Moderative Methoden

Edwin Stiller

Inhalt

1. Begriff und Geschichte
2. Die Rolle des Moderators in der politischen Bildung
3. Moderative Methoden, Techniken, Prinzipien und Moderationsmaterial
4. Chancen und Grenzen moderativer Methoden in der politischen Bildung
5. Literatur
Zum Autor

Abbildungen:

Abb. 1: Funktion von moderativen Methoden
Abb. 2: Großgruppen moderativer Methoden
Abb. 3: Gruppenspiegel
Abb. 4: Themenspeicher

1. Begriff und Geschichte

Ende der sechziger Jahre begann die Entwicklung der Moderations-Methode in der BRD. Angeregt durch die amerikanische Kreativitätsforschung und innovative Entwicklungen in der amerikanischen Wirtschaft und im Militär experimentierte das Quickborner Team, eine Unternehmensberatung, mit neuen Methoden der Gruppenarbeit und erfand die "Metaplan-Technik". Zeitgleich entwickelte R. Jungk die Methode Zukunftswerkstatt, die stark moderative Elemente enthält. Orientierend für diese Entwicklung waren Erkenntnisse aus den Bereichen Humanistische Psychologie (vor allem TZI), der Kleingruppen- und der Kreativitätsforschung.

Moderative Methoden sollten zur Demokratisierung aller Lebensbereiche beitragen, indem sie Menschen an Entscheidungsfindung und Problemlösung in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und im Bildungsbereich beteiligen. In diesem Sinne ist Moderation ein Verfahren, welches besonders geeignet ist, Gruppen ein möglichst selbst gesteuertes Arbeiten zu ermöglichen und das hierarchische Gefälle zwischen Leitung und Gruppe sowie Experten und Laien weitestgehend aufzuheben. Heute findet sich die Moderations-Methode in vielen Bereichen der Wirtschaft (Teamarbeit, Qualitätszirkel, Konferenzführung), in der Lehreraus- und Fortbildung, in der Schulentwicklung, aber auch in den Unterricht hat Moderation Eingang gefunden (M. Herold 1995; E. Stiller 1997).

Überall dort, wo es um Mitentscheidung und Mitgestaltung verantwortungsbewusster Subjekte geht, ist die Moderations-Methode gefragt. Daher ist sie so wichtig für die pB.

2. Die Rolle des Moderators in der politischen Bildung

Moderation setzt bestimmte professionelle Kompetenzen, ein mit dem Moderationsgedanken verbundenes professionelles Selbstverständnis und einen die Moderation ermöglichenden und zugleich begrenzenden Kontext voraus. In der Literatur (Themenhefte Pädagogik 1995 u. 1996; R. Sellnow 1995) wird eine sehr weitgehende Definition der Moderatorenrolle vorgenommen. Demnach ist der Moderator:

  • Prozesshelfer: Er ermöglicht Prozesse der Themenfindung, Meinungs- und Willensbildung, sorgt für Transparenz, hat selbst eine fragende Haltung und initiiert Selbstevaluation. Zudem achtet er auf die Einhaltung der Absprachen und Regeln.
  • Klimaförderer: Er beobachtet mit Empathie und pflegt eine gute Atmosphäre der gegenseitigen Wertschätzung, ermutigt, aktiviert, ermöglicht Gemeinsamkeit bei gleichzeitiger Akzeptanz von Unterschieden.[/S.412:]
  • Schlichter: Er verfügt über Klärungsstrategien und hilft bei humaner Konfliktlösung, beachtet den TZI-Grundsatz, dass gewichtige Störungen Vorrang haben und thematisiert werden müssen.
  • Methodenexperte: Er ermöglicht den Gruppen Wege, ohne in die Ziel- und Inhaltsdiskussion einzugreifen.
  • "Diener der Gruppe": Er ermöglicht durch Serviceleistungen optimale Arbeitsbedingungen und das Ausschöpfen der Gruppenressourcen.

Diese Rollenbeschreibungen führen oft allerdings zu übersteigerten Erwartungen, die alles Gelingen oder Scheitern zum Problem des Moderators machen. Team-Moderation hilft die hohen Anforderungen zu erfüllen. In der pB müssen zudem Relativierungen dieses Rollenkonzepts bewusst gemacht werden. So schränken der institutionelle schulische Rahmen, der Bildungsauftrag mit seinem Ziel- und Inhaltsrahmen, die Wertgebundenheit, die Beurteilungsproblematik den Handlungsspielraum des Moderators ein. Auf der anderen Seite müssen die vorhandenen institutionellen Spielräume für moderatives Handeln extensiv ausgeschöpft werden.

3. Moderative Methoden, Techniken, Prinzipien und Moderationsmaterial

Entsprechend der Platzierung in der Makro- und Mikrostruktur haben moderative Methoden unterschiedliche Funktionen:

Abb. 1 Funktion von moderativen Methoden
Phase Funktion
Einstieg "Warming up" - Problemfindung - Programmabsprachen
Orientierung Problemdefinition - Klärung der Ausgangslage - Planung
Problembearbeitung Datenerhebung - Recherche - Problemlösungsstrategien
Ergebnissicherung Sammlung, Strukturierung - Visualisierung - Rückbezug auf die Problemstellung
Abschluss Ergebnisbewertung - Prozessevaluation - Perspektiven der Weiterarbeit

Zahlreiche "Großmethoden" wie Zukunftswerkstatt, Planspiel und Szenario haben stark moderativen Charakter. Die Methoden liefern die Struktur des Arbeitens, und die Gruppe kann sich in dieser Struktur selbst gesteuert mit Hilfe des Moderators bewegen.

Bei vielen "Kleinmethoden" steht moderatives Verhalten des Leiters im Vordergrund: Expertenbefragung, Pro- und Contra-Debatte, Zeitungs- und Statuentheater (E. Stiller 1997, 109 ff.).

Unterschiedliche moderative Techniken kommen zum Einsatz. Zwei Großgruppen können hier unterschieden werden:[/S.413:]

Abb.2 Großgruppen moderativer Methoden
Sammeln und Strukturieren von Themen, Problemen, Fragen und Thesen Bewerten und Entscheiden
Blitzlicht Argumentationsrunde
Brainstorming Barometer
Gruppenspiegel Bepunkten
Kartenabfrage Entscheidungsmatrix
Mehrfeldermatrix Evaluations-Zielscheibe
Problemspeicher Ja/Nein-Ecken "Stellung nehmen"
Zurufliste Skalierte Liste
(Konkrete Beschreibungen der Techniken in der aufgeführten Literatur, ausführlich in U. Lipp/H. Will 1996)

Am Beispiel einer aktuellen Lehrerfortbildungsmaßnahme zum Thema "Rechtsextremismus" kann der Einsatz dieser Techniken veranschaulicht werden (K.-L. Reinders/E. Stiller 1995).

In dem ersten von sieben ganztägigen Fortbildungsblöcken und einem dreitägigen Seminar wählt das Moderatorenteam als Einstieg eine Kombination aus Bildassoziation und Partnerinterview, damit die Teilnehmer sich gegenseitig vorstellen und schon ihren persönlichen Bezug zum Thema über die Assoziationen zu einem selbst gewählten Bild deutlich machen können.

Alternative dazu: "Gruppenspiegel":

Abb. 3 Gruppenspiegel
Name:  
Symbol (typisch für mich):  
Wichtigste Erwartung:  
Größte Befürchtung  
(Jeder Teilnehmer füllt ein DIN-A3-Blatt aus. Ergebnis wird ausgehängt.)

In der Orientierungsphase wird das Fortbildungskonzept von den Moderatoren vorgestellt und eine Kartenabfrage zu den Fragen: "Was bringe ich mit?" und "Was möchte ich mitnehmen?" durchgeführt. Jeder Teilnehmer füllt pro Antwortaspekt eine Karte in großer Schriftgröße aus. Diese werden gesammelt, von der Gruppe strukturiert und nach Einschätzung der Bedeutsamkeit bepunktet. Auf diese Weise können Vorerfahrungen, Kompetenzen, Voreinstellungen einerseits und Erwartungen, Befürchtungen und konkrete Bedürfnisse der Fortbildungsgruppe erhoben, strukturiert und gewichtet werden.

Hieran kann die gemeinsame Programmplanung anschließen und konkrete Programmabsprachen getroffen werden, die aus der Gruppe erwachsen.

Alternative dazu: "Themenspeicher":[/S.414:]

Abb. 4 Themenspeicher
Mögliche Themen: Punkte Rang Mögliche Methoden: Punkte Rang
a     a    
b     b    
c     c    
       
(Auf Wandzeitung oder Flipchart, mit Zuruf- oder Karten-Verfahren, Bepunkten)

In der Erarbeitungsphase der Fortbildung nehmen die Moderatoren abwechselnd auch referierende Rollen ein. Expertenbefragungen werden arrangiert, Ortsbesichtigungen durchgeführt, Handlungskonzepte entwickelt, ganz nach den in der gemeinsamen Programmabsprache getroffenen Vereinbarungen. Fortbildungsbegleitend wird mit den Methoden Blitzlicht, Auswertungszielscheibe, "Stellung nehmen" der "Puls der Gruppe" gefühlt, um Planung und Durchführung eng an den Teilnehmern zu orientieren. Diese Evaluation ist selbstverständlich am Ende der Maßnahme von besonderer Bedeutung, um Konsequenzen für die nächste Gruppe ziehen zu können.

Moderation orientiert sich teilnehmerorientiert. Dies wird an dem referierten Beispiel deutlich, auch an folgenden Prinzipien:

  • Visualisierung: Über die bloße Veranschaulichung hinaus, die lernpsychologisch zwar auch von großer Bedeutung ist, dient die optische Dokumentation des gesamten Lernprozesses vor allem der Transparenz. Alles, was auf Flip-Chart, Wandzeitung oder Einwand präsentiert wird, stellt Öffentlichkeit her und eröffnet Beteiligungschancen für alle.
  • Metakommunikation: Für ein gutes Gelingen von Lernprozessen ist es wichtig, ständig "am Puls der Gruppe" zu sein, um die vielschichtigen Prozesse vor allem auf der Beziehungsebene zu erfassen und allen Teilnehmern Gelegenheit zu geben, ihre Sicht der Dinge, ihre Befindlichkeit. ihre persönliche Lernbilanz darzulegen. Neben einer gemeinsamen Prozessplanung ist es also in jeder Sitzung notwendig, zumindest anregungsweise Feed-back-Möglichkeiten zu eröffnen.
  • Ressourcenorientierung: Ausgehend von einem positiv-optimistischen Menschenbild wird versucht, im moderativen Prozess alle Teilnehmerpotentiale (kognitive, kreative, organisatorische usw.) auszuschöpfen. Die durch die moderative Methode bewirkte Akzeptanz, Offenheit und Wertschätzung lässt Teilnehmer oftmals über sich hinauswachsen.

Schließlich sind Moderationsmaterialien für die erfolgreiche Arbeit notwendig: Text-Marker, Klebepunkte, Karten unterschiedlicher Größe und Farbe, Schere, Klebstoff. Als Speichermedien dienen in erster Linie Flip-Chart, Pinwand und Wandzeitung, begrenzt auch Video, Folie und Tafel.

4. Chancen und Grenzen moderativer Methoden in der politischen Bildung

Wenn alle oben genannten Bedingungsfaktoren erfüllt sind - institutioneller Freiraum, geeignete Inhalte bzw. Ziele, persönliche und professionelle Kompetenz der Moderatoren sowie eine Gruppe, die sich selbst steuern kann und will - dann bieten[/S.415:] moderative Methoden eine ideale Kongruenz von Personen, Zielen, Inhalten und Methoden. Das Leitbild des mündigen, kritischen Bürgers hat dann einen adäquaten methodischen Zugriff, denn Moderation ist weit mehr als eine Technik, vielmehr ist sie eine professionell-demokratische Grundhaltung.

Es ist notwendig, ein breites Repertoire an kontrastiven Methoden und Techniken zur Verfügung zu haben und die Teilnehmer an der Entscheidung über Methoden und Techniken zu beteiligen. Nicht zuletzt muss aber betont werden, dass in der pB ein Primat der Ziele gilt und deshalb geprüft werden muss, ob die avisierten Ziele mit den hier beschriebenen Wegen erreicht werden können.

5. Literatur

Herold. M.: Wir müssen Denken lehren, nicht Gedachtes - selbstorganisiertes Lernen in der gymnasialen Oberstufe, in: Deutsche Lehrerzeitung 23/1995, 5. 4 f.

Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (1995): Methodensammlung, Anregungen und Beispiele für die Moderation, Bönen.

Lipp, U./Will, H. (1996): Das große Workshop-Buch, Weinheim.

Mehrmann, E. (1994): Moderierte Gruppenarbeit mit Metaplan-Technik, Düsseldorf.

Pädagogik: Themenhefte: Die Moderationsmethode, 6/1995 u. 12/1996.

Reinders, K.-L./Stiller, E.: Lehrer gegen Rechts! Bericht über eine Lehrerfortbildungsmaßnahme zum Thema Rechtsradikalismus, in: Politisches Lernen 3-4/1995, 5. 61ff.

Sellnow, R. (1995): Die mit den Problemen spielen. Ratgeber zur kreativen Problemlösung, Bonn.

Stiller, E. (1997): Dialogische Fachdidaktik Pädagogik, Paderborn.

Weinbrenner, P. (1997): Selbstgesteuertes Lernen: Moderation, Zukunftswerkstatt, Szenario-Technik, in: Sander, W. (Hrsg.); Handbuch politische Bildung, Schwalbach/Ts., S. 485-498.

 

Zum Autor

Edwin Stiller ist Referent für Lehrerausbildung im Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Dieser Text ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Wolfgang W. Mickel (Hg.). 1999. Handbuch zur politischen Bildung, Bonn, S. 411-415.
© 1999 Edwin Stiller, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
sowi-online dankt der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn und dem Verfasser für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung des Textes im Internet.
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:]. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Copyright-Inhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, auch im Internet.