Szenario-Technik

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1. Kurze Beschreibung der Methode

Die Szenario-Technik stellt einen vielfach erfolgreich erprobten Weg dar, um ökonomische und politische Entwicklungspfade antizipatorisch und partizipativ aufzuzeigen. Als begründete Projektionen beschreiben Szenarien – idealtypisch in qualitativer wie quantitativer Form – positive und negative Veränderungen einzelner Entwicklungsfaktoren in ihren Wechselwirkungen. Die nicht nur in (Hoch-)Schulen, sondern auch in Unternehmen, Verbänden und Parteien praktizierte Methode entstammt der strategischen Planung und kann den komplexe(re)n Simulationsmethoden zugerechnet werden. Auch wenn sich einzelne Stimmen dafür aussprechen, in unterrichtspraktischen und pädagogischen Kontexten dem Begriff der „Szenario-Methode“ gegenüber dem Begriff der „Szenario-Technik“ den Vorzug zu geben, sind in der Literatur zumeist beide Begriffe zu finden (Sprey 2003: 57-61).

 
2. Zielsetzung

Bei der Anwendung der Szenario-Technik im Unterricht werden Schüler(innen) zunächst dazu angehalten, ein Problemfeld zu analysieren und sich die dafür notwendigen Informationen zu beschaffen. Mit den Entwürfen unterschiedlicher Szenarien wird insbesondere das Denken in Zusammenhängen, Systemen und Alternativen gefördert. Die Methode sensibilisiert für Gegenwartsprobleme und die Vielfalt möglicher Zukunftsszenarien, stärkt die Fähigkeiten einer verständigungsorientierten Kommunikation und soll dazu befähigen „an der Gestaltung einer sicheren, menschenwürdigeren, umwelt- und sozialverträglichen Zukunft mitzuwirken“ (Weinbrenner 1995a: 432).

 

3. Ablauf der Methode

In der Bestimmung des Problemfeldes gilt es im Vorfeld mit Blick auf die kognitiven Fähigkeiten sowie die Kreativpotenziale der Lerngruppe Begrenzungen in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht zu erwägen (Retzmann 2001). Zukunftsszenarien können nicht aus dem Stegreif formuliert werden, sondern werden in einem Prozess von acht Schritten entwickelt: Nach einer Analyse des Problemfelds (1) und für dieses relevante Einflussbereiche (2) werden Deskriptoren zur Bewertung der Einflussfaktoren und zur Analyse ihrer Entwicklung ermittelt (3). Zu unterscheiden sind dabei eindeutige und alternative Deskriptoren sowie aktive, reaktive, kritische und puffernde Einflussfaktoren (Engartner 2010: 190; Sprey 2007: 85-86). Die herausgearbeiteten Deskriptoren werden dann zu in sich konsistenten alternativen Entwicklungsverläufen gebündelt (4), worauf die Phase der Entwicklung zweier Extremszenarien sowie eines Trendszenarios folgt (5), die im allgemeinen als Höhepunkt der Szenariomethode gilt (Albers/Broux 1999: 64). Während sich das positive Extremszenario (best-case-scenario) an der bestmöglichen Zukunftsentwicklung orientiert, zeigt das negative Extremszenario (worst-case-scenario) die am wenigsten wünschenswerte Entwicklung auf. Ob das Trendszenario (trend-extrapolation), das den Entwicklungstrend der Vergangenheit in die Zukunft fortschreibt und den wahrscheinlichsten Ereignisverlauf abbildet, nicht erst nach Durchführung der Methode bestimmt werden kann (Engartner 2010: 189-190) oder ob es überhaupt entwickelt werden soll, ist allerdings umstritten (Albers/Broux 1999: 64).

 

Die Akzentuierung der sachlich-analytische Verfahrensweise der Szenario-Technik und die dezidierte Unterscheidung von anderen die Kreativität und Intuition der Schüler(innen) ansprechenden Methoden sollte von der Lehrperson jedenfalls auch gegenüber den Lernenden dezidiert vorgenommen werden (Sprey 2003: 103). In den nächsten Schritten werden die Konsequenzen verschiedener Szenarien analysiert (6) sowie mögliche Störereignisse in Erwägung gezogen (7), wobei über die Reihenfolge dieser beiden Schritte in der Literatur Uneinigkeit besteht (Sprey 2007: 87-88; Weinbrenner 1995c: 475-476). Schließlich sollen Strategien und Maßnahmen entwickelt werden, die gewünschte Entwicklungen unterstützen und unerwünschten Verläufen entgegenwirken können. Das hinter der Szenario-Methode stehende Denkmodell wird meist in Form eines Trichters dargestellt, wobei das positive Extremszenario den oberen Trichterrand darstellt und das negative Extremszenario am unteren Trichterrand repräsentiert ist. Die gegenwärtige Situation wird auf der linken Seite als Punkt abgebildet, weil sie sich vergleichsweise präzise beschreiben und analysieren lässt. Dass es mit fortschreitender Zeit angesichts einer wachsenden Zahl von Unwägbarkeiten schwieriger wird, Situationen treffend zu beschreiben, symbolisiert der sich zur rechten Seite öffnende Trichter.

 

 
4. Forschungsstand

Ursprünglich aus dem Bereich der strategischen Planung kommend hat die Szenario-Technik als Unterrichtsmethode in den 1990er-Jahren Eingang in pädagogische Kontexte gefunden (Albers/Broux 1999: 57; Sprey 2007:18) und bisher kann man sie nicht unbedingt zum Standard-Repertoire der einschlägigen Handbücher zu didaktischen Methoden im Politikunterricht zählen. Dabei kann mit Blick auf die Entwicklung szenario-geleiteter Lehr-Lernarrangements auf teilweise intensiv betriebene Begleitforschung verwiesen werden (Sprey 2007: 18). So arbeitet beispielsweise die in der Aktionsforschung zu verortende Studie von Michael Sprey auf der Grundlage eines experimentellen Untersuchungsdesigns in Kombination mit Unterrichtsbeobachtungen, Gruppeninterviews, schriftlichen Schülerbefragungen und Dokumentenanalyse die besonderen Potenziale der Methode im Hinblick auf innovatives, zukunftsorientiertes Lernen sowie vor allem der Förderung der Antizipationsfähigkeit heraus (Sprey 2007).

 

5. Pro und Contra in der Anwendung

Die Szenario-Methode fördert eine Reihe von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, die nicht nur im Rahmen von Bildungsstandards im Unterricht zu fördern sind. Sie kann kreative Potenziale freisetzen und verlangt von den Schüler(inne)n zugleich Fähigkeiten sowie die Bereitschaft zur Konsensfindung. Im Rahmen der Entwicklung von Antizipationsfähigkeit können eigene Gestaltungsspielräume entdeckt und somit die Partizipationsbereitschaft geweckt werden (Engartner 2010: 190-191; Albers/Broux 1999: 77). Darüber hinaus darf man erwarten, dass sich die für die meisten Schüler(innen) noch neue Unterrichtsform förderlich auf ihre Motivation auswirkt. Nichtsdestotrotz ist die Durchführung der Methode mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden, die es bei ihrem Einsatz zu berücksichtigen gilt. Neben der umfangreichen und zeitintensiven Vorbereitung sowie der Bearbeitungsdauer einzelner Phasen, die die Anwendung der Methode im Rahmen von Projekttagen oder mehrtägiger Seminarveranstaltungen nahelegen, ist die der Methode eigene Komplexität zu berücksichtigen, die auf der anderen Seite wiederum mit notwendigen Reduktionen verbunden ist. Mit den Begriffen „Glaubwürdigkeit“, „Unterschiedlichkeit“, „Vollständigkeit“, „Relevanz“ und „Informationsgehalt“ führt Sprey (2007: 94-94) eine Reihe von Gütekriterien an, die auch für die Schüler(innen) transparent zu machen sind. Zudem ist zu bedenken, dass sich nicht alle möglichen Entwicklungsverläufe quantitativ eindeutig bestimmen lassen (Weinbrenner 1995b: 472-473), und nicht zuletzt, dass die Visualisierung der Methode in Form des Trichters die Suggestion kontinuierlicher Entwicklungsverläufe erzeugt (Retzmann 1996: 15). Es empfiehlt sich also, ausreichend Zeit für Reflexionsphasen einzuplanen, in denen die entwickelten Szenarien gemeinsam mit den Schüler(inne)n auf in ihnen enthaltene Reduktionen oder Verzerrungen geprüft werden.

 

6. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel

Als Anwendungsfelder der Szenario-Methode kommt ein breites Spektrum von Szenarien in Frage, die ein gesellschaftliches, wirtschaftliches oder politisches Problem zum Gegenstand haben, das als dringend lösungsbedürftig und prinzipiell lösungsfähig angesehen wird. Das von Peter Weinbrenner 1995 ausführlich dokumentierte Problemfeld „Multikulturelle Gesellschaft“ zeugt gegenwärtig wieder von besonderer Aktualität, sodass eine Adaption der von ihm erarbeiteten Vorgehensweise mit Blick auf gegenwärtige Entwicklungen für den sozialwissenschaftlichen Unterricht gut vorstellbar ist (Weinbrenner 1995b). Unter Bezugnahme auf die aktuellen Entwicklungen von Migrations- und Flüchtlingsprozessen und mit der entsprechenden Aktualisierung der bereits bei Weinbrenner zu findenden Deskriptoren ist mit Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen in der Schulklasse die Entwicklung von Szenarien sowohl begrenzt auf das lokale Umfeld als auch in ihrer globalen Dimension denkbar. Praktische Hinweise zu Vorbereitungen und Organisation des Ablaufs sind im Methodenbuch von Albers/Broux (1999) zu finden.

 

7. Literatur

Albers, Olaf/Broux, Arno (1999): Zukunftswerkstatt und Szenariotechnik. Ein Methodenbuch für Schule und Hochschule. Hrsg. von Peter Thiesen. Weinheim: Beltz Verlag.

Engartner, Tim (2010): Didaktik des Ökonomie- und Politikunterrichts. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.

Retzmann, Thomas (1996): Die Szenario-Technik. Eine Methode für ganzheitliches Lernen im Lernfeld Arbeitslehre. In: awt-info 15, H.2, S. 13-19.

Retzmann, Thomas (2001): Die Szenariotechnik – ein komplexes Lehr-/Lern-Arrangement für die interdisziplinäre politische Bildung im Fach Sozialwissenschaften. In: Gegenwartskunde 50, H. 3, S. 363-374.

Sprey, Michael (2003): Zukunftsorientiertes Lernen mit der Szenario-Methode. Bad Heilbrunn/Obb.: Verlag Julius Klinkhardt.

Weinbrenner, Peter (1995a): Auto 2010 – Ein Szenario zum Thema „Auto und Verkehr“. In: Steinmann, Bodo/Weber, Birgit (Hrsg.): Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie. Neusäß: Kieser-Verlag, S. 432-441.

Weinbrenner, Peter (1995b): Multikulturelle Gesellschaft – Einsatz der Szenario-Methode. In: Steinmann, Bodo/Weber, Birgit (Hrsg.): Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie. Neusäß: Kieser-Verlag, S. 469-477.

 

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