Planspiel: Der UN-Sicherheitsrat - eine wirksame Institution zur Herstellung des Friedens? Ein Planspiel aus und für die Unterrichtspraxis

Bernd Knittel, Gunilla Neukirchen

Inhalt

1. Vorüberlegungen
1.1 Zur Entstehung des Planspiels
1.2 Das Planspiel UNO - ein Alltagsexperiment
- Überlegungen zu Einsatzmöglichkeiten des Planspiels in unterschiedlichen Lerngruppen
- Überlegungen zu Voraussetzungen des Planspiels
- Überlegungen zur didaktischen Perspektive des Planspiels
2. Überblick über die Strukturierung der Unterrichtseinheit
1. Stunde: Das Spannungsfeld zwischen negativem und positivem Frieden
2. Stunde: Bestimmungen der UN-Charta zur Herstellung des Friedens
3. Stunde: Bewertung von UN-Aktivitäten zur Herstellung des Friedens
4. Aktuelle Stunde: Einsatz der Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens?
5. Aktuelle Stunde: BVerfGE zur Frage - Darf die Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten eingesetzt werden?
6. Stunde: Die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats - Handlungsmöglichkeiten zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten
7. Stunde: Analyse des fiktiven Konflikts; Verabredungen zur Textproduktion und Rollenübernahme
8. Stunde: Die Lernenden bereiten sich auf das Spiel vor
9./10. Stunde: Durchführung und erste Auswertung des Spiels
11. Stunde: Auswertung des Spiels
3. Zu Anlage und Konzeption des Planspiels
3.1 Die Konzeption des Spiels
- Der Konflikt als politisches Problem
- Der UN-Sicherheitsrat als Entscheidungsgremium - die Rollenübernahme durch die Teilnehmer
- Festlegungen für die äußere Organisation des Spiels
3.2 Die Vorbereitung des Planspiels
- Materialgrundlage
- Die Lerngruppe organisiert ihren Lernweg
4. Durchführung und Auswertung des Planspiels
4.1 Durchführung des Planspiels
4.2 Auszüge aus dem Transkript der 70-minütigen Videoaufzeichnung (1)
4.3 Die Auswertung
5. Reflexion: Möglichkeiten und Grenzen des Planspiels
5.1 Erste Eindrücke
5.2 Erinnerungen im Rückblick
- Intensive Erinnerungen
- Ernsthaftigkeit der Ausführung
- Die "stille Schülerin"
- Politisches Lernen
- Fiktion und Realität

Übersichten

Übersicht: Materialien für die Vorbereitung und Durchführung des Planspiels
Checkliste zur Planung und Vorbereitung des Planspiels
Checkliste: Durchführung des Planspiels
Überblick: Steuerung unmittelbar im Anschluss an das Spiel
Checkliste: Probleme des Spiels - antizipiert?

 

Anmerkungen

Materialien zum Planspiel UNO im Rahmen der Unterrichtseinheit:
Der UN-Sicherheitsrat - eine wirksame Institution zur Herstellung des Friedens?
[Hinweis: Die Seitenwechsel im Original sind in diesen Texten nicht markiert.]

M 1: Infotext 1: Die Vereinten Nationen
M 2: Infotext 2: Charta der Vereinten Nationen
M 3: Konfliktbeschreibung - Der Konflikt Adraab/Roodod
M 4: BBC World News
M 5: Aufgabe 1: Konfliktanalyse
M 6: Aufgabe 2: Spielanleitung
M 7: Spielvorlage - Adraab
M 8: Spielvorlage - Roodod
M 9: Spielvorlage - Frankreich
M 10: Spielvorlage - Großbritannien
M 11: Spielvorlage - Russland
M 12: Spielvorlage - USA
M 13: Spielvorlage - Volksrepublik China
M 14: Spielvorlage - Bundesrepublik Deutschland
M 15: Spielvorlage - Türkei
M 16: Muster für einen Resolutionsentwurf
M 17: Zeitungsbericht

 

"Airstrike launched against Adraab ... hundreds of casualties have been reported ... In a few minutes the emergency session of the United Nations Security Council will begin ..."

"Meine Damen und Herren, hiermit eröffne ich die Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates."

Nachhaltig Lernen mit allen Sinnen - dieser Anspruch handlungsorientierten Unterrichts sollte in einem Planspiel experimentellen Charakters im Politikunterricht einer 10. Klasse an der Schiller-Oberschule in Berlin-Charlottenburg in die Praxis umgesetzt werden. Es ging darum, die Lernenden zum eigenverantwortlichen Lernen zu führen, sie einen begrenzten Ausschnitt eines politischen Entscheidungsprozesses spielen zu lassen, damit sie die Handlungsspielräume der UNO am Beispiel einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates emotional, auditiv, visuell, kognitiv und auch haptisch erleben und verstehen können und die u.a. durch die Artikel 33, 36, 41 und 42 der Charta begrenzten Entscheidungsspielräume des UN-Sicherheitsrates auf der Grundlage selbstständig gemachter Erfahrungen rational beurteilen lernen.

Zur Spielerfahrung äußerte ein Schüler: "Wichtig fand ich noch die Erfahrung, dass Lehrstoff im Politikunterricht , der sehr wohl komplex ist, auch auf andere, sozusagen lebensnähere Art vermittelt werden kann." (2)

1. Vorüberlegungen

1.1 Zur Entstehung des Planspiel

Ein Rundschreiben des Berliner Landesschulamtes zum 50. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 gab den Anstoß, in nur zwei Sitzungen im Fachseminar Geschichte und Politik (Sozialkunde) des 1. Schulpraktischen Seminars in Berlin-Reinickendorf eine Spielvorlage für die Durchführung einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates zu entwerfen. Es entstand eine Vorlage, die in leicht unterschiedlichen Variationen inzwischen 15 mal unter großem Zuspruch und hohem Engagement der Schüler durchgeführt wurde - angeleitet von Lehrern, die an der Entwicklung des Spiels beteiligt waren, aber auch von Kolleginnen und Kollegen, denen nur der Spielentwurf vorlag, durchgeführt in unterschiedlichen Jahrgangsstufen zwischen der 10. und der 13. Klasse und an unterschiedlichen Schulen in Berlin und Brandenburg.

Die hier dokumentierte Fassung wurde am 27. März 1996 in einer 10. Klasse (10E1) der Schiller-Oberschule in Berlin-Charlottenburg gespielt. In der Lerngruppe befanden sich auch Schüler und Schülerinnen chinesischer, türkischer, vietnamesischer, iranischer und polnischer Herkunft. Der soziale Hintergrund war nach Auskunft der Klassenleiterin [/S. 90:] bestimmt vom unterem Mittelstand; es gab auch einige Arbeiterhaushalte, und einige wenige Akademiker. Ein Vater war Tierarzt, einer Journalist einer Ingenieur, zwei Mütter waren Lehrerinnen. Oft wurde über die nur "mittelmäßige" Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Lerngruppe geklagt. Dagegen zeigte die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler überdurchschnittliche Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Mitarbeit im Comenius - Projekt. In diesem Projekt sind fünf Schulen vernetzt, die Unterricht und Kommunikation mit neuen Medien erproben sollen.

Soziale Kompetenzen waren vor allem bei den Schülerinnen sehr ausgeprägt; insgesamt beobachteten wir z.T. sehr extrovertierte, dagegen aber auch übermäßig introvertierte Schülerinnen und Schüler.

1.2 Das Planspiel UNO - ein Alltagsexperiment

Das Planspiel ist von Anfang an unter dem Gesichtspunkt entwickelt worden, einen Unterricht zu planen, der die Schüler möglichst stark fordert und fördert und zugleich mittelfristig den Lehrer entlastet und ihm die Möglichkeit eröffnet, sich in einer veränderten Rolle erfahren zu können (3). Wir wollten kein Modell für ein Planspiel entwickeln, sondern in diesem Unterrichtsvorhaben Erfahrungen mit eher handlungsorientiertem Unterricht sammeln und so zügig planen wie es Alltagsbedingungen von Unterrichtsplanung entspricht.

 

Überlegungen zu Einsatzmöglichkeiten des Planspiels in unterschiedlichen Lerngruppen

Unserer Erfahrung nach ist das Planspiel mit jeder Lerngruppe durchführbar, die bereits positive Erfahrungen mit Schülerselbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit im Unterricht gemacht hat und entsprechend trainiert ist (4). Die 10E1 war geübt in Partner- und Gruppenarbeit und hatte Erfahrungen in der Durchführung von Befragungen und der Präsentation von selbsttätig erarbeiteten Ergebnissen. Wir schätzten die Gruppe als ausreichend kompetent ein, zentrale Artikel der Charta der Vereinten Nationen selbstständig kennen und verstehen zu lernen, in kleinen Vorbereitungsgruppen auch ohne Lehrerintervention persönlich und sachdienlich produktiv zusammenzuarbeiten und sich dabei durchaus als kompetent zu erleben.

Es ist für die praktische Durchführung wichtig, dass immer alle Schüler beteiligt werden und dass es demzufolge auch unterschiedliche Rollen für individuell unterschiedliche Schülerprofile gibt: In dem Planspiel gibt es für die Schüler die Möglichkeit, als aktiver Sprecher ihres Landes, als beratendes Delegationsmitglied oder als beobachtender Journalist teilzunehmen.

Die zahlreichen Durchführungen haben gezeigt, dass die Vorlage grundsätzlich übernommen werden kann, aber dennoch für jede Lerngruppe individuell passend gemacht werden muss, um sicherzustellen, dass die Schüler und Schülerinnen wirklich von einem bestimmten Moment an selbstständig - ungestört vom Lehrer - arbeiten können.

 

Überlegungen zu Voraussetzungen des Planspiels

Wesentliche Voraussetzungen für das Gelingen des Spiels sind immer eine längere Vertrautheit des Lehrers mit der Lerngruppe und ein genaues Einschätzen der persönlichen, sozialen, [/S. 91:] methodischen und fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Wir schätzten die Lerngruppe fachlich so ein, dass sie zu Beginn der achten Stunde über folgende Kompetenzen sicher verfügen konnte:

  • Kennen, Vertreten und Durchsetzen der Ziele und Aufgaben der UN
  • wortgenaue Nutzung der UN-Charta für ihre Argumentatio
  • Kennen des Abstimmungsmodus im Sicherheitsrat
  • Kennen und Anwenden des völkerrechtlichen Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staate
  • Verstehen der Interdependenzen von Innen- und Aussenpolitik
  • Formulierung von Beiträgen zur Kolonialgeschichte, zum 2. Weltkrieg und zum 2. Golfkrieg aus ihrem Alltagswissen
  • Beherrschung der Konfliktsituation anhand der Spielvorgaben
  • Beherrschung der notwendigen Kommunikationsregeln auch ohne Lehrerleitung.

Diese Aufstellung soll der Orientierung dienen; es ist uns klar, dass Lernen nicht vollständig antizipierbar ist, sondern ein höchst individueller Vorgang ist, dass sich Wissen nicht einfach weitergeben lässt, sondern immer eine Konstruktion durch das wahrnehmende Subjekt ist (5).

 

Überlegungen zur didaktischen Perspektive des Planspiels.

Das Spiel verfolgt Ziele auf der Ebene des methodischen und des inhaltlichen Lernens im Politikunterricht. Methodisch ging es uns darum, die Selbsttätigkeit und Selbststeuerung der Lernenden der 10. Klasse zu stärken sowie ihre Kompetenzen zum freien Sprechen, zur Entscheidungsfindung und zur Eigenorganisation innerhalb einer Gruppe zu fördern. Inhaltlich ging es uns darum, den Schülern und Schülerinnen formale Möglichkeiten des UN-Sicherheitsrates zu vermitteln und sie die Problematik der Entscheidungsfindung des UN-Sicherheitsrates unter Bedingungen z.B. fehlender Kompromissbereitschaft und fehlender Informationen erleben zu lassen sowie bei ihnen ein vielleicht erstes Bewusstsein für die Komplexität politischer Prozesse zu entwickeln und so auch langfristig ihre Kompetenz zur selbstständigen politischen Analyse zu stärken.

Aus diesem Grunde sollten zwar die Strukturen einer realen Dringlichkeitssitzung erhalten bleiben (insbesondere Zusammensetzung des Sicherheitsrates, Kompetenzen und Handlungsspielraum seiner Mitglieder), aber für die engen Rahmenbedingungen der Schule passend gemacht, d.h. reduziert und vereinfacht werden. Folgende Bedingungen haben wir besonders berücksichtigen müssen: Anzahl der Schüler und Zeitvorgaben für das Spiel, seine Vorbereitungs- und Auswertungsphasen; daraus leiteten sich auch die Vorgaben für den Umfang und die Art der Aufbereitung der Materialien ab.


2. Überblick über die Strukturierung der Unterrichtseinheit

Das Planspiel stand am Ende der folgenden Unterrichtseinheit zum Thema: "Der UN-Sicherheitsrat - eine wirksame Institution zur Herstellung des Friedens!?" Die Materialien für die Vorbereitung und Durchführung des Planspiels sind im Anhang unter folgender Nummerierung abgedruckt:

[Übersicht S. 92]

Übersicht: Materialien für die Vorbereitung und Durchführung des Planspiels
M 1 Infotext 1: Die Vereinten Nationen (Information: UNO)
M 2 Infotext 2: Charta der Vereinten Nationen  
     
M 3 Konfliktbeschreibung (Konflikt)
M 4 BBC World News  
     
M 5 Aufgabe 1: Konfliktanalyse (Durchführung)
M 6 Aufgabe 2: Spielanleitung (für alle)  
M 7 - 15 Aufgabe 3: Spielvorlagen (für die einzelnen Länder)  
M 16 Muster: Resolutionsentwurf  
     
M 17 Zeitungsbericht eines "Journalisten" (Auswertung)

 

1. Stunde: Das Spannungsfeld zwischen negativem und positivem Frieden

Die Lernenden formulieren frei im Rundgespräch ihre Assoziationen zum Begriff Frieden. Sie assoziieren im Spannungsfeld zwischen negativem und positivem Friedensverständnis.

Material: 30 DIN A4 Kopien von Bildern, die entsprechende Gewalterfahrungen zeigen. [/S.92:]

2. Stunde: Bestimmungen der UN-Charta zur Herstellung des Friedens

Die Lernenden deuten zentrale Bestimmungen der UN-Charta zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten, ermitteln deutliche und undeutliche Formulierungen und schätzen die politische Bedeutung der UN zur Herstellung des Friedens vorläufig ein.

Material : Schulbuchtext der Charta

Die Lerngruppe wird erstmals informiert, dass sie eine UN-Sicherheitsratssitzung zur Formulierung einer Resolution zur Herstellung des Friedens in einem Konfliktgebiet spielen wird.

3. Stunde: Bewertung von UN-Aktivitäten zur Herstellung des Friedens

Die Lernenden präsentieren ihre Daten/Faktenauswahl zur Geschichte von UN-Aktivitäten zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten, erläutern ihre positiven oder negativen Einschätzungen und erörtern kontroverse Bewertungen.

Material: Schulbuch und Schülerprodukte (DIN A4 Plakate, die schnell am Stundenbeginn an die Tafel geheftet werden, mit einem gut lesbaren Stichwort zu einer UN-Aktivität auf der Vorderseite, einem + oder - Zeichen zur Bewertung und inhaltlichen Erläuterungen zum Massstab der Bewertung auf der Rückseite)

4. Aktuelle Stunde: Einsatz der Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens? (6)

Die Lernenden deuten (grammatisch, systematisch und teleologisch) den Wortlaut des Grundgesetzes (ohne Kenntnis der BVerfGE von 1994) zur Frage: "Darf die Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten eingesetzt werden?"

Material: GG

5. Aktuelle Stunde: BVerfGE zur Frage -
Darf die Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten eingesetzt werden?

Die Lernenden werten Leitsätze des BVerfG's zur Frage: "Darf die Bundeswehr im Ausland zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten eingesetzt werden?" aus, kennen die zentralen Argumente aus der BVerfGE (Gesetzesvorbehalt als Bedingung, Teilnahme an kollektiven Sicherheitssystemen erlaubt, Art. 24, 2 steht Art. 87a nicht entgegen) und begründen ihre persönlichen und politischen Wertungen dazu.

Material: FAZ 13.7.1994, Das Parlament 15.7.94

Die Lerngruppe wird erneut informiert, dass sie eine UN-Sicherheitsratssitzung zur Formulierung einer Resolution zur Herstellung des Friedens in einem Konfliktgebiet spielen wird. ]

6. Stunde: Die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats -
Handlungsmöglichkeiten zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten

Die Lernenden kennen die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrates, ermitteln seine Handlungsmöglichkeiten zur Herstellung des Friedens in Konfliktgebieten (Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Blockade, Abbruch diplomatischer Beziehungen, letztes Mittel MILITÄREINSATZ, a b e r: Vetorecht der ständigen Mitglieder u n d Prinzip der Nichteinmischung in INNERE Angelegenheiten)

Material: Infotexte zu den Vereinten Nationen und zu der Charta der UN (M 1 und M 2)

Vorbereitende Hausaufgabe: Analyse des Konflikts

Material: Konfliktbeschreibung (M 3 und M 4) und Aufgabe 1: Konfliktanalyse (M 5)

Die Lerngruppe wird informiert, dass sie nach Rollenvorgaben eine UN-Sicherheitsratssitzung zur Formulierung und Abstimmung einer Resolution zur Herstellung des Friedens in einem <fiktiven> Konfliktgebiet spielen wird. Das Verfahren der Rollenverteilung wird der Lerngruppe angekündigt: Die Delegationsleiter werden vom Lehrer im Benehmen mit den Schülern bestimmt und wählen sich ihre Mitarbeiter. Außerdem werden die Journalistenrollen für unterschiedliche Zeitungen vorgestellt.

7. Stunde: Analyse des fiktiven Konflikts; Verabredungen zur Textproduktion und Rollenübernahme

Die Lernenden stellen Ergebnisse ihrer Konfliktanalyse vor, erleben, dass sie (unterschiedliche) Antworten auf die vorgegebenen Analysefragen gefunden haben und erklären diese Unterschiede mit Bezügen zum Infotext.

Die ausgewählten Delegationsleiter beginnen in ihren von ihnen zusammengestellten Gruppen das Spiel zur Formulierung einer Resolution zur Herstellung des Friedens in dem Konfliktgebiet vorzubereiten, indem sie die Spielanweisung und die Rollenbeschreibung für ihre Länder miteinander besprechen, Ideen austauschen und erste Verabredungen zur Textproduktion und Rollenübernahme treffen.

Material: Konfliktbeschreibungen und Aufgabe der Konfliktanalyse (M 3 - M 5), Spielanleitung und Spielvorlagen (M 6 und eine der Spielvorlagen M 7-15), Schülerhefter mit Notizen, Schulbuch

8. Stunde: Die Lernenden bereiten sich auf das Spiel vor

Die Gruppen entwickeln frei Spielideen, nutzen hierbei die Texte und formulieren ihren Entwurf für den Text einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Herstellung des Friedens im Konfliktgebiet.

Material: Muster für einen Resolutionsentwurf (M 16)

9./10. Stunde: Durchführung und erste Auswertung des Spiels

Die Lernenden führen das Spiel: Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Entwurf und zur Abstimmung einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Herstellung des Friedens im Konfliktgebiet durch, deuten ihre Erfahrungen (Wirklichkeitsnähe? Politikerfahrung?) spontan und schätzen die Effektivität des UN-Sicherheitsrats zur Sicherung des Friedens begründet ein.

[/S. 94:]

11. Stunde: Auswertung des Spiels (7)

Die Lernenden führen ein Rundgespräch zur Leitfrage: "Weshalb ist es [für den Sicherheitsrat] so schwer, Frieden herzustellen?" und formulieren dabei politische Urteile zu konkreten Problembereichen.

Material: gegebenenfalls Zeitungsberichte der Journalisten (ähnlich dem Beispiel aus einer unserer Durchführungen, M 17)

3. Zu Anlage und Konzeption des Planspiels

3.1 Die Konzeption des Spiels

Im Folgenden erläutern wir die Spielidee, sodass ein Nachspielen mit Passung an die jeweilige Lerngruppe möglich ist. Gleichzeitig sollen die Ausführungen und die Zusammenfassung in den Checklisten es ermöglichen, auch zu anderen realen oder auch fiktiven politischen Konflikten bzw. Problemen ohne unzumutbaren Aufwand vergleichbare Spielvorlagen erstellen zu können.

 

Der Konflikt als politisches Problem

Im Mittelpunkt des Spiels steht ein fiktiver Konflikt, dessen Problemstrukturen sich an den 2. Golfkrieg, die Invasion Iraks in Kuwait 1990/1991 anlehnen: Ein wirtschaftlich schwacher, diktatorisch geführter Staat (Roodod) überfällt den hoch entwickelten, aber wenig verteidigungsbereiten Nachbarstaat (Adraab) und beansprucht dessen Ölfelder. Nachdem roododische Truppen nach Adraab einmarschiert sind, ruft Adraab den Sicherheitsrat um Hilfe an, der daraufhin zu einer Dringlichkeitssitzung gemäß Kapitel VI. der UN-Charta: "Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten" zusammenkommt. Der Aggressor lässt keine Kompromissbereitschaft erkennen.

Bei der Entscheidung, ob wir einen realen Konflikt oder einen fiktiven Konflikt wählen sollten, haben wir uns nach längerer Diskussion von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen: Politische Probleme, Lösungsmöglichkeiten und mögliche Folgeprobleme treten in einem fiktiven Konflikt deutlicher hervor - ein realer Konflikt ist für viele Schüler durch seine Komplexität nur schwer zu überblicken, sodass die Gefahr besteht, dass sie über den Details die grundsätzlichen Probleme und Strukturen nicht erkennen können. Somit bedeutete die Entscheidung für einen fiktiven Konflikt, dass wir den Konflikt verständlicher und damit zielorientierter gestalten konnten. Fiktive Länder haben auch den Vorteil, dass hier bei den Schülern keine Vorausurteile den Lernprozess behindern und alle Schüler weitgehend dieselben Voraussetzungen für ihre Entscheidungen und ihre Urteile mitbringen. Zudem ist ein fiktiver Konflikt mit geringen Änderungen immer wieder einsetzbar, ein großer Vorteil angesichts der Arbeitsbelastung eines Vollzeitlehrers. Obwohl im Seminar aus eher rein fachlichen Gesichtspunkten auch die Entscheidung für einen realen Konflikt vertreten wurde, wurde schließlich in der Vorlage von Thomas Schwarz (M 3 - M 4) eine hinreichende Analogie zur Wirklichkeit gesehen, sodass die Entscheidung für einen fiktiven Konflikt angesichts der oben geschilderten Vorteile als sinnvoll erschien.

[/S.95:]

Der UN-Sicherheitsrat als Entscheidungsgremium - die Rollenübernahme durch die Teilnehmer

Unter dem Leitgedanken, grundsätzliche politische Entscheidungsstrukturen bei gleichzeitiger Passung für die Lerngruppe zu erhalten, haben wir folgende Vorgaben für das Spiel bestimmt:

Sicherheitsrat: Der Sicherheitsrat setzt sich zusammen aus
  a) den fünf ständigen Vertretern des UNO Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) mit Vetorecht,
  b) weiteren nichtständigen Vertretern, auf Grund der Spielbarkeit (Redezeiten) in max. 90 Minuten statt der zehn nichtständigen Mitglieder nur zwei Staaten mit einfachem Stimmrecht (Deutschland und die Türkei, da es mehrere Türkinnen in der Klasse gab. Als das Spiel in einer anderen Klasse durchgeführt wurde, haben wir aus demselben Grund Deutschland und Italien gewählt),
  c) den beiden Streitparteien ohne Stimmrecht (Adraab und Roodod), gemäß Artikel 31 der UN-Charta.
Delegationen: Die Vertretungen der Länder werden mit jeweils zwei Personen besetzt (Sprecher und ein Berater). Die Spielanweisung gibt allen Delegationsmitgliedern Rederecht, um die Beteiligung aller Delegationsmitglieder zu ermöglichen. Tatsächlich haben durchaus formgerecht und realistisch für den Entscheidungsprozess nur die Leiter der Delegation gesprochen.
Vorsitz: Der Vorsitz wird von einem Land übernommen, das nicht unmittelbare Interessen vertritt (in diesem Fall Frankreich).
Journalisten: Die Journalisten erhalten den Auftrag, sobald als möglich einen Artikel für eine auch international vertriebene Zeitung in angemessenem Stil und Lay-out zu verfassen.

 

Die angemessene Verteilung dieser Rollen ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Spiels, bei dem sich die Schüler auf eine gemeinsamen Entscheidung/Resolution einigen müssen, sodass es sich als sinnvoll erwiesen hat, dass der Lehrer mit viel Einfühlungsvermögen behutsam lenkend eingreift. Wir haben eine Mischform zwischen Selbstbestimmung der Schüler und Festlegung durch den Lehrer gewählt: Die Delegationsleiter werden durch den Lehrer - im Benehmen mit den Lernenden - bestimmt, diese wählen sich anschließend ihre Mitarbeiter. Journalistenrollen werden je nach Klassensituation oder nach Wunsch vergeben.

Bei diesen Entscheidungen leiteten uns die Überlegungen, dass alle Schüler beteiligt, aber nicht zur Übernahme einer tragenden Rolle gezwungen werden sollten. Jeder soll sich eine Rolle aussuchen können, die weitgehend seinem Charakter und seinen Fähigkeiten entspricht. Die Positionen, die unbedingt angemessen besetzt sein müssen, sind die Positionen des lenkend eingreifenden Vorsitzes und der für ihre Interessen kämpfenden Streitparteien, um ein ergiebiges Spiel zu gewährleisten

 

Festlegungen für die äußere Organisation des Spiels

Allen Schülern war die Tagesordnung bekannt, wobei die Vorsitzenden (Frankreich) gehalten waren, auf ihre Einhaltung zu achten. Hierbei verzichteten wir auf die Simulation der in der Realität üblichen Rückkoppelung mit den Regierungen, eine Reduktion, zu der uns vor allem eine realistische Zeitbedarfseinschätzung veranlasste. Die Schüler wurden auch darauf hingewiesen, dass Fremdsprachenkenntnisse durchaus genutzt werden könnten - was viele aufnahmen; bei der Durchführung in dieser Klasse wurde z.B. Englisch, [/S. 96:] Russisch, Türkisch und Chinesisch gesprochen und vielfach durch das beratende Delegationsmitglied übersetzt. Von dem Moment an, in dem die Sitzung begann, waren die Schüler auf sich gestellt, jede Lehrerintervention war ausgeschlossen. Dies ist bei der nachträglichen Auswertung von den Schülern sehr bewusst als ungewohnte positive Erfahrung aber auch als besondere Herausforderung und hohe Belastung wahrgenommen worden. Außerdem regten wir die Schüler zu einer möglichst großen Formalität an - das "Sie" war ebenso verbindlich wie eine dem Anlass angemessene Sprachebene, gepflegte Kleidung war erwünscht. Wir haben die Sitzung durch eine Videokamera aufgenommen, was zur Motivation und zur Selbstdisziplinierung der Schüler beitrug und die Ernsthaftigkeit der Durchführung verstärkte. Auch das Beherrschen der Videotechnik musste von uns vorbereitet und geübt sein. (8)

Diese äußeren Festlegungen wurde von den Schülern sehr ernst genommen und trugen in unseren Augen neben der inhaltlichen Vorbereitung und dem aktuellen Bezug der Unterrichtseinheit entscheidend zum Gelingen des Spiels bei.

3.2 Die Vorbereitung des Planspiels

Materialgrundlage

Die Schüler erhielten zur Vorbereitung folgende Materialien:

1) Informationen zur UNO in doppelter Ausführung: neben einem darstellenden Text, in dem kurz Geschichte und Konfliktlösungsmöglichkeiten der UNO dargestellt wurden erhielten sie Auszüge aus der UN-Charta, in der besonders relevante Stellen durch Umrahmungen hervorgehoben wurden (M 1 - M 2). Somit verfügten alle Schüler über mehr Informationsgrundlagen, als sie zur Lösung ihrer Aufgabe im Spiel unmittelbar benötigten. Diese Entscheidung hatte folgenden Hintergrund: Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass alle Schüler über das Mindestwissen verfügen können, das wir als unabdingbar für ihre Handlungsfähigkeit im Spiel ansehen, und zugleich können auch zusätzliche individuelle Informationsbedürfnisse befriedigt werden. Hinzu kommt noch, dass die Präsentation und der unterschiedliche Schwierigkeitsgrad der Texte unterschiedliche Lernertypen anspricht, sodass die Schüler und Schülerinnen durch diese zweifache Aufbereitung der Information die Möglichkeit hatten, die ihnen eher liegende Textform zu wählen.

2) Eine Darstellung des Konflikts (M 3 - M 4 mit Aufgabe M 5).

3) Eine Spielanleitung mit Tagesordnung (M 6)

4) Individuelle Spielvorlagen (eine der Materialien M 7 - M 15), die mit "Streng geheim!" übertitelt waren. Sie boten uns die Möglichkeit, in die Ausgestaltung des Spiels vor Beginn einzugreifen, den Konflikt zuzuspitzen, mögliche Kompromissparteien anzudeuten bzw. auszuschließen, oder auf ähnliche Weise auf den Gang des Spiels Einfluss zu nehmen, auch im Sinne der zielorientierten Gestaltung des Planspiels. Die hier abgedruckten Spielvorlagen bieten hierzu Anregungen, sollten aber den Gegebenheiten und den jeweiligen Lernzielen angepasst werden. Dem Aggressor war bei der hier vorgestellten Durchführung - durchaus nahe zur Realität - die Haltung der Kompromisslosigkeit ermöglicht

 

Die Lerngruppe organisiert ihren Lernweg

Auf der Grundlage des in der Unterrichtseinheit bereits erarbeiteten (Handlungsmöglichkeiten der UNO anhand zentraler Artikel der UN-Charta, Ergebnisse der UN-Aktivitäten [/S. 97:] in zurückliegenden Konflikten, die Problematik des vorliegenden Konflikts) hatten die Schüler zwei Unterrichtsstunden Zeit, sich innerhalb ihrer Gruppen auf ihre Rollen vorzubereiten. Ihre Aufgabe bestand darin, schriftlich einen Resolutionsentwurf auszuarbeiten; zur Orientierung erhielten sie ein Muster (M 16), das sie aber nicht verwenden mussten. Diese beiden Vorgaben - Pflicht der Verschriftlichung und Wahrung der Form - dienten dazu, die Ernsthaftigkeit der Vorbereitungen zu sichern.

Es war zu beobachten, dass sich die Schüler sehr intensiv mit ihren Resolutionsentwürfen auseinander setzten. Auf Grund der Materialmenge ergaben sich Binnendifferenzierungen, zumal viele Gruppen bemüht waren, weitere stichhaltige Argumente einzuarbeiten, unter Berücksichtigung historischer und formaler Aspekte, aber auch durch Erfindung von weiteren Informationen zum Konflikt innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Diese Phase wurde zu einer der fruchtbarsten des Spiels: Ihre Arbeit gewann eine beeindruckende Dynamik; voll Lernmotivation befragten sie die Infotexte und den Text der UN-Charta auf mögliche Ansätze für ihre Argumentation. Dies wurde auch durch ihre Nachfragen sehr deutlich, denn auf einmal wollten sie sehr viel und sehr genau wissen - sie erkundigten sich bis ins Detail nach der Zusammensetzung der Gremien, nach den Mechanismen der Wahl und den Prozessen der Entscheidungsfindung; noch einmal durchforsteten sie zurückliegende Konflikte und Konfliktlösungen, um auch von dieser Warte aus argumentieren zu können. Selten haben wir Schüler sich so intensiv mit einem formalen Text wie dem der UN-Charta auseinander setzen sehen.

[Checkliste: S. 98]

Checkliste zur Planung und Vorbereitung des Planspiels
Entwurf eines Konflikts
Grundsätzlich sind der Wahl eines Themas/Konflikts für ein solches Spiel keine Grenzen gesetzt; unter Berücksichtigung der oben dargestellten Überlegungen, ob ein fiktiver oder ein realer Konflikt effektiver ist, sollte bei der Auswahl eines geeigneten Konflikts allerdings Folgendes bedacht werden:
in dem Konflikt sollten mehrere Ebenen politischen Handelns verschränkt werden - politische, wirtschaftliche, soziale, historische, persönliche ...
er muss einerseits ausreichend komplex sein, damit nicht innerhalb kurzer Zeit eine befriedigende Lösung gefunden werden kann, andererseits hinreichend reduziert, damit die Zielorientierung erhalten bleibt und die Schüler sich nicht in ausufernden Details verlieren.
als Lösung sollte auch ein Kompromiss denkbar sein, ein Ausgleich zwischen Eigen- und Fremdinteressen der verschiedenen Parteien.
bei der Konfliktbeschreibung muss immer schon bedacht werden, dass die Schüler bei ihrer eigenen Arbeit sehr genau lesen werden, dass sie jeden Tatbestand, geradezu jedes Wort auf seine Tauglichkeit für ihre eigene Argumentation hin befragen.
Wichtig ist außerdem,
dass im Thema ein echtes Konfliktpotenzial steckt,
dass die ganze Klasse in unterschiedlichen Funktionen beteiligt werden kann,
dass das Thema seine Brisanz auch über einen längeren Zeitraum hin beibehält - ansonsten ist der Vorbereitungsaufwand zu hoch.
 
Auswahl und Präsentationsweise der Sachinformation
Auswahl und Präsentationsweise der Sachinformation sollten unter zwei Gesichtspunkten durchdacht werden:
Welches Mindestwissen soll allen Schülern sicher vermittelt werden?
Über welches Wissen müssen die Schüler verfügen, um auf fachgerechtem Niveau schlüssig argumentieren zu können?
 
Festlegungen durch die Spielregeln
Bei der Formulierung der Spielregeln sollte Folgendes bedacht werden:
der zeitliche Rahmen des Spiels, abhängig von den allgemeinen Rahmenbedingungen (Einzelstunde, Doppelstunde, ist die Einbeziehung der Pause möglich) und der höchstmöglichen Konzentrationsleistung der Lerngruppe.
der organisatorische Rahmen des Spiels: Sitzordnung (alle Schüler müssen sich sehen und verstehen können), ein möglichst hoher Grad an Formalität (Siezen, gepflegte Kleidung, situationsangemessene Sprachebene - diese Festlegungen tragen entscheidend dazu bei, Selbstdisziplin und Ernsthaftigkeit der Lerngruppe zu erhöhen).
die Steuerung der einzelnen Prozesse (wer übernimmt den Vorsitz, Vorgeben einer festen Tagesordnung, Klarheit über den Ablauf der verschiedenen Phasen insbesondere bei den Vorsitzenden).
gründliche Überlegungen, in welchem Maße die Lerngruppe der vorbereitenden Lenkung und Hilfe durch den Lehrer bedarf; hier gilt es auch zu entscheiden, inwieweit Rollenkarten/Spielvorlagen eingeführt werden sollten, die den Schülern bereits bestimmte Reaktionen nahe legen.
 
Verteilung der Rollen
Auf Grund der Erfordernisse des Spiels wird es immer eine ganze Bandbreite möglicher Rollen geben -wenn die Festlegung und Verteilung der Rollen sinnvoll und einfühlsam gehandhabt wird, kommt dies letztlich der Vielfalt von Begabungen und Vorlieben innerhalb einer Klasse nur entgegen. Bedacht werden sollte:
auf welche Weise die Rollen verteilt werden (durch die Schüler/den Lehrer/in einer Mischform)
gibt es Rollen, die nur durch bestimmte Schüler/Schülerinnen in der Klasse sinnvoll besetzt werden können?

4. Durchführung und Auswertung des Planspiels

4.1 Durchführung des Planspiel

Nach dem Verlesen der BBC Nachrichten, die das Zusammenkommen des UNO Sicherheitsrates ankündigt, übernehmen die Vorsitzenden die Leitung der Sitzung und folgen den Spielanweisungen. Es ist ganz wichtig, dass der Lehrer - seinem natürlichen Impuls widerstehend - sich nicht in das Spiel einmischt. Die Schülerinnen und Schüler haben sich, auch auf Grund dieser Vorgabe, sorgfältig vorbereitet und haben bislang bei all unseren Durchführungen nach ersten Unsicherheiten vollständig selbstständig miteinander gearbeitet. Wichtig ist dagegen das sorgfältige Zuhören, um als Grundlage für die anschließende Auswertung Fehler und Auswertungsfixpunkte notierenzu können.

[Checkliste: Durchführung ..., S. 99]

Checkliste: Durchführung des Planspiels
Zeitlicher Rahmen
in der vorliegenden Form verlangt das Spiel eine Doppelstunde.
das Spiel kann enden mit der Abstimmung über die Resolutionen oder mit der Unterbrechung, während der die Kamera die informellen Gespräche dokumentieren kann. Es kann aber auch in einer weiteren Stunde mit der Textarbeit und der Abstimmung fortgesetzt werden.
 
Vorbereitung des Klassenzimmers
Erstellen einer Konferenztischordnung, in der sich alle Spieler gut sehen können und der Vorsitz die Gruppe im Blick hat.
Schilder mit den Namen der beteiligten Länder, in alphabetischer Reihenfolge, auf grauem, festen Papier.
die Resolutionsentwürfe in Mappen vor Sitzungsbeginn auf die Tische legen lassen.
 
Videoaufnahme
der Lichteinfall vom Fenster muss berücksichtigt werden.
niemand sitzt mit dem Rücken zur Kamera.
 
Aktivität des Lehrers/der Lehrerin
möglichst gar keine Intervention!!!

Anfertigen von Notizen für die anschließende Auswertung unter den Gesichtspunkten:

(1) Notieren sachlicher Fehler,

(2) Notieren möglicher Auswertungsfixpunkte.

4.2 Auszüge aus dem Transkript der 70-minütigen Videoaufzeichnung (9)

Im Folgenden sollen einige Stellen der Sitzung zitiert werden, um eine Vorstellung eines möglichen Spielverlaufs anzudeuten und um die methodischen und inhaltlichen Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler während der Sitzung zeigten, zu illustrieren. Die kurzen Auszüge dokumentieren ein sicheres Verständnis der Ziele und Aufgaben der UN, Argumentationsfähigkeit, Kenntnisse zum Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, interessensbestimmte Begriffsdefinition, das Vermeidenwollen von Gewaltanwendung, inhaltliche und sprachliche Schwierigkeiten und Grenzen der Lernenden und auch die entschlossene Vertretung von Zielen der UN.

Der Vertreter von Adraab beruft sich in seinem ersten Beitrag auf die UN-Charta und [/S. 99:] fordert ihre unbedingte Einhaltung: "Wie in der letzten Sitzung bereits abgestimmt war und ich möchte sie noch mal darauf hinweisen, dass die Grundsatzbrechung von Roodod gemäß Kapitel I Art. 2 Absatz 3 und besonders Absatz 4, ich lese noch mal kurz vor: `Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden´; und jetzt Absatz 4: `Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Abhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.´ Dieser Grundsatz wurde von Roodod gebrochen, beziehungsweise missachtet. Und damit ihre Glaubwürdigkeit der UN gewährleistet werden kann, sollte unbedingt zur Einhaltung dieser Gesetze und der eigen vorgegebenen Ziele unbedingt eingehalten werden, sonst würde man an der Glaubwürdigkeit der UN, der UNO zweifeln ..."

Roodod verweigert in rollengerechter enger Deutung des Textes der Charta die Anerkennung der Zuständigkeit der UN: "... Die Delegation Roodod beantragt im Namen der Regierung Roodods unter der Führung von Scheich Mohammed ab al Hub, dass von jeglichen UNO-Einsätzen innerhalb der Staatsgrenzen von Roodod und der abtrünnigen [/S. 100:] Republik Adraab sowie jeglicher wirtschaftlicher Sanktionen gegen Roodod abgesehen wird. Auch humane Hilfsaktionen der UNO lehnen wir strikt ab. Dies begründen wir, begründen wir zunächst damit, dass Roodod und Adrab eigentlich ein Staatsgebiet sind. Daher also eine innere Angelegenheit vorliegt und folglich die UNO nicht die Befugnis zu jeglichem Eingreifen hat. Außerdem sehen wir die von unseren Truppen besetzten Ölfelder eindeutig als Roododisches Staatsterritorium an. Folglich ist der Begriff Annexion, der ja eine Staatsgrenzen verletzende Handlung darstellt, unzutreffend. Nein der Begriff "Wiederangliederung" definiert den Vorgang auf den Ölfeldern im Grenzgebiet Roodod-Adrab wesentlich besser. ..."

Großbritannien tritt wie alle anderen Delegationen in der ersten Runde allgemein appellativ für Frieden ein und fordert als vorläufige Maßnahme Waffenruhe: "Großbritannien hat sich immer für den Frieden zwischen allen Völkern und Kulturen eingesetzt und wir werden unser Bestes tun, um auch in diesem besonderen Konflikt eine friedliche Lösung zu finden. Großbritannien schlägt folgende Maßnahmen zur Lösung des Adraab-Roodod-Konflikts vor: zu allererst muss eine zwingende Waffenruhe zwischen den Streitparteien erreicht werden, damit die Verhandlungen ungestört laufen können. Die Bundesrepublik Deutschland, deren Ölbedarf größtenteils durch adraabisches Öl deckt, wird in diesen Verhandlung um besondere Kooperation gebeten. ..."

Großbritannien schlägt dann Entschädigungszahlungen und Wirtschaftshilfe vor und fährt fort: "Dieser Vorschlag ist durchaus realistisch im Hinblick auf eine friedliche Lösung mit Adraab und Roodod. Alle Beteiligten könnten mit Annahme dieses Antrags eine schwere, eine ernsthafte Verletzung des Friedens und größere Nachteile [vermeiden] ..."

Die VR China argumentiert sehr nah an einem teleologischen Verständnis der Charta: "Unser Vorschlag ist es, die Vereinigten, äh, na Quatsch, das ist ja das falsche Blatt, sorry. Die Volksrepublik China verurteilt die Invasion der roododischen Truppen auf das adraabische Ölfeld und beantragt den Abzug roododischer Truppen von dem Ölfeld im Grenzgebiet zu Adraab innerhalb der nächsten drei Tage. Andernfalls werden wir, gemäß Artikel 41, die Mitglieder der UN auffordern, die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu Roodod zu unterbrechen. Die Volksrepublik China strebt stets nach einer friedlichen Lösung der Konflikte. Wir schlagen vor, dass Roodod und Adraab miteinander verhandeln und über alle Probleme, Probleme diskutieren. Sollte Roodod aber weiterhin militärische Angriffe durchführen, wird sich die Volksrepublik China laut Artikel 42 nicht gegen einen militärischen Eingriff [wenden] ".

Im weiteren Verlauf der Beratungen führt die Delegierte der Bundesrepublik Deutschland aus, dass "wir auch, wie gesagt, für den Frieden sind und Militär nur als äußerste Notlösung betrachten."

Adraab äußert sich zum Antrag von Großbritannien: "Ich möchte mich gern äußern zum Antrag von Großbritannien. Und zwar der Frieden, der um alles, ähm, also sie sind ja für den Frieden und möchten unbedingt eine friedliche Lösung finden. Ich würde, also ich würde es unbedingt unterstützen wollen, da es nur von Vorteil sein kann. Denn Krieg würde nur zu weiteren Schäden führen; auf beiden Seiten. Und entsprechend auch Nachteile haben für Länder, die unser Öl, die das Öl der Ölfelder beziehen. Und ich fände auch den Vorschlag, den der Delegierte von Großbritannien gemacht hat, unter anderem ganz akzeptabel, dass man die, dass man eine Entschädigung für Roodod machen könnte. Für also die Kriegskosten, um die Wirtschaft zu fördern und damit die dann das Gebiet wieder freilassen können und um eine [/S. 101:] eigene Wirtschaft aufzubauen. Denn nur wenn sie ihre eigene Wirtschaft aufbauen, hat es überhaupt einen Sinn, äh, überhaupt für Frieden zu sorgen. Sonst wird der, sonst wird der Konflikt immer weiter führen und er wird nie ein Ende haben und wenn ständig irgendwie die Wirtschaft bei denen bedroht ist und sie durch, ja, Eingreifen oder irgendwie Hilfe von außen ständig brauchen und dafür sich der Ölfelder bedienen müssen. Somit finde ich den Vorschlag von Großbritannien sehr akzeptabel."

Die Türkei will zur Schlichtung durch formale Gleichbehandlung im friedensschaffenden Prozess beitragen und fordert: "Damit wollen wir auch zeigen, dass also Gleichberechtigung in dem Verfahren ist. Also, dass Adraab und Roodod dasselbe Recht haben und nicht, dass irgendjemand hier bevorzugt wird."

Die VR China dringt weiter auf Truppenabzug: "Ja die, die Truppen, also Roodod soll seine Truppen unverzüglich abziehen. Ansonsten werden wir die wirtschaftlichen Beziehungen abbrechen. Ich meine, wir sind für, also solange die die Truppen dabehalten, ist, gibt, gibt es keine friedliche Lösung. Sind sie damit einverstanden?

Die Sitzungsleitung Frankreich betont bei Annahme des chinesischen Antrags in Bezug auf den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen die Verpflichtung aller: "Wir sprechen ja hier nicht nur von den Beziehungen von China, zu Roodod sondern falls dieser Antrag angenommen wird, werden alle UN-Mitglieder die wirtschaftlichen Beziehungen abbrechen."

Immer wieder verweisen die Delegierten auf den eigentlichen Zweck der Sitzung, so wie hier die Türkei in Reaktion auf den Vorschlag der USA, das Ölfeld zu besetzen: "Und das ist nämlich, diese Maßnahmen, es könnte nämlich sehr gut sein, dass das nicht eingehalten wird, dass es in drei Tagen, nein, dass es dann sehr schnell zu einem militärischen Einsatz führen wird. Und wir wollen ja so etwas eigentlich vermeiden."

4.3 Die Auswertung

Zentral für eine effektive Auswertung sind die Notizen, die der Lehrer/die Lehrerin während des Spiel anfertigte. Es erscheint uns sinnvoll, zunächst die persönlichen Befindlichkeiten der Schüler, ihre Erfahrungen aufzunehmen, um dann eine gezielte Auswertung des Spiels vorzunehmen. Zur Steuerung unmittelbar im Anschluss an das Spiel haben sich in unserem Beispiel folgende Impulse bewährt:

[Überblick S. 102]

Überblick: Steuerung unmittelbar im Anschluss an das Spiel
Zur Rollendistanzierung: "Zunächst sagt jeder mal, wie er sich in seiner Rolle gefühlt hat!"
Zur Realitätsprüfung unter fachlichen Gesichtspunkten: "Jetzt etwas mehr zur Sache: Wie realistisch war das Ganze?"
Zur Verallgemeinerung: "Noch einen Schritt weiter und dann haben Sie auch genug geleistet: Was haben Sie über politische Entscheidungsmöglichkeiten des Sicherheitsrates lernen können?"

 

Bei den Überlegungen für die darauf folgende, intensivere Auswertung (11. Stunde der Unterrichtseinheit) erscheinen uns folgende Gesichtspunkte wichtig:

a) Welche sachlichen Fehler müssen berichtigt werden. Da während des Spiels nur bei extremen Fehlern, die für den Fortgang des Spiels von unmittelbarer Bedeutung sind, eingegriffen werden sollte, bietet in der Regel nur die Auswertung Raum zu Richtigstellungen und Fehlerkorrekturen. Jedoch darf dabei nicht durch eine - nun doch wieder - "Belehrung" am Ende des Spiels die Leistung der Schüler überlagert werden. Aus diesem Grund sollte sehr sorgfältig über die Art der Fehler nachgedacht werden. Es müssen die Fehler richtig gestellt werden, die für die Sicherung des Wissenserwerbs wesentlich sind (z. B. ein falsches Verständnis des Vetorechts), kleinere Fehler dagegen könnten aus den oben beschriebenen Erwägungen eventuell auch stehen gelassen werden

b) In diesem Zusammenhang wurde uns deutlich, in welchem Maße ein Planspiel neben dem Lerneffekt für die Schüler auch einen Diagnoseeffekt für den Lehrenden hat - während des Verlaufs wurde sehr deutlich, was die Schüler richtig verstanden haben und anwenden können, wo sie unsicher sind, und was sie falsch in der Vorbereitung verstanden haben. [/S. 102:]

c) Sicherung des Verständnisses politischer Entscheidungsprozesse. Der Lehrer kann die Auswertung je nach Lehrintention an unterschiedlichen Aspekten orientieren. Als mögliche Thematisierungen seien genannt: Beobachtungen zu möglichen Einsichten in die Komplexität des Politischen, Offenlegung der Spielsituation, Betonung des Ausschnittscharakters des im Spiel Erlebten, Herausarbeitung des gelungenen oder misslungenen oder typischen Rollenhandelns, der Kategorien, die die Argumentation bestimmten, eine Aussprache zum Verhältnis von Politik und Moral, beobachtete Veränderung kognitiver Strukturen, Diagnosen, wo gegebenenfalls Voraus- oder Vorurteilen gegengesteuert werden muss.

Zentral für eine gelungene Auswertung erscheint uns, dass der Lehrer die reale oder fiktive Kontroverse in ihren politischen Dimensionen fachlich überblickt , zum allgemeinen politischen Problem fachlich sicher vorbereitet ist und dass ihm Kategorien zur Analyse des gespielten Entscheidungsprozesses und der Entscheidung zur Verfügung stehen.

Für die Auswertung des Spiel dieser Klasse boten sich folgende Aspekte für eine vertiefende und/oder erweiternde Betrachtung an: die historischen Einflussfaktoren politischer Entscheidungen; die Interdependenz von Politik, Ökonomie, Militär; das Rollenverhalten im Sicherheitsrat; die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels der Konfliktparteien zur Schaffung von Frieden; Vorstellungen über den Entscheidungsprozess im UN-Sicherheitsrat; die Bedeutung des Öls; die Tragfähigkeit der abgestimmten Lösung; das vertiefte Verständnis der UN-Charta; subjektive bzw. politisch rationale Erfahrungen um die Komplexität von politischen Entscheidungen.

Mögliche Verallgemeinerungen zum Verständnis von Politik anhand des Spiels sollten antizipiert sein. Die Auswertung sollte lang genug sein können, um zu klären und sichern, aber nicht zu lang, sodass den Schülern die Spielfreude und das Interesse am Thema nicht verloren geht. Meist muss sich die Auswertung wohl wie in unserem Fall angesichts der beschränkten Stundenzahl im Fach Politik/Sozialkunde auf eine Unterrichtsstunde beschränken. Nach Möglichkeit sollte mehr Zeit eingeplant werden, damit der Unterricht mit einer umfangreicheren Auswertung den UN gerecht werden kann und der politische Entscheidungsprozess verstanden werden kann. Neben den Beobachtungen während des Spiels bieten auch die Zeitungsartikel gegebenenfalls anregende Einstiegsmöglichkeiten für die Auswertungsstunde (M 17).

 

Checkliste: Probleme des Spiels - antizipiert?
Es haben sich bei den verschiedenen Durchführungen des Spiels folgende Klippen gezeigt, bei denen Probleme entstehen können, die den Ertrag des Spiels beeinträchtigen können:
Besetzung der Rollen - insbesondere die Vorsitzenden und die Konfliktparteien müssen kompetent besetzt sein!
Entscheidungsfindung - wichtig ist, dass die Schüler zu einer Entscheidung kommen. Hierfür sind die Vorsitzenden verantwortlich, die bei der Vorbereitung entsprechend eingewiesen und ggfs. unterstützt werden müssen.
Der Diskussions- bzw. Entscheidungsprozess während des Spiels führt nicht zu einer Textänderung der vorgelegten Resolutionen sondern bleibt begrenzt auf eine Diskussion der Vorlagen; in der Auswertung aufnehmen!
Sachliche Fehler, die im Verlauf des Spiels auftauchen können
Fachgerechte Auswertung, um den Ertrag des Spiels zu sichern - sorgfältig geplant und durch Notizen während des Spiels vorbereitet ?

5. Reflexion: Möglichkeiten und Grenzen des Planspiels

Abschließend wollen wir auf der Grundlage von Schüleräußerungen Möglichkeiten und Grenzen des dargestellten Planspiels, die wir sehen, aufzeigen.

5.1 Erste Eindrücke

Im Anschluss an die letzte Stunde der Unterrichtseinheit wurden die Schüler in einem Kreisgespräch gefragt: "Was erscheint Ihnen im Rückblick als besonders wichtig, wenn Sie an Ihre Erfahrungen mit dem UNO-Spiel denken?" Es wurde deutlich, dass die fehlende Lehrerintervention im Spiel sie nach einer ersten Verunsicherung, die insbesondere den Vorsitzenden anzumerken war, herausforderte: "Es war spannend, allein gelassen, ganz frei in seinen Beiträgen zu sein" und "Man spricht anders, wenn man weiß, dass sich ein Lehrer nicht einmischt". Gerade wenn die Schule ihren Auftrag ernst nimmt, die Schüler auf ihr Berufsleben vorzubereiten, erscheint die Erweiterung des Verständnisses von Lernen, das über eher nur reproduzierendes Lernen mit dem Ergebnis von Wissen vor allem in der Form von Faktenwissen hinausführt, geradezu notwendig, um Schüler bereits früh die Erfahrung machen zu lassen, für sich und ihre Äußerungen selbst verantwortlich zu sein. Sie fühlten sich stark gefordert für die Versprachlichung und der Vermittlung ihrer Gedanken: "Es ist schwer, genau zur Sache zu sprechen" und "Es ist schwer, sich verständlich zu machen". Es war uns bereits während des Spiels aufgefallen, dass die Schüler um Worte rangen und sprachlich an ihre Grenzen kamen. Sie hatten den "Schonraum Klassenzimmer" verlassen, in dem die Gruppe geduldig auf ihre Antwort wartet und unvollständige oder unklare Antworten eilig durch den Lehrer oder die Mitschüler komplettiert werden. Stattdessen mussten sie zum Thema sprechen, sonst wurden sie durch die anderen entweder ignoriert oder zurechtgewiesen; zur Durchsetzung ihrer Interessen hatten sie als einziges Mittel ihre sprachliche Wendigkeit und die Stichhaltigkeit und Treffsicherheit ihrer Argumente und Einwürfe. [/S. 104:] Dass sie dabei lernen, auch nachhaltig lernen, zeigt die Äußerung: "Auf manche Sachen wäre man vorher gar nicht gekommen" und eine Schülerin hob hervor: "Man musste selber nachdenken."

5.2 Erinnerungen im Rückblick

Die Schüler, die aus diesem Kurs noch an der Schule sind, wurden nach zweieinhalb Jahren schriftlich mit folgendem Brief nach ihren Erinnerungen befragt:

 

Liebe/r _______________!

Erinnern Sie sich an die 10. Klasse, an den 27.3.1996, an Ihre Rolle, an Ihre Erfahrungen, an Ergebnisse im "UNO-Sicherheitsrat"?

Bitte schreiben Sie in den nächsten Tagen - ohne sich mit anderen Teilnehmern auszutauschen - Ihre Erinnerungen auf!

Mir sind Ihre Erinnerungen für ein Referat auf einer Tagung zur Politischen Bildung wichtig, die sich auch mit Ergebnissen von Spielen im Unterricht auseinander setzen wird.

Bitte formulieren Sie in vollständigen Sätzen und nehmen Sie sich genug Zeit!

Danke!

 

 

Auf zehn Briefe erreichten uns acht Antworten.

 

Intensive Erinnerungen

Aus allen Schüleräußerungen geht hervor, wie klar sie sich noch an das Spiel erinnern können, an den Konflikt, die Spielsituation und vor allem an ihre eigenen Rolle: "Noch sehr genau habe ich die Eröffnung und den Verlauf mit den nicht ganz erreichten Zielen der UN-Sicherheitsratssitzung der 10. Klasse vor Augen" und "Obwohl das UN-Sicherheitsratsspiel schon Jahre zurückliegt, kann ich mich noch recht gut daran erinnern. Die 10. Klasse sollte sich den Sicherheitsrat lebhaft vorstellen können und die beste Möglichkeit, das zu erleben, war die Versammlung selbst zu bilden und zu spielen." Die Breite und Tiefe der Erinnerung lässt sich sicher auch mit einem gewissen Ausnahmecharakter des Vorhabens im Schulalltag erklären; andererseits hatte diese Lerngruppe durchaus noch andere auch als Ausnahme geltende Lernorganisationen z.B. im Comeniusprojekt kennen gelernt.

 

Selbstreflexion über die selbstständige Lernorganisation

Dass das Planspiel die Schüler auch dazu veranlasste, Schlüsse zu ziehen über ihre eigenen Denk- und Lernvorgänge, über ihre Stärken und Schwächen und über erfolgreiche Vorbereitungsstrategien und -techniken geht aus dem Brief des Schülers hervor, der die Sitzungsleitung übernommen hatte: "Mir schien diese Aufgabe insofern schwierig, als ich um meiner Aufgabe gerecht zu werden, über alle Zusammenhänge, Motive, Interessen und Hintergründe sehr gut Bescheid wissen musste. Aus heutiger Sicht ärgere ich mich ein wenig darüber, dass ich nicht mehr aus dieser Rolle gemacht habe. Der Grund war sicher ungenügende Vorbereitung"

 

Ernsthaftigkeit der Ausführung

Mehrfach wird betont, wie ernst die Lernenden ihre Rolle genommen haben, sowohl als Teilnehmer dieses Gremiums als auch als Repräsentanten ihres Landes: "So weit ich mich [/S. 105:] recht erinnere, nahm jeder Einzelne seine Rolle ziemlich genau, die er dann auch amtswürdig auszuführen versuchte" und "Ich denke, es lag nicht unbedingt an Deutschland, aber man hat sich völlig mit dem Land, dessen Vertreter man darstellte, identifiziert (so war es bei mir). Ich habe mit Hilfe meines Sekretärs versucht, den Standpunkt und die Einstellung Deutschlands zu veröffentlichen und auch zu verteidigen." Eine andere Schülerin erinnert sich hieran noch sehr emotional: "Obwohl ich mich nicht mehr an das genaue Ergebnis unseres "UNO-Sicherheitsrates" erinnere, weiß ich noch, dass ich stolz auf uns war, da wir einen sich androhenden Krieg verhindert hatten und den eigentlichen Kriegsstifter (J.) als solchen auch erkannt hatten." Hier schwingt noch mehr mit - der Mitschüler J. war als Vertreter Roodods selbstverständlich der Aggressor, aber er war von der Schülerin auch auf Grund seines aggressiven und wenig kooperativen Verhaltens während der Sitzung als der eigentliche Kriegsstifter identifiziert worden - als derjenige, dessen kompromissloses Verhalten die Wiederherstellung von Frieden verhindert. Über die den Aggressor verblüffende Entscheidungschwäche des Sicherheitsrates fehlen dagegen Erinnerungen.

 

Die "stille Schülerin"

Die Äußerung der Schülerin, die sich selbst so charakterisiert, ist umso interessanter, als es sich hier um eine Schülerin handelt, die, wie sie selber sagt, "ihren Platz in der zweiten Reihe hatte". Sie schreibt dazu: "Mir war es ganz angenehm, nicht direkt an der Diskussion teilnehmen zu müssen. Die Kamera, mit der Sie uns aufgenommen haben, unsere elegante Kleidung und das Gefühl, sich in den mir ungewohnten Bereich der Politik zu begeben, hat in mir eine gewisse Unsicherheit hervorgerufen, mit der ich vermutlich nicht im Stande gewesen wäre, einen vernünftigen, zusammenhängenden Satz herauszubekommen. In der zweiten Reihe konnte ich mich schon sicherer fühlen, was es mir ermöglicht hat, der Diskussion aufmerksam zu folgen. So konnte ich mir ungestört Gedanken zum besprochenen Konflikt und zum Diskussionsverlauf machen und diese dann auch auf einem Zettel an den Sprecher "meines Landes" (A.) weitergeben". Es wird deutlich, dass die "stille Schülerin" die Möglichkeit einer zurückhaltenden Teilnahme genossen hat, und sich gedanklich sehr aktiv an dem Spiel beteiligte, auch wenn sie äußerlich kaum in Erscheinung trat. Es war nur an ihrem konzentrierten Verhalten erkennbar.

 

Politisches Lernen

Mehrere Schüler reflektierten, welche Erfahrungen ihnen das Spiel vermittelt habe: "Jedes Land begann mit einem Eröffnungsplädoyer, in dem auch Forderungen gestellt werden konnten, jedoch kann ich mich kaum an Inhalte erinnern. Das Spiel bot aber eine gute Möglichkeit, sich in Sicherheitsratsmitglieder hineinzuversetzen und Handlungsmöglichkeiten derselben einzuschätzen. Insgesamt betrachtet war es eine sehr gute Erfahrung, die uns der Unterricht bieten konnte". Ein anderer Schüler präzisiert dies in der folgenden Weise: "Auch sehe ich dieses Problem als so typisch geltendes Exempel an, wie es auf viele andere immer wieder aktuelle politische Konflikte übertragen werden könnte." Noch konkreter heißt es in einem weiteren Brief: "So konnte ich die Erfahrung machen, wie schwer es ist, die verschiedenen Ansichten der teilnehmenden Staaten zu bündeln, um gemeinsame weitere Schritte zu beschließen. Interessenkonflikte verschiedenster Art machten ein einheitliches Handeln fast unmöglich" und "Zugeben muss ich jedoch, dass mir das konkrete Ergebnis, d.h. [/S. 106:] die endgültige Maßnahme des Sicherheitsrates entfallen ist, falls es eine gab, wobei ich mir jedoch ziemlich sicher bin, dass diese nicht über Wirtschaftssanktionen oder etwas Ähnliches hinausging, was noch einmal zeigt, wie sehr sich die Mitglieder des Sicherheitsrates gegenseitig lähmen können." Es fällt auf, wie selbstverständlich dem Schüler die Graduation der unterschiedlichen Maßnahmen vor Augen steht und wie die Enttäuschung über die Ineffektivität des Gremiums noch in ihm nachwirkt. Ähnlich enttäuscht äußert sich ein anderer Schüler: "Als Repräsentant des angegriffenen Landes konnte ich sogar in einer UNO-Sitzung Ungerechtigkeit erfahren, denn nur wo die wirtschaftlichen Interessen der anderen Länder verletzt worden waren, konnte ich mit Unterstützung rechnen, wenn auch nicht mit Anteilnahme geschweige denn aus Gerechtigkeitsgründen." Hier schwingt der Anspruch des Schüler mit, Gerechtigkeit als wesentliches Kriterium internationaler Politik zu erleben, ein Anspruch, der in seinen Augen für die UNO in besonderem Maße gelten müsse : "sogar in einer UNO-Sitzung".

Hier stellt sich die Frage, ob ein solches Spiel nicht Gefahr läuft, bereits bestehende Vorurteile zur Politik nur zu vertiefen - z.B. die Priorität wirtschaftlicher Interessen über moralisch haltbaren Kriterien - und somit die Politikverdrossenheit der Schüler zu verstärken. Dazu lässt sich in unseren Augen zweierlei sagen: Keiner der Schüler äußert sich in diesem Sinne und verurteilt Politik auf Grund der gemachten Erfahrung, vielmehr äußern sie sich differenzierter. Sie betonen, erlebt zu haben, "wie schwer es ist", zu politischen Entscheidungen zu kommen, äußern hierüber auch ihre Enttäuschung, nicht aber Verachtung oder das Gefühl, in ihren Vorurteilen bestätigt worden zu sein. Zudem lässt sich die Bedeutung des Wirtschaftlichen, allen geäußerten Idealen zum Trotz, nicht verneinen, und gerade der von ihnen erarbeitete Konflikt bietet dazu ein recht deutliches Beispiel, was aber nicht heißt - und auch für die Schüler nicht hieß - dass wirtschaftliche Interessen die einzigen Kriterien politischer Entscheidungen sind. In Hinblick auf die Erziehung der Schüler zu urteilsfähigen und möglichst politisch aktiven Bürgern jedoch muss auch diese Konstellation im Unterricht erfahren werden; erst dann können sich Schüler hierzu verhalten.

Ähnliches gilt auch für folgende Erinnerungen der Schüler, die sich wie ein Zwiegespräch über die Rolle des Vertreters Roodods lesen. Er selber schreibt dazu: "Wie Sie sich bestimmt noch erinnern können, vertrat ich in diesem Spiel die Position des Aggressors und es verblüfft mich damals regelrecht, wie viel Handlungsfreiheit mir die übrigen Nationen (im Besonderen Frankreich - Vorsitz) ließen und wie viele Zugeständnisse sie mir machten. Und obwohl ich weiterhin sehr aggressiv agierte und wenig Einsicht zeigt, traten die anderen Staaten nicht energischer auf und verwiesen mich (und M.) nicht in unsere Schranken. Die Handlungsunfähigkeit der UNO (Simulation) war beispielhaft." Dieses Verhalten kommentiert eine Schülerin folgendermaßen: "Das prägendste Erlebnis war jedoch das Verhalten des einen Problemstaates, bzw. das Verhalten dessen Vertreters. J. reagierte unfreundlich und beleidigend auf Fragen und Beschuldigungen und griff die verschiedenen Diskussionsteilnehmer häufig aggressiv an. Die übrigen Staatenvertreter reagierten ihrerseits meistens zunächst mit Verblüffung oder Irritation, die sich schnell in Ärger oder Unsicherheit verwandelten. Ich persönlich war zunächst vollkommen geschockt von der präsentierten Art. Mein erster Gedanke war "so ist das doch in Wirklichkeit gar nicht". Dachte ich! Nachdem wir auf empörte Hinweise auf J´s Verhalten schließlich von der Spielleitung (Herr Knittel) die Information erhielten, dass sein Verhalten durchaus der Realität entsprechen könne, wollte ich das zunächst gar nicht glauben. Respektlos, beleidigend, aggressiv, [/S. 107:] unverschämt, provozierend - so verhielten sich Politiker in Wirklichkeit? Erst als ich eine Bundestagsdebatte im Fernsehen verfolgte, konnte ich die Realität wirklich verstehen. Inzwischen, fast drei Jahre später, bin ich wesentlich vertrauter mit dem Verhalten von Politikern in Diskussionen, aber das schockierendste und gleichzeitig prägendste Erlebnis war in der Tat der UNO-Sicherheitsrat am 27.3.1996." Interessant ist das Entsetzen der 16-jährigen Schülerin über das Verhalten von Politikern, interessant ist aber auch das abgewogene Urteil der 19-jährigen, die nicht Politiker pauschal abqualifiziert, wohl aber deren Umgangsformen weiter kritisch beobachtet hat. Aus dem beschriebenen Entsetzen ist nicht Verurteilung geworden, vielmehr hat sie das Verhalten als Rahmenbedingung, nicht aber als Essenz politischen Handelns erkannt. Ihre Äußerungen zeigten uns aber auch, dass es, um einer Vorurteilsbildung gezielt entgegenzuwirken, wichtig gewesen wäre zu betonen, dass J. nur für einen Politikertyp stand und diesen durchaus realistisch darstellte, dass aber ein solches Verhalten nicht die Regel ist.

 

Fiktion und Realität

Was im Spielverlauf und in den Schüleräußerungen immer wieder auffällt, ist die Verschränkung von Fiktion und Realität. Der Konflikt wird eindeutig als fiktiver betrachtet, jedoch ziehen die Schüler sehr bewusst Parallelen zur Realität. Dies wirft die Frage auf, ob ein Spiel mit seinem hohen Identifikationsangebot nicht die Schüler dazu verführt, das Spiel als Realität anzusehen und unkritisch zu meinen, sie hätten die Realität im Spiel abgebildet. Die Äußerungen während der Vorbereitung, in der Auswertung und auch in den Briefen widersprechen einer solchen Betrachtung. Die Schüler waren sich des Spielcharakters durchgehend bewusst, sie betonten in der ersten Auswertungsphase, dass das Spiel eben doch ein Spiel sei, dass sie Schüler seien. In der darauf folgenden Auswertungsphase jedoch erarbeiteten sie Strukturen eines politischen Konflikts, über die sie sich auf Grund ihrer intensiven Erfahrungen sehr kompetent äußerten.

 

Anmerkungen

1) Transkription von Julia Bitterwolf im Oktober 1998.

2) Diese Äußerung ist einem Schülerbrief entnommen, vgl. Abschnitt 4: "Möglichkeiten und Grenzen des Planspiels".

3) vgl. dazu aktuell: Mascha Kleinschmidt-Bräutigam, Das neue Haus des Lernens und die Rolle der Fächer darin, in: Schulverwaltung, Zeitschrift für Schulleitung, Schulaufsicht und Schulkultur, 8. Jahrgang, 1998, Nr. 10, S. 327 ff.

4) Für unsere Planungsentscheidungen fanden wir Anregungen bei: Klippert, H.: Methoden-Training, Übungsbausteine für den Unterricht, 1994 und in dem Sammelband: Schriftenreihe Band 258: Erfahrungsorientierte Methoden politischer Bildung, Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, 1988. Wichtige Hinweise zu Planspielen finden sich auch bei: Massing, P.: Handlungsorientierter Politikunterricht. Ausgewählte Methoden, 1998.

5) vgl. dazu aktuell: Mascha Kleinschmidt-Bräutigam, Das neue Haus des Lernens und die Rolle der Fächer darin, in: Schulverwaltung, Zeitschrift für Schulleitung, Schulaufsicht und Schulkultur, 8. Jahrgang, 1998, Nr. 10, S. 327 ff.

6) Die Themen der vierten und fünften Stunde waren nur 1996 aktuell. Die Unterrichtseinheit kann auch ohne aktuelle Stunden unterrichtet werden um Zeit z.B. für eine intensive Auswertung des Spiels zu gewinnen, es kann aber auch auf ein zum Zeitpunkt des Spiels aktuelles politisches Problem Bezug genommen werden.

7) Umfang und Fixpunkte der Auswertung werden durch mehrere Kriterien bestimmt, insbesondere durch die jeweils definierten Lernziele der Unterrichtseinheit und den Spielverlauf (z.B. sachliche Fehler, Ansätze für die Sicherung des Verständnisses politischer Entscheidungsprozesse). Vgl. 4.3. Die Auswertung.

8) Die Teilnehmer des Seminar haben dazu einen Videokurs in der Landesbildstelle, der in Grundlagen der Kameraführung und -technik einführte, besucht. Das Problem der Kameraführung könnte in eine Chance verkehrt werden, indem Eltern um Mithilfe gebeten und auf diese Weise auch einmal in den Unterricht integriert werden können.

9) Transkription von Julia Bitterwolf im Oktober 1998.


Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Politische Bildung 32. Jg. (1999) H. 1, 89-107 und 108-124 (Materialien)
(c) 2001 Bernd Knittel, Gunilla Neukirchen
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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