Die Vertiefung der Elbe im Streit zwischen Ökonomie und Ökologie

M 1: Wird der Hof zugeschüttet? Elbinsel Pagensand soll für Sand-Aufspülungen genutzt werden - der einzige Bauer muß das Naturschutzgebiet räumen
M 2: Folgen des Globalisierungsdrucks für Seehäfen
M 3: Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens ohne Fahrrinnenanpassung
M 4: Ökologische Folgen der Fahrrinnenvertiefung
M 5: Umweltpolitische Pluspunkte des Hamburger Hafens
M 6: Streit um die Elbvertiefung in der Hamburger Bürgerschaft (25. September 1996)
M 7: Nord-Länder einig: Elbe wird vertieft
M 8: Rot-Grün - der erste Krach. Senatsentscheidung über Elbvertiefung verärgert die GAL
M 9: Umweltverbände: Warnung an die GAL
M 10: GAL auf Kompromißkurs. Koalitionsverhandlungen: "Thema Hafen weitgehend abgehakt"
M 11: "Heulen und Zähneklappern". Die GAL informiert die Basis über Koalitionsverhandlungen
M 12: Auszug aus dem Koalitionsvertrag von SPD und GAL in Hamburg für die Legislaturperiode 1997 - 2001
M 13: Kurzinformationen und Schlagzeilen über den Verfahrensablauf zur Elbvertiefung
M 14: Schema des Planfeststellungsverfahrens
M 15: Umweltrechtliche Vorschriften
M 16: Die Aufgaben des Landschaftspflegerischen Begleitplans (LBP)
M 17: Mit Kutterkonvois gegen Elbvertiefung. Fischer-Protest in Hamburg und Cuxhaven
M 18: Bauern-Protest gegen Elbvertiefung. An der Stör wollen Landwirte benötigte Ausgleichsflächen nicht hergeben
M 19: "Elbvertiefung soll durchgepeitscht werden" - Scharfe Ablehnung des Projekts durch die Hamburger Umweltverbände
M 20: Beschwerde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
M 21: Flora-Fauna-Habitat (FFH) -Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft [Auszug]

 

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M 1: Wird der Hof zugeschüttet? Elbinsel Pagensand soll für Sand-Aufspülungen genutzt werden - der einzige Bauer muß das Naturschutzgebiet räumen

Bedrohlich baut sich eine Gewitterwand an der Nordspitze der Elbinsel Pagensand auf, tintenblau bis schwarz. "Wir bekommen bald was ab", sagt Gerd Herbst (46) und blickt mit zusammengekniffenen Augen zum Himmel. Das klingt doppelsinnig aus dem Mund des einzigen Insel-Bauern inmitten des 520 Hektar großen Naturschutzgebietes im großen Strom, querab von Kollmar bei Glückstadt.

Wegen der bevorstehenden Elbvertiefung von jetzt 13,60 Metern auf 14,40 Meter für den Hamburger Hafen und der notwendigen Feinsandaufspülungen soll er seinen Bauernhof aufgeben. Der Räumungstermin ist am 31. Mai 1997, schriftlich festgesetzt vom Bund. Als Eigner von Pagensand hatte der Bund 1994 rund 80 Hektar Kleie- und Sandboden auf der Elbinsel an Gerd Herbst zur Bewirtschaftung verpachtet.

Warum soll ausgerechnet der Hof unter einem Sandberg verschwinden? Pagensand beherbergt als Naturschutzgebiet seltene Pflanzen und Tiere, wie den Pirol. Der Leiter des Wasser- und Schiffahrtsamtes Hamburg, Baudirektor Jörg Osterwald, sagt dazu: "Im Benehmen mit dem Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein und der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Pinneberg wurde die Planung dahingehend optimiert, daß für das Spülfeld die ökologisch am niedrigsten bewerteten Flächen in Anspruch genommen werden. Die Konsequenz war die Inanspruchnahme der Ackerflächen der Hofanlage Pagensand, die auf einer Fläche von 32 Hektar rund 5,60 Meter aufgespült werden soll."...

Das Bundesvermögensamt hatte - in Vorschau auf künftige Aufspülpläne - mit Herbst nur einen Risikopachtvertrag mit 14tägiger Kündigung vom 10. November 1994 an geschlossen. In die Pacht - rund 500 Mark im Monat - sind die 72.000 Quadratmeter Acker- und Grünlandflächen eingeschlossen, "wobei der Betrieb auf Risiko, ohne ständige Wohnnutzung, vereinbart wurde", betont Baudirektor Jörg Osterwald.

Während die ersten schweren Regentropfen in die Neben-Elbe klatschen und große Kreise ziehen, macht der Pagensand-Bauer an der Insel-Anlegestelle sein Motorboot fest und begehrt auf: "Ich bleibe hier! Nee, aufs Festland will ich nicht mehr. Ich gehöre auf diese Insel. Wenn ich aufs Festland muß, bin ich glatt ein Sozialfall. In meinen alten Beruf als Zimmermann kann ich nicht mehr, weil ich vor einigen Jahren einen Muskelriß bekommen hatte. Deshalb übernahm ich 1994 die verwaiste Bauernstelle auf Pagensand. Ein Ersatz wurde mir noch nicht angeboten."

60.000 bis 70.000 Mark habe er in der Instandhaltung der heruntergekommenen Gebäude [/S. 111:] investiert, sagt Gerd Herbst. Und er fragt: "Gibt es keine andere Möglichkeit, als mich jetzt von Pagensand zu schicken?"

[Hamburger Abendblatt vom 22.5.1997. Verfasser: Georg Pakschies]

M 2: Folgen des Globalisierungsdrucks für Seehäfen

Auch in Zukunft wird es drauf ankommen, im Hafenbereich schnell und flexibel auf weltwirtschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Transportwirtschaft zu reagieren. Nur so kann der Hamburger Hafen seine bisher günstige Wettbewerbsposition, von der erhebliche gesamtwirtschaftliche Impulse für die Stadt und die gesamte norddeutsche Region ausgehen, erhalten. Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat der Hamburger Hafen einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren. Dieser liegt im wesentlichen in einer zunehmenden Verlagerung industriellen Produktion in die Rohstofferzeugerländer begründet. Unmittelbare Folge dieser Entwicklung war eine - nach wie vor anhaltende - Zunahme des weltweiten Transportes von Fertig- bzw. Halbfertigprodukten.

Gleichzeitig werden Produktionsabläufe zunehmend auf internationaler Ebene arbeitsteilig organisiert. D.h., Teile des Endproduktes werden in unterschiedlichen Ländern gefertigt und erst an anderer Stelle zusammengefügt. Beide beschriebenen Entwicklungen haben deutlich erhöhte Anforderungen an die internationale Transportwirtschaft im Hinblick auf Schnelligkeit und Zuverlässigkeit zur Folge.

Eine entsprechende Optimierung der Transportabläufe ist wichtig, da die transportierten Waren im Vergleich zu Rohstoffen hochwertig sind und damit ein schneller Transport allein vor dem Zinshintergrund von erheblicher Bedeutung ist. Darüber hinaus wird bei arbeitsteiligen Produktionsabläufen jede Lagerhaltung, sei es nun von End- oder Zwischenprodukten, aus Kostengründen vermieden. Sollen Reibungsverluste und damit unnötige Kosten in der Produktion vermieden werden, setzt auch dieses eine schnelle und außerordentlich verläßliche Transportorganisation voraus.

Zusammenfassend zeigt sich also, daß angesichts einer zunehmenden Globalisierung wirtschaftlicher Abläufe eine Optimierung von Transportabläufen außerordentlich wichtig ist. Nur Häfen, die sich erfolgreich dieser Herausforderung stellen, werden auch künftig wirtschaftlichen Erfolg für sich verbuchen können.

[Freie und Hansestadt Hamburg (Wirtschaftsbehörde): Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe. Eine Maßnahme wirtschaftlicher Vernunft und ökologischer Verantwortung. Hamburg 1996, S. 1 f.]

M 3: Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens ohne Fahrrinnenanpassung

Die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens wird durch die Größen- und Tiefgangsentwicklung weltweit verkehrender Containerschiffe ernsthaft gefährdet. Unter den bestehenden Tiefgangsbedingungen ... können Containerschiffe der 4. Generation bzw. der ebenfalls in Fahrt kommenden Post-Panmax-Klasse mit Abladetiefgängen von mehr als 12,8 m den Hamburger Hafen nicht mehr verlassen. Selbst Containerschiffe mit Maximaltiefgängen von ca. 12,8 m müssen Tiefgangsrestriktionen hinnehmen, da ihnen der tideunabhängige Verkehr auf Unter- und Außenelbe bei maximaler Abladung verwehrt ist.

Um den zulässigen Höchsttiefgang auf der Elbe nicht zu überschreiten, müssen ausgehende Containerschiffe mit max. Tiefgängen von 13,8 m aufgrund des derzeitigen Ausbauzustandes der Fahrrinne von Unter- und Außenelbe Ladungsverluste hinnehmen. [/S. 112:]

Ladungsverluste sind für die unter erheblichem Kostendruck stehenden Reedereien aus betriebswirtschaftlicher Sicht kaum hinnehmbar. So bedeutet beispielsweise ein Ladungsverlust von 100 Containern auf einer Reise von Hamburg nach Ostasien für den Reeder einen Einnahmeverlust von ca. 150.000 DM. Auch Wartezeiten, selbst wenn diese nur wenige Stunden betragen, haben für die Reeder erhebliche wirtschaftliche Nachteile. Zum einen müssen hier die durch Anschaffung und Betrieb bedingten hohen Kosten der Containerschiffe (je nach Schiffsgröße bis zu 100.000 DM/Tag) gegengerechnet werden. Dies verdeutlicht, daß selbst relativ kurze Wartezeiten als problematisch zu beurteilen sind. Zum anderen können sich die im Hamburger Hafen entstandenen Wartezeiten für die nach sehr eng kalkulierten Fahrplänen verkehrenden Containerschiffe zu weitaus längeren, noch kostenintensiveren Reiseverzögerungen aufschaukeln. ...

Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß der Fahrplan der großen Containerschiffe eng mit den vor- und nachlaufenden Verkehrsträgern (Bahn, LKW, Feederschiffe) koordiniert ist. Abweichungen vom Fahrplan führen damit nicht nur auf dem Containerschiff, sondern entlang der gesamten Transportkette zu Verzögerungen. ...

Wie ernst die Situation für den Hamburger Hafen bereits ist, läßt sich daran erkennen, daß schon jetzt 126 Containerschiffe mit max. Tiefgängen von mehr als 12,8 m den Hamburger Hafen anlaufen. Voll abgeladen können diese den Hafen also nicht mehr verlassen. Hierbei kann man davon ausgehen, daß diese Schiffe Hamburg pro Jahr etwa sechsmal anlaufen, d.h., es kommt bei ca. 700 Schiffsabfahrten im Jahr zu den geschilderten Tiefgangsproblemen.

Noch laufen diese Schiffe den Hamburger Hafen unter Hinnahme der erläuterten Restriktionen an. Die Reaktionen der Reedereien auf diese Situation sind jedoch eindeutig: Da sie das wirtschaftlich nachvollziehbare Interesse haben, ihre Schiffe möglichst weitgehend auszulasten, erwarten sie kurzfristig für Unter- und Außenelbe Tiefgangszusagen, die einen möglichst ungehinderten Verkehr von Containerschiffen der 3. und 4. Generation, bzw. der Post-Panmax-Klasse ermöglichen. Sollten sich die Tiefgangsverhältnisse auf Unter- und Außenelbe demgegenüber nicht verbessern, ist davon auszugehen, daß der Hamburger Hafen bei künftigen Standort- und Routenfestlegungen der Reeder in eine nachteilige Wettbewerbssituation gerät, die deutliche Umschlagseinbußen zur Folge haben wird.

Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Hafens für Hamburg und die norddeutsche Region, insbesondere im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, kann eine solche Entwicklung nicht hingenommen werden. Der Erhalt der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens hat vor diesem Hintergrund oberste Priorität. Eine Anpassung der Fahrrinne an die Erfordernisse der Containerschiffahrt ist daher unerläßlich. ...

[Freie und Hansestadt Hamburg (Wirtschaftsbehörde): Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe. Eine Maßnahme wirtschaftlicher Vernunft und ökologischer Verantwortung. Hamburg 1996, S. 8 ff.]

M 4: Ökologische Folgen der Fahrrinnenvertiefung

Die qualitativen Folgen für den Hochwasserschutz und die Ökologie sind weitgehend bereits aus Verfahren für vorangegangene Vertiefungen bekannt:

- Verstärkung der Sedimentation in Elbufer- und Nebengewässerbereichen bis hin zur Verlandung

- Anstieg der Strömungsgeschwindigkeit in der Fahrrinne mit zusätzlichen Erosionswirkungen

- Verlust von Fischverweilbereichen

- Verschiebung der Brackwasserzone nach elbaufwärts und damit vollständige Veränderung bestehender Biozönosen

- Anwachsen der Sturmflutwasserstände um mehrere Dezimeter

- Veränderung des Gezeitenregimes, z.B. Vergrößerung des Tidenhubs

- Abnahme der Deichsicherheit

- Anstieg des Bedarfs nach Ablagerungsflächen für Baggergut in ökologisch wertvollen Niederungsbereichen

- Veränderungen des Wasserhaushaltes in den Vordeichländern mit Auswirkungen auf den Brut- und Rastvogelbestand.

[Die Elbe - Wirtschaftsader oder Lebensraum? Herausgegeben vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Niedersachsen e.V., Hannover 1991, S. 8 f. (Leicht gekürzt und verändert)]

M 5: Umweltpolitische Pluspunkte des Hamburger Hafens

[M 5 fehlt im Originalartikel; d. Red.]

Nicht nur beschäftigungspolitisch, auch umweltpolitisch wäre die Verlagerung des Hamburger Ladungsaufkommens in andere Häfen negativ zu beurteilen. Der Hamburger Hafen besitzt nämlich eine Reihe umweltpolitisch bedeutsamer Pluspunkte, die ihn vor allen Konkurrenten auszeichnen. Zu nennen sind insbesondere

  • die durch die Lage tief im Hinterland bedingte lange Revierfahrt der Seeschiffe; dadurch werden in nennenswertem Umfang Land-, und hier insbesondere LKW-Transporte eingespart.
  • Gleiches gilt für das hohe "Lokoaufkommen" von über 30% der in Hamburg umgeschlagenen Container. Jede Verlagerung des Umschlags in einen anderen Hafen würde die per Landtransportmittel abzufahrende Containermenge unmittelbar ansteigen lassen.
  • Außerdem ist der im Hamburger Hafen erfreulich hohe Schienenverkehrsanteil von 70% (bezogen auf den Hinterlandverkehr über 150 km hinaus) ein umweltpolitischer Pluspunkt, den kein anderer Hafen erreicht, schon gar nicht der Hauptkonkurrent Rotterdam, der mit etwa 8 % auf der Skala ganz unten rangiert.

[Argumentationspapier der Industrie- und Handelskammern Flensburg, Kiel, Lübeck, Lüneburg-Wolfsburg, Stade (für den Elbe-Weser-Raum) und der Handelskammer Hamburg zur wirtschaftlichen Notwendigkeit der Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe vom November 1996]

 

[/S. 113:]

M 6: Streit um die Elbvertiefung in der Hamburger Bürgerschaft (25. September 1996)

[der Originalartikel enthält nur eine gekürzte Version von M 6; d. Red.]

Dr. Roland Salchow CDU:

Frau Präsidentin! Die Umweltministerium im sozialdemokratisch regierten Niedersachsen hat angekündigt, ein Gegengutachten zur Elbevertiefung zu initiieren, und dies nach Abschluß der Hamburger Planungen. Das meine Damen und Herren, würde die Elbevertiefung endgültig ins nächste Jahrtausend schieben.

(Beifall bei Antje Möller GAL)

Der Umweltminister Schleswig-Holsteins, diesmal ein Grüner, lehnt Hamburgs Ansinnen als ökonomischen und ökologischen Fehler ab. Das kann ja heiter werden. Der Senat hatte dazu im Herbst 1995 mit Niedersachsen eine Kommission eingerichtet. Ergebnis: Null. Mit Schleswig-Holstein wurde nicht einmal das erreicht. Der Erste Bürgermeister hielt in Brunsbüttel vor regionalen Wirtschaftsfachleuten eine gute Rede. Ein politisches Arrangement mit den Nachbarländern ist derzeit nicht auszumachen. Ich bitte die Sozialdemokraten, heute sehr deutlich zu machen, wie sehr sie hinter dieser ökonomisch und ökologisch vernünftigen Sache stehen.

Aus ökonomischen und ökologischen Gründen muß die Elbevertiefung kommen. - Vielen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

 

Heidemarie Scherweit-Müller SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wenn es an dieser Stelle immer wieder betont wurde, möchte ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Erhaltung und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens eine unbedingte Priorität politischer Entscheidungen angesichts der 140 000 direkt und indirekt vom Hafen abhängigen Arbeitsplätze haben muß. ...

Der internationale Seeverkehr richtet sich nicht nach Hamburger Wunschvorstellungen, sondern ausschließlich nach Kosten-Nutzen-Analysen. ...

Eine der größten Schiffahrtsgesellschaften der Welt, "Evergreen", hatte überlegt, ob sie die Dependance in Hamburg verkleinert, wohl auch deswegen, weil die großen 4300-TEU-Schiffe aufgrund der Elbtiefe bei entsprechendem Tiefgang stundenlang warten müssen, bevor sie den Hafen verlassen können. Falls "Evergreen" Ladung vom Hamburger Hafen abzieht, werden viele Arbeitsplätze dauerhaft verlorengehen, und nicht nur bei dieser Reederei.

Ähnliches gilt für die Reedereien P & O, Hapag-Lloyd sowie für große japanische Reedereien. Wartezeiten, auch wenn sie nur wenige Stunden betragen, haben für die Reeder erhebliche wirtschaftliche Folgen und für den Standort Hamburger Hafen schwerwiegende Wettbewerbsnachteile. ...

Die unrealistische Position der Hamburger GAL, die Fahrrinnenanpassung generell abzulehnen, gefährdet somit existentiell den Standort Hamburg und die gesamte Metropolregion.

(Beifall bei der CDU, der STATT Partei und vereinzelt bei der SPD)

Die Fahrrinnenanpassung kann trotz wirtschaftlicher Notwendigkeit behutsam und nach ökologisch schonenden Gesichtspunkten vorgenommen werden. Eingriffe in das komplexe Ökosystem Elbe müssen minimiert werden.

 

Alexander Porschke GAL:

Meine Damen und Herren! Hier scheint die große Stunde des Seemannslateins angebrochen zu sein. Uns wird vorgeworfen, es sei uns egal, wieviel [/S. 114:] Arbeitsplätze es gäbe. Frau Scherweit-Müller wirft uns eine unrealistische Position zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit vor.

(Dr. Roland Salchow CDU: Völlig richtig!)

Was ist denn nun die Wahrheit? Wissen Sie eigentlich, wie viele Schiffe denn tatsächlich letztes Jahr den Maximaltiefgang, der auslaufend - das ist ja der Engpaß - möglich ist, erreicht haben? Ich weiß es. Ein einziges Schiff. Am 13. Juni 1995 hat die "Seiko Maru" Hamburg in Richtung Brasilien verlassen. Jetzt fragen Sie, wie viele Container das an Bord hatte. Die Antwort lautet: Gar keinen, es handelte sich nämlich um einen Massengutfrachter. Das Containerschiff mit dem tiefsten Tiefgang, auslaufend, hatte 12,60 Meter Tiefgang. 12,60 Meter sagt Ihnen jetzt vielleicht nicht so viel. Was heißt das in Containern? Für die 20 Zentimeter Unterschied können bei einem Containerschiff der dritten Generation 160 Container geladen werden. Also 160 Container mehr hätten die Reeder laden können, wenn sie den Maximaltiefgang hätten ausnutzen wollen. Daran kann man erkennen, wie es kneift. 24 auslaufende Schiffe haben auf die Wasserstandshöhe Rücksicht nehmen müssen. Wegen dieser niedrigen Zahl sehen Sie nun das Abendland bedroht und glauben, daß hier 140 000 Arbeitsplätze in Not sind. Das ist Demagogie. ...

Es wird weiterhin vom Senat argumentiert, daß die Container gar nicht erst nach Hamburg kommen, weil sie bereits jetzt an Hamburg vorbei in Richtung Rotterdam gelenkt werden. Herr Salchow stellt sogar Spekulationen an, wieviel das wohl sein mögen.

Im letzten Jahr hat das durchschnittliche Wachstum an Containerumschlägen in den vier Häfen der Nord-Range - Antwerpen, Bremen, Rotterdam und Hamburg - 5,1 Prozent betragen. Wieviel hat Hamburg gehabt? Nach der Theorie von Herrn Salchow, nach der 5 Prozent von Hamburg nach Rotterdam gegangen sein müssen, müssen das circa 3 Prozent gewesen sein. Tatsache ist, daß Hamburg mit 6 Prozent Wachstum im Containerumschlag den höchsten Umschlag aller vier Wettbewerbshäfen erreicht. Und da sagen Sie, der Hamburger Hafen sei mit seiner Wassertiefe in Bedrängnis? Das ist blanke Demagogie.

(Rotraut Meyer-Verheyen STATT Partei: Aber Ihre, Herr Porschke!)

Die Fakten sagen also, daß die heutige Elbtiefe ausreicht und noch eine ganze Zeit ausreichen wird und daß die tatsächlichen Beeinträchtigungen der Schiffahrt, die es durchaus gibt, durch ein bißchen Rücksichtnahme auf den Fahrplan und auf den Tidestand so niedrig sind, daß sie keine Investition von 255 Millionen DM verlangen. Wer also behauptet, Hamburgs Hafen oder die ganze Region sein in Gefahr, der spinnt ein starkes Stück Seemannsgarn. ...

 

Zweiter Bürgermeister Dr. Erhard Rittershaus:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Hamburger Hafen ist für die ganze norddeutsche Region das nach wie vor größte Wirtschafts- und Beschäftigungspotential. Die Arbeitsplätze, rund ein Drittel davon aus dem Umland, sind standortgebunden und können nicht verlagert werden. Das ist das Entscheidende. Darum ist es wirtschaftspolitisch unabdingbar, den im Hafen Beschäftigten, aber auch den vielen Menschen, die vom Hafen abhängig sind, Sicherheit und Zukunftsperspektiven zu geben. ...

Bereits frühzeitig haben wir analysiert, welche Entwicklungen auf den Hafen zukommen. Deshalb wurde bereits 1990 eine weitere Vertiefung des Elbfahrwassers - sehr weitsichtig aus damaliger Sicht - beim Bundesverkehrsminister beantragt. Ebenfalls mit einem von Hamburg organisierten und finanzierten Expertenhearing zur ökologischen Vertretbarkeit ist 1990 dabei deutlich gemacht worden, daß eine weitere Vertiefung der Elbe für Natur und Umwelt nur zu ganz marginalen Veränderungen führen wird. Dies ist in den inzwischen nahezu abgeschlossenen und mit großer Sorgfalt durchgeführten Untersuchungen ausdrücklich bestätigt worden. ...

Wie wir wissen, hat Rotterdam auf allen Feldern eine aggressive und offensive Strategie in Gang gesetzt, um Hamburgs Position auch im Binnenland zu untergraben. Ich verhehle ausdrücklich nicht, daß dies alles für den Hafen und für die dort Beschäftigten besorgniserregend ist. ...

 

Erster Bürgermeister Dr. Henning Voscherau:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Präambel der Hamburger Verfassung, die für uns alle gilt - auch für die Grün-Alternative Liste -, bezeichnet Hamburg als Welthafenstadt, die durch ihre geographische Lage eine besondere Aufgabe zu erfüllen habe, und zwar nicht nur gegen Norddeutschland, sondern auch gegenüber den Deutschen insgesamt - und wir würden heute hinzufügen, den Europäern insgesamt - als Welthafenstadt. Das ist die Beschreibung der Hamburger Verfassung über Lage und Aufgabe der Wirtschaftsstruktur dieser Stadt. Wer das nicht will, kann das sagen, das tun Sie von der GAL auch immer wieder. Er sollte dann aber ehrlicherweise auch deutlich machen, daß er gegenüber dieser jahrhundertealten Grundausrichtung von Arbeitsplätzen und Internationalität dieser Stadt anrennen möchte. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, es geht nicht nur um Tagesgeschäft.

(Martin Jörß GAL: Es gab schon bessere Reden! - Gegenruf von Sabine Boehlich GAL: Von besseren Leuten!)

Zweitens. Der Hamburger Hafen befindet sich in einer Zeitenwende. ... Zeitenwende dadurch, daß internationale große Reedereikonsortien per Federstrich - keineswegs festgelegt nur auf unsere Sicht der Dinge - den Hamburger Hafen aus den Fahrplänen herausnehmen können, wenn sie wollen. Dabei geht es um Geld, Befürchtungen und subjektive Sichtweisen. Niemand in Asien ist darauf verpflichtet, die Argumente auch nur zu hören, geschweige denn zu wägen, die der Abgeordnete Porschke in diesem Hause hat.

Das bedeutet, wir müssen uns anstrengen. Die Wahrheit ist, daß die Elbvertiefung, die Fahrwasservertiefung besser schon seit drei Jahren vorhanden wäre.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der STATT Partei - Zuruf von der GAL)

Die Wahrheit ist, die Stadt Hamburg, der Senat, der Bürgermeister, der Wirtschaftssenator, die Bürgerschaft haben in dieser Sache in Asien in den letzten drei Jahren Gesicht verloren. ...

Ursächlich dafür ist die Verrechtlichung des Planungsgeschehens in Deutschland und die Vieljährigkeit solcher Abläufe. Die sind von Hamburg aus nicht änderbar. Sie sind durch die Wirtschaftsbehörde keineswegs anders, besser oder schneller steuerbar. Auch der Bundesverkehrsminister - das attestiere ich ihm ausdrücklich - braucht sich keine [/S. 115:] Vorwürfe machen zu lassen. Die Sache ist komplex, sie dauert so lange, sie dauert zu lange. ...

Die Wahrheit ist, daß Rotterdam und Antwerpen und unsere bremischen Nachbarn weltweit das Äußerste einsetzen, damit auch der letzte erfährt, der es bisher nicht begriffen hat, daß wir hier mit der Langsamkeit, die der deutsche Planungsverrechtlichungsstaat eben zuläßt, an die Lösung der Fahrrinnenproblematik herangehen müssen.

Der Beginn dieses Verfahrens liegt im Jahre 1990. Wenn es gutgeht, werden wir sieben Jahre geplant haben, um fünf oder sechs Monate zu baggern; das grenzt schon an einen Schildbürgerstreich. ...

Dr. Roland Salchow CDU:

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will auf die Ausführungen der GAL nicht eingehen. Es ist jedem klar, wie die GAL Zukunft gestalten will oder nicht gestalten will.

(Susanne Uhl GAL: Herr Salchow, das ist ja oberplatt!)

Aber ich möchte mich auf die Anmerkungen des Bürgermeisters beziehen, denen ich auch Beifall gezollt habe. In vielen Teilen hat er ja recht, insbesondere in der Frage, wie uns Asien sieht.

Aber in der Analyse ist doch ein Haken, Herr Bürgermeister. Sie sagen, der Rückstand, den wir haben, liege in der Verrechtlichung in Deutschland; das ist eine unzulässige Verschiebung des Problems. ...

Wir haben ein rechtliches Instrumentarium, das wir alle seit vielen Jahren kennen und das auch alle politischen Gruppierungen Deutschlands gemeinsam tragen. Wir haben das Planfeststellungsverfahren mit der Umweltverträglichkeitsprüfung. Vorher haben wir noch die Umweltverträglichkeitsuntersuchung mit dem landschaftspflegerischen Begleitplan. In dem müssen die Ausgleichsmaßnahmen in Zusammenarbeit und Einigkeit mit den Nachbarländern festgelegt werden. Darum ist es - Herr Bürgermeister, da habe ich eine andere Meinung als Sie - nicht eine Frage des Problems der Verrechtlichung, sondern ein politisches Problem. Schieben Sie es nicht auf den Rechtszustand ab, sondern sehen Sie zu, daß hier politisch etwas geschieht.

Wenn Sie sagen, Schluß mit dem Gegacker, jetzt muß gehandelt werden, so geht dieses Wort, Herr Bürgermeister, an den Chef der Hamburger Exekutive, und das ist der Bürgermeister Dr. Voscherau. Es hakt doch im Moment nicht daran, daß irgendwelche Beamten oder irgendein Ingenieurbüro nicht schnell genug arbeiten. Was im Moment geschieht, geschieht nach Recht und Gesetz und ist in Ordnung. Aber wo sind die politischen Absprachen? Sie wissen genau, daß wir zum Planfeststellungsverfahren erst dann kommen, wenn wir den landschaftspflegerischen Begleitplan mit den anderen Ländern vereinbart haben. Dazu muß man aber politisch etwas vereinbaren, und daran hängt es und nicht an den Rechtsinstitutionen, Herr Bürgermeister.
(Beifall bei der CDU)

Ich hatte - ich weiß nicht, Herr Bürgermeister, ob Sie dabei waren - darauf hingewiesen, wie der Gegenwind aus den anderen Ländern ist, daß Frau Simonis und Minister Steenblock gesagt haben, das sei alles Quatsch, was Sie wollten. ...

Das heißt, Sie kommen mit dem Verfahren nicht vom Fleck, wenn Sie sich nicht politisch mit den anderen Ländern einig geworden sind. Und dieses ist die politische Aufgabe des Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg. Er muß Frau Simonis sagen, daß die Idee mit Brunsbüttel schlecht ist, oder dem Umweltminister, daß das, was er will, ökologisch Unsinn ist. Er muß der Ministerin von Niedersachsen sagen, daß es unfair ist, nachdem alles fertig ist, noch ein Gegengutachten zu starten. Das sind politische Aufgaben, Herr Bürgermeister, die Sie wahrnehmen müssen und nicht unter den Teppich einer allgemeinen Juristenkritik kehren können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

 

Erster Bürgermeister Dr. Henning Voscherau:

... Wir brauchen ... die Arbeitsplätze ... hier in Hamburg und für die Mittelständler in Ahrensburg, Neumünster, Wedel, Lüneburg und Stade; in diesem Drei-Millionen-Umkreis brauchen wir die Arbeitsplätze.

Deswegen bin ich zuversichtlich, lieber Herr Salchow, daß die Ministerpräsidenten - eine weiblich, einer männlich - für Lüneburg bis Stade ebenso wie für Geesthacht bis Neumünster im Grunde ihres Herzens sehr wohl wissen, daß die Menschen, die da wohnen und entweder in oder um Hamburg arbeiten, für Firmen, die am Hamburger Hafen hängen, ihre Arbeitsplätze behalten wollen und daß sie davon ihr Stimmverhalten abhängig machen werden, als schleswig-holsteinische Wählerinnen und Wähler und als niedersächsische Wählerinnen und Wähler. Soweit ich die Demokratie kennengelernt habe, ist es das, was in der Politik wirklich zählt.

Was den Zusammenhang zwischen Politik und Planungsverrechtlichung anbetrifft, so wäre dies ein weites Feld ... . Ob es nicht gerade ein großer Erfolg der Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe von 1975/76 ist - ebenso wie anderer Initiativen -, daß wir heute dieses von Ökologie durchwobene Planungsrecht haben, das soviel Zeit kostet, würde ich aus Ihrer Sicht nicht in Abrede stellen, und ich stelle es auch nicht in Abrede.

(Alexander Porschke GAL: Nein, ich auch nicht!)

Ich weise nur darauf hin, daß es auch ökonomische Folgen hat, und diese sind in einer Zeit wie der gegenwärtigen nicht positiv, so daß wir in einem Zielkonflikt leben.

Bezogen auf Herrn Salchow muß ich etwas einwenden. Zwar haben Sie recht, daß am Ende - angesichts der Einvernehmensregelung - die ganze Sache mit der Frage steht oder fällt, ob Niedersachsen und Schleswig-Holstein zustimmen oder nein sagen; die können das verhindern.

(Dr. Roland Salchow CDU: Genau!)

... Die Behauptung, es wäre wegen der Politik in Kiel, Hannover oder Hamburg bei Herrn Wissmann und seinen Vorgängern die Handbremse angezogen gewesen, trifft nicht zu. Wir haben nicht aus politischen Gründen Zeit verloren. Es kann am Ende aber sein, daß aus politischen Gründen in Kiel oder Hannover die ganze Sache zum Stillstand kommt. Für diesen Fall allerdings

(Dr. Roland Salchow CDU: ... sind Sie zuständig!)

habe ich in Cuxhaven - vorsorglich einer niedersächsischen Stadt - vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl erklärt, dies würde ich als Kriegserklärung betrachten.

(Dr. Willfried Maier GAL: Da marschieren wir ein! Dann besetzen wir Cuxhaven!)

Das ist ein martialischer Ausdruck, aber im Hinblick auf die Überlebensfähigkeit der Wirtschaftsregion Groß Hamburg nicht völlig falsch. Ich bin sicher, daß ... alle 3,2 Millionen in Hamburg und Umgebung ihren ... Regierungen klarmachen werden, wo Bartel den Most holt. Dabei werden wir ihnen helfen, auch in Ahrensburg und Bargteheide und überall. Dann gilt sogar unter Parteifreunden: Schluß mit lustig!

(Beifall bei der SPD, der STATT Partei und teilweise bei der CDU)

[Protokoll der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. 15. Wahlperiode, 76. Sitzung am 25. September 1996, S. 3745 ff.]

M 7: Nord-Länder einig: Elbe wird vertieft

Nach langen Differenzen zeigen sich die Länderchefs Hamburgs, Schleswig-Holsteins und Niedersachsens kooperativ. Ab heute werden die Aufträge vergeben.

Der politische Weg für die umstrittene Elbvertiefung ist frei: "Wir haben politisches Einvernehmen über die Elbvertiefung erzielt", sagte die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis gestern in Kiel nach einer Konferenz mit ihren Länderkollegen Henning Voscherau (Hamburg) und Gerd Schröder (Niedersachsen/alle SPD). Die drei Bundesländer, die in der Region ökonomisch vom Hafen abhängig seien, wollten die Elbvertiefung, sagte Simonis.

"Wir haben schlicht die Prioritäten anders gesetzt, wir wollen uns bewegen", sagte Schröder. Die Entwicklung zeige, daß sich die Länder auch bei schwierigen Themen einigen können.

[Wedel-Schulauer Tageblatt vom 10.12.1996]

M 8: Rot-Grün - der erste Krach. Senatsentscheidung über Elbvertiefung verärgert die GAL

Die morgen beginnenden Hamburger Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und GAL werden offenbar schwieriger als erwartet. Ein erster "Knackpunkt" zeigte sich gestern: die Elbvertiefung. Während der Senat demonstrativ verkündete, er habe dem Bund sein Einverständnis für die Fahrrinnenanpassung erklärt und damit die letzte Hürde abgebaut, sprach GAL-Wirtschaftssprecher Alexander Porschke von einem "unfreundlichen Akt".

Eine Entscheidung falle bestenfalls mit dem Planfeststellungsbeschluß, zuvor werde die Elbvertiefung aber Thema in den Koalitionsverhandlungen sein, sagte Porschke. Die Behauptung des Senats, nur mit dem Ausbaggern würde die Konkurrenzfähigkeit des Hamburger Hafens erhalten, überzeuge nicht. Zudem wiesen die Planunterlagen aus, daß rund 2500 Hektar Fläche im Uferbereich durch Trockenfallen erheblich betroffen wäre. ...

Umweltsenator Fritz Vahrenholt erklärte, die Elbvertiefung sei das weltweit bestuntersuchte Projekt. Es habe seit 1989 allein zehn Millionen Mark für Gutachten zur Umweltverträglichkeit gekostet. Voscherau sagte, er habe in seiner Regierungserklärung 1993 die Vertiefung der Elbe für Containerschiffe der vierten Generation angekündigt und "mit großem persönlichen Einsatz die politischen Voraussetzungen geschaffen".

[Hamburger Abendblatt vom 8.10.1997, S. 1]

 

[/S. 116:]

M 9: Umweltverbände: Warnung an die GAL

Die Umweltschutzverbände haben die GAL aufgefordert, in den Verhandlungen mit der SPD über eine neue Koalition in Hamburg beim Thema Elbvertiefung konsequent zu bleiben. "Unsere Forderung an Rot-Grün lautet, die Sofortmaßnahmen zur Elbvertiefung zu stoppen", sagte Manfred Braasch vom BUND. Damit hat sich der Druck auf die GAL in der heutigen Verhandlungsrunde, bei der es um die Themen Hafen und Verkehr geht, erhöht. ...

"Wir haben die Forderung der Verbände in der Sache für gerechtfertigt und sind keine Befürworter der vorgezogenen Teilmaßnahmen", sagte GAL-Wirtschaftsexperte Alexander Porschke.

[Hamburger Abendblatt vom 14.10.1997, S. 1]

M 10: GAL auf Kompromißkurs. Koalitionsverhandlungen: "Thema Hafen weitgehend abgehakt"

Es war die SPD, die darauf gedrängt hatte, den heiklen Themenkomplex Hafen- und Verkehrspolitik an den Beginn der Koalitionsverhandlungen zu stellen. Das Kalkül der Sozialdemokraten: Möglichst schnell sollte sich erweisen, ob der positive Eindruck aus dem Sondierungsgespräch mit der GAL auch in den konkreten Detail-Gesprächen trägt. ...

Der Hafen ist eines der Herzstücke der SPD-Politik. Hier sind Kompromisse für die Dauer-Regierungspartei besonders schwer vorstellbar. Zentrales Thema war am Nachmittag die Elbvertiefung: Die SPD rechnet bei jeder Verzögerung oder gar Behinderung mit einem nachhaltigen Vertrauensschaden bei den großen Reedereien. ...

Die GAL ist gegen das Projekt, weil es ökologisch nicht zu verantworten und wirtschaftlich nicht nötig sei. ...

Doch gestern abend erwiesen sich die Grünen als pragmatischer Verhandlungspartner. "Es ist ja klar, daß wir in Sachen Elbvertiefung bei der SPD mit unserer Position nicht durchkommen", sagte ein Mitglied der GAL-Kommission. Danach dürfte die GAL der SPD keine Steine in den Weg legen.

Auch die vorgezogenen Teilmaßnahmen, die noch in diesem Jahr den Auftakt zur Ausbaggerung bilden sollen, will die GAL offenbar akzeptieren.

[Hamburger Abendblatt vom 15.10.1997, S. 12]

M 11: "Heulen und Zähneklappern". Die GAL informiert die Basis über Koalitionsverhandlungen

GAL-Verhandlungsführerin Krista Sager hat vor Illusionen bei Eintritt der Grünen in den Senat gewarnt. "Der Weg in eine Regierung wird schmerzhaft sein und wenig fröhlich", sagt Frau Sager gestern abend auf einer Veranstaltung, die der Information der GAL-Basis über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen diente.

Auch eine rot-grüne Politik würde für viele Menschen "Heulen und Zähneklappern" bringen, fügte die Fraktionsvorsitzende der GAL in der Bürgerschaft unter Hinweis auf die Finanzenge der Stadt hinzu. Krista Sager gab zu, daß sich die GAL mit ihrer Ablehnung von Projekten wie dem Ausbau von Altenwerder und der Elbvertiefung nicht durchsetzen konnte, obwohl an diesen Positionen viel grünes Herzblut hänge. ...

Erst eineinviertel Stunden nach Beginn der Info-Veranstaltung kam die bis dahin recht ruhige Basis zu Wort, mehr und mehr kritisch. "Ich bin etwas entsetzt", formulierte GALier Rolf Fischer sein Unbehagen. ... [/S. 117:]

Architekt Heinz Spilker wandte sich gegen die Zustimmung zur Elbvertiefung. Daß es eine Kompensation gebe, sei bisher nur eine Behauptung. Spilker: "Man kann als Partei nicht einfach nur den Löffel abgeben."

Der frühere Bürgerschaftsabgeordnete Andreas Bachmann kritisierte, nach seinem Eindruck hätten sich die bisherigen Verhandlungen und Ergebnisse im hohen Maße an den Erwartungen und der Gefühlslage der Handelskammer ausgerichtet. ...

Parteisprecherin Antje Radcke bedauerte: "Es ist offenbar nicht rübergekommen, was wir erreicht haben."...

Als Kompensation für die Zustimmung zur Hafenerweiterung von Altenwerder und zur Elbvertiefung werde es Projekte geben, die der Umwelt zugute kämen, kündigte Antje Radcke den GAL-Mitgliedern an. Die SPD habe das als ihre Bringeschuld bezeichnet. Krista Sager appellierte an die grüne Basis: "Wir haben Kröten schlucken müssen. Aber schüttet jetzt nicht das Kind mit dem Bade aus."

[Hamburger Abendblatt vom 17.10.1997, S. 13]

M 12: Auszug aus dem Koalitionsvertrag von SPD und GAL in Hamburg für die Legislaturperiode 1997 - 2001

Die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens muß vor dem Hintergrund der verschärften Konkurrenz sowohl in der Nordrange als auch weltweit gesichert werden. ...

Das begonnene Verfahren zur Fahrrinnenanpassung der Elbe wird fortgesetzt. Die GAL hält ökologische, ökonomische und juristische Bedenken gegen diese Maßnahme aufrecht. Mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen sollen Gespräche über Renaturierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Sturmflutschutz geführt werden.

[Hamburger Abendblatt vom 7.11.1997, S. 12]

M 13: Kurzinformationen und Schlagzeilen über den Verfahrensablauf zur Elbvertiefung

23. April 1990: Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg an das Bundesverkehrsministerium auf Anpassung der Fahrrinne von Unter- und Außenelbe an die Containerschiffahrt.

31. August 1990: Umweltminister-Konferenz der Elbanliegerländer fordert Durchführung einer ökologischen Voruntersuchung. Positive Ergebnisse liegen im August 1991 vor.

15. Juli 1992: Aufnahme des Projekts im Bundesverkehrswegeplan.

1993 Beginn der Umweltverträglichkeitsuntersuchung.

"Wir bauen die Elbe intelligent aus". Hamburger Behörde will die Fahrrinne vertiefen / 35 Millionen Kubikmeter Baggergut fallen an (Glückstädter Fortuna vom 13.6.1994).

Studie: Elbvertiefung gefährdet Deiche nicht. Senat präsentiert Computer-Simulation / Baggereinsatz umstritten (Norddeutsche Rundschau vom 27.2.1996).

"Keine Gefahr für Deiche und Umwelt". Elbvertiefung: Bundesanstalt für Wasserbau gibt Entwarnung (Wedel-Schulauer Tageblatt vom 14.11.1996).

Elbvertiefung: Startschuß erst nach der Wahl. Baggerarbeiten können zum Jahresende beginnen - Abschluß im Jahr 2002 (Die Welt vom 15.1.1997).

Elbvertiefung kann im Sommer beginnen. Umweltstudie ist bald fertig / Planverfahren in der Schlußphase (Brunsbütteler Rundschau vom 13.2.1997).

Elbvertiefung: Später Querschuß aus Kiel. Pagensand wird Naturschutzgebiet (Hamburger Abendblatt vom 26.5.1997).

Studie: Elbvertiefung vernichtet Biotope. Anfallender Schlamm soll auf Pagensand abgelagert werden (Wedel-Schulauer Tageblatt vom 19.6.1997). [/S. 118:]

Fluß frei für Container-Frachter. Die Ausbaggerung der Elbe ist seit gestern umweltverträglich (taz hamburg vom 19.6.1997).

Elbvertiefung: 9000 Aktenordner unterwegs. Ab Freitag kann jeder die Pläne in den Rathäusern einsehen / Einwendungen bis 13. Oktober möglich (Stader Tageblatt vom 27.8.1997).

Elbvertiefung: Neuer Streit um Pagensand. Die Zweifel des Umweltministeriums. Die Wogen zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg beim Thema Elbvertiefung schienen geglättet, jetzt wird die See wieder rauher: Das Kieler Umweltministerium verweigert die Zustimmung zur Ablagerung des Baggerguts auf Pagensand (Pinneberger Tageblatt vom 1.10.1997).

Die Elbvertiefung - Hohe Wellen der Emotion beim Erörterungstermin. Umweltverbände kritisieren Wirtschaftsbehörde bei der Auftakt-Anhörung: "Unsinniges und ökologisch verheerendes Projekt" (Die Welt vom 9.12.1997).

Die Elbe wird jetzt ausgebaggert. Baggerarbeiten sind vorgezogene Teilmaßnahmen, die auch ohne Planfeststellungsverfahren möglich sind (Hamburger Abendblatt vom 11.12.1997).

[Schlagzeilen zum Teil leicht verändert oder ergänzt]

M 14: Schema des Planfeststellungsverfahrens

Schema des Planfeststellungsverfahrens

M 15: Umweltrechtliche Vorschriften

a) Bundeswasserstraßengesetz

§ 14 Planfeststellung:

(1) Der Ausbau oder der Neubau von Bundeswasserstraßen bedarf der vorherigen [/S. 119:] Planfeststellung. Bei der Planfeststellung sind die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. ...

(2) Ist das Planfeststellungsverfahren eingeleitet, kann die Wasser- und Schiffahrtsdirektion nach Zustimmung des Bundesministers für Verkehr und nach Anhörung der zuständigen Landesbehörde und der anliegenden Gemeinden und Gemeindeverbände eine vorläufige Anordnung erlassen, in der Teilmaßnahmen zum Ausbau oder Neubau festgesetzt werden, wenn Gründe des Allgemeinwohls den alsbaldigen Beginn der Arbeiten erfordern. ...

b) Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung

§ 1 Zweck des Gesetzes:

Zweck dieses Gesetzes ist es sicherzustellen, daß bei ... Vorhaben [wie dem Ausbau einer Bundeswasserstraße] zur wirksamen Umweltvorsorge nach einheitlichen Grundsätzen

  1. die Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet werden,
  2. das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung so früh wie möglich bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit berücksichtigt wird.

§ 2 Begriffsbestimmungen:

... Die Umweltverträglichkeitsprüfung umfaßt die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen eines Vorhabens auf

  1. Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen,
  2. Kultur- und sonstige Sachgüter.

Sie wird unter Einbeziehung der Öffentlichkeit durchgeführt. ...

M 16: Die Aufgaben des Landschaftspflegerischen Begleitplans (LBP)

[nicht im Originalartikel enthalten; d. Red.]

Unvermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft, die den Naturhaushalt oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können, sind gemäß § 8 Bundesnaturschutzgesetz durch geeignete Maßnahmen auszugleichen bzw. zu ersetzen. ...

Für Eingriffe in den Naturhaushalt, die nicht direkt vor Ort ausgeglichen werden können, muß Ersatz geschaffen werden. Im Landschaftspflegerischen Begleitplan werden die erforderlichen Maßnahmen konzipiert und beschrieben. ...

Durch die Fahrrinnenvertiefung kommt es infolge der veränderten Tidedynamik zu Beeinträchtigungen ufernaher Biotypen, zum Beispiel bei Röhrichten oder Baum- und Strauchweiden. Auch im Wasser lebende Organismen sind betroffen. Diese Auswirkungen sind durch entsprechende Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. In Betracht kommen dabei die Schaffung von Flachwasserzonen, Wiederherstellung des Tideeinflusses, Biotopmaßnahmen, Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzungen und anderes mehr.

[Im Spiegel der Umwelt. Herausgegeben von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes und der Freien und Hansestadt Hamburg. Hamburg 1997, S. 14, 17]

M 17: Mit Kutterkonvois gegen Elbvertiefung. Fischer-Protest in Hamburg und Cuxhaven

Mit Kutterkonvois auf der Elbe in Hamburg und vor Cuxhaven haben am Sonnabend die Elbfischer gegen eine Vertiefung des Fahrwassers und eine mögliche Zerstörung ihrer Fanggründe protestiert. ...

Auf ihren Schiffen hatten die Fischer Protest-Transparente gehißt. Darauf hieß es unter anderem: "Macht die Elbe nicht zum Kanal - Schützt die Umwelt" und "Die große Hochseefischerei ist tot, die kleine Hochseefischerei ist tot und jetzt sind wir dran".

Zu den Protestaktionen hatte das "Bündnis der Elbfischer" aufgerufen. Der "Bündnis"-Sprecher Walter Zeeck aus Geversdorf sagte: "Die Fischerei in der Elbe muß gesichert bleiben, auch wenn die Elbe vertieft wird."

Die Elbfischer befürchten laut Zeeck unter anderem eine Zerstörung traditioneller Fanggründe. Nach seinen Angaben gibt es zwischen Cuxhaven und Geesthacht noch rund 30 Elbfischer, die im Strom Aale, Stint und Zander fangen. Außerdem gebe es noch rund 50 Krabbenfischer an der Elbe.

[Stader Tageblatt vom 15.9.1997]

 

[M 18 bis M 21 sind im Originalartikel nicht veröffentlicht; d. Red.]

M 18: Bauern-Protest gegen Elbvertiefung. An der Stör wollen Landwirte benötigte Ausgleichsflächen nicht hergeben

Seit fast 350 Jahren bewirtschaftet die Familie Mohr einen Bauernhof in Borsfleth. Über zwölf Generationen wurde der Hof - davon auch 52 Hektar Land im Kreis Steinburg nahe der Störmündung - vom Vater an den Sohn vererbt. Doch auf dieser Fläche, mehr als der Hälfte des Betriebes, soll nach den Plänen des Hamburger Wasser- und Schiffahrtsamtes bald Schluß sein mit konventioneller Landwirtschaft. An der Störmündung sind 314 Hektar Land als Ausgleichsfläche für die geplante Elbvertiefung vorgesehen.

"Dann ist meine Existenz weg", sagt Landwirt Peter Mohr. Ersatzflächen seien kaum zu bekommen, und ohne ausreichendes Weideland könne er seine 80 Milchkühe nicht mehr halten. Auch der für 500.000 Mark neugebaute Stall wäre dann überflüssig.

Zusammen mit 19 anderen betroffenen Landwirten aus Borsfleth und Wewelsfleth auf der anderen Störseite will Mohr gegen die Pläne des Wasser- und Schiffahrtsamtes protestieren. Gelegenheit dazu haben die Landwirte im derzeit noch laufenden Planfeststellungsverfahren. Auch der Steinburger Kreistag und die Gemeindevertretungen von Borsfleth und Wewelsfleth haben sich gegen einen "Eingriff in die Agrarstruktur" ausgesprochen.

Ein Teil der beim Ausbaggern der Elbfahrrinne für die neueste Containerschiff-Generation vorgesehenen Ausgleichsflächen soll nach den Plänen vernäßt werden. Künftig sollen dort Röhricht- und Auenwälder wachsen. Auf dem übrigen Land soll nur noch eingeschränkte Wirtschaft erlaubt sein, mit halbem Viehbesatz und ohne Düngung.

"Da kann man in heutiger Zeit kaum mehr etwas verdienen", meint der Bürgermeister von Borsfleth, Johann Dittmer. Er sehe nicht ein, daß die meisten Landwirte aus seinem Dorf von der Außendeichfläche vertrieben werden sollen. Die Bauern mit ihren Betrieben gehören für Dittmer genauso zu seiner Heimat wie die riesigen Gänseschwärme, die seit Jahrhunderten in Borsfleth auf ihrem Flug gen Süden rasten. ...

Der Leiter des Hamburger Wasser- und Schiffahrtsamtes, das die 250 Millionen Mark teure Elbvertiefung vorbereitet, bleibt angesichts der Proteste jedoch gelassen. "Die erste Reaktion lautet immer: Hilfe, bei mir nicht", sagt Jörg Osterwald. Aber unter vernünftigen Leuten sei eine Einigung immer möglich. Befürchtete Enteignungen hält Osterwald nicht für erforderlich. Die ersten Hektar Land an der Störmündung seien schon angekauft - rund 20.000 Mark werden in Borsfleth für einen Hektar geboten.

[Die Welt vom 11.10.1997. Verfasser: Jann Roolfs]

M 19: "Elbvertiefung soll durchgepeitscht werden" - Scharfe Ablehnung des Projekts durch die Hamburger Umweltverbände

Mit dem heute beginnenden Erörterungstermin zur Elbvertiefung - offiziell und herunterspielend "Fahrrinnenanpassung" genannt - soll das Planfeststellungsverfahren trotz der zahlreichen Einwendungen und offenen Fragen zum Abschluß gebracht werden. Ohne Rücksicht auf die Schädigung wichtiger Lebensräume, ohne hinreichende wirtschaftliche Rechtfertigung und in einem teilweise rechtswidrigen Verfahren wird die Planung vorangetrieben. Vor dem Hintergrund eines mörderischen Konkurrenzkampfes der größten Häfen an der Nordseeküste wird weiter Natur zerstört und die Sicherheit der Menschen hinter den Deichen in Frage gestellt. Die Hamburger Naturschutzverbände BUND, NABU und Rettet die Elbe unterstreichen ihre Kritik an dem Vorhaben.

  • Das Planfeststellungsverfahren verstößt eklatant gegen bestehende Gesetzgebungen auf nationaler und europäischer Ebene. Gegen die Planung wird daher Beschwerde in Brüssel eingelegt. Gravierende methodische und inhaltliche Fehler im hydrologischen Teil der Umweltverträglichkeitsuntersuchung führen zudem zu unhaltbaren und beschönigenden Bewertungen über die Umweltauswirkungen.
  • Der Kostenaufwand von 250 Millionen Mark ist nicht zu rechtfertigen, da nur sehr wenige Containerschiffe aufgrund ihres realen Reise-Tiefgangs eine kurze Wartezeit in Kauf nehmen müssen. Die geplante Vertiefung dient nicht dem Allgemeinwohl, sondern nützt nur einigen wenigen Reedern.
  • Die sechste Vertiefung der Unterelbe in diesem Jahrhundert setzt den ökologisch verheerenden Trend fort. Wertvolle Flachwasserzonen gehen verloren, in bestehenden Naturschutzgebieten werden hektarweise Biotope zerstört und die Bestände der Elbfische nachhaltig geschädigt.
  • Die vorgeschlagenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in Art und Umfang völlig ungeeignet, die ökologischen Schäden - wie naturschutzrechtlich vorgeschrieben - zu kompensieren. Bislang ist nicht einmal die Realisierbarkeit der spärlichen, vom Vorhabenträger vorgesehenen Maßnahmen abgesichert.
  • ie Elbfischerei wird durch die geplante Vertiefung stark gefährdet. Fangplätze und wichtige Fischstandorte werden verlorengehen. Dies ist angesichts der gerade beginnenden Genesung der Elbe nicht zu verantworten.
  • Die Frage der Sturmflutsicherheit ist mit dem verwendeten Berechnungsmodell nicht ausreichend beantwortet. Vielmehr ist zu befürchten, daß die Elbvertiefung die Gefahren einer Sturmflut vergrößert.
  • Die Elbvertiefung verhindert, daß der absurde Hafenkonkurrenzkampf zwischen den Nordseehäfen auf Kosten von Umweltbelangen und Steuermitteln durch eine sinnvolle Hafenkooperation beendet wird. Die geplante Elbvertiefung steht im Widerspruch zu den Zielen einer umweltgerechten nachhaltigen Entwicklung, wozu sich Deutschland gerade auch international verpflichtet hat.

[Gemeinsame Pressemitteilung von Naturschutzbund Deutschland, BUND/Freunde der Erde und Förderkreis "Rettet die Elbe" e.V. vom 8.12.1997]

M 20: Beschwerde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft

Herbert Brüning, Kiel [Geschäftsführer des Landesnaturschutzverbandes Schleswig-Holstein]

 
Kommission der Europäischen Gemeinschaft
Kiel, den 20. Oktober 1997
Generaldirektion XI
Dr. Karl von Kempis
Rue de la Loi 200
B-1049 Brüssel
 
Sehr geehrter Herr Dr. von Kempis,
im Zusammenhang mit dem derzeit laufenden Planfeststellungsverfahren zur erneuten Vertiefung von Unter- und Außenelbe sind gleich mehrere Verstöße der Bundesrepublik Deutschland gegen die
...
FFH-Richtlinie (92/43/EWG)
von möglicherweise verfahrensentscheidender Bedeutung. Ich lege daher gegen die derzeit laufenden richtlinienwidrigen Aktivitäten Deutschlands
BESCHWERDE
ein und begründe dies im weiteren Text meines Schreibens.
...
An der Elbe ist Oenanthe coniodes, der Schierlings-Wasserfenchel, eine prioritäre Art der FFH-Richtlinie endemisch, d.h., sie kommt weltweit nur noch im Unterelberaum vor. Bis in die sechziger Jahre hinein war sie hier häufig, seitdem ist ein drastischer Rückgang zu verzeichnen. Rückgangsursache sind nach übereinstimmender Auffassung aller mir zu diesem Thema bekannten Literaturquellen die seit 1962 vorgenommenen Elbvertiefungen mit ihren ökologischen Auswirkungen.
...
Deutschland muß für diese Art ein Schutzgebiet ausweisen, weil ihr Bestand innerhalb der EU und weltweit sonst nicht mehr sicherzustellen ist. Dieses Schutzgebiet muß aufgrund der (an natürlichen Standorten) verbleibenden nur noch 300 Exemplare dieser Pflanze alle heute noch vorhandenen wichtigen Lebensräume umfassen und zudem die Möglichkeit zu einer - z.B. in Artikel 3 der FFH-Richtlinie geforderten - Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes bieten.
...
Für die geplante Elbvertiefung ist noch keine Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 der FFH-Richtlinie durchgeführt worden. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung an einer solchen Prüfung hat es demnach auch noch nicht gegeben.
Das Ergebnis einer solchen Verträglichkeitsprüfung ist absehbar:
a) Das Vorhaben verträgt sich nicht mit den Erhaltungszielen von ... geschützten Arten und Lebensräumen der FFH-Richtlinie.
b) Von dem Vorhaben werden prioritäre Arten und Lebensräume ... nachhaltig geschädigt, wenn nicht sogar vollständig vernichtet.
...
d) Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgestellt, daß wirtschaftliche Gründe die über EU-Richtlinien abgesicherten Naturschutzbelange nicht überwiegen können.
...
Nach alledem muß ich den Eingriff für unverantwortlich und nicht genehmigungsfähig halten. Ich bitte Sie daher um Ihre tatkräftige Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
H. Brüning

[An mehreren Stellen sinnentsprechend geänderte Formulierungen des Originalschreibens]

M 21: Flora-Fauna-Habitat (FFH) -Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft [Auszug]

RICHTLINIE 92/43/EWG DES RATES vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanze

Artikel 3:

(1) Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung "Natura 2000" errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muß den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

...

Artikel 6:

...

(2) Die Mitgliedsstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3) Pläne oder Projekte, die ...ein solches Gebiet ...erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, daß das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedsstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, daß die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedsstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.

Diese Materialien sind in veränderter Form unter gleichem Titel erschienen in: Politische Bildung, 31. Jg. 1998 (3), 110-119. Die hier verfügbaren Materialien sind im Originalartikel zum Teil nur gekürzt, zum Teil gar nicht veröffentlicht; d. Red.

© 2003 Joachim Detjen, Eichstätt, © 2003 sowi-online e.V., Bielefeld

Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].

sowi-online dankt dem Verfasser für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung der Materialien im Internet.

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