanalyse entnehmen.

Neben diesen allgemeinen Einsichten lassen sich anhand des Genehmigungsverfahrens für die Fahrrinnenvertiefung Erkenntnisse über einige Grundsätze der Umweltpolitik ziehen. Das Vorsorgeprinzip bedeutet, daß bei allen Entscheidungen ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, um umweltbelastende Entwicklungen zu verhindern. Das Kooperationsprinzip besagt, daß die Beteiligung von Naturschutzverbänden, betroffenen Gebietskörperschaften und Bürgern an der umweltpolitischen Entscheidungsfindung und ihrer Implementation Qualität und Akzeptanz der beschlossenen Vorhaben nur erhöhen können. Das Verursacherprinzip bewirkt, daß der Verursacher von Schäden für deren Beseitigung oder zumindest für einen Ausgleich aufkommen muß.

Wenn die Elbvertiefung auf den ersten Blick nur eine regionale oder bestenfalls nationale Angelegenheit zu sein scheint, so zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß sie darüber hinaus einerseits individuelle und andererseits europäische und sogar globale Aspekte enthält. Die individuelle Ebene zeigt sich, wenn einzelne Betroffene in den Blick genommen werden, seien es nun die Elbfischer, die um ihre Fanggründe fürchten, oder die Bauern, die bisher [/S. 98:] landwirtschaftlich genutzte Flächen aufgeben müssen, da diese als ökologische Ausgleichsflächen vorgesehen sind. Die europäische Ebene kommt ins Spiel bei der rechtlichen Würdigung der beschlossenen Maßnahme. Das europäische Gemeinschaftsrecht schützt bestimmte Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Die Nichtberücksichtigung dieses Schutzgutes bei nationalen Vorhaben kann gegebenenfalls die Organe der Europäischen Union auf den Plan rufen. Langwierige Verzögerungen der Durchführung der Baumaßnahme könnten die Folge sein. Das treibende Moment für die Elbvertiefung selbst ist auf internationaler und globaler Ebene angesiedelt. Der Fahrrinnenausbau ist eine Reaktion auf die Situation im Weltschiffahrtsverkehr. Die international operierenden Reedereien stehen unter einem immensen globalen Konkurrenzdruck. Von diesen Reedereien sind die Häfen abhängig. Nur wenn sie einschränkungslose Zufahrt und Abfahrt ermöglichen, werden sie von den Schiffen angelaufen. Das didaktische Prinzip der Horizonterweiterung findet also in der Fallanalyse angemessene Berücksichtigung.

2. Sachanalyse

2.1 Die Situation des Hafenplatzes Hamburg

Der Hamburger Hafen ist Europas zweitgrößter Containerhafen. Er ist direkter oder mittelbarer Arbeitgeber für über 140 000 Menschen in der norddeutschen Region. Über 70% des Containerverkehrs des Hamburger Hafens entstammt dem Überseeverkehr, auf dem bevorzugt hochmoderne Großcontainerschiffe eingesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Fernost- und Südostasien-Fahrt, die fast 60% des in Hamburg abgewickelten Containerverkehrs ausmacht. Die zukünftigen Chancen des Hafens hängen entscheidend davon ab, ob er weiterhin in den Weltliniendiensten der internationalen Containerreedereien eingebunden bleibt. Die Erreichbarkeit für die in diesen Liniendiensten eingesetzten Schiffe macht aber die Achillesferse des Hamburger Hafens aus.

Zunehmend werden größere Containerschiffe gebaut. Gemessen nach TEU (Twenty Feet Equivalent Unit)-Kapazitäten entfielen bereits 1996 über 60% der Weltcontainerflotte auf Schiffsgrößen über 3.500 TEU. Schon für diese Schiffe bereitet die Elbe gewisse Zugangsschwierigkeiten. Erheblich größere Schwierigkeiten werden Schiffe der Größenklasse über 4.500 TEU haben, deren Anteil am Neubau-Auftragsbestand rasch wächst.

Die Entscheidungen zum Bau dieser Riesenschiffe werden von den Reedereien unter Berücksichtigung weltweiter Marktdaten und Entwicklungstendenzen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen. Die Häfen können von sich aus die Entscheidungsprozesse nicht beeinflussen. Solange es genügend Häfen gibt, die den Schiffen die erforderliche Wassertiefe bieten, gibt es für die Reedereien keine Probleme, wohl aber für diejenigen Häfen, deren Zufahrten nicht ausreichend tief sind.

Von Restriktionen betroffen sind in Hamburg jährlich etwa 700 Abfahrten. Da der Hafen von der Tide, d.h. dem Wechsel von Ebbe und Flut, abhängig ist, können schwer beladene Großschiffe nur zu ganz eng bemessenen Zeiten den Hafen verlassen. Verpassen sie dieses Zeitfenster, müssen sie eine Wartezeit von etwa 12 Stunden in Kauf nehmen. Im Containerlinienverkehr ist aber die Einhaltung des Fahrplans oberstes Gebot.

Die internationalen Reedereien reagieren auf Tiefgangsprobleme damit, daß sie den betreffenden Häfen entweder nicht mehr als ersten Lösch- oder letzten Ladehafen bedienen oder ihn ganz aus dem Liniendienst streichen. Das aber heißt, daß dieser Hafen in die [/S. 99:] Zweitklassigkeit zurückfällt. Dieses Risiko ist dann besonders groß, wenn es in der Nähe tiefseefähige Häfen gibt. Das ist im Fall Hamburgs mit Rotterdam der Fall. Die Niederlande subventionieren zudem die Eisenbahnlinie vom Europoort in das Ruhrgebiet.

Ohne eine Vertiefung der Elbfahrrinne muß Hamburg also große Umschlagverluste befürchten mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Beschäftigungslage in der gesamten Region. Dabei wäre eine Verlagerung des Hamburger Ladungsaufkommens in andere Häfen auch unter umweltpolitischen Gesichtspunkten negativ zu beurteilen. Denn der Hamburger Hafen weist eine Reihe von ökologisch relevanten Vorzügen auf. So bewirkt seine Lage tief im Hinterland eine lange Revierfahrt der Seeschiffe. Dadurch werden in nennenswertem Umfang Landtransporte eingespart. Dann zeichnet den Hafen ein hohes "Lokoaufkommen" aus. Das heißt, daß sehr viele Container nicht nur im Hafen angelandet, sondern dort auch direkt umgeschlagen werden. Die per Landtransportmittel abzufahrende Containermenge ist damit geringer als in vergleichbaren Häfen. Schließlich erreicht kein anderer Hafen einen so hohen Schienenverkehrsanteil bezogen auf den Hinterlandverkehr wie Hamburg.

2.2 Ökologische Probleme einer Vertiefung der Elbe

Ohne Zweifel hat die Ausbaggerung der Elbe erhebliche Auswirkungen auf die natürliche Umwelt, darüber hinaus auch auf den Hochwasserschutz.

Durch die Vertiefung des Flußbettes nimmt die Strömungsgeschwindigkeit zu und steigt der Tidenhub, d.h. der Unterschied zwischen dem Hoch- und dem Tiefwasserstand, an. Das hat Konsequenzen vielfältigster Art für pflanzliche und tierische Lebensgemeinschaften auf der Flußsohle, im Wasserkörper sowie in den Flachwasser-, Watt- und Uferbereichen. So ist mit einem Verlust von Fischverweilbereichen zu rechnen. Die Veränderung des Wasserhaushaltes in den Vordeichländern beeinflußt den Brut- und Rastvogelbestand. Die Brackwasserzone, d.h. der Gewässerabschnitt, in dem sich tidebedingt Salz- und Süßwasserzone miteinander mischen, verschiebt sich flußaufwärts und zerstört bisherige Süßwasserbereiche. Generell erleiden viele geschützte Biotope mehr oder weniger starke Eingriffe.

Es kommt weiterhin zur Verstärkung der Sedimentation, d.h. der Ablagerung von Materialien, die an anderer Stelle abgetragen wurden, in Elbufer- und Nebengewässerbereichen bis hin zur Verlandung oder Verschlickung dieser Bereiche. Gleichzeitig kann es an bestimmten Uferabschnitten zur Erosion des Bodenmaterials kommen mit erheblichen Folgen für die Sicherheit der Deiche. Der Anstieg des Tidenhubs kann zu einem Anwachsen der Sturmflutwasserstände führen.

Die Ausbaumaßnahme selbst ist umweltrechtlich reguliert. So müssen für den nicht notwendig ökologisch unbedenklichen Baggeraushub Ablagerungsflächen gefunden werden, deren Ort der politischen Auseinandersetzung unterliegt. Gesetzlich vorgeschrieben ist, daß für die mit der Fahrrinnenvertiefung verbundenen Eingriffe ökologische Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen sind. Hier gibt es Betroffene, die Nachteile in Kauf nehmen müssen. Darüber hinaus gibt es erfahrungsgemäß umweltpolitisch Engagierte, die die vorgeschlagenen Kompensationsmaßnahmen für völlig unzureichend halten.

2.3 Die Einbindung der Elbvertiefung in umweltrechtliche Vorschriften

Da der Ausbau einer Wasserstraße die Interessen vieler Rechtsträger berührt und stark auf die Umwelt einwirkt, hat die Bundesrepublik Deutschland entsprechend dem Rechtsstaatsprinzip eine Reihe einschlägiger Gesetze in Kraft gesetzt, die das Verfahren und dabei zu berücksichtigende Rechtsgüter genau regeln.

Das Bundeswasserstraßengesetz (WaStraG) bildet die Rechtsgrundlage für alle mit der Verwaltung, der Unterhaltung, dem Ausbau und dem Neubau von Wasserstraßen zusammenhängenden Maßnahmen. Dieses Gesetz bildet daher auch den "roten Faden" für alle die Elbvertiefung bisher betreffenden Beschlüsse und Ereignisse.

§ 4 WaStraG schreibt vor, daß der Bund bei allen Wasserbaumaßnahmen immer im Einvernehmen mit den jeweils betroffenen Ländern handeln muß. Im Fall der Elbvertiefung ergibt sich das Einvernehmen Hamburgs von selbst. Als Hauptnutznießer ist es die treibende Kraft in der Fahrrinnenvertiefung. Niedersachsen und Schleswig-Holstein dagegen verfügen mit Cuxhaven und Brunsbüttel über küstennah gelegene eigene Elbehäfen. Ihr Einverständnis liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. In der Tat bedurfte es erheblichen Druckes von Seiten Hamburgs, um die Zustimmung beider Nachbarländer zu erhalten.

§ 14 WaStraG normiert, daß der Ausbau oder der Neubau von Bundeswasserstraßen der vorherigen Planfeststellung, d.h. der Anlage eines alle hydrologischen Aspekte betreffenden Planes, bedarf. Es heißt dann weiter, daß bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen sind. Von Gesetzes wegen bilden Gesichtspunkte des Umweltschutzes und die Interessen der Betroffenen folglich ein Planungskriterium. Die Planungsbehörde nimmt daher schon während der technischen Planung Gespräche mit Umwelt- und Naturschutzverbänden sowie mit den betroffenen Gemeinden auf. Die sehr aufwendige Planfeststellung und die danach erfolgende Anhörung obliegt der zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektion. Diese überträgt die konkreten Arbeiten der Planung dem vor Ort, d.h. in Hamburg ansässigen Wasser- und Schiffahrtsamt.

§ 14, Absatz 2 WaStraG erlaubt der Wasser- und Schiffahrtsdirektion nach Zustimmung des Bundesministers für Verkehr und nach Anhörung der zuständigen Landesbehörde - im Fall der Elbvertiefung ist das die Wirtschaftsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg - noch vor Abschluß des Planfeststellungsverfahrens eine vorläufige Anordnung zu erlassen, in der Teilmaßnahmen zum Neubau oder Ausbau festgesetzt werden, wenn Gründe des Allgemeinwohles den alsbaldigen Beginn der Arbeiten erfordern. Hiervon wurde im Dezember 1997 Gebrauch gemacht und unter Protest der Umweltschutzverbände mit Baggerarbeiten an der Außenelbe begonnen.

§ 17 WaStraG regelt das Anhörungsverfahren. Die Anhörung bietet Umweltschutzverbänden, betroffenen Bürgern und Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, Gelegenheit zur Stellungnahme und zu Einwendungen. Anhörung ist das Recht, umfassend informiert und beteiligt zu werden. Jede an der Elbe liegende Gemeinde erhält sämtliche Planunterlagen und legt diese vier Wochen lang öffentlich aus, so daß jeder Bürger Einsicht nehmen kann. In eigens anberaumten Erörterungsterminen nimmt die Behörde die in den Gemeinden vorgebrachten Einwendungen entgegen.

Gegenstand von § 19 WaStraG ist der Planfeststellungsbeschluß, der das förmliche Genehmigungsverfahren zunächst abschließt. In diesem Beschluß entscheidet die Behörde nach sorgfältiger Abwägung über die Einwendungen, über die im Erörterungstermin keine Einigung erzielt wurde. Dieser Beschluß kann auch Änderungen der ursprünglichen Planung enthalten.

Gegen den Planfeststellungsbeschluß kann jeder, der eine Verletzung seiner Rechte geltend macht, vor dem Verwaltungsgericht klagen. Erst wenn sämtliche Klagen abgewehrt bzw. die Gerichtsurteile in das Vorhaben eingearbeitet worden sind, ist der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar. Dann erst kann mit der Baumaßnahme begonnen werden.

Das seit 1990 in Kraft befindliche (Bundes-)Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) konkretisiert die im Bundeswasserstraßengesetz (§ 14) angesprochene Umweltverträglichkeit.

§ 1 UVPG stellt als Zweck des Gesetzes fest, es solle sicherstellen, daß bei Vorhaben mit intensiver Ausstrahlung auf die Umwelt - dazu zählt auch der Ausbau von Bundeswasserstraßen - zur wirksamen Umweltvorsorge nach einheitlichen Grundsätzen die Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet werden und das Ergebnis einer solchen Umweltverträglichkkeitsprüfung so früh wie möglich bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit berücksichtigt wird.

§ 2 UVPG führt die Umweltverträglichkeitsprüfung näher aus. Diese bezieht sich auf die Auswirkungen eines Vorhabens auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen, sowie auf Kultur- und sonstige Sachgüter. Die Prüfung setzt eine Untersuchung, nämlich die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU), voraus. Diese enthält drei Elemente: 1. Die Ermittlung der gegebenen Umweltsituation. 2. Die Prognose der maßnahmebedingten Umweltauswirkungen. 3. Die Konzeption und die Bewertung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.

Das letzte Element der Umweltverträglichkeitsuntersuchung hat eine Entsprechung im Bundesnaturschutzgesetz. Dort wird in § 8 vorgeschrieben, daß unvermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft, die den Naturhaushalt oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen, durch geeignete Maßnahmen auszugleichen bzw. zu ersetzen sind. Diese ökologischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in einem Landschaftspflegerischen Begleitplan (LBP) zusammenzufassen und den Anhörungsunterlagen beizufügen.

Die Planung der Elbvertiefung unterliegt nicht nur nationalen rechtlichen Regulierungen. Sie tangiert auch das europäische Gemeinschaftsrecht in Gestalt der Flora-Fauna-Habitat (FFH) -Richtlinie. Diese Richtlinie, über deren Einhaltung die Europäische Kommission in Brüssel wacht, schützt in besonders ausgewiesenen Naturschutzgebieten "prioritäre" pflanzliche oder tierische Arten. Ohne Zustimmung der EU-Kommission darf in solchen Gebieten kein Eingriff vorgenommen werden. Im Bereich der geplanten Vertiefungsarbeiten gibt es mehrere Gebiete, die den Schutz der FFH-Richtlinie genießen.

2.4 Chronologie der Ereignisse um die Elbvertiefung

Mit Schreiben vom 23. April 1990 stellt die Freie und Hansestadt Hamburg an das Bundesministerium für Verkehr einen Antrag auf Anpassung der Fahrrinne der Unter- und Außenelbe an die Bedürfnisse der Containerschiffahrt. Hamburg stützt diesen Antrag auf [/S. 100:] den Wasserstraßen-Staatsvertrag von 1921 und den Zusatzvertrag von 1922, in denen das damalige Deutsche Reich dem Land Hamburg zusagte, die Fahrrinne der Elbe so auszubauen, daß in der Regel die größten Seeschiffe Hamburg unter Ausnutzung des Hochwassers erreichen können.

Auf der Umweltministerkonferenz der Elbanliegerländer wird am 31. August 1990 die Durchführung einer ökologischen Voruntersuchung gefordert, um zu prüfen, ob die Vertiefung grundsätzlich vertretbar sein könne. Da die überschlägigen Abschätzungen dieser Untersuchung positiv ausfallen, nimmt die Bundesregierung am 15. Juli 1992 die Fahrrinnenanpassung in den Bundesverkehrswegeplan unter "vordringlichem Bedarf" auf. Für das gesamte Projekt werden 230 Millionen DM Kosten veranschlagt, deren weitaus größter Teil von der Bundesrepublik Deutschland zu tragen ist.

Im Anschluß an die Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan beginnen die Arbeiten an der technischen Detailplanung. Nach deren Abschluß wird 1993 die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) eingeleitet. Parallel zu dieser Untersuchung wird der Landschaftspflegerische Begleitplan (LBP) erstellt. Die UVU besteht aus insgesamt 44 Einzelgutachten und verursacht Kosten von zehn Millionen DM.

Im November 1996 beurteilt die an der UVU beteiligte Bundesanstalt für Wasserbau die hydrologischen Auswirkungen der Elbvertiefung als ökologisch vertretbar: Die Strömung, der Tidenhub und der Verlauf von Sturmfluten würden nur unwesentlich verändert. Im Laufe des Frühjahrs 1997 werden die diversen Einzelgutachten im Rahmen der UVU abgeliefert. Am 18. Juni 1997 wird das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung veröffentlicht: Der Ausbau verursache zwar erhebliche Eingriffe in das Ökosystem der Elbe - rund 90 Hektar Biotopfläche gingen verloren - , dennoch sei das Vorhaben mit dem Umweltschutz vereinbar, weil im Rahmen des LBP entlang der Unterelbe für mehr als zehn Millionen DM Ausgleichsflächen geplant seien.

Im Juli 1997 wird das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Vom 29. August bis zum 29. September 1997 liegen in Hamburg und allen Elbanliegergemeinden die Ausbaupläne öffentlich aus. Einwendungen müssen bis zum 13. Oktober 1997 der Behörde zur Kenntnis gebracht werden. Insgesamt gehen 650 Einsprüche ein.

Am 13. Oktober 1997 überreichen die norddeutschen Natur- und Umweltschutzverbände dem Amt für Strom- und Hafenbau in Hamburg ihre Stellungnahme. Sie lehnen den Ausbau kategorisch ab, da irreversible Schäden an wertvollen Biotopen zu befürchten seien, die Maßnahme wirtschaftlich nicht zwingend begründet sei und die vorgeschlagenen Ersatzmaßnahmen die ökologischen Schäden nicht ausgleichen könnten. Außerdem werde der Lebensraum des vom Aussterben bedrohten Schierlings-Wasserfenchel vernichtet, was einen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht darstelle. Man werde bei der EU-Kommission Beschwerde einlegen.

Am 08. Dezember 1997 startet die Anhörungsphase. Zwei Tage später, am 10. Dezember 1997, beginnen im Rahmen "vorgezogener Teilmaßnahmen" nach § 14, Absatz 2 WaStraG die ersten Ausbaggerungsarbeiten, um an besonders flachen Stellen der Elbe wenigstens mittleren Schiffsgrößen das Passieren zu ermöglichen. Diese Arbeiten sollen bis Ende April 1998 dauern. Der begrenzte Fahrrinnenausbau ist rechtlich auch ohne abgeschlossenes Planfeststellungsverfahren möglich. Die Umweltschutzverbände erklären umgehend ihren Protest, da sie "nach dieser Provokation" nicht mehr an eine ernsthafte und faire Erörterung glauben. Sie kündigen an, sich am weiteren Anhörungsverfahren nicht mehr beteiligen zu wollen. [/S. 101:]

Neben den stark von verwaltungsrechtlichen Normen bestimmten Geschehnissen gibt es auch eine im eigentlichen Sinne politisch-konflikthafte Ereignisgeschichte um die Elbvertiefung. Hier tauchen als Akteure Parteien und Landesregierungen und als Betroffene Gemeinden, Bauern und Fischer auf. Der Streit um die Elbvertiefung beeinflußt die Koalitionsverhandlungen in Hamburg nach der Bürgerschaftswahl im September 1997 und dient der Profilierung des grünen Koalitionspartners innerhalb der schleswig-holsteinischen Landesregierung.

Die Konflikte setzen vernehmlich am 08. Juli 1996 ein. Der von der Partei Die Grünen gestellte Umweltminister und stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Rainder Steenblock erklärt das Vertiefungsprojekt für ökologisch nicht unbedenklich und für ökonomisch fragwürdig. Er erinnert daran, daß Schleswig-Holstein mit Lübeck und Brunsbüttel über zwei Häfen verfügt, die für einen Containerumschlag geeignet sind.

Am 25. September 1996 befaßt sich die Hamburgische Bürgerschaft in einer Aktuellen Stunde mit der Kooperationsbereitschaft der Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit Hamburg bezüglich der geplanten Fahrrinnenanpassung. Es wird im Verlauf der Debatte deutlich, daß beide Nachbarländer in Gestalt ihrer Umweltministerien eine skeptische Haltung einnehmen. Bürgermeister Henning Voscherau bekräftigt seinen Standpunkt, die Vertiefung der Elbe auf jeden Fall durchzusetzen. Die Debatte zeigt darüber hinaus, daß SPD, CDU und die bis 1997 in der Bürgerschaft vertretene STATT-Partei hinter dem Elbeprojekt stehen, während die Fraktion der Grün-Alternativen-Liste (GAL) sich dagegen ausspricht.

Am 09. Dezember 1996 treffen sich die Regierungschefs der drei norddeutschen Länder zu einer Konferenz. Beim Thema Elbvertiefung wird unter den der SPD angehörigen Ministerpräsidenten Einigung erzielt. Schleswig-Holstein und Niedersachsen bestätigen vorbehaltlich der Ergebnisse der UVU die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Fahrrinnenanpassung. Gut vier Monate später, am 18. April 1997, wird auf der Konferenz Norddeutschland in Hamburg die Vertiefung durch die Ministerpräsidenten und den Bundesverkehrsminister nochmals bekräftigt.

Am 12. Mai 1997 erklärt das schleswig-holsteinische Umweltministerium die Elbinsel Pagensand zum Naturschutzgebiet. Dies hat zur Konsequenz, daß diese im Bundeseigentum stehende, bis auf einen Pächter unbewohnte Insel entgegen den Planungen nicht mehr als Ablagerungsfläche für das ausgehobene Baggergut genutzt werden kann. Denn nach der schleswig-holsteinischen Naturschutzverordnung können in geschützten Gebieten zwar Spülfelder für laufende Unterhaltungsbaggereien, nicht aber für Ausbaggerungen in der zu erwartenden Dimension von bis zu zwei Millionen Kubikmetern Feinsanden angelegt werden. Es kommt zu schweren Irritationen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein.

Am 21. September 1997 finden in Hamburg Bürgerschaftswahlen statt. Die SPD erleidet eine schwere Niederlage. Bürgermeister Voscherau erklärt seinen Rücktritt. Er bleibt aber bis zur Konstituierung des neuen Senats im Amt. Kandidat für das Amt des Ersten Bürgermeisters wird Ortwin Runde. Nach kurzer Überlegung beschließt die SPD, Koalitionsverhandlungen mit der GAL aufzunehmen. Einer der wesentlichen Verhandlungspunkte ist die Elbvertiefung.

Der noch amtierende bisherige Senat erklärt am 07. Oktober 1997 dem Bund demonstrativ sein Einverständnis mit der Fahrrinnenanpassung in der vorgelegten Planung. Diese Erklärung löst bei der GAL Unmut aus und belastet die am 09. Oktober 1997 beginnenden rot-grünen Koalitionsgespräche. [/S. 102:]

Die Umwelt- und Naturschutzbewegungen bestürmen am 13. Oktober 1997, dem Tag vor der zweiten Gesprächsrunde, die Verhandlungsdelegation der GAL, auf keinen Fall der Elbvertiefung zuzustimmen. Dieser Versuch ist fruchtlos. Zwar betont die GAL, sie halte weiterhin den Fahrrinnenausbau weder für ökonomisch noch für ökologisch sinnvoll, dennoch erhebt sie keine Einwendung gegen das Projekt. Die SPD gesteht der GAL als Kompensation zu, auf die Bebauung bestimmter Flächen zu verzichten und auch neue Naturschutzgebiete auszuweisen.

Die Basis der GAL kritisiert am 16. Oktober 1997 auf einer Mitgliederversammlung den kompromißorientierten Kurs der GAL-Verhandlungsdelegation. Dennoch wird am 06. November 1997 der Koalitionsvertrag mit der Maßgabe unterzeichnet, das Verfahren zur Fahrrinnenvertiefung fortzusetzen. Die GAL läßt in den Vertrag folgenden Passus einsetzen: "Die GAL hält ökologische, ökonomische und juristische Bedenken gegen diese Maßnahme aufrecht." Am 10. November 1997 wird die Koalitionsvereinbarung auf der GAL-Mitgliederversammlung zur Diskussion und zur Abstimmung gestellt. Nach heftigen Auseinandersetzungen findet der Vertrag eine Mehrheit von zwei Dritteln.

In den politischen Streit um die Elbvertiefung mischen sich, wenn auch zunächst noch verhalten, schließlich die potentiellen Verlierer ein. Der auf der Insel Pagensand ansässige Pächter klagt vor Gericht gegen die vom Verpächter, dem Bund, ausgesprochene Kündigung. Die Gemeinden der Haseldorfer Marsch, einem Gebiet am nördlichen Elbufer unmittelbar westlich von Hamburg, fühlen sich bei der Planung der Ausgleichsflächen im Rahmen des LBP von den Behörden übergangen. Die Elbfischer protestieren zweimal, am 11. August und am 14. September 1997, mit Kutterkonvois gegen den Fahrrinnenausbau. Besonders betroffen fühlt sich eine stattliche Anzahl von Bauern in Dörfern an der Mündung der Stör bei Itzehoe, die landwirtschaftlich genutzte fruchtbare Flächen in erheblichem Umfange hergeben sollen, damit hieraus ökologische Ausgleichsflächen werden. Nicht wenige Landwirte fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz.

3. Didaktische Analyse

3.1 Unterrichtsbedingungen

Weil sie Ereignisse, handelnde Personen und Institutionen präsentiert, ist die Fallanalyse wohl besser als der Lehrgang geeignet, den Schülern Politik nahezubringen, dennoch darf nicht übersehen werden, daß die Geschehnisse um die Elbvertiefung außerhalb des Interessenhorizontes der jungen Menschen liegen. Zwar ist die Ausbaggerung eines Flusses kein abstrakter Vorgang, sie ist dafür aber ein geographisch begrenzter und weit entfernt liegender Streitgegenstand und tangiert außerdem die Erfahrungswelt der Schüler in keiner Weise. Dieser Sachverhalt stellt eine didaktisch-methodische Herausforderung ersten Ranges dar. Denn der Unterricht kann nur glücken, wenn das Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit der Schüler rückt und wenn sie darin eine Herausforderung für ihr politisches Urteilsvermögen sehen.

Hilfreich bei der Bewältigung dieses didaktischen Problems ist der Umstand, daß Schüler erfahrungsgemäß intensiv auf Begebnisse aus der Lebenswelt (im Unterschied zu Ereignissen in der Welt der großen Politik) reagieren. Nicht die Handlungszwänge der politischen Akteure, sondern die Einzelschicksale der von politischen Maßnahmen Betroffenen lösen [/S. 103:] bei jungen Menschen Empathie aus und können ein Nachdenken über Hintergründe, Folgen und Alternativen für den jeweils einzelnen wie für das politische System in Gang setzen.

Daher beginnt die Unterrichtseinheit mit der dramatischen Schilderung der Situation eines Bauern, der seinen gepachteten Bauernhof auf einer Elbinsel unverzüglich verlassen soll, weil die gepachteten Flächen für Sandaufspülungen vorgesehen sind (M 1). Dieser "Fall zur Einstimmung" in den Problemkomplex enthält mit dem betroffenen Pächter und dem Leiter des Wasser- und Schiffahrtsamtes Hamburg zwei Beteiligte, die im Kontext von Bedingungen argumentieren, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Der Durchsetzung der politisch gewollten Fahrrinnenvertiefung steht das persönliche Lebensschicksal gegenüber, das Ausweichmöglichkeiten offenkundig kaum zuläßt.

Die Schüler können in einem ersten Schritt die objektiven Bedingungen erschließen, die das Verhalten der beiden Personen letztlich bestimmen. In einem zweiten Schritt lassen sich die in die Konfliktsituation eingebrachten subjektiven Haltungen und Erwartungen aufspüren. Schließlich können Überlegungen angestellt werden, welchen Ausgang die Sache nehmen wird. Im geglückten Fall kann die Situationsanalyse bewirken, daß die Schüler Näheres über ein politisches, ökologische Rücksichtnahmen erforderndes Vorhaben wissen wollen, das für einzelne eine unverhältnismäßig große Härte darstellt.

3.2 Politikdidaktische Strukturierung des Gegenstandes

Im Politikunterricht muß die Politik im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Die Fachdidaktik kennt in Anlehnung an die Politikwissenschaft zwei Möglichkeiten, diesem Erfordernis Genüge zu tun. Zunächst gibt es das Modell der Dimensionen des Politischen. Politik läßt sich analytisch entfalten in Form (Institutionen und Normen), Inhalt (Aufgaben und Ziele) und Prozeß (Verhandlungen und Konflikte). Der diesem Modell folgende Unterricht konzentriert sich auf eine Dimension, ohne freilich die anderen Dimensionen auszuklammern. Das zweite Modell ist der Politikzyklus, der Politik als einen phasenhaft gegliederten Prozeß der Problemverarbeitung oder Problembewältigung beschreibt. In den einzelnen Phasen erfahren die Dimensionen des Politischen eine unterschiedlich starke Akzentuierung (Ackermann u.a. 1994, 29 ff.).

Fast jedes Thema im Politikunterricht kann nach beiden Modellen didaktisch aufbereitet werden. Die günstigere didaktische Variante ist jedoch der Politikzyklus, da er nicht nur den Aufgabencharakter und die Rechtsbindung der Politik deutlich betont, sondern auch die Stationen der Problemformulierung (1), der politischen Auseinandersetzung (2), der Entscheidung (3) und des Implementationsvorganges (4) sowie die Reaktionen der Entscheidungsbetroffenen (5) und die daraus gegebenenfalls resultierende neue Problemdefinition (6) analytisch klar hervorhebt. Die Entscheidung für den Politikzyklus setzt allerdings voraus, daß für alle Phasen des politischen Vorganges thematisch einschlägige Materialien zur Verfügung stehen.

Dieses Erfordernis wird häufig deshalb nicht erfüllt, weil zum einen das politische Verfahren in der Demokratie eine zeitaufwendige Angelegenheit ist und zum anderen, von Ausnahmen abgesehen, Reaktionen auf die implementierte Politik aufgrund der Erfahrungsabhängigkeit erst nach geraumer Zeit erfolgen. Dieser Schwierigkeit kann man dadurch ausweichen, daß man entweder einen noch nicht abgeschlossenen Fall wählt oder sich für einen älteren, historisch gewordenen vollständigen Fall entscheidet. Die Grenze der ersten Lösung [/S. 104:] besteht darin, daß sie Politik nicht als zyklischen Prozeß zeigen kann. Die zweite Lösung verstößt gegen das lernpsychologische Prinzip der Aktualität.

Im Fall der Elbvertiefung kann der Politikzyklus zur unterrichtlichen Anwendung kommen, weil er in der Realität die Phase "Reaktionen der Betroffenen" erreicht hat und Materialien zu allen diesen Phasen vorliegen. Außerdem zeichnet sich der vorliegende Fall didaktisch in zweifacher Hinsicht aus: Einmal läßt sich an ihm aufzeigen, daß in der Demokratie politisch getroffene Entscheidungen Versuchen der Revision ausgesetzt sind. Dies ergibt sich aus der Analyse der Koalitionsverhandlungen in Hamburg. Zum anderen demonstriert er die Bedeutsamkeit der Implementation im Rahmen rechtsstaatlicher Politik. Dies läßt sich an der UVU und am LBP demonstrieren.

Der Politikzyklus enthält zentrale Kategorien der Politik, die in Schlüsselfragen umformuliert werden können. Deren bewußte Anwendung bereitet die methodisch geleitete Analyse von Politik vor, welche ein oberstes Lernziel des Politikunterrichts darstellt.

Der Ablauf der Unterrichtseinheit zur Elbvertiefung sollte den Phasen des Politikzyklus entsprechen. Die folgenden Schlüsselfragen können den Unterricht didaktisch strukturieren:

Phase 1 (Problemformulierung): Welche Entwicklung hat die internationale Transportschiffahrt genommen? Warum strebt Hamburg die Vertiefung der Elbfahrrinne an? Welche Umweltprobleme sind damit verbunden?

Phase 2 (Politische Auseinandersetzung): Welche gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien in Hamburg treten für eine Vertiefung der Elbe ein, welche sprechen sich dagegen aus? Von welchen Wertvorstellungen und Interessen lassen sich Befürworter und Kritiker leiten? Welches Bild von sich selbst und von den Kontrahenten haben die Akteure?

Phase 3 (Entscheidung und Versuch der Entscheidungsrevision): Welchen Inhalt hat die getroffene Entscheidung? Welche Position spiegelt sich in der Entscheidung wider? Enthält die Entscheidung Elemente eines Kompromisses? Bei welcher Gelegenheit wird eine Revision der Entscheidung versucht? Mit welchem Nachdruck wird die Revision betrieben? Aus welchen Gründen bleibt es schließlich bei der ursprünglichen Entscheidung?

Phase 4 (Implementation): Welche Institutionen sind an der Umsetzung der Entscheidung beteiligt? Welche Rechtsvorschriften sind dabei zu beachten? Aus welchen konkreten Maßnahmen besteht die Umsetzung der Entscheidung?

Phase 5 (Reaktionen): Wer akzeptiert und wer kritisiert das Ergebnis der Implementation? Welche Einwendungen bringen die Kritiker vor? Welche Wertvorstellungen, Interessen und Erfahrungen beeinflussen die Zustimmung bzw. die Kritik? Welche Gegenmaßnahmen planen die Kritiker?

Der Schwerpunkt der Unterrichtseinheit zur Elbvertiefung liegt auf der Ebene der Inneren Politik. Die Didaktisierung des Gegenstandes nach dem Modell des Politikzyklus erlaubt aber auch die Integration der lebensweltlichen, der internationalen und der globalen Ebene in den Unterricht. Dabei stehen diese Ebenen nicht außerhalb des Zyklus. Sie kommen vielmehr im Verlaufe des zyklischen Geschehens zum Vorschein. Der Lehrer sollte sich bei der Anwendung der Unterrichtseinheit durchaus darüber im klaren sein, daß er hier einem besonderen politikdidaktischen Erfordernis Rechnung trägt.

Die globale Ebene ist bereits in der Phase der Problemformulierung enthalten. Denn die Globalisierung des Transportwesens ist der auslösende Grund für das Ausbauvorhaben. Dieser Aspekt sollte in der Analyse deutlich hervortreten, da seine Vernachlässigung die Plausibilität des im Unterricht angestrebten politischen Urteils stark mindern würde. Die internationale, genauer: europäische Ebene taucht in Phase 5, also bei den Reaktionen auf die Entscheidung und die Implementation, auf. Die Beschwerde der Umweltschutzverbände gegen das Planfeststellungsverfahren basiert auf einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft. Diesem Aspekt sollte der Lehrer Zeit und Aufmerksamkeit widmen, da sich hier die europäische Umweltpolitik und die Überordnung europäischen Rechts vor nationalem Recht aufzeigen lassen. Ebenfalls in Phase 5 kommt das lebensweltliche Element zum Tragen. Ähnlich wie im Einleitungsfall [/S. 105:] kommen hier Bauern und Fischer zu Wort, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Es empfiehlt sich eine eingehende Würdigung unter dem Gesichtspunkt der Spannung von Individualinteresse und Gemeinwohl.

3.3 Ziele der Unterrichtseinheit

Die Schüler sollen

  • am Fall der Elbvertiefung die Stationen einer politischen Problembewältigung nachvollziehen und Verständnis für die Kompliziertheit der Politik in einem demokratischen Verfassungsstaat gewinnen,
  • am Beispiel nationaler und europäischer umweltrechtlicher Bestimmungen Grundsätze der Umweltpolitik kennenlernen,
  • anhand der Koalitionsverhandlungen in Hamburg die Rolle der Umweltpolitik bei Überlegungen der politischen Machtgewinnung analysieren,
  • die Spannung zwischen ökonomischen und ökologischen Erfordernissen kritisch reflektieren,
  • über Einflußchancen von Umweltschutzverbänden auf die Politik nachdenken,
  • ein begründetes Urteil über das Gesamtkonzept der Elbvertiefung unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles fällen. (1)

4. Planung des Unterrichtsverlaufes

4.1 Unterrichtsphasen und Zuordnung der Materialien

Mit Ausnahme des Einleitungsfalles, der die Situation eines Betroffenen vorwegnimmt, folgt der Unterricht den Phasen des Politikzyklus. Die Unterrichtseinheit gewinnt auf diese Weise eine klare Struktur. Außerdem ist so am besten gewährleistet, daß dem vorrangigen Lernziel, Verständnis für die rechtliche Bindung der Politik im Verfassungsstaat zu gewinnen, entsprochen wird.

Die Koalitionsverhandlungen in Hamburg spielen eine besondere Rolle in der Unterrichtseinheit. Sie fügen dem umweltpolitischen Thema selbst nichts Neues hinzu, spiegeln aber den Stellenwert einer strikten umweltpolitischen Position im Spiel um die Macht. Die den Verhandlungen zugeordneten Materialien (M 8 bis M 12) können gegebenenfalls zunächst ausgespart und am Ende der Unterrichtseinheit für Klausurzwecke verwendet werden.

Die Materialien beziehen sich wie folgt auf die einzelnen Phasen:

Einleitung: M1 (Wird der Hof zugeschüttet?), M X (Überblickskarte) [fehlt im Originalartikel; d. Red.].

Phase 1 (Problemformulierung): M 2 (Folgen des Globalisierungsdrucks für Seehäfen), M 3 (Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens ohne Fahrrinnenanpassung), M 4 (Ökologische Folgen der Fahrrinnenvertiefung), M 5 (Umweltpolitische Pluspunkte des Hamburger Hafens).

Phase 2 (Politische Auseinandersetzung): M 6 (Streit um die Elbvertiefung in der Hamburger Bürgerschaft).

Phase 3 (Entscheidung und Versuch der Entscheidungsrevision): M 7 (Nord-Länder einig: Elbe wird vertieft), M 8 (Rot-Grün - der erste Krach. Senatsentscheidung über Elbvertiefung verärgert die GAL), M 9 (Umweltverbände: Warnung an die GAL), M 10 (GAL auf Kompromißkurs), M 11 ("Heulen und Zähneklappern". Die GAL informiert die Basis über [/S. 106:] Koalitionsverhandlungen), M 12 (Auszug aus dem Koalitionsvertrag von SPD und GAL in Hamburg für die Legislaturperiode 1997 - 2001).

Phase 4 (Implementation): M 13 (Kurzinformationen und Schlagzeilen über den Verfahrensablauf zur Elbvertiefung), M 14 (Schema des Planfeststellungsverfahrens), M 15 (Umweltrechtliche Vorschriften), M 16 (Die Aufgaben des Landschaftspflegerischen Begleitplans).

Phase 5 (Reaktionen): M 17 (Mit Kutterkonvois gegen Elbvertiefung. Fischer-Protest in Hamburg und Cuxhaven), M 18 (Bauern-Protest gegen Elbvertiefung. An der Stör wollen Landwirte benötigte Ausgleichsflächen nicht hergeben), M 19 ("Elbvertiefung soll durchgepeitscht werden" - Scharfe Ablehnung des Projekts durch die Hamburger Umweltverbände), M 20 (Beschwerde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft), M 21 (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft [Auszug]).

4.2 Mögliche Arbeitsaufträge zur Auswertung der Materialien

M 1:

  • Umreißen Sie die persönliche und rechtliche Lage des Bauern sowie den Handlungsrahmen des Leiters des Wasser- und Schiffahrtsamtes!
  • Welche direkten und indirekten Erwartungen äußert der Bauer?
  • Stellen Sie Überlegungen darüber an, welchen Ausgang der Konfliktfall nehmen wird, und beziehen Sie Stellung dazu!

M 2 und M 3:

  • Arbeiten Sie die Gründe heraus, die für eine Vertiefung der Elbfahrrinne angeführt werden!
  • Welche Folgen hätte ein Verzicht auf den Fahrrinnenausbau für Hamburg, für das Umland in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, für Deutschland sowie für Europa?

M 4 und M 5:

  • Veranschaulichen Sie sich mit Hilfe einer Atlaskarte die angeführten umweltpolitischen Vorzüge des Hamburger Hafens sowie die behaupteten negativen ökologischen Folgen einer Vertiefung der Elbe!
  • Erörtern Sie, welches Gewicht den einzelnen Folgen der Fahrrinnenvertiefung zugemessen werden sollte!
  • Wägen Sie nach ökologischen und ökonomischen Kriterien die beiden Alternativen ab: 1. Elbvertiefung: Keine Verlagerung des Umschlags in andere Häfen, dafür Probleme im Hochwasserschutz und in der Ökologie. 2. Keine Elbvertiefung: Große Umschlagsverluste für Hamburg mit entsprechenden Umschlagsgewinnen für Rotterdam, dafür keine Veränderung im Hochwasserschutz und in der Ökologie.

M 6:

  • Analysieren Sie, welche Positionen SPD, CDU, GAL sowie der Erste und der Zweite Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg zur Elbvertiefung beziehen und welche Begründungen sie hierfür anführen!
  • Arbeiten Sie heraus, wie sich aus Hamburger Sicht die Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein verhalten!
  • Ermitteln Sie, was über das Planungsrecht gesagt wird und welche Bewertung es erfährt!

M 7:

  • Überlegen Sie, worin die "langen Differenzen" zwischen den drei Nord-Ländern bestanden haben könnten!
  • Welche Gesichtspunkte könnten Niedersachsen und Schleswig-Holstein zum Einlenken bewogen haben?
  • Sind Streit und darauf folgende Einigung ein Argument für oder gegen den Föderalismus?

M 8 bis M 12:

  • Zeichnen Sie nach, wie sich die Position der GAL zur Elbvertiefung im Laufe der Koalitionsverhandlungen verändert! [/S. 107:]
  • Erörtern Sie die mögliche Gründe für den Positionswandel und für die Erfolglosigkeit der Intervention der Umweltschutzverbände!
  • Formulieren Sie die Gedanken des Repräsentanten eines Umweltschutzverbandes nach dem Einlenken der GAL auf die Forderung der SPD nach Vertiefung der Elbe!

M 13 und M 14:

  • Ermitteln Sie, wieviel Zeit das Genehmigungsverfahren von der Antragstellung bis zur (vorgezogenen) Ausbaggerung beanspruchte!
  • Stellen Sie fest, wieweit das Projekt am 8. Dezember 1997 vefahrensrechtlich gediehen ist und wieviel Zeit die einzelnen Stationen des Planfeststellungsverfahrens jeweils benötigten!
  • Versuchen Sie eine Einschätzung, wieviel Zeit noch bis zum rechtlich unanfechtbaren Baubeginn vergehen kann!
  • In M 6 beklagt Bürgermeister Voscherau den "deutschen Planungsverrechtlichungsstaat" bzw. das "von Ökologie durchwobene Planungsrecht", "das soviel Zeit kostet". Beziehen Sie Stellung zu dieser Kritik!

M 15 und M 16:

  • Formulieren Sie mit eigenen Worten den umweltpolitischen Gehalt der Rechtsnormen!
  • Erörtern Sie, inwieweit in den Vorschriften den umweltpolitischen Kriterien des Vorsorgeprinzips, des Kooperationsprinzips und des Verursacherprinzips Rechnung getragen wird!
  • Prüfen Sie vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Kenntnisse, ob die Behörden die gesetzlichen Vorschriften beachtet haben!

M 17:

  • Aus welchen Motiven protestieren die Fischer gegen die Elbvertiefung?
  • Welche Erfolgsaussichten räumen Sie den Fischern ein? Begründen Sie Ihre Meinung!

M 18:

  • Wie wirkt sich die Elbvertiefung auf die Bauern an der Stör aus?
  • Inwiefern können die Bauern für sich geltend machen, daß sie schwerwiegende Eingriffe zu erdulden haben?
  • Wie bewerten Sie die Aussagen des Leiters des Hamburger Wasser- und Schiffahrtsamtes?
  • Sollte angesichts der Eingriffe in landwirtschaftliche Flächen an der Stör die Planung erneut überdacht werden?
  • Welche Sichtweise werden die Umweltschutzverbände vermutlich zu den Ausgleichsmaßnahmen einnehmen?

M 19:

  • Welche Argumente führen die Umweltschutzverbände gegen die Planung der Fahrrinnenvertiefung an?
  • Welche Kritikpunkte sind umweltpolitischer, welche allgemeinpolitischer Natur?
  • Sehen Sie Möglichkeiten des Kompromisses zwischen den Trägern des Vorhabens (Bund, Freie und Hansestadt Hamburg) und den Umweltschutzverbänden?
  • Formulieren Sie ein begründetes eigenes Urteil über die Elbvertiefung, in dem die Kategorie Gemeinwohl die zentrale Rolle spielt! Wägen Sie bei der Gemeinwohlreflexion ökonomische und ökologische Gesichtspunkte ab!

M 20 und 21:

  • Geben Sie mit eigenen Worten die Argumentation des Beschwerdeführers wieder!
  • Stellen Sie diejenigen Bestimmungen der FFH-Richtlinie heraus, auf die sich die Beschwerde stützt.
  • Versetzen Sie sich in die Lage des Leiters des Wasser- und Schiffahrtsamtes Hamburg, der von der EU-Kommission aufgefordert worden ist, eine Stellungnahme zur Beschwerde abzugeben!
  • Erörtern Sie unter Einschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Fahrrinnenanpassung sowie unter Bezugnahme auf die FFH-Richtlinie, ob das Projekt der Elbvertiefung als Folge der Beschwerde endgültig gescheitert ist!

4.3 Inhaltsanalyse, Worterklärungen und didaktische Kommentierung ausgewählter Materialien

Im folgenden werden die Materialien M 3, M 4, M 5a und M 5b, M 6, M 13, M 20 und M 21 aufgrund ihres Umfanges oder ihres Schwierigkeitsgrades inhaltlich bzw. terminologisch und didaktisch erläutert.

 

M 3:

Inhaltsanalyse:

  • Die Häfen müssen flexibel auf Entwicklungen der internationalen Transportwirtschaft reagieren.
  • Zunahme des weltweiten Transports von Fertig- bzw. Halbfertigprodukten aufgrund der Verlagerung der industriellen Produktion in Rohstofferzeugerländer sowie der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung.
  • Notwendigkeit schnellen und zuverlässigen Transports aus Kostengründen (Vermeidung von Lagerhaltung und Zinslasten).
  • Die Globalisierung wirtschaftlicher Abläufe erzwingt eine Optimierung von Transportabläufen.

Didaktische Kommentierung:

Wichtig ist herauszustellen, daß die Häfen einem Anpassungsdruck unterliegen, der aus den Mechanismen der arbeitsteilig organisierten internationalen Wirtschaft resultiert.

 

M 4:

Worterklärungen:

  • Tide: Steigen und Fallen des Wassers im Ablauf der Gezeiten (Flut und Ebbe). [/S. 108:] Tideunabhängiger Verkehr: Gemeint sind Schiffsbewegungen bei Ebbe.
  • Containerschiffe: 3. Generation: Baujahr ab 1980. Tiefgang: bis 13 m. 4. Generation: Baujahr ab 1990. Tiefgang: bis 13,8 m. Post-Panmax-Klasse: Baujahr ab 1992. Tiefgang: bis 14 m. Panmax bezieht sich auf die maximale Größe eines Schiffes für die Fahrt durch den Panamakanal.
  • Unterelbe: Die Elbe von Hamburg bis Cuxhaven. Außenelbe: Die Elbe von Cuxhaven bis zur Nordsee.
  • Abladung: Volle Beladung.
  • Feederschiffe: Kleinere Containerschiffe, die im Nahverkehr Zubringerdienste leisten.

Didaktische Kommentierung:

Der Text schildert die Auswirkungen der globalisierten Transportwirtschaft auf den Hafen von Hamburg. Es kommt darauf an, die Bedeutung des Hafens für den Wirtschaftsstandort Norddeutschland aufzuzeigen.

 

M 5a und M 5b:

Worterklärungen:

  • Lokoaufkommen: Dasjenige Aufkommen an Gütern, das an Ort und Stelle umgeschlagen wird. Davon zu unterscheiden sind Güter, die nur angelandet werden, um dann auf dem Landweg weitertransportiert zu werden.
  • Sedimentation: Ablagerung von Materialien.
  • Erosion: Abtragung von Materialien.
  • Brackwasserzone: Gewässerabschnitt, in dem sich Salz- und Süßwasser miteinander mischen.
  • Biozönosen: Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren, die ernährungsbiologisch voneinander abhängen.
  • Tidenhub: Höhenunterschied zwischen dem Tidehochwasserstand und dem Tideniedrigwasserstand.

Didaktische Kommentierung:

Den Lernenden muß bewußt werden, daß die Elbvertiefung auf jeden Fall negative Folgen mit sich bringt. Gleichzeitig dürfen die umweltpolitischen Vorzüge Hamburgs nicht aus den Blick geraten. Der Text M 5b enthält geographische und biologische Aussagen: Die Befürchtungen beziehen sich auf hydrologische (wasserkundliche) und ökologische Auswirkungen. Der Text könnte gegebenenfalls einem Schüler mit entsprechenden Leistungsfächern als Grundlage für ein Kurzreferat dienen.

 

M 6:

Worterklärungen:

  • TEU: Twenty Feet Equivalent Unit. Größenbezeichnung für den Standardcontainer.
  • Senat: Bezeichnung für die Landesregierung Hamburgs.
  • Nord-Range: Nordkette der kontinentaleuropäischen Häfen.

Inhaltsanalyse:

  • SPD: Für die Elbvertiefung. Arbeitsplatzerhaltung als Grund. Kritik an der GAL, die die Fahrrinnenvertiefung ablehnt.
  • CDU: Für die Elbvertiefung aus ökonomischen und ökologischen Gründen.
  • GAL: Gegen die Elbvertiefung, da es nur geringfügige Beeinträchtigungen der Schiffahrt im gegenwärtigen Zustand gibt.

Erster und Zweiter Bürgermeister: Für die Elbvertiefung. Gründe: Arbeitsplatzerhaltung in ganz Norddeutschland, die bedroht ist durch konkurrierende Häfen.

  • Die CDU moniert das ablehnende Verhalten der SPD-geführten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Aufforderung an den Bürgermeister, politisch auf die Nachbarländer einzuwirken.
  • Bürgermeister Voscherau ist optimistisch hinsichtlich des Einvernehmens mit den Nachbarländern, räumt aber die politische Abhängigkeit Hamburgs ein. Am Schluß Drohung an die Nachbarländer /"Kriegserklärung").
  • Bürgermeister Voscherau: Kritik des Planungsrechts aufgrund der ökologischen Komponente. Der immense Zeitaufwand führt zu ökonomischen Nachteilen. Salchow (CDU) und Porschke (GAL): Akzeptanz des Planungsrechts.

Didaktische Kommentierung:

Der umfangreiche Text verlangt eine genaue Lektüre. Er gibt die politischen Positionen der in Hamburg vertretenen Parteien sowie die Auffassungen der Nachbarländer im Herbst 1996 gut wieder. Er schafft außerdem die kognitiven Voraussetzungen für das Verständnis der Geschehnisse in der nächsten Phase des Politikzyklus (Entscheidung und Versuch der Entscheidungsrevision).

 

M 12:

Inhaltsanalyse: [/S. 109:]

  • Siebeneinhalb Jahre sind seit Antragstellung zum Zeitpunkt der (vorgezogenen) Ausbaggerung verstrichen.
  • 1993: Beginn der Umweltverträglichkeitsuntersuchung. 18. Juni 1997: Abschluß der Umweltverträglichkeitsprüfung. 29. August 1997: Planauslegung für einen Monat. 13. Oktober 1997: Frist für Einwendungen. 8. Dezember 1997: Beginn der Anhörung (über die Einwendungen) in Hamburg. 10. Dezember 1997: Beginn vorgezogener Baggerarbeiten.
  • Die Dauer des weiteren Verfahrens ist nicht abzusehen. Erörterungstermine gibt es nicht nur in Hamburg, sondern auch in den betroffenen Gemeinden/Gemeindeverbänden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Im Anschluß an die Erörterungen kann der Klageweg beschritten werden. Es ist nicht kalkulierbar, wann die Gerichtsentscheidungen gefällt werden. Erst danach kann der Planfeststellungsbeschluß stattfinden und regulär mit dem Ausbau der Elbe begonnen werden.
  • Beachtlich sind die "Störversuche" Schleswig-Holsteins. Sie erschweren die Implementation.

Didaktische Kommentierung:

Diese sich auf die Implementation konzentrierende Chronologie der Fahrrinnenvertiefung veranschaulicht den Stellenwert des Umweltschutzes im deutschen öffentlichen Recht. Der immense Zeitaufwand kann das Bewußtsein dafür wecken, daß die Rücksichtnahme auf die Umwelt einen ökonomischen Preis hat.

 

M 20:

Worterklärungen:

  • FFH-Richtlinie: Kurzbezeichnung für die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.
  • Prioritäre Arten und Lebensräume: Bedrohte Arten und Lebensräume, für deren Erhaltung die Europäische Gemeinschaft eine besondere Verantwortung hat.

Inhaltsanalyse:

  • Es handelt sich um die Beschwerde eines anerkannten Naturschutzverbandes bei der Europäischen Gemeinschaft über rechtswidriges ("richtlinienwidriges") Verhalten der Bundesrepublik Deutschland.
  • Das entscheidende Argument besteht im Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, gemäß der wirtschaftliche Gründe europäisch abgesicherte Naturschutzbelange nicht überwiegen können.
  • Der Schlußappell, die Bitte um Unterstützung, fällt wenig überzeugend aus, da er rechtlich vage ist.

Didaktische Kommentierung:

Die Beschwerde öffnet die unterrichtliche Reflexion für die europäische Ebene. Die Lernenden erfahren, daß es eine europäische Umweltpolitik gibt, die Deutschland rechtlich bindet.

 

M 21:

Worterklärungen:

  • Natürlicher Lebensraumtyp: Ein durch bestimmte geographische, abiotische und biotische Merkmale gekennzeichneter natürlicher oder naturnaher terrestrischer oder aquatischer Gebietstyp.
  • Habitat einer Art: Ein durch spezifische abiotische und biotische Faktoren bestimmter Lebensraum, in dem diese Art in einem der Stadien ihres Lebenskreislaufs vorkommt.

Inhaltsanalyse:

  • Artikel 3: Die Europäische Gemeinschaft richtet ein Netz ökologischer Schutzgebiete für besonders bedrohte Arten ein. Diese Schutzgebiete dienen dem Fortbestand oder gegebenenfalls der Wiederherstellung von Lebensraumtypen und Habitaten.
  • Artikel 6, Absatz 2: Pflicht der Mitgliedsstaaten zu Maßnahmen, die die Verschlechterung der Lebensräume und Habitate vermeiden.
  • Artikel 6, Absatz 3: Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung, wenn Projekte mit den Erhaltungszielen eines Schutzgebietes konfligieren. Dabei Anhörung der Öffentlichkeit.
  • Artikel 6, Absatz 4: Pflicht zu Ausgleichsmaßnahmen, wenn aus Gründen des öffentlichen Interesses ein Projekt im Schutzgebiet durchzuführen ist.

Falls das Schutzgebiet einen prioritären Lebensraumtyp oder eine prioritäre Art einschließt, so können für die Realisierung des Projekts nur Gründe geltend gemacht werden, die die Gesundheit des Menschen, die öffentliche Sicherheit oder günstige Auswirkungen für die Umwelt betreffen. Andere Gründe des öffentlichen Interesses können nur geltend gemacht werden, wenn zuvor die Kommission eine Stellungnahme abgegeben hat.

Didaktische Kommentierung:

Dieser anspruchsvolle Gesetzestext liefert die Hintergrundinformation für die Beschwerde in M 20. Eine genaue Lektüre ergibt, daß die Beschwerde formal begründet ist, da offenkundig eine Stellungnahme der Kommission nicht eingeholt worden ist. Gleichwohl ist die Kommission in ihrer Stellungnahme inhaltlich nicht präjudiziert. Sie kann durchaus ein positives Votum zur Elbvertiefung abgeben.

Anmerkungen

1) Ein paralleler Fall liegt in der Vertiefung der Außenweser vor. Eine Materialaufbereitung findet sich im Wochenschau-Heft mit dem Titel "Lebensmittel Wasser" (48. Jg. 1997, H. 3/4, Ausgabe für die Sekundarstufe I, 156-161).

Literatur

Ackermann, Paul, u.a. (1994): Politikdidaktik kurzgefasst - 13 Planungsfragen für den Politikunterricht. Schwalbach/Ts.

Gagel, Walter (1983): Einführung in die Didaktik des politischen Unterrichts - Studienbuch politische Didaktik I. Opladen.

Klafki, Wolfgang (1995): Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. In: Gudjons, Herbert; Teske, Rita; Winkel, Rainer (Hg.): Didaktische Theorien. Hamburg, 8. Aufl., Seite 11-26.

 

Dieser Text ist in veränderter Form (weniger und kürzere Materialien) unter gleichem Titel erschienen in: Politische Bildung 31. Jg. 1998 (3), 95-109.
© 2003 Joachim Detjen, Eichstätt, © 2003 sowi-online e.V., Bielefeld
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
sowi-online dankt dem Verfasser für die freundliche Genehmigung zum "Nachdruck" dieses Textes im Internet.
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